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28. August 2020 – August-Plenum

Debatte um „Rasse“-Begriff im Grundgesetz

Herzensangelegenheit oder Parteikalkül: Der Landtag debattiert über eine Streichung des Begriffs „Rasse“ aus Gesetzestexten. Die SPD ist klar dafür, die Koalition will zunächst eine „Wie“-Prüfung. Die Fraktionen wollen sich schnell einigen.

Rasse Grundgesetzpicture-alliance_dpa
Artikel 3 Grundgesetz lautet: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Foto: picture alliance / dpa

Emotionale Debatte im Kieler Landtag: Soll der Begriff „Rasse“ aus Gesetzestexten wie dem Grundgesetz gestrichen oder ersetzt werden? Die SPD-Fraktion plädiert klar dafür und hat dem Landtag einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Ein Alternativantrag der Koalitionsfraktionen von CDU, Grünen und FDP rief dazu auf, zunächst zu prüfen, „ob, und wenn ja, wie der Begriff „Rasse“ im Grundgesetz ersetzt werden kann“. Zunächst kamen die Lager nicht zusammen und vereinbarten eine Beratung außerhalb des Plenarsaals, um zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen. Am Nachmittag formulierten CDU, SPD, Grüne, FDP und SSW schließlich einen einvernehmlichen Antrag (Drs. 19/2373). Die AfD gehört nicht zu den Unterzeichnern.

In dem Antrag heißt es jetzt: „Der Landtag spricht sich daher dafür aus, auf Bundesebene gemeinsam mit Zivilgesellschaft und Wissenschaft den Begriff „Rasse“ im Grundgesetz ergebnisoffen zu überprüfen, ohne das klare und eindeutige Bekenntnis des Grundgesetzes gegen Diskriminierung in jeder Form anzutasten. Dabei ist auch zu prüfen, inwiefern Übersetzungen internationaler Rechtstexte ggf. überarbeitet werden müssten. Der Schleswig-Holsteinische Landtag spricht sich dafür aus, den Prozess im Bundesrat aktiv zu unterstützen.“

Koch: „Sternstunde des Parlaments“

CDU-Fraktionschef Tobias Koch lobte die Einigung: „Das zeichnet uns in unserem Landtag aus. Wir finden immer wieder Lösungen auch bei sensiblen Themen – eine Sternstunde des Parlaments, ich bin glücklich, dass das gelungen ist.“ Auch SPD-Fraktionschef Ralf Stegner spricht von „einem großartigen Signal“, dass die Demokraten gegen Rechtsradikalismus zusammenstehen. Und es werde klargemacht, dass der Begriff „Rasse“ nicht in die Neuzeit gehöre.

Bevor der gefundene Kompromiss am Nachmittag verabschiedet werden konnte, war es in der Debatte am Vormittag noch zu Meinungsverschiedenheiten gekommen. Aminata Touré (Grüne) warf Oppositionsführer Stegner vor, aus Parteikalkül heraus zu agieren. Während Touré und ihre Partei sich auf Bundesebene für eine Streichung des Rasse-Begriffs bereits vor Wochen ausgesprochen hatten, stehen die Koalitionspartner aus der CDU-Fraktion im Norden einer solchen Anpassung des Grundgesetzes skeptisch gegenüber.

Disput um Umsetzung

„Wenn es keine Rassen gibt, muss das Grundgesetz überarbeitet werden“, sagte Stegner mit Blick auf den aktuellen Stand der Wissenschaft. Rassenkunde sei „ein Hirngespinnst“. Den Alternativantrag von Jamaika kritisierte er, weil dieser keinen Auftrag enthalte. Für die SPD sei das „Ob“ längst geklärt, es könne nur darum gehen, wie der Begriff „Rasse“ ersetzt werden könne. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag sei ohnehin notwendig, um das Grundgesetz ändern zu können, mahnte Stegner zur Einheit der Demokraten.

„Als ich Ihren Antrag gesehen habe, habe ich mich gefragt, was die Intention ist“, entgegnete die Grüne Touré. Wenn es den Sozialdemokraten um den inhaltlichen Punkt gegangen wäre, dann hätten vorab Gespräche mit den anderen Fraktionen gesucht werden können, so Touré. „Auf Bundesebene läuft die Suche nach einem vernünftigen Begriff.“ Dieser müsse vor allem rechtssicher sein. Darum bestehe Jamaika auf eine Prüfung – „gemeinsam mit Zivilgesellschaft und Wissenschaft“, wie es in dem Antrag heißt.

Minister für „ergebnisoffene Diskussion“

„Wir müssen mit Änderungen des Grundgesetzes vorsichtig sein“, sagte auch Justizminister Claus Christian Claussen (CDU). Der Begriff „Rasse entspreche zwar nicht dem aktuellen Sprachgebrauch, aber man dürfe den Begriff nicht aus dem historischen Kontext reißen. Das Ziel der Väter des Grundgesetzes sei gewesen „sich deutlich vom Rassenwahn der Nationalsozialisten abzugrenzen“. Die Diskussion, ob und wie der Begriff verändert werden kann, müsse ergebnisoffen geführt werden.

Weitere Stimmen aus dem Plenum:

Tobias von der Heide (CDU):
„Ist die Streichung der richtige Weg? Rechtswissenschaftlicher argumentieren, dass Rassismus durch den Rechtsbegriff „Rasse“ überhaupt erst benennbar werde. Deswegen sollten wir darüber sprechen, ob und wie wir den Begriff in der Zukunft verwenden.“

Oliver Kumbartzky (FDP):
„Es kann keine neutrale Definition des Begriffes „Rasse“ für uns Deutsche geben. Sprache verändert sich im Laufe der Jahre. Der Rassebegriff ist längst nicht mehr zeitgemäß. Ersatz ist besser als Streichung.“

Claus Schaffer (AfD):
„Der Begriff ist nicht die Ursache des Phänomens Rassismus. Es ist das klare Bekenntnis gegen den Rassismus, das droht verloren zu gehen.“

Lars Harms (SSW):
„Es gibt keine Rassen, es gibt nur Menschen. Das Dilemma, in dem man in der Frage des Grundgesetzes steckt, ist doch folgendes: Die Formulierung des Artikel 3 zielt darauf ab, Rassismus zu bekämpfen. Doch durch die Formulierung wird die Vorstellung von Rassen aufrechterhalten.“

Hinweis:
Der Artikel wird nach der Entscheidung der Fraktionen, ob es einen gemeinsamen Antrag gibt oder nicht, aktualisiert.

Die SPD im Landtag unterstützt auf Bundesebene eingeleitete Vorstöße und will den Begriff der Rasse aus allen Rechtstexten verbannen lassen. Ein nicht definierter „zeitgemäßer Begriff“ solle ihn ersetzen. Dies geht aus einem Antrag der Fraktion hervor. Die SPD will die Landesregierung zu einer entsprechenden Bundesratsinitiative auffordern. Der Begriff der Rasse sei nicht nur politisch belastet, sondern auch wissenschaftlich nicht haltbar, heißt es. Neben dem Grundgesetz will die SPD den Begriff auch aus internationalen Dokumenten streichen lassen.

Das Grundgesetz enthalte ein Diskriminierungsverbot anhand einer Reihe von Kriterien, darunter der Rasse, erläutern die Sozialdemokraten. „Die vor über 70 Jahren getroffenen Formulierungen entsprechen dem damaligen Stand des Diskurses, der die Menschheit in verschiedene ´Rassen´ eingeteilte, die nicht nur unterschiedliche körperliche, sondern auch psychische und intellektuelle Eigenschaften hätten“, heißt es in dem Antrag. Diese Formulierungen seien im Jahr 2020 im wichtigsten politischen Dokument unseres Landes nicht länger akzeptabel.

Grüne Motor der Initiative

Die moderne Anthropologie lehne den Begriff der Rasse auf den Menschen bezogen mit Verweis auf die Struktur des menschlichen Genoms ab. Außer im Grundgesetz finde sich der Begriff Rasse auch in bundes-, landes- und kommunalrechtlichen Reglungen sowie in internationalen Dokumenten, schreibt die SPD-Fraktion. Auch hier müsse der Begriff ersetzt werden.

Auf Bundesebene hatten bereits vor Wochen Grünen-Chef Robert Habeck und die schwarzhäutige, schleswig-holsteinische Landtagsabgeordnete der Grünen, Aminata Touré, eine entsprechende Grundgesetzänderung gefordert. Im Artikel drei Absatz drei des Grundgesetzes heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

FDP, Linke und SPD im Bund haben sich offen für die Forderung der Grünen gezeigt, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) signalisierte Gesprächsbereitschaft.

(Stand: 24. August 2020)

Vorherige Debatte zum Thema:
Mai 2020 (Demokratie-Bekenntnis)

Antrag

Streichung des Begriffes der "Rasse" aus sämtlichen nationalen und internationalen Rechtstexten und dessen Ersetzung durch einen zeitgemäßen Begriff
Antrag der Fraktion der SPD – Drucksache 19/2317
Alternativantrag der Fraktionen von CDU, Grünen und FDP – Drucksache 19/2370

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, Grünen, FDP und der Abg. des SSW – Drucksache 19/2373