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§ 27

Zweite Lesung (Einzelberatung)

(1) Die zweite Lesung kann frühestens am zweiten Tag nach dem Schluß der ersten Lesung stattfinden. Der Landtag kann diese Frist abkürzen, es sei denn, daß mindestens achtzehn Abgeordnete oder zwei Fraktionen widersprechen. Zu Beginn der zweiten Lesung kann der Landtag eine nochmalige Grundsatzberatung zulassen.

(2) In der zweiten Lesung werden die Überschrift und der Reihenfolge nach jede selbständige Bestimmung verlesen, beraten und zur Abstimmung gestellt (Einzelberatung). Die Verlesung kann unterbleiben, wenn nicht mindestens achtzehn Abgeordnete oder zwei Fraktionen widersprechen.

Kommentar

1. Beginn der zweiten Lesung (Absatz 1 Satz 1-2)

Absatz 1 Satz 1 schreibt vor, dass die zweite Lesung frühestens am zweiten Tag nach Schluss der ersten Lesung stattfinden kann. Grundsätzlich muss demnach zwischen der ersten und der zweiten Lesung mindestens ein Tag liegen, an dem gegebenenfalls der zuständige Ausschuss beraten und eine Beschlussempfehlung erarbeiten kann. Hält es der Landtag für erforderlich, kann er, ohne nach § 75 von der Geschäftsordnung abzuweichen, eine Verkürzung dieser Frist beschließen, es sei denn, dass einer solchen Verkürzung mindestens 18 Abgeordnete oder zwei Fraktionen widersprechen (Absatz 1 Satz 2).

2. Einzelberatung (Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2)

2.1  Die zweite Lesung dient grundsätzlich der Einzelberatung. Einzelberatung bedeutet nach Absatz 2 Satz 1, dass die Überschrift und jede selbstständige Bestimmung verlesen, beraten und zur Abstimmung gestellt werden. Dabei kann von der Verlesung abgesehen werden, es sei denn, dass 18 Abgeordnete oder zwei Fraktionen widersprechen (Absatz 2 Satz 2). Aus der Gegenüberstellung von Absatz 2 Satz 1 und § 25 ergibt sich, dass es nach der Geschäftsordnung grundsätzlich unzulässig ist, in der zweiten Lesung Ausführungen zu machen, die keinen konkreten Bezug zu der Überschrift oder der jeweils aufgerufenen selbstständigen Bestimmung haben. Allgemeine, grundsätzliche Darlegungen, die eines solchen Bezuges entbehren, gehören in die erste Lesung. Für die Beurteilung, ob sich eine Rednerin oder ein Redner in den Grenzen des bei der Einzelberatung Zulässigen hält, gibt es keinen genauen Maßstab. Der amtierenden Präsidentin oder dem amtierenden Präsidenten ist hier ein Spielraum eingeräumt.

Allerdings kann von dem Grundsatz, dass die zweite Lesung der Einzelberatung vorbehalten ist, auf Beschluss des Landtags abgewichen werden (Absatz 1 Satz 3). Ein darauf abzielender Geschäftsordnungsantrag ist zu Beginn der zweiten Lesung, also vor Eintritt in die Einzelberatung, zu stellen. Bei Annahme wird die Grundsatzaussprache der Einzelberatung vorangestellt.

Diese Regelungen spiegeln allerdings nicht die aktuelle Praxis des Schleswig-Holsteinischen Landtages wider. Bereits 1980 wurde es vom früheren Landtagspräsidenten Dr. Lemke unwidersprochen als gefestigte Übung festgestellt, dass in der zweiten Lesung von Gesetzentwürfen auch ohne ausdrückliche Beschlussfassung eine Generalaussprache durchgeführt wird, wenn nach der Beschlussempfehlung des Ausschusses ein Gesetzentwurf abgelehnt werden sollte (Landtagspräsident Dr. Lemke, PlenProt 9/28 vom 1. Juli 1980, S. 1433 f.).

Inzwischen finden Einzelberatungen i. S. d. Absatzes 2 in der Praxis – mit Ausnahme der Haushaltsberatungen, dazu sogleich – in zweiten Lesungen auch von Gesetzentwürfen nicht mehr statt. Da Überschriften und selbständige Bestimmungen entgegen Absatz 2 nicht mehr einzeln beraten und zur Abstimmung gestellt werden, sind die Abgeordneten nach der aktuellen Praxis des Landtages auch in der Gestaltung ihrer Reden im Rahmen von zweiten Lesungen nicht durch Bezugnahmen auf bestimmte Einzelbestimmungen eingeschränkt.

2.2  Hinsichtlich der zweiten Lesung des Haushalts wurde in der parlamentarischen Praxis lange Zeit wie folgt verfahren: Zunächst wurde der Haushaltsplan und abschließend das Haushaltsgesetz beraten. Bei der Beratung des Haushaltsplans wurde jeder Einzelplan wie eine selbstständige Bestimmung im Sinne des Absatzes 2 behandelt. In der Regel verband der Landtag die zweite Lesung des Haushaltsplans mit einer generellen Aussprache zu den Einzelplänen, die der Einzelberatung des jeweiligen Einzelplans vorangestellt wurde (siehe Hinweis des früheren Landtagspräsidenten Dr. Lemke, PlenProt 8/48 vom 18. Oktober 1977, S. 3215).

Seit 2021 wird die zweite Lesung des Haushalts aufgeteilt in eine erste Runde, in der eine Generaldebatte geführt wird, und eine zweite Runde, in der über die Einzelpläne debattiert wird, zu denen Redezeiten – einschließlich Kurzbeiträgen nach § 56 Abs. 4 Satz 5 – angemeldet wurden. Dabei steht jeder und jedem Abgeordneten insgesamt nur ein Kurzbeitrag zu. Überziehungen der angemeldeten Redezeit der Landesregierung im Rahmen der Generaldebatte oder der Beratung der Einzelpläne werden nur im Rahmen der Beratung des jeweiligen Abschnitts, also nur im Rahmen der Generaldebatte oder des jeweiligen Einzelplans, ausgeglichen (siehe Hinweis der früheren Vizepräsidentin Eickhoff-Weber, PlenProt 19/110 vom 24. Februar 2021, S. 8336). Nach der Generaldebatte findet die Abstimmung bzw. Schlussabstimmung (§ 30) über diejenigen Tagesordnungspunkte statt, die regelmäßig mit dem Haushaltsgesetz zur gemeinsamen Beratung aufgerufen werden, also insbesondere das Haushaltsbegleitgesetz. Im Anschluss werden die Einzelpläne einzeln aufgerufen, beraten – wenn zu dem jeweiligen Einzelplan Redezeiten angemeldet worden sind – und abgestimmt. Der Abstimmung über die Einzelpläne schließt sich die Abstimmung über die Feststellung des jeweiligen Haushaltsgesetzes zum Haushaltsplan an, bevor zuletzt die Schlussabstimmung (§ 30) über den Gesamthaushalt durchgeführt wird.

2.3  Wird zu einem in zweiter Lesung zu beratenden Gesetzentwurf ein Entschließungsantrag gestellt, wird dieser als akzessorischer Antrag im Rahmen der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs behandelt. Da Entschließungsanträge in der Regel grundsätzliche Erklärungen und Ersuchen an die Landesregierung im Zusammenhang mit dem zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf zum Inhalt haben, haben die Begründung und die Aussprache darüber den Charakter einer Grundsatzaussprache. In diesem Fall kann es deshalb in der zweiten Lesung eines Gesetzentwurfs in jedem Fall zulässigerweise zu einer verbundenen Grundsatz- und Einzelberatung kommen.

3. Beratungs- und Abstimmungsgrundlage

3.1  Ist der zweiten Lesung eine Ausschussberatung vorangegangen und hat der Ausschuss die Annahme des Ursprungsentwurfs in veränderter Form vorgeschlagen, ist nach allgemeiner parlamentarischer Übung die Ausschussempfehlung Beratungs- und Abstimmungsgrundlage. Abgestimmt wird über die Ursprungsdrucksache in der vom Ausschuss empfohlenen Fassung. Änderungsanträge müssen sich in diesem Fall auf die Ausschussempfehlung beziehen. Soll hiervon abweichend die ursprüngliche Vorlage Gegenstand der Beratung und der Abstimmung sowie Grundlage für beabsichtigte Änderungsanträge sein, bedarf es eines Antrags auf Wiederherstellung der Ursprungsvorlage.

Schlägt der Ausschuss die unveränderte Annahme oder die Ablehnung der Ursprungsvorlage vor, so ist Beratungs- und Abstimmungsgegenstand die Ursprungsvorlage. Änderungsanträge sind in diesen Fällen auf die Ursprungsvorlage zu beziehen (ebenso Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Kommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, § 81 GO-BT, Erl. II 1 e).

3.2  Wenn – entgegen der aktuellen Praxis des Landtages – Absatz 2 entsprechend eine Einzelberatung durchgeführt werden soll, ist Folgendes zu beachten:

Nach Schluss der Aussprache muss jede Einzelbestimmung zur Abstimmung gestellt werden (Absatz 2 Satz 1). Liegen zu einer Bestimmung Änderungsanträge vor, ist über diese zunächst abzustimmen. Hieran schließt sich die Abstimmung über die Einzelbestimmung, gegebenenfalls in einer durch den Landtag zuvor geänderten Fassung, an. Wird eine Einzelabstimmung nicht ausdrücklich verlangt, liegen insbesondere keine Änderungsanträge vor, ruft die amtierende Präsidentin oder der amtierende Präsident alle Bestimmungen gemeinsam oder einen Abschnitt von Einzelbestimmungen auf, d. h. er ruft den ersten und letzten abzustimmenden Paragraphen (oder Artikel) einer Vorlage auf und stellt ihn zur Abstimmung. Für eine gemeinsame Abstimmung über die Vorlage insgesamt oder Teile derselben bedürfte es insoweit keiner Abweichung von der Geschäftsordnung.

Bei der Einzelabstimmung handelt es sich um die die Schlussabstimmung über die Vorlage (§ 30) vorbereitende Abstimmung. Bei verfassungsändernden Gesetzen, die nach Artikel 40 Abs. 2 LV der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtags bedürfen, genügt in der Einzelabstimmung die einfache Mehrheit, da mit ihr nicht abschließend über die Verfassungsänderung entschieden wird (ebenso Ritzel/Bücker/Schreiner, aaO., § 81 GO-BT, Erl. II 2 e).

Kommentar zur Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages

Stand: 29. Dezember 2022

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