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§ 25

Erste Lesung (Grundsatzberatung)

(1) In der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs, einer Haushaltsvorlage oder einer über den Bereich des Landes hinausgehenden Vereinbarung werden in der Regel die allgemeinen Grundsätze der Vorlage besprochen. Die Beratung kann nach einzelnen Abschnitten getrennt werden.

(2) Die erste Lesung soll frühestens am dritten Tag nach Verteilung der Vorlage beginnen.

(3) Zu Gesetzentwürfen, Haushaltsvorlagen oder einer über den Bereich des Landes hinausgehenden Vereinbarung, die wichtige kommunale Belange berühren, sollen die auf Landesebene bestehenden kommunalen Spitzenverbände schriftlich oder mündlich gehört werden. Von der Anhörung kann nur abgesehen werden, wenn aus den Vorlagen die Auffassung der kommunalen Spitzenverbände ersichtlich ist.

Kommentar

1. Grundsatzberatung (Absatz 1)

Nach Absatz 1 Satz 1 werden in der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs, einer Haushaltsvorlage oder einer über den Bereich des Landes hinausgehenden Vereinbarung nur die allgemeinen Grundsätze besprochen. Wenn auch nicht ausdrücklich geregelt, wird entsprechend verfahren, wenn sonstige Vorlagen und Anträge in mehreren Lesungen beraten werden sollen. Die Beschränkung der ersten Lesung auf die Darlegung der Grundsätze einer Vorlage hat im Wesentlichen die Funktion, die politischen Standpunkte der Fraktionen und der Regierung sowie einzelner Abgeordneter – insbesondere gegenüber der Öffentlichkeit – darzustellen. Was im konkreten Fall unter allgemeinen Grundsätzen zu verstehen ist, richtet sich nach der Art der Vorlage. Hierbei kann die Abgrenzung zu Detailfragen im Einzelfall schwierig sein. Gleichwohl könnte die amtierende Präsidentin oder der amtierende Präsident eine Rednerin oder einen Redner zur Sache rufen (§ 65), wenn der Redebeitrag sich entgegen dem Gebot des Absatzes 1 Satz 1 in Details erschöpft. Die Regelung gilt gleichermaßen für die Begründung durch die Einbringenden der Vorlage (§ 31 Abs. 4) wie für die anschließende Aussprache.

Die Möglichkeit, die Beratung nach einzelnen Abschnitten getrennt durchzuführen, bedeutet nicht, dass auf diesem Wege in eine Einzelberatung (§ 27) eingetreten werden darf. Absatz 1 Satz 2 eröffnet lediglich die Möglichkeit, eine Vorlage nach abgrenzbaren Regelungsbereichen aufgeteilt zu beraten.

2. Sachentscheidungen und Anträge

In der ersten Lesung darf eine Sachentscheidung über einen Gesetzentwurf, eine Haushaltsvorlage oder über eine über den Bereich des Landes hinausgehende Vereinbarung nicht getroffen werden, da diese Vorlagen mindestens in zwei Lesungen zu behandeln sind (§ 24 Abs. 1). Auch eine Entscheidung in Form des Übergangs zur Tagesordnung (§ 33) ist in diesen Fällen unzulässig, da der Übergang zur Tagesordnung einer Ablehnung in der Sache gleichkommt.

Die Geschäftsordnung enthält keine der Vorschrift des § 79 Satz 3 GO-BT vergleichbare Bestimmung, nach der Sachanträge in der ersten Lesung unzulässig sind. Entsprechend verfährt aber in der Regel auch der Schleswig-Holsteinische Landtag. Diese Praxis ist von dem Gedanken getragen, dass es der Beschränkung auf die Behandlung der Grundsätze einer Vorlage widersprechen würde, wenn zu Einzelheiten einer Vorlage Sachanträge eingereicht und begründet würden. Werden gleichwohl Sachanträge eingebracht, werden sie nicht zur Abstimmung gestellt, vielmehr gemeinsam mit der Vorlage, auf die sie sich beziehen, den Ausschüssen überwiesen. Demnach werden während der ersten Lesung in der Regel lediglich Geschäftsordnungsanträge, insbesondere der Antrag auf Ausschussüberweisung, gestellt (§ 26).

Bei der Behandlung anderer als der in Absatz 1 aufgeführten Vorlagen in zwei Lesungen wird in der Praxis gelegentlich von dem Grundsatz, dass in erster Lesung Sachanträge nicht gestellt werden sollen, abgewichen. Diese Praxis begegnet insoweit keinen Bedenken, als sich häufig erst im Laufe der Beratung herausstellt, dass eine solche Vorlage in den Fachausschüssen weiter behandelt und über sie erst in einer zweiten Lesung entschieden werden soll. Abstimmungen in der Sache über Änderungsanträge sind jedoch auch in diesen Fällen der abschließenden Beratung vorbehalten.

3. Beginn der ersten Lesung (Absatz 2)

Absatz 2 schreibt im Interesse einer angemessenen Vorbereitung der Beteiligten auf die Beratung vor, dass die erste Lesung einer Vorlage frühestens am dritten Tag nach deren Verteilung beginnen soll. Die Regelung knüpft an § 23 Abs. 1 an, der in Form einer Fiktion festlegt, wann eine Drucksache zur Tagesordnung (§ 51 Abs. 1) als rechtzeitig verteilt gilt. Eine Unterschreitung der dort genannten Fristen hindert den Eintritt in die erste Lesung erst dann, wenn die zugrunde liegende Vorlage am dritten Tag vor der beabsichtigten ersten Beratung noch nicht verteilt ist. Da es sich bei der Vorschrift des Absatzes 2 um eine Soll-Regelung handelt, kann in besonders begründeten Fällen auch von dieser Frist abgewichen werden.

4. Anhörung kommunaler Spitzenverbände (Absatz 3)

4.1  Anders als aus dem Standort der Vorschrift geschlossen werden könnte, ist es nicht Aufgabe des Landtagsplenums, im Rahmen der Grundsatzberatung die kommunalen Landesverbände anzuhören. Die Anhörung ist vielmehr durch die Ausschüsse auf der Grundlage ihrer Befugnis, Stellungnahmen von dem Landtag nicht angehörenden Personen sowie von Verbänden einzuholen (vgl. Erl. 2 zu § 16), durchzuführen. Die Regelung steht deshalb nur insoweit in einem verfahrensmäßigen Zusammenhang mit der ersten Lesung, als die schriftliche oder mündliche Anhörung voraussetzt, dass die bezeichneten Vorlagen am Ende der Grundsatzberatung dem zuständigen Fachausschuss überwiesen werden.

In diesem Rahmen sind gem. Absatz 3 die kommunalen Spitzenverbände zu Gesetzentwürfen, Haushaltsvorlagen oder über den Bereich des Landes hinausgehenden Vereinbarungen, die wichtige kommunale Belange berühren, schriftlich oder mündlich anzuhören, wenn nicht aus dem in Satz 2 genannten Grund von einer solchen Anhörung abgesehen werden kann. Bei dem Kriterium „wichtige kommunale Belange“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der einen Beurteilungsspielraum eröffnet, ob die kommunalen Spitzenverbände zu einer Vorlage gehört werden müssen. Die Vorschrift verpflichtet den Landtag zur Durchführung einer Anhörung, ohne zugleich einen Rechtsanspruch der kommunalen Landesverbände zu begründen, denn bei Geschäftsordnungsrecht handelt es sich um Binnenrecht. Der Landtag hat sich aber insoweit selbst gebunden.

4.2  Jedoch kann die Anhörung von Gemeinden unter bestimmten Voraussetzungen durch Artikel 28 Abs. 2 Satz 1 GG geboten sein (vgl. hierzu im Einzelnen Engels, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 9. Aufl., 2021, Art. 28 RN 73a).

Das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht hat sich zur Frage der konkreten Ausgestaltung einer Anhörung der kommunalen Ebene durch den Landtag bisher nicht geäußert. Es hat allerdings zur Beteiligung der kommunalen Ebene im Gesetzgebungsverfahren im Rahmen einer kommunalen Verfassungsbeschwerde zum Finanzausgleichgesetz ausgeführt (Urteil vom 27. Januar 2017, Az.: LVerfG 5/15, RN 146-148):

„Bedenken hinsichtlich der formellen Verfassungsmäßigkeit des angegriffenen Gesetzes bestehen nicht. Verfahrensfehler im Gesetzgebungsprozess sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Dies gilt auch für die Beteiligung der kommunalen Ebene im Gesetzgebungsverfahren. Andere Verfassungsgerichte haben den jeweils einschlägigen Landesverfassungen zwar formelle Beteiligungsrechte entnommen (StGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Mai 1999 - GR 2/97 -, LVerfGE 10, 5 ff., Juris Rn. 90 ff.; VerfGH Bayern, Entscheidung vom 28. November 2007 - Vf. 15-VII-05 -, VerfGHE BY 60, 184 ff., Juris Rn. 213; a.A.: LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11. Mai 2006 - LVerfG 1/05 -, LVerfGE 17, 297 ff., Juris Rn. 126; StGH Niedersachsen, Urteil vom 7. März 2008 - StGH 02/05 -, NdsMBI 2008, ff., Juris Rn. 70; offen gelassen: StGH Hessen, Urteil vom 21. Mai 2013 - P.St. 2361 -, NVwZ 2013, 1151 ff., Juris Rn.173).
Für eine entsprechende Auslegung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein bestehen allerdings keine Anhaltspunkte. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Verfassungsreform vom 2. Dezember 2014 (GVOBI 344), in deren Rahmen keine Beteiligungsrechte aufgenommen wurden. Ferner ist zumindest fraglich, ob das Argument der vorgenannten Verfassungsgerichtshöfe, es sei unmöglich, auf anderem Wege einen Schutz der finanziellen Ausstattungsansprüche zu gewährleisten, (noch) greift. Denn in einer ganzen Reihe von Bundesländern (insb. Hessen, Niedersachsen, Thüringen) wurden mittlerweile von den jeweiligen Verfassungsgerichten praktikable Vorgaben für die gesetzgeberische Entscheidungsfindung und die Sachverhaltsermittlung eingefordert und in der Folge hierzu Modelle der Umsetzung entwickelt. Die Einführung der in § 29 FAG 2014 vorgesehenen, umfassenden kommunalen Beteiligungsrechte („Beirat für den kommunalen Finanzausgleich") stellt sich vor diesem Hintergrund als autonome gesetzgeberische Entscheidung dar; von Verfassungs wegen erforderlich sind derartige Beteiligungsrechte nicht.“

Wenn eine Anhörung der kommunalen Spitzenverbände aus verfassungsrechtlichen Gründen jedoch ausnahmsweise geboten ist, sollte darauf geachtet werden, dass alle Mitglieder des Landtages die Möglichkeit hatten, von deren Ergebnissen vor einer Beschlussfassung Kenntnis zu nehmen. Das bedeutet im Falle einer kurzfristigen mündlichen Anhörung, dass zumindest Vorabauszüge der Anhörungen zu erstellen und vor der zweiten Lesung an die Abgeordneten des Landtags zu verteilen sind (vgl. auch ThürVerfGH, Urteil vom 9. Juni 2017, Az.: VerfGH 61/16).

Kommentar zur Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages

Stand: 29. Dezember 2022

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