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Jedes fünfte Kind in Schleswig-Holstein gilt als arm oder armutsgefährdet. Das geht aus einem Bericht hervor, den das Sozialministerium im März veröffentlicht hat. Die Folgen können gravierend sein: Die körperliche und seelische Gesundheit leidet, betroffene Kinder sind gesellschaftlich isoliert, und es drohen schlechtere Bildungs- und Berufschancen. Der Sozialausschuss diskutierte am Donnerstag einen Tag lang mit Fachleuten über Gegenmaßnahmen. Die Empfehlungen reichten von einer kostenlosen Kita und einem Gratis-Mittagessen bis zu einer effektiveren Vernetzung der verschiedenen staatlichen Hilfsangebote. Umstritten blieb, ob die auf Bundesebene geplante Kindergrundsicherung in die richtige Richtung geht.
Es gebe zwar eine „Vielzahl von Sozialleistungen, die alle zum Ziel haben, die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen zu verbessern“, stellte die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten, Samiah El Samadoni, fest. Die Leistungen seien aber auf mehrere Träger verteilt, und viele Betroffene seien „mit dem bürokratischen Aufwand überfordert, insbesondere, wenn noch Sprachprobleme hinzukommen“. El Samadoni forderte, „alle Systeme an eine Stelle zu bringen“. Ein einziger Antrag, „der die Prüfung aller Leistungen umfasst“, müsse ausreichen.
Das strebt die Bundesregierung mit der Kindergrundsicherung an. Alle bisherigen Leistungen wie Kindergeld, Bürgergeld oder Kinderzuschlag sollen gebündelt werden. Damit soll erreicht werden, dass künftig alle Familien, denen entsprechende Leistungen zustehen, diese auch vollumfänglich erhalten. „Das mag gut gemeint sein, wird aber der Lebensrealität vieler Menschen nicht gerecht“, monierte Johannes Reimann vom Landkreistag. Die Grundsicherung schaffe „keine Mehrleistung für Familien mit Kindern“, sondern „nur eine weitere Behördenstruktur“.
Anette Stein von der Bertelsmann-Stiftung sah den Berliner Plan hingegen als guten Lösungsansatz. Zunächst seien hohe Kosten zu erwarten, aber auf lange Sicht würden sich die Investitionen auszahlen, wenn mehr Kinder und Jugendliche fit fürs Erwerbsleben gemacht werden. Auch die Grünen-Abgeordnete Nelly Waldeck hielt es für „wichtig, dass die Kindergrundsicherung nun endlich auf den Weg gebracht wird“. Die Bündelung der Leistungen sei ein erster wichtiger Reformschritt, „aber perspektivisch muss es eine Steigerung der Leistungen geben“.
Laut dem Bericht aus dem Sozialministerium waren 22,5 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Land im Jahr 2022 armutsgefährdet. Deutlich überdurchschnittlich war das Armutsrisiko bei Kindern von erwerbslosen Eltern (72,8 Prozent), von Alleinerziehenden (40 Prozent) oder in Familien mit drei oder mehr Kindern (37,6 Prozent). Ein hohes Armutsrisiko tragen Minderjährige mit Migrationshintergrund (40,5 Prozent). Als arm gelten Personen, deren verfügbares Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Eine Alleinerziehende mit einem Kind unter 14 Jahren gilt als arm, wenn sie weniger als 1.542 Euro monatlich zur Verfügung hat.
Die konkreten Auswirkungen schilderte Susanne Günther vom Kinderschutzbund: „Uns berichten Kinder davon, dass sie nachts nicht einschlafen können, weil sie Hunger haben.“ Familien, die in Armut leben, seien „permanent im Krisenmodus“. Dies unterstrich Prof. Kai Marquardsen, Sozialwissenschaftler von der Fachhochschule Kiel. Arme Kinder wüchsen oft in Familien auf, „die unter erheblichem Stress ihren Alltag bewältigen müssen“. Das Erlebnis eines „nicht-gelingenden Alltags“ färbe sich wiederum auf den Nachwuchs ab.
Ein praktisches Gegenmittel könne die Gratis-Kita für bedürftige Haushalte sein, so Sabine Walper vom Deutschen Jugendinstitut. Es sei entscheidend, nicht nur die Tagesbetreuung auszubauen, sondern auch die Qualität zu steigern. Deswegen müsse die Kita „für Familien am unteren Ende des Einkommensspektrums“ kostenlos sein – jedoch nicht für bessergestellte Haushalte.
SSW und SPD, die die Debatte im Ausschuss angestoßen hatten, forderten ebenfalls mehr staatliche Zuschüsse. „Wir brauchen einen kostenfreien Weg durchs Bildungssystem von der Kita bis zur Hochschule“, mahnte Christian Dirschauer (SSW). Dazu gehöre auch „die echte Lernmittelfreiheit und das elternunabhängige Bafög“ sowie ein kostenloser Zugang zu Bibliotheken, Museen, Sport- und Kulturangeboten. Ähnlich äußerte sich Sophia Schiebe (SPD): „Lernmittelfreiheit ist ein wichtiger Punkt zur Bekämpfung der Kinder- und Jugendarmut genauso wie ein kostenloses Mittagessen für alle Kinder.“ Wichtig sei zudem, „dass jedes Kind einen Platz in der Kita und im Ganztag der Schule erhalten kann“.
Ein zentraler Faktor sei die Arbeitssituation der Eltern, betonte Laura Pooth vom Deutschen Gewerkschaftsbund. „Die Einkommensarmut der Eltern ist in der Regel die Folge prekärer Beschäftigungsverhältnisse oder nicht-existenzsichernder Löhne.“ Schleswig-Holstein weise seit langer Zeit die durchschnittlich niedrigsten Löhne der westdeutschen Bundesländer auf. Einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt forderte auch Heiner Garg (FDP): Um der Kinderarmut effektiv zu begegnen, müssten die Chancen der Eltern erhöht werden – ihnen müsse der Weg „raus aus der Sozialleistung in die Erwerbstätigkeit“ geebnet werden. „Denn die Armut der Kinder ergibt sich aus der Armut der Eltern.