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Zusammen mit 250 Gästen gedachte Landtagspräsidentin Kristina Herbst diesen Montag bei einer zentralen Gedenkveranstaltung in der Marineschule in Flensburg-Mürwik der Opfer von Gewalt, Verfolgung und NS-Terrorherrschaft.
Rund 250 Gäste haben am Montag (27.01.) bei der zentralen Gedenkveranstaltung auf Einladung des Schleswig-Holsteinischen Landtages der zahllosen Menschen gedacht, die Opfer von Gewalt, Verfolgung und Rassenhass während der NS-Terrorherrschaft wurden. An der Feierstunde in der Aula der Marineschule Mürwik nahmen Vertreterinnen und Vertreter aus allen gesellschaftlichen Bereichen des Landes teil.
Landtagspräsidentin Kristina Herbst lenkte in ihrer Begrüßungsrede den Blick auf die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 80 Jahren. „Das, was die Befreier damals sahen, war jenseits jeder Vorstellungskraft darüber, was Menschen anderen Menschen antun können. Auschwitz wurde zum Synonym dieser Verbrechen vor allem für den systematischen Mord an Jüdinnen und Juden, an Sinti und Roma, an Homosexuellen, an Kriegsgefangenen und an politischen Gegnern der Nazis“ erinnerte Herbst und mahnte: „Nie wieder darf so etwas geschehen!“
Die unmenschlichen Verbrechen der Nationalsozialisten seien mit der Befreiung von Auschwitz aber nicht beendet gewesen. „Die Verantwortlichen für die grausamen Verbrechen der letzten Kriegsmonate saßen zu dieser Zeit auch hier, in Flensburg-Mürwik“, führte die Landtagspräsidentin aus – auch über den Tag der Kapitulation am 8. Mai 1945 hinaus. Es sei elementar, das Gedenken und das Erinnern an die Verbrechen vor 80 Jahren wachzuhalten. „Wir haben mit unseren Gedenkstätten authentische Orte des Grauens, das die Nazis über ihre Opfer brachten. Sie sind und bleiben die entscheidenden Orte des Gedenkens und der Erinnerungsarbeit“, betonte Herbst.
Daneben gebe es aber auch die „anderen Orte“ des Gedenkens – wie den Bendlerblock und den Reichstag in Berlin oder das Kieler Landeshaus als ehemalige Marineakademie – die mit Blick auf die Geschichte keine einfachen Orte, keine Orte ohne tiefe Widersprüche und keine Orte seien, deren historische Dimensionen sich auf Anhieb erschließen ließen. Das gelte auch für die Marineschule Mürwik. „Hier in der Marineschule wurden Angriffskriege geplant, Verbrechen organisiert und in letzter Konsequenz der Krieg bis zum Äußersten verlängert und damit der Vernichtungsmaschinerie der Nazis ermöglicht, bis zum letzten Tag zu morden. Hier in der Marineschule ist aber auch der Ort, an dem 1956 der Aufbau der ersten deutschen Marine begann, die jedem Angriffskrieg abgeschworen hatte und sich zu den Prinzipien der Demokratie, der Freiheit und Menschenwürde bekannte“, führte die Parlamentspräsidentin aus.
Herbst hob hervor, dass in der Bundeswehr heute Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen kulturellen Prägungen und religiösen Bekenntnissen dienten – neben Christen, Muslimen, und Menschen ohne religiöses Bekenntnis selbstverständlich auch Juden. „Ein Gedenken dient der Erinnerung – auch wenn es große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit stellt. Erinnerung ist dauerhafter Schmerz – und zugleich dauerhafter Auftrag, für die Opfer Terrain zurückzugewinnen – physisch wie geistig“, schloss Herbst ihre Ansprache.
Auch der Kommandeur der Marineschule Mürwik, Kapitän zur See Jens Grimm, erinnerte in seinem Grußwort an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 80 Jahren und die Unbegreiflichkeit des millionenfachen Mordens während der NS-Diktatur. „Allein in Auschwitz wurden mehr als eine Million Menschen ermordet. Nie wieder darf sich solch eine Katastrophe wiederholen“, unterstrich Grimm. Das Bekenntnis zum „nie wieder“ bedeute auch ein „wehret den Anfängen“. Wo immer Menschen durch Wort oder Tat entrechtet gedemütigt oder bedroht würden, gelte es für jeden einzelnen in der Gesellschaft, Haltung und Zivilcourage zu zeigen.
Dem wieder offen zu Tage tretenden Antisemitismus müsse entschieden entgegengetreten werden. „Die Angehörigen der Marineschule Mürwik gehen hier aktiv voran. In den vergangenen Jahren wurde eine intensive Beziehung zur hiesigen Jüdischen Gemeinde aufgebaut. Und wir werden uns weiterhin gemeinsam mit aller Kraft jeglicher Form von Hass auf Menschen jüdischen Glaubens entgegenstellen“, betonte der Kommandeur. Es sei eine Ehre, dass die Marineschule Mürwik als Veranstaltungsort der zentralen Gedenkfeier des Landtages dienen dürfe. Man sei sich der besonderen Verantwortung bewusst. „Ich biete die Marineschule Mürwik, in der seit 1956 Offiziere und Offizierinnen zu Führungspersönlichkeiten ausgebildet werden, die geschichtsbewusst und fest auf dem Boden unseres Grundgesetzes stehen, auch als Ort der Versöhnung an“, schloss Grimm.
Prof. Dr. Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam, wies in seiner Gedenkrede darauf hin, dass der Holocaust deutlich mehr war, als das Vernichtungslager Auschwitz. Neitzel erinnerte an die vielen Millionen Opfer der Nationalsozialisten. „Diese Opfer im Krieg waren vor allem Nichtdeutsche. Bürger der Sowjetunion, Polen, Jugoslawen, Ungarn, Franzosen, Griechen – die Aufzählung ist sehr lang“, so der Historiker. Wehrmacht und Holocaust seien nicht zu trennen. Auch und gerade die Marine sei Teil des NS-Systems und seiner Verbrechen gewesen. Karl Dönitz beispielsweise sei es noch im Jahr 1945 vor allem um die fanatische Fortführung des Krieges und nicht um die Rettung von Menschenleben gegangen.
In der Nachkriegszeit sei es nirgendwo in Europa darum gegangen, Geschichte in ihrer ganzen Komplexität und Widersprüchlichkeit abzubilden. Im Mittelpunkt hätten vielmehr die Stabilisierung politischer Systeme und die Stiftung sozialen Friedens gestanden. „In der Bundesrepublik stand bei weiten Teilen der Bevölkerung das eigene Kriegserleben im Vordergrund. Man fühlte sich vom NS-System missbraucht“, so Neitzel. In der Folge seien die meisten Kriegsverbrecher ungeschoren davongekommen. Eines der bekanntesten Beispiele für das Land Schleswig-Holstein sei Heinz Reinefarth, der für die Massaker während des Warschauer Aufstandes eine wesentliche Verantwortung trug.
Inzwischen habe die Bundesrepublik Deutschland einen langen Weg der Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus, Genozid und Krieg hinter sich. „Es gab gerade in dem wiedervereinigten Land ab 1990 den Mut, sich schonungslos den dunklen Seiten der eigenen Geschichte zu stellen. Im Ausland wird die Bundesrepublik in dieser Hinsicht vielfach als vorbildlich wahrgenommen“, so Neitzel. Wichtig sei auch zukünftig die Personalisierung der Opfer, das Erzählen ihrer Geschichten und die Verteidigung der Herrschaft des Rechts – nach innen wie nach außen. „Und wir müssen uns alle selbstkritisch fragen, wie es sein kann, dass sich trotz aller Gedenkstätten und Publikationen Jüdinnen und Juden in so vielen deutschen Städten angesichts des wachsenden Extremismus aller Couleur nicht mehr sicher fühlen können“, mahnte der Geschichtswissenschaftler abschließend.
Der Militärrabbiner der Außenstelle Nord bei der Bundeswehr, Shmuel Havlin, und die Bischöfin im Sprengel Schleswig und Holstein der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, Nora Steen, sprachen im Anschluss Gebete im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Worte zum Totengedenken richteten eine Offiziersanwärterin und ein Offiziersanwärter der Marineschule Mürwik an die anwesenden Gäste. Musikalisch begleitet wurde die Gedenkveranstaltung vom Ensemble des Marinemusikkorps Kiel unter der Leitung von Frau Oberbootsmann Christina Aeschbacher-Asmuss.
Bereits am Nachmittag hatte Landtagspräsidentin Kristina Herbst die Jüdische Gemeinde Flensburg besucht und dort das Gespräch mit den Mitgliedern der Gemeinde gesucht. Im Anschluss nahm sie auch an dem Austausch zwischen Offiziersanwärterinnen und Offiziersanwärtern der Marineschule Mürwik und den Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde teil. Gemeinsam mit dem Kommandeur der Marineschule, Kapitän zur See Jens Grimm, begleitete die Parlamentspräsidentin schließlich eine Gruppe junger Offiziersanwärter durch das Flensburger Stadtgebiet und reinigte dort Stolpersteine, die an die Schicksale der Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert oder vertrieben wurden.
Weitere Informationen:
Die Rede der Landtagspräsidentin als PDF