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§ 38

Große Anfragen

(1) Große Anfragen an die Landesregierung können von einer Fraktion oder mindestens achtzehn Abgeordneten gestellt werden. Sie sind der Präsidentin oder dem Präsidenten schriftlich einzureichen.

(2) Die Präsidentin oder der Präsident übermittelt die Große Anfrage unverzüglich der Landesregierung und fordert sie schriftlich zur Erklärung auf, wann sie antworten werde. Erklärt sich die Landesregierung zur Beantwortung innerhalb von drei Monaten nicht in der Lage, so hat die Präsidentin oder der Präsident auf Verlangen der Fragestellenden die Große Anfrage auf die Tagesordnung der nächsten Tagung zu setzen. Eine oder einer der Fragestellenden erhält bei der Einbringung das Wort zur Begründung. Daran kann sich eine Aussprache anschließen.

(3) Haben die Fragestellenden bei der Einbringung nicht das Wort zur Begründung erhalten, so ist es vor der Beantwortung zu erteilen. An die Beantwortung soll sich eine Aussprache anschließen.

Kommentar

1. Abgrenzung

In der Hierarchie der parlamentarischen Fragen kommt der Großen Anfrage eine hervorgehobene Bedeutung zu. Tendenziell soll sie der Information über und der Erörterung von besonders bedeutsamen Sachkomplexen dienen (vgl. Witte/Wegmann: Recht und Kontrollfunktion der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen im Deutschen Bundestag, 1972, S. 117 ff.). Unabhängig von dem Gewicht des zugrunde liegenden Fragegegenstandes ergibt sich der besondere Rang der Großen Anfrage aus der Ausgestaltung als Gruppenrecht, aus der Möglichkeit, sie mündlich im Plenum zu begründen und eine Aussprache durchzuführen sowie im Rahmen ihrer Behandlung Entschließungsanträge einzubringen. Da die Entscheidung für eine bestimmte Frageart politischer Natur ist und der politischen Einschätzung des Fragegegenstandes durch die Fragestellenden unter Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen Vorgaben unterliegt, hat die Landtagspräsidentin oder der Landtagspräsident keine Befugnis zu prüfen, ob es sich inhaltlich um einen für die Form der Großen Anfrage geeigneten Gegenstand handelt.

2. Einreichung und Form (Absatz 1)

Anders als die Kleinen Anfragen und die Fragen in der Fragestunde, die von einzelnen Abgeordneten an die Landesregierung gerichtet werden können, bedarf die Große Anfrage gem. Absatz 1 Satz 1 der Unterstützung durch eine Fraktion oder mindestens achtzehn Abgeordnete. Da Abgeordneten der dänischen nationalen Minderheit die Rechte einer Fraktion zustehen (§ 1 Abs. 2 FraktionsG i. V. m. § 22 Abs. 4), können Große Anfragen von Abgeordneten des SSW gestellt werden, auch wenn die für eine Fraktionsbildung erforderliche Zahl von vier Abgeordneten nicht erreicht wäre. Die Große Anfrage ist der Präsidentin oder dem Präsidenten gem. Absatz 1 Satz 2 schriftlich einzureichen. Sie bedarf zum Nachweis der erforderlichen Unterstützung der Unterzeichnung durch mindestens achtzehn Abgeordnete oder, wenn sie von einer Fraktion gestellt wird, üblicherweise der eines federführenden Fraktionsmitgliedes mit dem Zusatz „und Fraktion“.

Große Anfragen unterliegen den Zulässigkeitsanforderungen des § 35. Ungeachtet ihrer Bezeichnung als „Große“ Anfragen müssen sie demnach u. a. kurz gefasst sein (vgl. Erl. 4.3 zu § 35). In Hinblick darauf, dass es sich zum einen bei dem Begriff „kurz“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der einen weiten Beurteilungsspielraum eröffnet, und dass zum anderen in Großen Anfragen in der Regel komplexe, politisch bedeutsame Gegenstände aufgegriffen werden, die häufig eine Unterteilung in Detailfragen erfordern, lässt sich aus dem Gebot der Kürze ein Verbot von Unterfragen nicht ableiten, sofern sie sich auf denselben Gegenstand beziehen.

3. Übermittlung an die Landesregierung (Absatz 2 Satz 1)

Absatz 2 Satz 1 legt fest, dass die Präsidentin oder der Präsident der Landesregierung die Große Anfrage mit der Aufforderung zuleitet, sich zu erklären, wann sie die Große Anfrage beantworten werde. Im Unterschied zur Fristsetzung bei der Übermittlung einer Kleinen Anfrage bestimmt die Geschäftsordnung nicht, innerhalb welchen Zeitraums die Große Anfrage beantwortet werden soll. Absatz 2 Satz 2 lässt allerdings den Schluss zu, dass im Regelfall innerhalb von drei Monaten geantwortet werden soll. Erklärt sich nämlich die Landesregierung nicht in der Lage, innerhalb dieses Zeitraums zu antworten, haben die Fragestellenden gleichsam als Druckmittel gegen eine die Beantwortung verzögernde Landesregierung das Recht zu verlangen, dass die Große Anfrage auf die Tagesordnung der nächsten Landtagstagung gesetzt wird, auch wenn nicht zu erwarten ist, dass die Antwort der Landesregierung zu diesem Zeitpunkt vorliegt (Absatz 2 Satz 2). Die Frist von drei Monaten beginnt mit dem Eingang der Großen Anfrage bei der Landesregierung. Da die Dreimonatsfrist sich als zu kurz erweisen kann, kann sie auf Wunsch der Landesregierung im Einvernehmen mit den Fragestellenden verlängert werden. Die Landesregierung ist nicht verpflichtet, schriftlich zu antworten, tut es jedoch regelmäßig.

4. Behandlung der Großen Anfrage im Landtag (Absatz 2 und 3)

Hinsichtlich der Behandlung einer Großen Anfrage im Landtagsplenum geht § 38 von zwei Fallkonstellationen aus:

4.1  Absatz 2 Satz 2 eröffnet die Möglichkeit, eine Große Anfrage auf die Tagesordnung zu setzen, wenn die Antwort der Landesregierung nach Ablauf von drei Monaten nicht vorliegt. Die Fragestellenden haben in diesem Falle das Recht, die Aufnahme der Großen Anfrage auf die Tagesordnung der nächsten Tagung zu verlangen. Es handelt sich nach dem Wortlaut der Regelung nicht um einen Antrag, über den mehrheitlich entschieden werden kann, sondern ausdrücklich um ein Verlangen gegebenenfalls einer Minderheit von achtzehn Abgeordneten oder einer Fraktion, dem stattgegeben werden muss. Das Verlangen muss innerhalb der Frist des § 51 Abs. 1 Satz 1 gestellt werden. Ist diese Frist versäumt, bleibt nur die Möglichkeit, den Gegenstand als Dringlichkeitsantrag gemäß § 51 Abs. 3 zu beraten. Erklärt die Landesregierung sich nicht bereit, die Große Anfrage innerhalb von drei Monaten zu beantworten, können die Fragestellenden gleichwohl erst nach Ablauf der Dreimonatsfrist deren Behandlung verlangen.

Gemäß Absatz 2 Satz 3 erhält eine oder einer der Fragestellenden bei der Einbringung der Großen Anfrage und vor Eröffnung der Aussprache das Wort zur Begründung. Zweck der Begründung ist es, der Regierung, allen Mitgliedern des Landtags und nicht zuletzt der Öffentlichkeit Gegenstand und Ziel der Großen Anfrage zu verdeutlichen. An die Begründung kann sich eine Aussprache anschließen, die sich, da die Antwort der Landesregierung zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt, auf Inhalt und Zweck der Großen Anfrage beziehen wird.

4.2  Liegt die schriftliche Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage vor, setzt sie die Landtagspräsidentin oder der Landtagspräsident in der Regel auf die vorläufige Tagesordnung der nächsten Landtagstagung, wenn die Antwort innerhalb der Fristen nach § 51 Abs. 1 eingegangen ist. Absatz 3 regelt den Ablauf der Beratung der Großen Anfrage im Zusammenhang mit der Beantwortung durch die Landesregierung. Danach erhält eine oder einer der Fragestellenden das Wort zur Begründung der Großen Anfrage, wenn dies nicht bereits im Rahmen der Einbringung nach Absatz 2 Satz 3 geschehen ist. Die Fragestellenden haben demnach einen Anspruch darauf, dass die Große Anfrage jedenfalls einmal mündlich begründet werden kann. Da die Begründung, wie aus Absatz 2 Satz 2 ersichtlich, nicht Teil der Aussprache ist, darf sie sich nicht mit der bereits schriftlich vorliegenden Antwort der Landesregierung befassen. Die Auseinandersetzung mit der Beantwortung der Großen Anfrage durch die Landesregierung findet vielmehr im Rahmen der Aussprache statt, die sich an die mündliche Beantwortung durch ein Mitglied der Landesregierung anschließen soll (Absatz 3 Satz 2). Im Übrigen finden auf die Beratung die Vorschriften des Abschnitts XI über die Redeordnung Anwendung.

Im Rahmen der Beratung der Großen Anfrage können akzessorische Entschließungsanträge (§ 31 Abs. 3) gestellt werden (vgl. Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Kommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, § 101 GO-BT, Erl. 3 b und c).

Die Geschäftsordnung enthält keine ausdrückliche Regelung über die Möglichkeit, Große Anfragen und ihre Beantwortung an einen Ausschuss zu überweisen. Die Überweisung einer Großen Anfrage an einen Ausschuss mit dem Ziel der Abgabe einer Beschlussempfehlung zur Fassung der Frage verbietet sich aus dem Recht der fragestellenden Minderheit, die Anfrage unbeeinflusst von der Mehrheit zu formulieren. Was die Antwort der Landesregierung anlangt, steht deren Überweisung nichts im Wege, wenn sie – wie in der Praxis des Landtags häufig geübt – zur abschließenden, vertiefenden Beratung durch den zuständigen Fachausschuss erfolgt. Etwaige im Zusammenhang mit der Beantwortung durch die Landesregierung eingebrachte Entschließungsanträge können gemäß § 26 Abs. 4 an einen Ausschuss überwiesen werden.

Kommentar zur Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages

Stand: 5. Januar 2023

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