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3. November 2023 – Sondersitzung

Ostsee-Sturmflut: Landespolitik dankt Einsatzkräften

Nach der Ostseesturmflut mit teilweise schwersten Verwüstungen an einzelnen Küstenabschnitten tagt der Landtag in einer außerordentlichen Sitzung. Klar wird: Auch die Opposition unterstützt das Regierungshandeln zur Bewältigung der Naturkatastrophe.

Günther, Daniel Ministerpräsident CDU Plenum
Ministerpräsident Daniel Günther (CDU): „Die Naturkatastrophe hat ein Ausmaß gesamtstaatlicher Tragweite erreicht“ Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Die schwere Sturmflut in der Nacht zum 21. Oktober und deren Bewältigung waren Thema der heutigen Sondersitzung des Landtages. Während Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) seine Redezeit nutzte, um die großen Dimensionen der Katastrophe zu betonen, den vielen Einsatzkräften zu danken und die geplante Finanzierung der Schäden darzulegen, kritisierte Oppositionsführer Thomas Losse-Müller in seiner Rede auch, dass man sich in der jüngeren Vergangenheit nicht ausreichend um die Regionaldeiche und deren schlechten Zustand gekümmert habe. Gleichwohl unterstützte der SPD-Politiker das von Schwarz-Grün geplante Sondervermögen „Wiederaufbau Flutkatastrophe 2023“.

Günther versprach: „Wir werden Überbrückungshilfen leisten, treffen eine Härtefall-Regelung, sorgen für Steuererleichterung.“ Als Überbrückungshilfe sind Darlehen von bis zu 50 000 Euro geplant. In Härtefällen sollen Teile in einen Zuschuss umgewandelt werden. 

„Ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei allen Helfern, tausende Einsatzkräfte haben Großartiges geleistet, sie alle haben mit ihrem Einsatz Schlimmeres verhindert und Menschenleben gerettet“, sagte Günther weiter. „Schleswig-Holstein hat gezeigt: Unser Land steht fest zusammen.“ Günther drückte sein Bedauern über den Todesfall auf Fehmarn aus, bei dem eine 33-jährige Frau in ihrem Pkw von einem Baum erschlagen worden war. Anschließend zählte er die Schäden auf, die unter anderem an Deichen, Hafenanlagen, in der Wirtschaft und privaten Haushalten entstanden seien. Erst in einigen Wochen werde man wissen, wie hoch genau die Schadenssumme sei.

„Wir helfen schnell und entschlossen“

„Gemeinsam mit den Städten und Kommunen gehen wir nun viele Dinge gleichzeitig an, um die Küste so schnell es geht wieder sturmsicher zu machen.“ Den Bürgern und Kommunen müsse schnell und unbürokratisch geholfen werden. Dazu haben sich Land und Kommunen bereits auf Grundzüge eines Wiederaufbaufonds in Höhe von 200 Millionen Euro verständigt. „Wir helfen schnell und entschlossen. Dennoch werden die Schäden noch längere Zeit sichtbar sein.“ Bei der Sicherung der Deiche gehe es darum zu schauen, welche Deiche man stärken müsse. Gebrochen seien einige Regionaldeiche, alle relevanten Deiche müsse man nun auf das Niveau der Landesschutzdeiche anpassen und die Verbände bei den Aufgaben unterstützen.

Küstenschutz sei Aufgabe von Bund und Ländern, so Günther. „Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich beteiligt. Die vorhandenen Mittel genügen den steigenden Herausforderungen des Klimawandels nicht mehr.“ Man habe hier ein Ausmaß von gesamtstaatlicher Tragweite erreicht. „Es war eine schwere Naturkatastrophe und wir erhoffen und erwarten eine schnelle Reaktion aus Berlin.“ Die Wasserstände von Nord- und Ostsee stiegen, diese Entwicklungen setzten sich fort, man müsse sich anpassen. „Darum müssen wir den Küstenschutz nicht nur an der Nordsee, sondern auch an der Ostsee stärken, um die Menschen an den Küsten dauerhaft zu schützen.“ Dennoch: Diese Sturmflut habe einmal mehr gezeigt, dass Menschen eng zusammenstehen, wenn es darauf ankommt.

Losse-Müller kritisiert Schaulustige

Losse-Müller Thomas SPD Plenum
Oppositionsführer Thomas Losse-Müller (SPD): „Die Menschen in Schleswig-Holstein können sich darauf verlassen, dass die Opposition in Zeiten der Krise an der Seite der Regierung steht.“ Foto: Landtag, Sönke Ehlers

SPD-Fraktionschef Losse-Müller schloss sich dem Lob des Ministerpräsidenten für alle Einsatzkräfte an: „Schleswig-Holstein hält zusammen. Das merken wir immer dann, wenn es ernst wird“, sagte er. „Dafür sagen auch wir herzlichen Dank.“ Harte Kritik übte er an den Schaulustigen und nannte als Beispiel den tragischen Tod der Frau auf Fehmarn. „Es macht mich betroffen und fassungslos, dass die Bilder des Autos der Frau bereits im Netz waren, bevor die Familie in Kenntnis gesetzt werden konnte.“ Menschen seien unterwegs, um Videos zu machen, behinderten die Einsatzkräfte und posteten Fotos und Videos in den sozialen Medien. „Warum lassen wir es zu, dass jemand Leid in Likes verwandelt?“, fragte der Oppositionsführer.

Im Kern gehe es bei der Bewältigung von Katastrophen um Resilienz. „Wir leben in einem verdammt harten Jahrhundert – Pandemie, Kriege, Klimakrise. Ich bin der Überzeugung, dass wir das alles bewältigen können.“ Den Begriff der Jahrhundertflut nannte Losse-Müller falsch. Denn: „Wir stehen vor einem Jahrhundert der Fluten“.

Regionaldeiche im Fokus

Seitens der SPD sagte er der Landesregierung ausdrücklich die Unterstützung zu bei der Umsetzung des 200-Millionenprogramms, der Unterstützung der betroffenen Menschen im Land und beim Appell an den Bundeskanzler: „Bund, Land und Kommunen müssen gemeinsam helfen, beide Küsten vor den steigenden Wasserspiegeln zu schützen.“ Die Aufgaben gingen deutlich über eine Wiederherstellung der Deiche hinaus, so Losse-Müller.

Der Kurswechsel der Regierung, die Regionaldeiche in Landesverantwortung zu übergeben, sei richtig. Deren Erhaltung und Anpassung an die Gegebenheiten übersteige die Möglichkeiten der regionalen Verbände. Das Land müsse in die Verantwortung gehen, da wo es nicht regional geleistet werden kann. Allerdings habe man im Fall des gebrochenen Deichs von Arnis bereits 2016 dessen schlechten Zustand im Protokoll vermerkt. „Einige Regionaldeiche sind offenbar nicht wehrhaft.“ Am Ende gab sich Losse-Müller versöhnlich: „Sie haben uns an ihrer Seite, Sie haben verdient, dass Ihnen die gesamte Politik den Rücken stärkt. Und dazu sind wir bereit.“

Koch: „Bund muss sich beteiligen“

Koch Tobias CDU Plenum
CDU-Fraktionschef Tobias Koch: „Ich bin mir sicher, alle betroffenen Grundstückseigentümer wären heute mehr als froh, wenn es eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden bereits vor der Ostsee-Sturmflut gegeben hätte.“ Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Es könnten viele Vergleiche mit der Flutkatastrophe im Ahrtal gezogen werden, erklärte der Fraktionsvorsitzende der CDU, Tobias Koch. So hätten auch in Schleswig-Holstein die Wetterdienste zuvor gewarnt und „wie auch im Ahrtal wurden die zu erwartenden Pegelstände übertroffen“. Aktuell befremdlich, so Koch, sei jedoch die ausbleibende Reaktion der Bundesregierung. Wie im Ahrtal solle sich der Bund auch in Schleswig-Holstein an den Kosten beteiligen, mahnte er. „Küstenschutz ist gemeinsame Sache von Bund und Ländern – dies ist Meinung aller Fraktionen.“

Insgesamt lobte Koch die Arbeit während und nach der Sturmflut. „Der Katastrophenschutz hat funktioniert, die Menschen sind gewarnt worden.“ Dank und Anerkennung würde vor allem den vielen tausend helfenden Menschen gelten sowie den Rettungs- und Einsatzkräften – ob hauptberuflich oder ehrenamtlich. „Was wären wir ohne diese Frauen und Männer?“, fragte Koch und regte eine Dankbarkeitsfeier an. Zur Finanzierung der Folgeschäden sprach sich Koch eindeutig für eine Kreditaufnahme aus – trotz Schuldenbremse. „Mit einer Naturkatastrophe haben wir den klassischen Fall für einen Notkredit“, betonte Koch. Dies sei auch durch die Landesverfassung gedeckt.

Petersdotter: „Schleswig-Holstein sturmfest machen“

Petersdotter, Lasse Grüne Plenum
Grünen-Fraktionschef Lasse Petersdotter: „Die Klimakrise erhöht die Häufigkeit von Extremwetterlagen. Das ist Fakt.“ Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Lasse Petersdotter betonte, es müsse genau abgewogen werden, wo finanzielle Hilfen ihre Verwendung finden. Nicht alles könne erstattet werden, stellte der Fraktionsvorsitzende der Grünen klar: Man setze ansonsten einen Standard, „der in der Zukunft schwer zu halten sein wird“. Es müssten jetzt auf Grundsatzfragen Antworten gefunden werden, die auch für die Zukunft Bestand haben. Denn die Klimakrise, so Petersdotter, würde die Häufigkeit von Extremwetterlagen erhöhen. Als Land zwischen den Meeren sei man hier besonders betroffen.

Petersdotter verteidigte außerdem unterschiedliche Standards von Landes- und Regionaldeichen. Dies sei sinnvoll und durch Gesetze geregelt. Er sprach sich aber dafür aus, regionale Deiche in den Landesschutz zu übernehmen, wenn dies sinnvoll erscheine. Insgesamt müsse der Wiederaufbau zur Wirklichkeit der Zukunft passen, mahnte Petersdotter. Der Nachbar Dänemark sei hier ein gutes Vorbild – ebenso, wenn es um Beispiele im Bereich finanzieller Hilfen gehe.

Vogt: „Katastrophenschutz Kernaufgabe des Staates“

Vogt Christopher FDP Plenum
FDP-Fraktionschef Christopher Vogt: „Der Wunsch nach besserer Koordinierung des Katastrophenschutzes ist gerade an der Ostseeküste vorhanden, er ist absolut nachvollziehbar und muss deshalb auch entsprechend erfüllt werden.“ Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Christopher Vogt, Fraktionsvorsitzender der FDP, hob den guten Zusammenhalt der Fraktionen hervor. Es sei ein eindeutiges Zeichen, dass die Landespolitik geschlossen an der Seite der Betroffenen, der Kommunen und der Bürger stehe. Wichtig sei es auch gewesen, dass mehrere Regierungsmitglieder bereits kurz nach der Sturmflut an vielen Orten präsent gewesen seien. Dies sei viel mehr als PR und sei für die Bürger ein wichtiges Signal. „Das wurde mir bei meinen eigenen Vorortterminen auch immer wieder gesagt“, betonte Vogt.

Auch der Liberale zog Parallelen zum Ahrtal. Nach der dortigen Hochwasserkatastrophe sei auch der Katastrophenschutz in Schleswig-Holstein gestärkt worden. Ein Anfang sei gemacht worden, um den Schutz des Landes besser aufzustellen. Man sei auf dem richtigen Weg, so Vogt, der in diesem Zusammenhang auf 15 zusätzliche Stellen im Innenministerium verwies, die nun endlich besetzt werden müssten. Dies sei nicht nur eine Frage der Glaubwürdigkeit, sondern auch der Notwendigkeit. Katastrophenschutz sei eine Kernaufgabe des Staates. Vogt dankte ebenfalls ausdrücklich allen Helferinnen und Helfern und sprach sich, ebenso wie Tobias Koch, für eine Dankesfeier aus.

Harms: „Zweihundert Millionen Euro reichen nicht“

Harms, Lars SSW Plenum
SSW-Fraktionschef Lars Harms kritisierte, die Bundesregierung habe geschwiegen nach den Geschehnissen an der Ostsee: „Das ist auch ein Schlag ins Gesicht der Menschen in unserem Land.“ Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Der Fraktionsvorsitzende des SSW, Lars Harms, kritisiert vor allem die Bundesregierung. „Dass der zuständige Bundesminister es nicht für nötig hält, bei einer solchen Katastrophe vor Ort zu sein, das ist eine Sauerei.“ Es sei ein Schlag ins Gesicht unserer Menschen. Er zeigte sich skeptisch angesichts der angedachten finanziellen Hilfen von 200 Millionen Euro. Würde man nicht nur den Kommunen, sondern auch den Privatleuten und Unternehmen helfen wollen, würde diese Summe keinesfalls reichen. Auch Harms sprach sich für einen Notkredit aus und regte an, für die Zukunft einen entsprechenden Hilfsfonds für Sturmflut- und Hochwassergeschädigte zu etablieren, in den alle Bundesbürger einzahlen sollten. In Dänemark habe sich ein solches Modell bereits bewährt.

Ansonsten müsse in Schleswig-Holstein alles geschützt werden, was geschützt werden kann – hier dürfe es keine Ausnahmen geben. Um dies zu finanzieren, könnten auch GAK-Mittel genutzt werden, sinnvoll sei beim Küstenschutz auch ein Wegfall der Ausgleichszahlungen. Harms kritisierte zudem die Bürokratie beim Wiederaufbau: „Bitte muten Sie das den Menschen an der Ostsee nicht zu. Die haben dort schon viel verloren.“

Mit Blick auf die schwere Sturmflut in der Nacht zum 21. Oktober gibt Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) in einer zweistündigen Sondersitzung des Landtages eine Regierungserklärung zur Bewältigung der Flutfolgen und zur Stärkung des Küstenschutzes ab. Am Mittwoch vor der Sitzung haben sich Landesregierung und Kommunen bereits auf Grundzüge eines Wiederaufbaufonds über 200 Millionen Euro verständigt, an dem sich auch der Bund beteiligen soll. Land und Kommunen seien bereit, jeweils die Hälfte zu tragen. So soll denjenigen Betroffenen mit Darlehen geholfen werden können, die bis zur Auszahlung von Versicherungen eine Überbrückungshilfe brauchen. Eine Härtefallregelung soll greifen für Menschen, denen ein Versicherungsschutz aufgrund einer hochwassergefährdeten Gebäudelage verwehrt wurde.

Beschädigte Deiche, gesunkene Jachten, Wasserschäden an etlichen Gebäuden und auf Campingplätzen – die Sturmflut hat deutliche Spuren entlang der gesamten Ostseeküste hinterlassen. Zahlreiche Menschen in Orten am Wasser hatten wegen Überschwemmungen ihre Häuser verlassen müssen. Die Feuerwehr sprach von rund 2000 Betroffenen. Eine Frau auf Fehmarn starb im Sturm. Ein Baum hatte ihr Auto getroffen.  Alleine im Bereich der touristischen und kommunalen Infrastruktur gibt es laut Ministerpräsident Günther schätzungsweise Schäden in Höhe von fast 140 Millionen Euro. „Im Bereich des Küstenschutzes sind es 40 Millionen Euro und bei den Einrichtungen der Daseinsvorsorge, auch der Privaten wie Kitas beispielsweise, haben wir ungefähr noch mal 20 Millionen Euro angesetzt“, sagte der Regierungschef nach gemeinsamen Beratungen mit den Kommunen. 

Bund unterstützt Katastrophenerlass

Ein Katastrophenerlass bietet nach Angaben von Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) Möglichkeiten für steuerliche Erleichterungen. Es gehe zum Beispiel um Stundungen oder das Aufschieben von Vollstreckungsmaßnahmen. Das Bundesfinanzministerium habe einem entsprechenden Vorschlag ihres Hauses zugestimmt. „Die vergangenen Tage haben uns die Verwundbarkeit der Ostseeküste durch die Klimakrise schonungslos vor Augen geführt“, sagte Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) und bot den Verbänden Hilfe beim Deichschutz an. Denn: Bislang hat das Land in Schleswig-Holstein nur die Verantwortung für Landesdeiche, die allesamt dem Ostseewasser standgehalten hätten. Dagegen sind einige sogenannte Regionaldeiche gebrochen, wie etwa bei Arnis, Oehe, Maasholm, Schönhagen und Brodersby.

Goldschmidt signalisierte jetzt die Bereitschaft, die Regionaldeiche in Landesdeiche umzuwidmen, „wenn die regionalen Wasser- und Bodenverbände sagen: Es gibt notwendige Investitionen, die wir selbst nicht stemmen können“. In einer Ausschusssitzung des Landtages zum Thema bezifferte der Minister am Mittwoch die Schäden an den Landesdeichen auf einen einstelligen Millionen-Betrag und die Schäden an Regionaldeichen auf einen zweistelligen Millionen-Betrag.

(Stand: 1. November 2023)

Regierungserklärung

„Die Folgen der Sturmflut bewältigen und unseren Küstenschutz stärken -
Schleswig-Holstein steht zusammen.“
Regierungserklärung - Drucksache 20/1546