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22. November 2023 – November-Plenum

Welchen Haushaltskurs schlägt das Land ein?

Die Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts wirken sich auch auf die Haushaltssituation des Landes aus. Liberale und SSW warnen vor einem Weiter-so-Kurs, CDU und Grüne planen eine Haushaltsnotlage feststellen zu lassen.

Haushalt Münzen Euro Geld
Die Opposition sorgt sich um den finanzielle Zukunft des Landes Foto: dpa, Oliver Berg

Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts von Mitte November hat auch für die schleswig-holsteinischen Landesfinanzen weitreichende Folgen. Das wurde in einer Aktuellen Stunde im Landtag deutlich. CDU und Grüne wollen für das laufende und das kommende Jahr erneut die Haushaltsnotlage ausrufen, um geplante Investitionen abzusichern. Es sei nach wie vor möglich, „Zukunftsinvestitionen planbar und verlässlich auf den Weg zu bringen“, betonte Finanzministerin Monika Heinold (Grüne). Aus der Opposition kam teils heftige Kritik.

Laut dem Karlsruher Richterspruch hätte der Bund 60 Milliarden Euro aus seinem Corona-Hilfsfonds nicht in Projekte des Klimaschutzes umleiten dürfen. Der Etat sei deswegen „nichtig“. Das Problem: Auch im Norden wurden Sondervermögen, die wegen Corona und Ukraine-Krieg aufgelegt wurden, teils in andere Kanäle umgeleitet. „Das Urteil setzt einen Schlussstrich unter den bisherigen Umgang Schleswig-Holsteins mit Notkrediten“, so Annabell Krämer (FDP). Die „Bevorratung“ mit Geldern aus Notkrediten und deren Umleitung in andere Zwecke sei „verfassungswidrig“.

Grüne wollen Schuldenbremse lockern

Die Liberalen hatten die Aktuelle Stunde gemeinsam mit dem SSW anberaumt. FDP-Fraktionschef Christopher Vogt warnte vor einem „leicht modifizierten schwarz-grünen Weiter-so“.  Er warf der Koalition vor, auf „Trickserei“ zu setzen und den strapazierten Landeshaushalt nicht ernsthaft konsolidieren zu wollen. Auch Lars Harms (SSW) verwies darauf, dass Karlsruhe einen engen Spielraum für die Haushaltspolitik gesetzt habe. „Schäden und Gefahren, die vielleicht in der Zukunft liegen“ dürften kein Anlass für Notkredite mehr sein. „Nicht jeder darf alles machen, was er sich politisch wünscht“, sagte er mit Blick auf die Koalition.             

Finanzministerin Heinold hielt dagegen: Langfristige Investitionen könnten nach wie vor mit akuten Notsituationen gerechtfertigt werden. Es sei auch in Zukunft möglich, „Jahr für Jahr zu sagen: Das ist eine begründete Notlage“. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Lasse Petersdotter stellte fest, dass akute Krisen langfristige Folgen hätten. „Ich kann in drei Monaten einen Deich nicht wieder hochziehen“, sagte er mit Blick auf die jüngste Ostsee-Sturmflut. Er regte eine Reform der Schuldenbremse in der Landesverfassung an. Diese dürfe nicht erst greifen, „wenn das Wasser in den Städten steht, sondern, um dies zu verhindern“.

Koch: „Absolutes Desaster für Berliner Ampel“

Ein Kernprojekt des Landes ist der 137-Millionen-Euro-Zuschusss aus dem Ukraine-Kredit für die Förderung einer Batteriefabrik des schwedischen Northvolt-Konzerns in Dithmarschen. Auch diese Finanzierung ist von dem Urteil betroffen. CDU-Fraktionschef Tobias Koch stellte klar: „Die Landesförderung für Northvolt steht nicht zur Disposition.“ Er sah in dem Richterspruch ein „absolutes Desaster für die Berliner Ampel“ und warf insbesondere der FDP und ihrem Bundesfinanzminister Christian Lindner „Verfassungsbruch in einem noch nie gesehenen Ausmaß“ vor.

Um Northvolt und weitere Investitionen abzusichern, wollen CDU und Grüne auch für 2023 und 2024 die Haushaltsnotlage ausrufen. Das würde die Schuldenbremse aushebeln und neue Kredite ermöglichen. Zur Begründung verwiesen die Koalitionsfraktionen auf Corona, Ukraine und die Folgen der Oktober-Sturmflut an der Ostsee. Die Entscheidung soll am morgigen Donnerstag fallen, die nötige Zweidrittelmehrheit gilt als sicher.

SPD stützt Ausruf der Haushaltsnotlage

Denn auch die SPD kündigte an, dem Vorhaben zuzustimmen. Oppositionsführer Thomas Losse-Müller (SPD) unterstrich: „Wir brauchen Investitionen, und deswegen müssen wir die Schuldenbremse reformieren, wenn wir einen funktionierenden Staat haben wollen, der seinen Job macht.“ Die Schuldenbremse nannte Losse-Mülller einen „deutschen Fetisch“, der wichtige Zukunftsinvestitionen verhindere. Die Sozialdemokraten haben für Schleswig-Holstein einen „Transformationsfonds“ in Höhe von 11,6 Milliarden Euro bis 2040 ins Spiel gebracht. Das Thema wird am morgen Donnerstag debattiert.

Erschüttert von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November zum Umgang mit Notkrediten und Sondervermögen wird das Parlament die Auswirkungen des Karlsruher Richterspruchs auf die Haushaltssituation des Landes Schleswig-Holstein beleuchten. Aktuell hat die Opposition das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Im Kern wollen FDP und SSW im Rahmen einer Aktuellen Stunde erfahren, welchen finanzpolitischen Kurs die Landesregierung in den kommenden Jahren einschlagen will.

Unterdessen haben die regierungstragenden Fraktionen von CDU und Grünen sowie Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) bereits angekündigt, gemäß der Landesverfassung eine außergewöhnliche Notsituation feststellen zu lassen. Eine Haushaltsnotlage bei einer öffentlichen Gebietskörperschaft kann ausgerufen werden, wenn die laufenden Ausgaben auch auf lange Sicht nur durch Aufnahme von Krediten, das heißt durch steigende Verschuldung, gedeckt werden können. Am Freitag vor der Tagung wurde dann bekannt, dass die Landesregierung sofort nach dem Urteil aus Karlsruhe alle Zahlungen aus Notkrediten gestoppt hat, darunter Gelder für Flüchtlingsunterkünfte oder für Klimaschutzprogramme. Kritik der Opposition gab es, weil dies in einer Finanzausschusssitzung am letzten Donnerstag dem Parlament nicht mitgeteilt worden war.

Heinold: Notkredite für „multiple Krisen“

Finanzministerin Heinold spricht mit Blick auf das Ausrufen einer Haushaltsnotlage von konsequentem Handeln, „da das Land auch 2023 zur Bewältigung der multiplen Krisen Notkredite benötigt“. Dafür sei nach dem Urteil ein erneuter Landtagsbeschluss notwendig. Auf Grundlage der Entscheidung in Karlsruhe werde die Landesregierung über mögliche weitere Konsequenzen beraten.

Das Bundesverfassungsgericht hatte vergangenen Mittwoch die Nutzung von Notkrediten auf das jeweilige Haushaltsjahr zeitlich befristet und klargestellt, dass solche Kredite nur zur Behebung einer festgestellten, außergewöhnlichen Notlage eingesetzt werden dürfen. Konkret war von den Richtern eine auf mehrere Jahre geplante Umschichtung von 60 Milliarden Euro im Bundeshaushalt von 2021 für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Der Bund darf zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachtes Geld damit nicht für den Klimaschutz nutzen. Das könnte sich stark auf den sogenannten Klima- und Transformationsfonds auswirken, aus dem die Bundesregierung zahlreiche Förderprogramme – unter anderem für den Austausch alter Öl- und Gasheizungen ‒ bezahlen wollte.

„Northvolt“-Millionen strittig

Sondervermögen sind in Schleswig-Holstein seit Jahren gängige Praxis wie beispielsweise das Programm Impuls zum Bau von Straßen. 2020 bewilligte der Landtag im Zuge der Corona-Pandemie einen Corona-Notkredit über bis zu 5,5 Milliarden Euro, reduzierte diesen aber später. Zudem beschloss das Parlament einen Ukraine-Notkredit über 1,4 Milliarden Euro. Ein Problem stellen nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil nun Umschichtungen beziehungsweise Entnahmen aus den Sondervermögen für andere Zwecke dar, wie etwa die Landesförderung über rund 137 Millionen Euro für die geplante Ansiedlung der „Northvolt“-Batteriezellenfabrik. Dies will Schwarz-Grün aus Mitteln des Ukraine-Notkredits finanzieren.

Ähnlich verhält es sich mit langfristigen Mitteln für den Klimaschutz. Schon länger wird die Frage diskutiert, ob das Klimageschehen eine außergewöhnliche Notlage darstellt, die sich der Kontrolle des Staates entzieht. Der Bund der Steuerzahler kritisierte derweil den Kurs der Landesregierung. „Mit den Schuldentricksereien durch fingierte Haushalts-Notlagen, über die Kredite in Rücklagen für Zukunftsinvestitionen umgeleitet werden, muss auch in Schleswig-Holstein endgültig Schluss sein“, sagte Verbandspräsident Aloys Altmann nach dem Verfassungsgerichtsurteil. Mit Ausnahme der Ostsee-Sturmflut im Oktober habe es 2023 keine außergewöhnliche Notlage gegeben, die sich der Kontrolle des Staates entziehe. Und auch die Präsidentin des Landesrechnungshofs, Gaby Schäfer, hatte nach dem Urteil der Richter in Karlsruhe gesagt: „Notkredite dürfen danach nicht auf Vorrat aufgenommen werden und über mehrere Jahre in Rücklagen und Sondervermögen geparkt werden.“

Stichwort: Aktuelle Stunde

Über eine bestimmte Frage von allgemeinem Interesse kann eine Aktuelle Stunde von einer Fraktion oder von mindestens fünf Abgeordneten beantragt werden. Der Antrag muss spätestens zwei Tage vor Sitzungsbeginn gestellt werden.

Bei einer Aktuellen Stunde beraten die Abgeordneten ohne feste Rednerliste über einen landespolitischen Gegenstand von aktueller Bedeutung. Die Redezeit ist auf fünf Minuten pro Beitrag begrenzt. Die Reden sollen frei gehalten werden. Die Gesamtredezeit der Abgeordneten darf 60 Minuten nicht überschreiten; hinzu kommt das Zeitkonto der Landesregierung von maximal 30 Minuten. Werden zwei Anträge in einer Aktuellen Stunde behandelt, ist die Dauer auf eineinhalb Stunden beschränkt. Mit einer Aktuellen Stunde wird kein konkreter Beschluss herbeigeführt; sie dient vorrangig dem Meinungsaustausch und der Darstellung der unterschiedlichen Standpunkte gegenüber der Öffentlichkeit.

(Stand: 20. November 2023)

Aktuelle Stunde

„Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 auf den Landeshaushalt und den finanzpolitischen Kurs der 
Landesregierung“
Beantragt von FDP und SSW ‒ Drucksache 20/1648