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10. Juli 2024 – Wirtschaftsausschuss

Experten uneins über Ausweitung der Arbeitszeit

Flexibilisierung kontra Arbeitnehmerschutz: Der Wirtschaftsausschuss ist beim Thema Arbeitszeit gespalten. Das wurde bei einem Fachgespräch in der heutigen Sitzung deutlich.

Ein Arbeitnehmer erfasst seine Arbeitszeit digital an einem Terminal.
in Arbeitnehmer erfasst seine Arbeitszeit digital an einem Terminal. Foto: dpa, Sins Schuldt

Die FDP-Fraktion hat das Thema Arbeitszeit auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung des Wirtschaftsausschusses gesetzt. Die Liberalen wollen die bisherige tägliche Höchstarbeitszeit von zehn auf 13 Stunden anheben – wenn der Arbeitnehmer zustimmt. Am Ende eines Fachgesprächs mit Experten zeigte sich, dass die Meinungslage im Ausschuss konträr ist. Es gebe in der Gesellschaft „eine veränderte Art, leben und arbeiten zu wollen“, argumentierte der FDP-Abgeordnete Bernd Buchholz. Er wies darauf hin, dass die EU-Arbeitsschutzrichtlinie bereits heute eine tägliche Arbeitszeit von 13 Stunden zulasse. Tatsächlich liege die Wochenarbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigten in Deutschland aber bei lediglich 35,3 Stunden. In Griechenland seien es 42.

Auch Marcus Schween, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Schleswig-Holstein (IHK) zu Kiel machte einen „Wunsch von Mitarbeitern nach mehr Flexibilität“ aus, dem der Arbeitgeber derzeit nicht entsprechen könne. Viele Beschäftigte wünschten sich „Zeitsouveränität“: Sie wollten beispielsweise am Abend noch zwei Stunden arbeiten können, um dann am folgenden Tag mehr Zeit für die Familie zu haben. Es gebe aktuell aber noch kein „vollständiges Bild“ der Ziele und Wünsche, so Hauke Weber von der IHK Schleswig-Holstein. Die Situation könne je nach Branche und Unternehmensgröße sehr unterschiedlich sein.

Grüne: „Ausnahmefälle für wenige“

Marco Kiepke vom Deutschen Gewerkschaftsbund Nord (DGB) pochte hingegen auf die bestehende gesetzliche Regelung. Demnach darf die tägliche Arbeitszeit „acht Stunden nicht überschreiten“. Zehn Stunden sind möglich, wenn die Überstunden spätestens innerhalb eines halben Jahres ausgeglichen werden. „Eine Aufweichung dieses fundamentalen Schutzrechtes widerspricht den Bedürfnissen der Arbeitnehmenden“, so Kiepke. Dem DGB lägen „keine Berichte von unseren Mitgliedsgewerkschaften darüber vor, dass Beschäftigte ihre tägliche Arbeitszeit über die bestehende gesetzlich vorgeschriebene Grenze ausweiten wollen“. Für flexible Arbeitsmodelle sei zudem keine Änderung des Arbeitszeitgesetzes notwendig – dies sei im Rahmen von Tariföffnungsklauseln und Schichtarbeit bereits jetzt möglich.

Eine pauschale Ausweitung der Arbeitszeit schaffe „Ausnahmefälle für wenige“, betonte Lasse Petersdotter (Grüne). Andere hingegen, die dies nicht anstrebten, könnten sich „nicht wehren“ und würden in die Mehrarbeit „reingedrängt“. Grundsätzlich sei aber die konkrete Arbeitssituation zu berücksichtigen, so Petersdotter: „13 Stunden Sicherheitsdienst im Objektschutz sind etwas Anderes als 13 Stunden Fliesenlegen.“ Eine Erweiterung auf 13 Stunden gehe zulasten der Frauen, mahnte Sybilla Nitsch (SSW). Denn in den meisten Fällen würden Männer, die oft den besser dotierten Job hätten, mehr arbeiten – und die Frauen würden in die klassische Hausfrauenrolle gedrängt. Nitsch warb für das „skandinavische Modell“ mit einem Sechs-Stunden-Tag. Dies führe zu „besserer Arbeitsqualität“ und „höherer Zufriedenheit“. Die anstehenden Aufgaben seien häufig auch in weniger Zeit zu erledigen.

Gesellschaftliches Engagement darf nicht leiden

Alexandra Ehlers vom Landesfrauenrat begrüßte zwar grundsätzlich eine Flexibilisierung. Diese dürfe aber nicht zu einer steigenden Belastung führen: „Ein 13-Stunden-Erwerbsarbeitstag wird nur für sehr wenige Personen zu einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen.“ Sie warb für eine „gleichstellungsorientierte Folgenabschätzung“, damit Frauen, die einen großen Teil der Haus- und Betreuungsarbeit leisteten, nicht benachteiligt werden. Zudem müsse Raum für gesellschaftliches Engagement bleiben.

Hintergrund der Debatte ist ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2022. Demnach müssen Arbeitnehmer ihre gesamte Arbeitszeit erfassen – nicht nur die Überstunden und die Wochenendarbeit, wie es bislang üblich ist. Die Bundesregierung hat daraufhin angekündigt, das Arbeitszeitgesetz zu überarbeiten. Ein Gesetzentwurf liegt aber noch nicht vor.

Weitere Infos:
Der Wirtschaftsausschuss im Landtag