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12. Dezember 2024 – Dezember-Plenum

Landtag will Frauen besser vor häuslicher Gewalt schützen

Der Landtag debattiert Massnahmen zum besseren Schutz von Frauen gegen Übergriffe aus dem nahen familiären Umfeld. Ziel eines Gesetzentwurfs ist auch der Einsatz von elektronischen Mitteln nach dem sogenannten spanischen Modell.

Glißmann, Birte CDU Plenum
Birte Glißmann (CDU): „Eine absolute Sicherheit wird es nicht geben können. Aber jede Frau, jedes Kind, jede Person, die wir damit besser schützen können, verdient diesen besseren Schutz.“ Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Die schwarz-grüne Koalition will mit einem neuen Gesetz über den Einsatz einer elektronischen Fußfessel Frauen besser vor häuslicher Gewalt schützen. Heute stand der entsprechende Gesetzentwurf in Ersten Lesung zur Debatte, in der sich weitgehende Einigkeit über alle Fraktionen hinweg abzeichnete. Der Gesetzentwurf wurde an den Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend an den Sozialausschuss überwiesen.

Laut Lagebild des Bundeskriminalamts habe die geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen 2023 weiter zugenommen, sagte Birte Glißmann von der CDU-Fraktion Es habe 360 vollendete Tötungsdelikte gegeben, davon 247 Fälle häuslicher Gewalt. „2023 gab es in Schleswig-Holstein 14 vollendete Tötungsdelikte im Bereich häusliche Gewalt. 14 zu viel.“ In den allermeisten Fällen habe es zuvor eine Gewaltspirale gegeben.

Schnelles Eingreifen durch „spanisches Modell“

Mit dem Gesetzentwurf von CDU und Grünen sollen bereits praktizierte Betretungsverbote zukünftig auch unabhängig von der gemeinsam genutzten Wohnung ermöglicht, ebenso Kontakt- und Näherungsverbote auch für Orte ausgeweitet werden, an denen sich nahestehende Personen, insbesondere die Kinder der gefährdeten Person regelmäßig aufhalten, so Glißmann. „Des Weiteren wollen wir, dass Kontaktverbote durch gerichtlichen Beschluss auf bis zu drei Monate verlängert werden können. Durch den Übergang der Schutzsysteme darf künftig keine Schutzlücke mehr entstehen.“

„Wir wollen, dass die Einhaltung von Kontaktverboten mit der elektronischen Fußfessel kontrolliert wird und die Polizei so bei einer Übertretung des Schutzbereichs deutlich schneller alarmiert werden und eingreifen kann als bisher“, sagte Glißmann. Zudem soll bereits die gesetzliche Grundlage geschaffen werden, das sogenannte spanische Modell einzuführen, bei welchem neben den Gefährdern auch die betroffenen Frauen mit einem Armband ausgestattet werden, über das die Polizei bei einer verbotenen Annäherung sofort informiert wird und schnelles Eingreifen erfolgen kann.

Grüne: „Wir müssen den Weg gehen“

Schiebe Sophia SPD Plenum
Sophia Schiebe (SPD): Der vorliegende Gesetzentwurf ist „ein Versprechen, dass wir diejenigen nicht im Stich lassen, die sich in einer der verletzlichsten und gefährlichsten Situationen ihres Lebens befinden.“ Foto: Landtag, Sönke Ehlers

„Ein Gericht kann drei Monate Fußfessel anordnen und kann immer für drei weitere Monate verlängern, solange die Gefahr fortbesteht“, betonte der Grünen-Abgeordnete Jan Kürschner. „Wir müssen den Betroffenen mehr Zeit zum Atmen geben.“ Ihm sei bewusst, dass das Tragen einer elektronischen Fußfessel ein tiefgreifender Grundrechtseingriff sei, „aber angesichts des Umstands, dass ein Viertel aller Opfer der gesamten Kriminalität im Bereich der häuslichen Gewalt verortet werden, müssen wir den Weg gehen“.

Zustimmung kam auch von der SPD. Der Gesetzentwurf sei ein Versprechen, die Opfer häuslicher Gewalt nicht im Stich zu lassen, sagte Sophia Schiebe. „Der Einsatz der elektronischen Fußfessel ist ein Instrument, das wir nutzen müssen, um dieses Versprechen einzulösen.“ Allerdings müsse weitergedacht werden. „Wir brauchen mehr Frauenhäuser in Schleswig-Holstein, wir brauchen eine bessere Schulung von Polizei und anderen Behörden“, so Schiebe. „Und die geplanten Streichungen der Landesregierung bei der psychologischen und Prozessberatung müssen zurückgenommen werden.“

„Sachlich und fachlich abgewogen“

Das Modell sei „komplett richtig“ und deshalb zu unterstützen, sagte Bernd Buchholz (FDP), äußerte an der rechtlichen Ausgestaltung aber Bedenken. So sei die Anordnung des Tragens einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung genau an dieselben Eingriffsvoraussetzungen gekoppelt wie das Aussprechen eines Kontaktverbotes. „Das Bundesgewaltschutzgesetz sagt aber, die Anordnung eines Kontaktverbots muss zunächst einmal stattfinden, und erst, wenn das übertreten worden ist, kann man eine elektronische Aufenthaltsüberwachung anordnen.“ Auch solle nach dem Entwurf für das Tragen einer Fußfessel keine konkrete Gefahr mehr notwendig sein. Aber das Tragen einer Aufenthaltsüberwachungsmaßnahme ohne konkrete Gefahr anzuordnen, sei „eine schwierige Regelung“.

Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack antwortete direkt auf die Bedenken von Buchholz: „Wir wollten gerade nicht, dass erst ein Kontaktverbot erlassen werden muss, sondern dass gleich nach Gerichtsbeschluss eine Fußfessel auferlegt werden kann“. Man habe alle Argumente sachlich und fachlich abgewogen, das Verfahren sei zudem auch noch nicht beendet. Die Ministerin erinnerte an die Einführung des Hochrisikomanagements bei der Landespolizei im Februar dieses Jahres, womit bereits eine Schutzlücke geschlossen worden sei. Es fehle bislang jedoch an einem Baustein der elektronischen Überwachung. Dessen praktische Umsetzung sei bereits vorbereitet und dafür notwendige Finanzmittel gesichert.

Antrag schiebt Diskussion um finanzielle Unterstützung an

Waldinger-Thiering Jette SSW Plenum
Jette Waldinger-Thierig (SSW): „Die Landesregierung muss sich geschlossen hinter gewaltbetroffene Frauen und Kinder stellen, indem sie deutlich macht, dass hier kein Cent gespart werden darf.“ Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Direkt im Anschluss setzte der zweite Tagesordnungspunkt zum Thema die Diskussion über geschlechtsspezifische Gewalt fort – ausgelöst unter anderem durch Forderungen von SSW und FDP, Kürzungen bei Frauenhäusern, psychosozialer Prozessbegleitung und Kinderhilfsangeboten zu verhindern. Jette Waldinger-Thiering (SSW) betonte, dass beispielsweise das Hochrisikomanagement zwar ein wichtiges Werkzeug sei, jedoch mangels Personal in den Beratungsstellen oft nicht wirksam umgesetzt werden könne: „So verkommt es zum Feigenblatt.“

Annabell Krämer (FDP) ergänzte, dass geplante Kürzungen zentrale Schutzmechanismen schwächen könnten: „Die Streichung der Mittel für psychosoziale Prozessbegleitung führt die Bemühungen des Landes zur Umsetzung der Istanbul-Konvention ad absurdum.“ Zudem verlangten SSW und FDP elektronische Fußfesseln ausschließlich für Täter. Der Antrag fand jedoch keine Mehrheit und wurde abgelehnt.

Ministerin plädiert für bundesweite Lösung

Die Koalitionsfraktionen von CDU und Grünen verfolgten in einem Alternativantrag einen anderen Ansatz, der schließlich mit den eigenen Stimmen angenommen wurde. Sie betonten, dass der Bund stärker in die Pflicht genommen werden müsse, um Beratung, Schutz und Prävention bundesweit zu stärken. Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) erklärte: „Wir leben in einer Gesellschaft, in der es ein Sicherheitsrisiko ist, eine Frau oder ein junges Mädchen zu sein.“ Sie wies darauf hin, dass Schleswig-Holstein über zehn Millionen Euro für Schutzmaßnahmen bereitstelle, der Bedarf jedoch weiter steige. Zudem unterstrich sie, dass eine bundesweite Lösung nötig sei, da Frauen oft zwischen Bundesländern wechseln müssten, wenn Schutzplätze fehlen. „Wir brauchen einen besseren finanziellen Rahmen für Frauen in ganz Deutschland“, so Touré.

Catharina Nies (Grüne) ergänzte, dass Gewaltschutz spätestens seit der Istanbul-Konvention keine freiwillige Aufgabe mehr sei, und verwies auf ein geplantes Gewalthilfegesetz auf Bundesebene, das bis 2036 rund 2,6 Milliarden Euro für die Länder bereitstellen könnte: „Mit diesem Geld könnten wir Frauenhausplätze massiv ausbauen und bedarfsgerechter arbeiten.“ Gleichzeitig zeigte sie sich offen, die kritisierten Kürzungen im Landeshaushalt im weiteren Verfahren noch einmal zu prüfen. Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte waren sich alle Fraktionen einig, dass der Schutz von Frauen und Kindern oberste Priorität haben müsse.

Von Gewalt bedrohte Frauen sollen in Schleswig-Holstein besser geschützt werden. Dazu gibt es im Plenum gleich zwei Debatten, die erste betrifft die 1. Lesung eines schwarz-grünen Gesetzentwurfs zur Einführung einer elektronischen Fußfessel, in der anderen geht es um einen allgemein gefassteren Antrag zum Thema vom SSW.

Die Regierungsfraktionen von CDU und Grünen wollen ein „Gesetz zum besseren Schutz von Opfern häuslicher Gewalt und bei Nachstellungen durch den Einsatz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung“ ins Landesverwaltungsgesetz implementieren. Zwar gibt es Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen wie etwa Betretungs- und Annäherungsverbote. „Aber man muss immer wieder feststellen, dass all das oftmals nicht ausreicht“, hatte Sozialministerin Aminata Touré bereits im September 2023 im Landtag gesagt. „Und deshalb finde ich die Fußfessel als schärfere Maßnahme völlig richtig und begrüßenswert.“

Einsatz auf richterliche Anordnung

Nach dem nun vorliegenden Gesetzentwurf könnte eine Person auf richterliche Anordnung „zum Tragen eines technischen Mittels verpflichtet werden“, wenn dessen elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes zum Schutz einer gefährdeten Person erforderlich ist, weil ansonsten deren „Leben, Leib, Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung“ gefährdet sind. Des Weiteren dürfte die Polizei Daten über den Aufenthaltsort verarbeiten und diese zu einem Bewegungsbild verbinden.

Außerdem könnte die gefährdete Person ebenfalls ein technisches Gegenstück der Fußfessel zur Ortung tragen, womit der Schutzraum nicht mehr statisch auf Räumlichkeiten begrenzt wäre, sondern beweglich würde. Bei einer Verletzung des Schutzraums könnte ein Alarm die Polizei schnell reagieren lassen. Das Bundesjustizministerium hatte Anfang vergangener Woche einen ähnlichen Entwurf für eine Gesetzesänderung vorgelegt, die Familiengerichten ermöglichen soll, in Fällen von häuslicher Gewalt eine Aufenthaltsüberwachung mit einer elektronischen Fußfessel anzuordnen. Dies wird beispielsweise in Spanien bereits praktiziert.

SSW fordert ausreichend Geld für Beratung und Prävention

Die SSW-Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering hatte bereits im Februar-Plenum an die Landesregierung appelliert: „Stärken Sie unsere Fraueneinrichtungen und Frauenhäuser in unserem Land.“ Eine Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt „auf allen Ebenen“ fordert die SSW-Landtagsfraktion nun in einem Antrag, bei dem es hauptsächlich um die Sicherstellung der Finanzierung von Beratungs- und Hilfsangeboten für Frauen geht. So dürfe „die psychosoziale Prozessbegleitung nicht dem Rotstift zum Opfer fallen“, heißt es, auch dürfe die Unterstützung für gewaltbetroffene Kinder nicht gekürzt werden.

Für die Durchführung bereits beschlossener Maßnahmen wie dem Hochrisikomanagement, bei dem in Schleswig-Holstein Polizei, Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen sowie Jugendämter und weitere Institutionen kooperieren, um Schutzmaßnahmen für Gewaltbetroffene und deren Kinder zu erarbeiten, brauche es ebenfalls ausreichende finanzielle Mittel, so der SSW. Der Personalbedarf in den Frauenhäusern steige durch diese Mehrarbeit, „aber die Finanzierung dafür steht noch aus. Wer eine Maßnahme beschließt, muss auch die Kosten tragen.“

Elektronische Fußfessel nur für Täter

Abgesehen davon betont der SSW, dass staatliche Maßnahmen sich stärker auf die Täter konzentrieren sollten. Neben der Prävention wird die Einführung der elektronischen Fußfessel für Täter gefordert, wobei im Gegensatz zum aktuell im Plenum vorgestellten Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen von CDU und Grünen der SSW allein die Einschränkung des Bewegungsradius der Täter verlangt, derweil „nicht die von psychischer und physischer Gewalt Betroffenen“ eingeschränkt werden sollen.

Hintergrund: Im Jahr 2023 ist laut Landespolizei in Schleswig-Holstein 4.516 Frauen von ihren Partnern Gewalt angetan worden. Vorsätzliche einfache Körperverletzung (2.591 Fälle) sowie Bedrohung, Stalking und Nötigung (1.240) kamen am häufigsten vor, in 21 Fällen von Partnerschaftsgewalt an Frauen standen am Ende ein Mord oder Totschlag.

Gewalt gegen Frauen nimmt zu

Bundesweite Zahlen zeigen einen Anstieg der Gewalt gegen Frauen. So stieg die Zahl der weiblichen Opfer von Häuslicher Gewalt laut einer Auswertung des Bundeskriminalamts (BKA) um 5,6 Prozent auf 180.715. Auch bei Sexualstraftaten verzeichnet das BKA einen Anstieg. 2023 wurden demnach 52.330 Frauen und Mädchen Opfer von Sexualstraftaten – und damit 6,2 Prozent mehr als 2022.

Die Zahl der Straftaten, die ausschließlich auf frauenfeindlichem Gedankengut basieren, stieg im Jahr 2023 um mehr als 56 Prozent gegenüber 2022. Demnach wurden 322 Taten gegen Frauen erfasst, bei denen das Tatmotiv ausschließlich auf Vorurteile gegen Frauen oder das weibliche Geschlecht zurückgeht. Im Jahr 2022 waren es noch 206 Straftaten dieser Art.

(Stand vom 9. Dezember 2024)

Vorherige Debatten zum Thema:
November 2024 (Newsticker, 22.11./13:30)
Februar 2024
September 2023 (Newsticker, 22.09./12:00)

Gesetzentwurf

Top 9:
Gesetz zum besseren Schutz von Opfern häuslicher Gewalt und bei
Nachstellungen durch den Einsatz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung und weitere Änderungen des Landesverwaltungsgesetzes
1. Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen von CDU und Grünen
Drucksache 20/2746

Top 27:
Geschlechtsspezifischer Gewalt konsequent entgegentreten

Antrag der Fraktionen von SSW und SPD – Drucksache 20/2741(neu)
Alternativantrag CDU/Grüne – Drucksache 20/2781