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Aminata Touré, Jahrgang 1992, ist in der aktuellen Wahlperiode die jüngste Frau im Schleswig-Holsteinischen Landtag – und die einzige Afro-Deutsche. Seit Sommer 2017 vertritt sie die Grünen im Parlament an der Kieler Förde. (Anm. d. Red.: Seit August 2019 ist Touré auch Vizepräsidentin des Landtages, das Porträt ist vor diesem Zeitpunkt entstanden). Politik machen zu dürfen, ist für sie ein großes Privileg. Falls sie das einmal nicht mehr so empfinden sollte, so sagt sie, will sie damit aufhören.
Mit ihrer direkten Art eckt die Grünen-Politikerin manchmal an, auch innerhalb ihrer eigenen Fraktion. Offen und selbstbewusst zu sein, hilft ihr aber auch, sich unter den meist älteren Kolleginnen und Kollegen durchzusetzen.
Wie sieht ihr Tagesablauf aus, welche Themen sind ihr wichtig und was macht den Beruf der Politikerin so reizvoll? Ein Tag im Leben der schleswig-holsteinischen Landtagsabgeordneten Aminate Touré.
10:45 Uhr. Ein sonniger Morgen in Kiel. Aminata Touré stellt ihr Fahrrad in der Kieler Innenstadt einige Meter von der ersten Station des Tages ab. Im Gehen nimmt sie noch schnell eine Instagram-Story auf, in der sie ihren Followerinnen und Followern erzählt, was an diesem Montag auf ihrem Tagesprogramm steht. Um 11 Uhr trifft sie sich mit der Geschäftsführerin des „Musiculums“, Anne Hermans.
In dem Gespräch geht es um die zukünftige Finanzierung des deutschlandweit einmaligen Projekts, das sich als „Lern- und Experimentierwerkstatt“ versteht und vor allem Schulkindern sowie geflüchteten Menschen das Musikmachen spielerisch näher bringen will. In den Räumlichkeiten des „Musiculums“, die früher zu einer Jungenschule gehörten, gibt es rund 400 Instrumente zu entdecken.
Touré hat keine Berührungsängste. Obwohl sie keines der Instrumente jemals vorher in den Händen gehalten hat, greift sie bei einem Rundgang nach Geige, Klarinette und Co und schafft es auf Anhieb, ein paar Töne zu spielen. Anne Hermans freut sich. „Es ist schön, wie Sie strahlen“, sagt sie an die Politikerin gerichtet, als sie an den Saiten einer Harfe zupft. Die Grünen-Abgeordnete verspricht, sich in der Fraktion mit ihren Kolleginnen und Kollegen auszutauschen, wie das „Musiculum“ in Zukunft weiter gefördert werden kann. Einen Zuschuss von 30.000 Euro hat das Land 2019 schon beigesteuert.
Für die großgewachsene Frau mit den zu feinen Cornrows geflochtenen, schwarzen Haaren ist dieser Tag vergleichsweise entspannt gestartet. Vor ihrem ersten Termin hatte sie Besuch von Freundinnen und Freunden, sie haben gemeinsam gefrühstückt. Die erste Routine des Tages, gleich nach dem Aufstehen ihre E-Mails zu checken, konnte sie sich auch an diesem Morgen nicht verkneifen. „Ich bin nicht gerne unvorbereitet“, sagt die junge Abgeordnete. Jeden Tag trudeln etwa 50 bis 100 Nachrichten in ihrem Postfach ein.
13:00 Uhr. Ab aufs Rad. Mit dem Fahrrad geht’s vom „Musiculum“ am Wilhelmplatz zum Landeshaus an die Förde. Es sind nur noch wenige Tage bis zu den Ferien. Im parlamentarischen Betrieb wird es ruhiger. So hat Aminata Touré heute Zeit für ein Mittagessen mit ihrem Mann und einer Freundin in der Kantine. Seit Sommer 2018 ist die junge Grünen-Politikerin verheiratet.
Einen klassischen Arbeitsalltag gibt es für die Parlamentarierin nicht. Dienstags bis donnerstags stehen feste Termine im Landtag auf dem Plan, wie etwa Ausschuss- und Fraktionssitzungen sowie Treffen der Arbeitskreise zu Fachthemen. Montags, freitags und oft auch an den Wochenenden ist sie in ganz Schleswig-Holstein und über die Landesgrenzen hinaus unterwegs, um sich mit Menschen auszutauschen, die sie und ihre Arbeit kennen lernen wollen oder Rat in der Politik suchen. In ruhigen Momenten helfen ihr Musik und Lesen beim Abschalten.
Eine besondere Reise führte sie im Herbst 2018 in die USA. Eingeladen wurde sie von der Obama-Foundation, einer Stiftung von Barack Obama, um über ihre Arbeit als junge, schwarze Frau in der deutschen Politik zu sprechen. Bei einer Konferenz in Berlin traf sie den ehemaligen US-Präsidenten im Frühjahr 2019 sogar persönlich.
In der Anfangszeit als Abgeordnete hat sie noch selbst nach Kontakten gesucht, um bekannter zu werden. Inzwischen muss sie viele Anfragen ablehnen, „weil sie einfach nicht mehr in den Terminkalender passen“, sagt Touré.
In ihrer Fraktion ist die junge Politikerin für die Themen Flucht und Migration, Frauen und Gleichstellung, Verbraucherschutz sowie Kinder und Jugend zuständig. Dass sie sich für Minderheiten in der Gesellschaft stark macht, hat auch etwas mit ihrer eigenen Geschichte zu tun. Sie ist in Neumünster aufgewachsen – die ersten fünf Jahre ihres Lebens wohnte sie in einer Flüchtlingsunterkunft, nachdem ihre Familie 1992 aus Mali nach Deutschland geflohen war. Sie ist sich sicher, dass sie sich durch ihre eigenen Erfahrungen in der Kindheit besonders gut in Menschen hineinversetzen kann, die heute Ähnliches erleben. „Das bekomme ich oft als Rückmeldung“, sagt Touré.
Als Newcomerin musste sie sich erst einmal ein wenig Respekt verschaffen, etwa auch bei manchen alteingesessenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Landtag. Die Grünen-Politikerin redet gerne, ist offen und selbstbewusst. Manchmal eckt sie an. Sie sagt, was sie denkt, und nimmt gerne in Kauf, dass auch die eigenen Fraktionskolleginnen und -kollegen nicht immer einverstanden sind. Das motiviert sie eher.
Festgefahrene Strukturen und Aussagen, wie „das war aber schon immer so“, kann sie nicht leiden. Sie will Dinge anders machen. Politik müsse einfacher und verständlicher werden. „Ich will erreichen, dass jeder versteht, worüber wir reden“, sagt Aminata Touré. Auch darum ist sie in die Politik gegangen.
Auslöser für diesen Entschluss war ein Praktikum beim Flüchtlingsbeauftragten des Landtages, während sie in Kiel Politikwissenschaft und Französische Philologie studierte. Ihr ist klargeworden: „Wenn du willst, dass sich etwas verändert, können deine persönlichen Erfahrungen als Kind geflüchteter Eltern helfen.“ So kam sie 2012 zu den Grünen, erst als Mitglied der Grünen Jugend in Kiel, dann 2013 als Sprecherin der Jugendorganisation. Die Umwelt-Partei steht für sie „für Offenheit gegenüber allen Menschen, egal aus welchem Land sie kommen, wie sie aussehen, welches Geschlecht sie haben und wen sie lieben“.
13:45 Uhr. Eingangshalle des Landeshauses. Eigentlich wollte die Geschäftsführerin der „Bücherpiraten“, eines Lesetreffpunkts für Kinder in Lübeck, zu einem Gespräch vorbeikommen, aber sie sagt spontan ab. Aminata Touré nutzt die Zeit, um mit einer ihrer beiden Mitarbeiterinnen zu telefonieren, die ihr bei der Terminplanung hilft. Termine für eine Abgeordnete vorzubereiten, das kennt Touré aus eigener Erfahrung.
In ihrer Zeit als persönliche Referentin der Grünen-Bundestagsabgeordneten Luise Amtsberg hat sie viele parlamentarische Abläufe bereits kennengelernt. Selbst Abgeordnete zu sein, sei jedoch noch einmal etwas völlig anderes. Wie sie ihre Arbeit am besten strukturiert, hat die gebürtige Neumünsteranerin erst mit der Zeit gelernt. Am Anfang wollte sie keine Veranstaltung, keine Einladung verpassen. Nach einigen Monaten hat sie gemerkt, dass sie am „echten“ Leben vorbeilebt.
15:00 Uhr. In den Fraktionsräumen der Grünen. Mit Rollkoffer und Laptop im Gepäck ist Julian Pahlke von der Hilfsorganisation „Jugend rettet“ angereist. Gemeinsam mit Lasse Petersdotter, ebenfalls Abgeordneter der Grünen im Landtag, sprechen sie über Seenotrettung im Mittelmeer.
Das Rettungsschiff von „Jugend rettet“, die „Iuventa“, wurde im Sommer 2017 von italienischen Behörden beschlagnahmt. Seither konnten die jungen Helferinnen und Helfer keine Einsätze mehr fahren, um Menschen aufzunehmen, die auf der Flucht über das Mittelmeer in Seenot geraten sind. Julian, der im Vorstand von „Jugend rettet“ aktiv ist, erhofft sich Hilfe von den beiden Politikern. Touré schreibt während des Gespräches akribisch mit und verspricht, mit weiteren Fraktionskolleginnen und -kollegen über das Thema zu beraten.
Der Termin dauert etwas länger als geplant, aber Touré nimmt sich gerne Zeit für die Menschen, die sie trifft. „Ich lerne jeden Tag dazu. Man darf nicht denken, dass man in die Politik reingeht und alles weiß“, sagt sie. Für sie ist Zuhören eine der wichtigsten Fähigkeiten in ihrem Job.
16:30 Uhr. Die Zeit rennt. Zum Abschluss gibt es noch ein Selfie mit Julian Pahlke, das sie direkt auf Instagram postet. Dann wird es hektischer. Die Grünen-Abgeordnete muss sich auf eine Abendveranstaltung zum Thema „Verpackungsfreier Supermarkt“ vorbereiten, die sie moderieren wird. Bevor sie ihren Moderationstext schreibt, widmet sie sich allerdings noch einmal ihren Followerinnen und Followern auf Instagram. In weiteren Stories fasst sie zusammen, was sie bisher am Tag erlebt hat, wen sie getroffen und welche neuen Erkenntnisse sie gewonnen hat.
Der Kontakt zu Leuten außerhalb der Politik ist Touré unheimlich wichtig, wie sie sagt. „Als Politikerin trifft man jeden Tag stellvertretend Entscheidungen für andere.“ Daher ist der direkte Austausch, ob im persönlichen Gespräch oder über die sozialen Medien, für sie unverzichtbar. „Sonst nimmst du in Kauf, dass Leute nicht erreicht werden.“ All ihre Posts auf Instagram und Facebook plant und gestaltet sie selbst. Nicht alle Politiker-Kolleginnen und -Kollegen, gerade ältere, fänden ihre Social-Media-Aktivitäten gut, sagt sie. Sie würden oft nicht verstehen, wie viel Arbeit dahinter steckt. „Sie tun so, als sei Social Media uns jungen Abgeordneten in die Wiege gelegt worden.“ Das ärgert sie.
18:30 Uhr. Aufbruch am Landeshaus. Es geht in Richtung Landesgeschäftsstelle der Grünen am Alten Markt in Kiel, wo die Diskussionsrunde zum Thema „Verpackungsfreier Supermarkt“ stattfinden soll. Als sie ihr Fahrrad angeschlossen hat, geht Aminata Touré ihre Moderation noch einmal durch. Sie sagt die Namen der geladenen Gäste laut auf, um sich später nicht zu versprechen. Auch diese Veranstaltung dauert länger als gedacht, mehr als zwei Stunden. Es entsteht eine hitzige Diskussion darüber, wie Lebensmittelhersteller, Supermärkte aber auch Kundinnen und Kunden, Verpackungsmüll vermeiden können. Einige sehen die Hersteller und den Einzelhandel in der Pflicht, andere betonen die Verantwortung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die studierte Politikwissenschaftlerin hat keine Schwierigkeiten, sich als Moderatorin durchzusetzen. Dass sie die jüngste in der Runde ist, merkt man ihr nicht an.
Politik kann jeder machen. Davon ist Touré überzeugt. Sie will vor allem andere junge Frauen ermutigen, sich zu engagieren. In der Politik werde vieles entschieden, was das Leben der Menschen beeinflusst. „Deswegen brauchen wir den Blickwinkel von allen – und das geht nicht, wenn wir Frauen nicht vertreten sind“, sagt Aminata Touré mit Nachdruck.
Wie lange sie hauptberuflich Politik machen will, weiß sie noch nicht. Sie macht nicht gerne langfristige Pläne. „Ich finde es schon krass, dass ich jetzt vermutlich fünf Jahre lang den gleichen Job machen werde.“ Dass sie sich einmal zur Wahl stellen und Abgeordnete werden würde, hatte sie nicht lange im Voraus geplant. Bei den Landtagswahlen im Mai 2017 kandidierte sie auf Listenplatz 11 der Grünen-Landesliste. Bei einem landesweiten Ergebnis von 12,9 Prozent gewannen die Grünen zehn Sitze im Parlament.
Als Monika Heinold dann ihren Platz freimachte, um erneut als Finanzministerin auf die Regierungsbank zu wechseln, rückte Touré am 29. Juni 2017 mit damals 24 Jahren als jüngste Abgeordnete und erste schwarze Frau in den Landtag nach. Für die Zukunft kann sie sich aber auch einen Job in einer Organisation oder Stiftung vorstellen – oder auch ein Leben im Ausland. „Aber das will mein Mann nicht so gerne“, sagt sie und lacht.
21:30 Uhr. Auf dem Weg nach Hause. Aminata Touré nimmt die letzte Instagram-Story des Tages auf, während sie ihr Fahrrad über das Kopfsteinpflaster schiebt. Das war’s für heute.
Yvonne Windel
Vorherige Porträts der Reihe:
Der Fraktionschef – ein Tag mit Tobias Koch (CDU)
Sandra Redmann (SPD): vom „Küken“ zum Profi