Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.
Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags
Springe direkt zu:
Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.
Ist ein Rechtsrutsch an den Schulen in Schleswig-Holstein spürbar? Die SPD-Fraktion sieht hierfür Anzeichen und fordert ein Konzept von der Landesregierung, um das Demokratieverständnis zu stärken.
Um Desinformation, Gleichgültig und extremistischen Tendenzen entgegenzuwirken, soll die „Demokratiebildung“ an Schleswig-Holsteins ausgebaut werden. Darüber herrscht breite Einigkeit im Landtag. Die SPD hatte die Debatte mit einem „Rahmenkonzept“ angestoßen, die Koalition legte eigene Schwerpunkte vor. Ein konkreter Anlass: Bei der jüngsten Europawahl und auch der parallel ausgerichteten Juniorwahl hatten extremistische und populistische Parteien zugelegt. Nach einer angeregten Debatte kamen die Abgeordneten überein, das Thema im Bildungsausschuss weiter zu beraten.
„Die Menschen sind nicht von Natur aus demokratisch, sie werden nicht als Demokratinnen und Demokraten geboren“, sagte Martin Habersaat (SPD). Er schlug vor, die Prinzipien der Demokratie-Kitas auf die Schule zu übertragen. Nach dem Willen der SPD soll jede Schule eine Schulverfassung bekommen, in der die Rolle der Klassenräte, Klassensprecherkonferenzen und Schulkonferenzen niedergeschrieben wird. Lehrer sollen eine respektvolle Streitkultur vermitteln, aktuelle politische Themen im Unterricht behandeln und „abstrakte Konzepte“ wie Demokratie und Menschenrechte anschaulich erklären. Zudem sollen kommunalpolitische Fragen eine größere Rolle spielen, vor Wahlen sollen Kandidaten eingeladen werden, und es soll Kooperationen mit Partnern aus dem Bereich politische Bildung geben.
Vieles davon gebe es schon, erwiderte Martin Balasus (CDU). „Die Schulen haben alles, was sie brauchen“, es sei nicht nötig, ihnen „noch ein neues Konzept überzustülpen“. Balasus verwies darauf, dass zahlreiche Schulen bereits Schwerpunkte wie Europaschule, Schule gegen Rassismus oder UNESCO-Schule hätten.
Auch Bildungsministerin Karin Prien (CDU) sprach sich gegen eine „Kindergartisierung der Grundschule“ aus. Es könne viel besser vor Ort entschieden werden, wie Demokratiebildung vermittelt wird, anstatt von Oben strikte Regeln vorzugeben. Mit Blick auf die jüngsten Ergebnisse bei Jungwählern warnte die Ministerin vor einem zu harten Urteil: „Wir müssen uns dafür hüten, jungen Menschen zu unterstellen, sie seien nicht fähig, substantielle Wahlentscheidungen zu treffen.“
Die Koalition regte in einem Alternativantrag „Schülerfeedbacks“ und ein detaillierteres „Gewaltmonitoring“ an, in dem extremistische und rassistische Vorfälle erfasst werden. Außerdem fordern CDU und Grüne mehr außerschulische Lernorte und eine Stärkung der Medienkompetenz. Das Ziel müsse eine ausgeprägte „Widerstandsfähigkeit gegenüber extremistischen Tendenzen und Verschwörungstheorien“ sein, sagte Malte Krüger (Grüne). Bildung sei „die beste Schutzimpfung“ gegen Extremismus.
Christopher Vogt (FDP) griff den SPD-Antrag auf und sprach sich dafür aus, die demokratische Teilhabe „altersangemessen“ zu gestalten: „Verfassung, Geschäftsordnung – vielleicht geht das auch etwas schlanker.“ Grundsätzlich bräuchten Schulen Hierarchien und könnten „nur eingeschränkt demokratisch funktionieren“. Jette Waldinger-Thiering (SSW) forderte, früher mit dem Fach Wirtschaft/Politik (WiPo) zu starten: „Demokratiebildung darf nicht erst in der 8. Klasse beginnen.“ Zudem sei die Lehrerausbildung entscheidend: „Denn es gibt noch genug Lehrkräfte, die selbst nicht unbedingt in der Lage sind, politisches und demokratisches Handeln und Denken zu erfassen und (...) unvoreingenommen demokratische Werte zu vermitteln.“
Im Mai-Plenum stand das Grundgesetz im Rahmen seiner Würdigung als Garant für Demokratie und Freiheit 75 Jahre nach seinem Inkrafttreten im Mittelpunkt. Auch die Bedrohung der Demokratie durch eine zunehmend aggressive Atmosphäre in einer sich immer weiter polarisierenden Gesellschaft wurden dabei parteiübergreifend thematisiert. Mit ihrem Antrag nach einem „Rahmenkonzept Demokratiebildung an Schulen“ knüpft die SPD-Fraktion hier an und setzt bei den Jüngsten an. Unter anderem soll auch der WiPo-Unterricht ausgeweitet werden.
Unter zwölf Punkten wird die Landesregierung aufgefordert, ein Rahmenkonzept für Schleswig-Holstein zu entwickeln und umzusetzen. So sollen „Handlungsaspekte demokratischer Partizipation altersgemäß“ und um schulspezifische Aspekte ergänzt vermittelt werden. Nach dem Willen der SPD sollen Schulen unter anderem über eine Schulverfassung Selbst- und Mitbestimmungsrechten der Kinder klären und verbindlich Beteiligungsgremien einführen. Letztere sollen per Geschäftsordnung und darin verankerten Ritualen dazu beitragen, dass sich die Kinder als soziale Gruppe wahrnehmen.
Im Schulalltag müsse selbstbestimmtes Handeln, pädagogische Fürsorge und die Aufgaben der Schule in Einklang gebracht werden. In Beteiligungsprozessen sollten pädagogische Fachkräfte für Transparenz der jeweiligen Inhalte sorgen und die Interaktion mit den Kindern respektvoll gestalten. Themen der Kommunalpolitik beträfen die Schülerinnen und Schüler im Alltag und müssten unter Beteiligung von politischen Akteuren auch im Unterricht vorkommen.
Wirtschaft/Politik-Unterricht, kurz WiPo, soll laut dem SPD-Antrag stufenweise ab Klassenstufe 5 eingeführt und ein Mindestkontingent von vier Jahreswochenstunden in der Sekundarstufe I aufgenommen werden. Lehrkräfte sollen für das Fach aus- und fortgebildet und das Fach selbst als Mangelfach deklariert werden, um mehr Studierende zu erreichen.
In einer kurz vor der Tagung herausgegebenen Pressemitteilung beklagt der schulpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Habersaat, dass an den Schulen ein Wandel spürbar sei. „216 Schulen haben sich vor der Europawahl an der „Juniorwahl“ beteiligt – die AfD landete mit 13,5 Prozent der Stimmen auf dem dritten Platz“, sagt er. Zudem steige die Zahl der gemeldeten rechtsextremistischen Vorfälle an den Schulen „um ein Vielfaches“.
Bereits im Juni 2023 hatte der Landtag über mehr politische und ökonomische Bildung an Schulen debattiert und sich fraktionsübergreifend für deren Stärkung ausgesprochen. Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hatte damals angekündigt, die Landesregierung wolle entsprechende Angebote ausbauen. Die FDP hatte seinerzeit einen Ausbau des WiPo-Unterrichts zum Thema gemacht.
(Stand: 17. Juni 2024)