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§ 43

Beteiligung an Verfassungsstreitigkeiten

(1) Klagen und Verfassungsbeschwerden, die beim Bundes- oder Landesverfassungsgericht anhängig sind und zu denen dem Landtag Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird, überweist die Präsidentin oder der Präsident unmittelbar dem Innen- und Rechtsausschuss zur Beratung.

(2) Der Ausschuß unterbreitet dem Landtag in einem Bericht einen Vorschlag darüber, ob und gegebenenfalls in welchem Sinne Stellung genommen werden soll. Der Bericht wird auf die Tagesordnung der nächsten Tagung des Landtages gesetzt.

Kommentar

1. Gegenstand der Überweisung

Überwiesen werden nach Absatz 1 richterliche Verfügungen, mit denen dem Landtag Gelegenheit zur Stellungnahme zu „Klagen und Verfassungsbeschwerden“ gegeben wird, die beim Bundes- oder Landesverfassungsgericht anhängig sind. Da Absatz 1 die Verfahrensarten, bei denen eine Beteiligung des Landtags in Betracht kommt, nicht nennt, ist insoweit auf die Regelungen des Grundgesetzes und der Landesverfassung sowie des Bundes- und Landesverfassungsgerichtsgesetzes zu verweisen.

Nicht in allen in die Zuständigkeit des Bundes- oder Landesverfassungsgerichts fallenden Verfahren erhält der Landtag Gelegenheit zur Äußerung. Entscheidend sind jeweils die Verfahrensart und der Verfahrensgegenstand: In Betracht kommen nur diejenigen Verfahren, die sich gegen den Landtag richten (der Landtag als Antragsgegner), in denen eine Entscheidung des Landtags „Streitgegenstand“ ist oder in denen jedenfalls Fragen zu entscheiden sind, die Zuständigkeiten des Landtags mittelbar oder unmittelbar berühren. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang vor allem die Landesorganstreitigkeiten gem. Artikel 51 Abs. 2 Nr. 1 LV, die abstrakte Normenkontrolle gem. Artikel 93 Abs. 1 Nr. 2 GG und Artikel 51 Abs. 2 Nr. 2 LV, die Verfassungsbeschwerde gem. Artikel 93 Abs. 1 Nr. 4 a und Nr. 4 b GG sowie Artikel 51 Abs. 2 Nr. 4 LV, die konkrete Normenkontrolle gem. Artikel 100 Abs. 1 GG und Artikel 51 Abs. 2 Nr. 3 LV sowie Beschwerden gegen die Entscheidung des Landtages über die Gültigkeit der Landtagswahl gem. Artikel 51 Abs. 2 Nr. 6 LV.

2. Ausschussüberweisung (Absatz 1)

Erhält der Landtag in einem der vorstehend erwähnten Verfahren Gelegenheit zur Äußerung, sieht Absatz 1 vor, dass die Präsidentin oder der Präsident den Vorgang unmittelbar, d. h. ohne vorherige Beschlussfassung des Landtags, dem Innen- und Rechtsausschuss überweist. Eine direkte Ausschussüberweisung durch die Präsidentin oder den Präsidenten sieht die Geschäftsordnung noch in einigen weiteren Fällen vor (vgl. § 26 Abs. 2 und 3, § 29 Abs. 2, § 31 Abs. 6, § 41 Abs. 1 und § 44).

Da aus Respekt vor den Verfassungsgerichten nicht Schriftsätze aus laufenden Verfahren vom Landtag veröffentlicht werden sollen, entspricht es der parlamentarischen Übung, dass lediglich das Überweisungsschreiben der Landtagspräsidentin oder des Landtagspräsidenten als öffentlicher Umdruck verteilt wird, die das Verfahren betreffenden Schriftsätze dagegen als nicht öffentliche Anlagen zu dem jeweiligen Umdruck behandelt werden und nur dem internen Gebrauch dienen.

3. Weiteres Verfahren (Absatz 2)

3.1  Nach Absatz 2 legt der Innen- und Rechtsausschuss das Ergebnis seiner Beratungen in einem Bericht nieder, der auf die Tagesordnung der nächsten Landtagssitzung gesetzt wird. Der Bericht enthält einen abstimmungsfähigen Beschlussvorschlag. Geht die Empfehlung des Ausschusses dahin, von einer Stellungnahme abzusehen, beschränkt sich der Bericht regelmäßig darauf festzuhalten:

„Der Innen- und Rechtsausschuss hat sich mit der oben bezeichneten Sache in seiner Sitzung am …abschließend befasst.
Er empfiehlt dem Landtag, wie folgt zu beschließen:
Der Schleswig-Holsteinische Landtag gibt in dem oben bezeichneten Verfahren keine Stellungnahme ab.“

Schlägt dagegen der Innen- und Rechtsausschuss dem Landtag vor, eine Äußerung abzugeben, muss der Vorschlag nach Absatz 2 zugleich eine Empfehlung enthalten, in welchem Sinne Stellung genommen werden soll. Insoweit ist die Vorschrift in der Praxis nicht ganz einheitlich gehandhabt worden. In der Regel hat sich der Ausschuss darauf beschränkt, für die Stellungnahme einen bestimmten „Tenor“ zu empfehlen. So heißt es etwa in der Drucksache 7/943:

„Der Landtag wolle beschließen:
Der Landtag hält das Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein vom 22. Dezember 1972 (GVOBl. Schl.-H. S. 152) für vereinbar mit der Landessatzung.“

In der Drucksache 18/5040 wird wie folgt formuliert:

„Damit empfiehlt der Ausschuss dem Landtag mehrheitlich, wie folgt zu beschließen:

    1. Der Schleswig-Holsteinische Landtag gibt eine Stellungnahme in dem oben genannten Verfahren ab.
    2. In der Stellungnahme wird zum Ausdruck gebracht, dass der Landtag die angefochtene Bestimmung des Gesetzes nicht für verfassungswidrig hält.
    3. Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages beauftragt eine Verfahrensbevollmächtigte oder einen Verfahrensbevollmächtigten.“

Folgt der Landtag derartigen Vorschlägen des Innen- und Rechtsausschusses, so ist damit gleichzeitig die Ermächtigung der Präsidentin oder des Präsidenten verbunden, den vom Landtag beschlossenen „Tenor“ der Stellungnahme schriftsätzlich des Näheren zu begründen bzw. durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt oder eine Lehrerin oder einen Lehrer des Rechts an einer Hochschule begründen zu lassen (vgl. hierzu § 19 Abs. 1 Satz 1 LVerfGG, § 22 Abs. 1 BVerfGG). Auch die Vertretung durch Bedienstete der Landtagsverwaltung kommt in Betracht, soweit diese die Befähigung zum Richteramt besitzen oder aufgrund der vorgeschriebenen Staatsprüfungen die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst erworben haben (§ 19 Abs. 1 Satz 4 LVerfGG). Die Entscheidung hierüber liegt bei der Landtagspräsidentin oder dem Landtagspräsidenten.

Der Landtag ist in das weitere Verfahren dann normalerweise nicht mehr eingeschaltet. Von der Regelung in § 19 Abs. 1 Satz 3 LVerfGG, dass der Landtag sich auch durch seine Mitglieder vertreten lassen kann, ist noch nie Gebrauch gemacht worden.

In wenigen Ausnahmefällen hat der Innen- und Rechtsausschuss über den „Tenor“ der Stellungnahme hinaus auch eine Empfehlung zur Begründung im Einzelnen abgegeben (vgl. Drs. 9/1496 und 9/1497). Folgt der Landtag einer solchen Empfehlung, ohne die Präsidentin oder den Präsidenten zu ergänzenden Ausführungen oder zur Übersendung von bestimmten Materialien zu ermächtigen, wird dem Bundes- oder Landesverfassungsgericht lediglich die beschlossene Stellungnahme zugeleitet.

3.2  Die im Bundestag erörterte Frage, ob die Präsidentin oder der Präsident die Vertretung des Parlaments in Verfassungsstreitigkeiten auch dann übernehmen kann, wenn ein Handeln oder Unterlassen des Parlaments durch einen mit eigenen Rechten ausgestatteten Teil des Parlaments angefochten wird, oder ob in Fällen dieser Art ein besonderer Vertreter bestellt werden sollte (vgl. hierzu Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, 1977, § 7 GO-BT, RN 2 ff.; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Kommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, § 7 GO-BT, Erl. I. 1. c; Gusy, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 60 RN 31 ff.), hat sich für den Schleswig-Holsteinischen Landtag bislang nicht gestellt. Die Vertretungsbefugnis der Präsidentin oder des Präsidenten in allen Rechtsstreitigkeiten des Landtags ist verfassungs- und geschäftsordnungsrechtlich abgesichert (vgl. Artikel 20 Abs. 3 Satz 2 LV, § 5 Abs. 1 Satz 2) und kann daher nach geltendem Recht nicht bestritten werden.

4. Besonderheiten bei der Einleitung eines Verfahrens vor dem Landes- oder Bundesverfassungsgericht durch den Landtag

§ 43 ist nicht anwendbar, wenn es um die Einleitung eines Verfahrens vor dem Landes- oder Bundesverfassungsgericht geht. Der Antrag, der Landtag möge in einer bestimmten Angelegenheit das Landes- oder Bundesverfassungsgericht anrufen, ist ein Antrag im Sinne des § 31 Abs. 1. Über ihn kann nach einmaliger Beratung beschlossen werden (§ 24 Abs. 2). In der Regel schließt die erste Beratung jedoch mit der Ausschussüberweisung, um eine gründliche Vorbereitung der Entscheidung über den Antrag zu gewährleisten.

Im Falle einer Annahme des Antrags sollte sich der Landtag darauf beschränken, die Anrufung des Landes- oder Bundesverfassungsgerichts zu beschließen, den Streitgegenstand, den Antragsgegner sowie den zu stellenden Antrag festzulegen und im Übrigen die Präsidentin oder den Präsidenten zu ermächtigen, das Weitere – Einreichung der Antragsschrift mit näherer Begründung, Bestellung eines Verfahrensbevollmächtigten – zu veranlassen.

5. Weitere Stellungnahmen

Hat der Landtag in Anwendung des § 43 Stellung genommen oder hat der Landtag als Antragsteller das Bundes- oder Landesverfassungsgericht angerufen, so gilt, wenn dem Landtag im weiteren Verlauf des Verfahrens Gelegenheit zu ergänzenden Äußerungen gegeben wird, das Folgende: In diesen Fällen findet grundsätzlich weder eine erneute Ausschussüberweisung gem. § 43 noch eine erneute Befassung des Landtags statt; auf der Grundlage des ersten, das entsprechende Verfahren vor dem Verfassungsgericht betreffenden Beschlusses des Landtags ist es vielmehr Sache der Präsidentin oder des Präsidenten zu prüfen und zu entscheiden, ob und gegebenenfalls welche weitere Stellungnahme abgegeben werden soll.

 

Kommentar zur Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages

Stand: 5. Januar 2023

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