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29. September 2022 – Sept.-Plenum

Energiekrise: Landtag streitet um Entlastungen

Rund 160 Minuten wird emotional und kontrovers über Zuständigkeiten und Maßnahmen in der Krise diskutiert. Ministerpräsident Günther berichtet von einem „Schulterschluss“ der 16 Bundesländer.

Günther, Daniel CDU Ministerpräsident Plenum
Ministerpräsident Günther (CDU): Ein Energiepreisdeckel muss wirksam, spürbar, verständlich und schnell gestaltet werden. Foto: Thomas Eisenkrätzer

Der Landtag ist sich einig, dass die Belastungen der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen im Land durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und steigende Energiepreise in den kommenden Monaten weiter zunehmen werden. Doch wer muss jetzt wie handeln? Während die Landesregierung, die schwarz-grünen Koalitionsfraktionen und der SSW vorrangig die Bundesregierung in der Pflicht sehen, fordern SPD und FDP das Land auf, zu handeln.

CDU und Grüne lehnten zunächst einen Dringlichkeitsantrag der SPD ab, der „eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne von Artikel 109 Grundgesetz“ feststellen wollte und damit bei Bund und Ländern eine Aufnahme von Krediten über die Begrenzung der Schuldenbremse hinaus rechtfertigen sollte. Zuständig sei hierfür der Bund, nicht das Land, begründete CDU-Fraktionschef Tobias Koch die Ablehnung.

Schlagabtausch zwischen Ministerpräsident und FDP

Vogt Christopher FDP Landtagstagung Plenum
FDP-Fraktionschef Vogt: „Ihr Energiegipfel ist jetzt über drei Wochen her, Herr Ministerpräsident, und Sie haben noch immer kein Programm vorlegen können.“ Foto: Thomas Eisenkrätzer

Mit scharfer Kritik an der Bundesregierung hatte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) die Landtagsdebatte am Donnerstag eröffnet. „Der Bund ist nicht verhandlungsfähig. Es fehlt derzeit an Kommunikation und einem vernünftigen Austausch mit den Ländern“, sagte er. Der Regierungschef berichtete auf Antrag von CDU und Grünen über das Treffen der Ministerpräsidenten vom Vortag. Dabei habe es einen „Schulterschluss“ aller 16 Regierungschefs unter anderem zu den Themen Energiepreisdeckel auf Strom und Gas, zielgenauen Wirtschaftshilfen und einer fairen Lastenverteilung gegeben, so Günther.

FDP-Fraktionschef Christopher Vogt, der erneut vehement für Atomkraft warb, wies die Beurteilung des Ministerpräsidenten ebenso scharf zurück. Während der Bund bereits 95 Milliarden Euro für konkrete Hilfen an die Bürger auf den Weg gebracht habe, seien die Beschlüsse in Schleswig-Holstein zu dem Thema bisher „Luftnummern“ oder „Alibi-Maßnahmen“. Der Regierungskoalition hielt er vor, „wirklich unübertroffen Forderungen an andere stellen“ zu können, aber im eigenen Land sei „die Performance maximal mangelhaft“.

CDU fürchtet „Deindustrialisierung“

Losse-Müller, Thomas SPD Plenum
SPD-Oppositionsführer Losse-Müller: „Dieser Landesregierung fehlen die Wege aus der Krise.“ Foto: Thomas Eisenkrätzer

In dieselbe Kerbe schlug Oppositionsführer Thomas Losse-Müller (SPD). Er konstatierte, seine Fraktion unterstütze grundsätzlich die Forderungen der Ministerpräsidenten. Allerdings habe das Land bisher kaum wirksame Ideen umgesetzt. Bürgschaften brächten keine Entlastung, ein Härtefallfonds für Bürger und Verbände sei noch nicht umgesetzt. „Und 170 Millionen Euro gehen in Landesliegenschaften und nicht in Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger“, so Losse-Müller.

Ministerpräsident Günther betonte hingegen, Schleswig-Holstein sei mit seinem Acht-Punkte-Entlastungspaket im Land „weiter als im Bundesdurchschnitt“. Hilfe müsse sich auf diejenigen konzentrieren, „die es am nötigsten haben“. Ähnlich äußerte sich Lukas Kilian (CDU), der ein düsteres Bild zeichnete: „Wir stehen vor der Deindustrialisierung des Landes, wenn es mit den Energiepreisen so weitergeht.“

Diskussion um Gaspreisdeckel

„Schockiert“ zeigte sich Lars Harms vom SSW über die Rede von Nelly Waldeck. Die Grüne hatte gefordert, Menschen mit geringen Einkommen gezielt bei der Wärmewende zu unterstützen. So könnten „viele Haushalte, gerade mit mehrheitlich Mietwohngebäuden, gemeinsam dekarbonisiert werden“, hatte Waldeck gesagt. „Menschen, die nichts haben, vorzuschreiben, sie sollen sich dekarbonisieren, ist wirklich unfassbar“, so Harms. Das sei „eine Missachtung der wirklich armen Bevölkerung im Land“. Er forderte, auch die Inflation zu bekämpfen. Diese „frisst alles auf“, was an Maßnahmen für Betroffene zur Verfügung gestellt werde.

Zentraler Punkt der Debatte war der Gaspreisdeckel. Während CDU, SPD und Grüne diesen begrüßten, zeigten sich FDP und SSW skeptisch. „Das ist eine populäre Forderung. Aber niemand sagt etwas zu den Kosten“, erklärte FDP-Fraktionschef Vogt. Bernd Buchholz (FDP) sprach von einem „irren Bürokratieaufwand“.

Anträge der Opposition abgelehnt

Mitbehandelt wurden diverse Anträge zu Arbeitsplätzen und Wirtschaftskraft, einem Pakt mit dem Handwerk für niedrigschwellige Energiesparmaßnahmen sowie den KiTa-Gebühren. Sämtliche Anträge der Opposition fanden keine Mehrheit. Angenommen wurden zwei Alternativanträge von CDU und Grünen. Darin begrüßt der Landtag unter anderem die Vereinbarung zwischen Landesregierung und Handwerk vom 6. September, dass Aufträge für Installationen zur Energieeinsparung und Energieeffizienzsteigerung vorrangig umgesetzt werden sollen sowie das am selben Tag beschlossene Acht-Punkte-Entlastungspaket des Landes.

Wegen der Energiepreiskrise hat die FDP eine Neuauflage des Sicherungsfonds für den Mittelstand mit 500 Millionen Euro gefordert. „Es reicht nicht aus, wenn die Landesregierung beim Mittelstand nur mit Bürgschaften arbeitet, die als Programm und auch im Haushalt nicht seriös hinterlegt sind“, sagte FDP-Fraktionschef Christopher Vogt vergangenen Mittwoch bei Vorstellung des Antrages. Ein Sicherungsfonds habe sich bereits in der Corona-Pandemie bewährt. Günstige und langfristige Darlehen müssten dabei für alle Branchen zugänglich sein.

Einen Tag zuvor hatte Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) den Entwurf für einen dritten Nachtragshaushalt vorgelegt. Die Regierung will unter anderem einen zusätzlichen Bürgschaftsrahmen von 500 Millionen schaffen, um Unternehmen zu helfen, die durch gestiegene Energiekosten in finanzielle Not geraten sind.

Günther soll  berichten

Aktuell wird in der Debatte auf Grundlage eines Dringlichkeitsantrages ein Bericht von Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) zu der Sonderkonferenz der Regierungschef und -chefinnen zur Energiekrise am 28. September erwartet. Hintergrund: Die Bundesregierung hatte Anfang des Monats ein 65 Milliarden Euro umfassendes drittes Entlastungspaket als Ausgleich für rasant steigende Preise vorgestellt. Dazu zählen Einmalzahlungen für Rentner und Studierende sowie ein Preisdeckel für einen Grundbedarf an Strom. Der Bund bietet Geld für ein Folgeangebot des 9-Euro-Tickets an - wenn die Länder dies mitfinanzieren.

Die Finanzierungsfragen sind allerdings zwischen Bund und Ländern noch nicht geklärt. Die Ministerpräsidenten wehren sich vehement gegen zu hohe Kostenlasten und kritisieren den Stil der Ampel-Koalition bei ihrem nicht mit den Ländern abgesprochenen Aufschlag. Einzelne Länder drohten bereits mit Blockaden im Bundesrat.

Handwerk: Mehr Spielraum für Kleinaufträge

Teil der Debatte ist zudem eine Forderung der SPD nach einem Pakt mit dem Handwerk. So soll vereinbart werden, „welche finanziellen Anreize nötig sind, damit das Handwerk im Zeitraum von einigen Wochen prioritär niedrigschwelle und sofort wirkende Energiesparmaßnahmen durchführt.“ Zur Begründung führen die Sozialdemokraten an, man müsse davon wegkommen, anteilige Zuschüsse beispielsweise für den Einbau von Wärmepumpen zu finanzieren. Zwar ließen sich so die höchsten Einsparungen an Gas und Öl erreichen, aber dies könnten sich zum einen nur wenige Menschen leisten und zum anderen führe das zu einer erheblichen Auslastung der Handwerksbetriebe.

Deshalb sei gesamtgesellschaftlich der Effekt vieler kleinerer, kostenfrei zu machender Optimierungen größer, wie etwa die Wartung und Einstellung bestehender Heizungsanlagen oder Fensterisolierungen. Allerdings, so die SPD, werde dieser Weg aus einer reinen Markt-Logik nicht beschritten werden, weil einzelne große Aufträge für Betriebe attraktiver seien als viele kleine Einzelmaßnahmen. „Deshalb braucht es den Impuls des Landes für einen Pakt mit dem Handwerk, um entsprechende finanzielle Anreize zu geben.“ In diesem Zug fordert die Oppositionsfraktion die Landesregierung auf, ihr geplantes 75 Millionen Euro umfassendes Landes-Klimaschutzprogramm anzupassen.

Kita-Gebühren senken

Drittes Thema der Debatte: Um junge Familien zu entlasten, haben die Liberalen ihren bereits in der August-Tagung vorgelegten Antrag mit der Forderung, die Kita-Gebühren um mindestens zehn Prozent zu senken, erneuert. Auch SPD und SSW legten als Alternativantrag erneut ihre Forderung nach einer beitragsfreien Kita vor - bis 2027 soll der Besuch ganz kostenfrei sein und ab dem kommenden Jahr bereits eine fünfstündige Grundbetreuung.

Zu diesem Thema hat Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) vergangenen Freitag angekündigt, dass Familien mit geringeren Einkommen in Schleswig-Holstein ab 1. Januar weniger Kita-Gebühren zahlen müssen. Im Einzelfall können es bis zu 232 Euro sein, sagte sie. Die Entlastung läuft allerdings Ende Juni aus. Insgesamt rechnet die Koalition mit Kosten in Höhe von 15 Millionen Euro.

(Stand: 26. September 2022)

Vorherige Debatte zum Thema Energie:
August-Tagung 2022
Vorherige Debatten zum Thema Kita-Gebühren:
August 2022
August 2021 (19. Wahlperiode)

Antrag

Mittelstand entlasten ‒ Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft sichern
Antrag der Fraktion der FDP ‒ Drucksache 20/223(neu)

Die Landesregierung muss ihre Prioritäten richtig setzen - KiTa-Gebühren jetzt senken!
Antrag der Fraktion der FDP ‒ Drucksache 20/229
Alternativantrag von SPD und SSW ‒ Drucksache 20/279 

Ein Pakt mit dem Handwerk für niedrigschwellige Energiesparmaßnahmen
Antrag der Fraktion der SPD ‒ Drucksache 20/252 
Alternativantrag von CDU und Grünen ‒ Drucksache 20/302

Dringlichkeitsantrag

Mündlicher Bericht zur Ministerpräsidentenkonferenz am 28. September 2022
Dringlichkeitsantrag der Fraktionen CDU und B´90/ Die Grünen ‒ Drucksache 20/305

Dringlichkeitsantrag

Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Energiemärkte sind eine außergewöhnliche Notsituation
Dringlichkeitsantrag der Fraktion der SPD ‒ Drucksache 20/317