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7. Mai 2020 – Mai-Plenum

Jeder soll den Schulabschluss machen können

Ein sogenanntes Artikelgesetz soll auch im Fall aller Fälle die Schulabschlüsse in der Corona-Zeit sicherstellen. Ein Regierungsentwurf findet überfraktionellen Anklang. Der AfD geht vieles zu langsam.

Corona Bildung Abitur
Abstand ist Pflicht: Schüler der Kieler Max-Planck-Schule in einem Prüfungsraum zu Beginn einer Abiturprüfung. Foto: dpa, Frank Molter

Der Landtag will mit einem Gesetz sicherstellen, dass alle Schüler in Schleswig-Holstein trotz eventuell stark ansteigender Corona-Infektionszahlen ein Abschlusszeugnis erhalten. „Wir müssen vorbereitet sein für alle möglichen Szenarien“, sagte Bildungsministerin Karien Prien (CDU) bei der Vorstellung eines 105seitigen Gesetzentwurfs, der neben Regelungen im Bildungs- und Kitabereich auch Anpassungen bei der Pflege- und der Heilberufekammer sowie in der Sozialgesetzgebung beinhaltet. Im Plenum fand der Vorstoß breite Unterstützung. Nach der Ersten Lesung wurde der Gesetzentwurf am Freitag (8. Mai) nach einer kurzen Sitzung des Bildungsausschusses in Zweiter Lesung einmütig verabschiedet.

Prien dankte zu Beginn ihrer Rede allen „an Schule und Hochschulen Beteiligten“ sowie den Eltern. Sie erlebten eine schwierige Zeit. Schleswig-Holstein habe mit einem Phasenplan für den Wiedereinstieg in den Schulbetrieb in Deutschland aber eine Vorreiterrolle übernommen, sagte die Ministerin. Ziel sei es, jedem Schüler und jede Schülerin im Land bis zu den Sommerferien wieder Unterricht in den Schulen zu ermöglichen. Prien kündigte zudem „attraktive Angebote für Schüler über den Sommer“ an.

AfD: „Überbehütung ist fatal“

Das konkretisierte Tobias von der Heide (CDU). „Mit außerschulischen Partnern wollen wir unter dem Motto „Sommer der Möglichkeiten“ Bildungsangebote ermöglichen“, sagte er. Dafür stünden fünf Millionen Euro im Nachtragshaushalt bereit. Wie Prien betonte auch von der Heide, Schule sei deutlich mehr als ein Lernort. Sie gebe Jungen und Mädchen auch eine Strukturierung des Alltags, ermögliche einen Austausch mit Gleichaltrigen sowie eine Rückmeldung ihres Lernstandes. Die Wertschätzung auch für die Lehrer wachse, stellte er fest.

Schule sei sicher, erklärte Frank Brodehl (AfD) und forderte, Schüler müssten schnell und mit mehr Stunden wieder in die Schule zurückkehren. Dafür könne man auch „einen Schichtunterricht“ einführen. Das Risiko für Kinder sei höher bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen, als an Corona zu sterben, sagte er und konstatierte, es existiere kein wissenschaftlicher Nachweis darüber, dass Schulen Corona verbreiteten. „Behutsamkeit ist gut, aber Überbehütung ist fatal“, so Brodehl.

SPD: Kitas wichtiger als Fußball

„Corona ist vor allem eine soziale Krise“, sagte die SPD-Abgeordnete Serpil Midyatli. Öffentlich werde zwar viel über die Bundesliga, Kaufprämien für Autos und Kredithilfen diskutiert, aber man habe es nicht mit einer wirtschaftlichen Krise wie etwa 2008 zu tun. „Viele Eltern sind in großer Not“, betonte Midyatli. Bei Familien stoße es auf großes Unverständnis, wenn über den Neustart der Bundesliga diskutiert werde, nicht aber über Perspektiven für die bundesweit 3,7 Millionen Kita-Kinder.

„Es war wichtig, dass wir von vornherein klargemacht haben, dass das Jahr 2020 kein verlorenes Schuljahr sein darf“, betonte die Sozialdemokratin mit Blick auf die Schulen. Der Erste und der Mittlere Schulabschluss sowie das Abitur könnten auch in diesem Jahr regulär erworben werden. Bei der Benotung forderte sie einen Nachteilsausgleich. „Das heißt natürlich nicht, dass die Abschlüsse entwertet werden sollen“, betonte Midyatli.

Grüner Aufruf für mehr digitale Infrastruktur

„Corona hat den Bildungsbereich durcheinander gewirbelt“, sagte die Bildungsexpertin der Grünen, Ines Strehlau. Durch die Schließung der Schulen hätten Lehrkräfte von einem Tag auf den anderen auf das Lernen auf Distanz umschwenken müssen. Videokonferenzen, digitale Materialien und Erklärvideos – die Umstellung auf digitale Lehre sei schnell und relativ geräuschlos vonstattengegangen.

Dennoch drohe „die Bildungsgerechtigkeit auf der Strecke zu bleiben“, warnte die Grünen-Abgeordnete. Denn nicht alle Lehrkräfte seien firm in digitalem Lernen, nicht alle Schulen hätten eine gute digitale Infrastruktur. „Außerdem hat nicht jedes Kind einen Laptop oder ein Tablet. Einigen fehlt auch zu Hause eine stabile Internetverbindung“, sagte Strehlau. Es gebe noch immer „Nachholbedarf bei der Digitalisierung“.

„Stück für Stück hochfahren“

Für Anita Klahn (FDP) sind durch das Artikelgesetz, das die größten Härten abzumildern versuche, „lebhafte Debatten“ zustande gekommen. „Besonders hart scheint es die Familien getroffen zu haben“, stellte die dreifache Mutter fest. Dass Eltern drei Monate lang keine Kita-Beiträge zahlen müssten sei darum ein wichtiges Signal. Um die Kommunen nicht zu überlasten, musste die Reform in Teilen aber auf Anfang 2021 verschoben werden. Grundsätzlich sieht Klahn den Zeitpunkt gekommen, das bildungspolitische Leben „Stück für Stück hochzufahren und sich der Normalität anzunähern“.

Auch Jette Waldinger Thiering (SSW) fand lobende Worte für das Artikelgesetz. „Es ist erleichternd, dass jetzt für alle Klarheit in Prüfungsabläufen und Ersatzleistungen herrscht, soweit es geht“, sagte sie. Die Beitragsfreistellung für Kita und auch für schulische Betreuungsangebote sei eine direkt merkbare, unbürokratische Hilfe, die sofort bei den Eltern ankomme. Sie zeigte sich erfreut, dass die Freistellung und die damit verbundenen Mittel automatisch auf die Dänischen Schulen und die Schulen in freier Trägerschaft ausgeweitet worden seien.

Kurzer Disput zu Obduktionen

In einem Kurzbeitrag nahm der AfD-Abgeordnete Claus Schaffer einen Alternativantrag von Jamaika zur Obduktion von Covid-19-Toten aufs Korn. Das Papier sei in weiten Teilen „nahezu identisch“ mit dem von seiner Fraktion eingereichten Ursprungsantrag. Ein Unterschied zwischen beiden Anträgen bestehe darin, dass sich die regierungstragenden Fraktionen scheuten, Obduktionen gegen den Willen der Hinterbliebenen anzuordnen. Die AfD fordert diese Möglichkeit, auch wenn sie eine Anordnung als letztes Mittel sieht.

Trotzdem unterstützte die AfD den Koalitionsantrag dann doch und er konnte einstimmig angenommen werden. Ebenfalls fraktionsübergreifende Zustimmung fanden zwei weitere Anträge von CDU, Grünen und FDP: Den Aufruf zur vorübergehenden Verlängerung des BAföGs sowie die Unterstützung für eine digitaler werdende Bildungslandschaft und etwaig anzuberaumende Schul-Sonnabende.

Der Landtag berät in seiner Mai-Tagung insbesondere darüber, wie das Bildungssystem auf die Entwicklungen infolge der Corona-Pandemie flexibler agieren kann. Grundlage der Debatte ist ein umfangreicher Gesetzentwurf der Landesregierung, der neben Regelungen im Bildungs- und Kitabereich auch Anpassungen bei der Pflege- und der Heilberufekammer sowie in der Sozialgesetzgebung beinhaltet. Im Kern geht es in dem 105seitigen Gesetzespaket aber um die Anpassung von Prüfungen an Schulen und Hochschulen sowie der dortigen Arbeitsabläufe und Abstandsregeln – auch vor dem Hintergrund, dass die Zahl der Infektionen sprunghaft ansteigen könnte. Drei bildungspolitische Anträge der Fraktionen werden mitberaten.

Seit Mitte März sind Klassenzimmer und Vorlesungssäle verwaist. Wie können die Folgen der Corona-Krise für Schüler und Studierende abgefedert und im laufenden Schuljahr Abschlüsse vergeben werden? Derzeit steht der Beschluss der Landesregierung vom 8. April 2020, dass die diesjährigen Abschlussprüfungen in den Schulen stattfinden. „Sollten jedoch aufgrund einer weiterhin dynamischen Entwicklung des Pandemie-Geschehens eine Aufnahme, eine weitere Durchführung und ggf. der Abschluss der Prüfungen zu den jetzt vorgesehenen Zeitpunkten nicht möglich sein, sollen entsprechende Alternativszenarien greifen“, heißt es in dem Gesetzespaket. Vor diesem Hintergrund schwebt Bildungsministerin Karin Prien (CDU) vor, dass praktische Prüfungsteile an Schulen, etwa in sprachlichen Fächern oder im Fach Sport, gegebenenfalls umgestaltet werden. Sie könnten etwa via Video- oder Telefonkonferenz stattfinden sowie durch schriftliche Prüfungen oder den Rückgriff auf bereits erbrachte Leistungen ersetzt werden.

Zweite Öffnungsphase an Schulen

In den Schulen läuft laut einem Kabinettsbeschluss ab dem 06. Mai die zweite Öffnungsphase. Bildungsministerin Karin Prien (CDU) will in weiteren Schritten bis Schuljahresende allen Schülern ermöglichen, zumindest tageweise an Unterricht in der Schule teilzunehmen. Dabei müsse immer die Entwicklung des Infektionsgeschehens im Blick bleiben. Heute schon zu sagen, was in drei Wochen möglich sein wird, wäre nicht seriös, sagt Prien. Deshalb steht zwar fest, dass in der dritten Öffnungsphase die 1. bis 3. Klassen an den Grundschulen sowie die 8. bis 10. Klassen an Gymnasien und Gemeinschaftsschulen an der Reihe sein sollen, aber ein Datum dafür ist noch nicht absehbar. Wenn das Infektionsgeschehen auf dem jetzigen Niveau bleibe, sollte zumindest ein tageweiser Schulbesuch aus Priens Sicht möglich sein.

Bei den Abiturprüfungen und der Prüfungsvorbereitung an den Gemeinschaftsschulen hätten die bisherigen Erfahrungen laut der Bildungsministerin gezeigt, dass Hygiene und Abstandswahrung gut umgesetzt würden.

Mehr Zeit für Prüfungen

Sollten die Infektionszahlen wieder stark ansteigen, sollen laut dem vorliegenden Rahmengesetz die Zeitfenster für die Abnahme von Prüfungen erweitert werden können. Vorgesehen ist etwa, Abschlussprüfungen im laufenden Schuljahr auch an Samstagen, an beweglichen Ferientagen oder in den Ferien zu ermöglichen. An Hochschulen könnten Vorlesungen und Prüfungen in die Semesterferien verschoben werden. Möglich wäre auch eine Verlängerung der Semesterferien um ungefähr einen Monat bis Ende Oktober.

Drohen den Studierenden negative Konsequenzen durch eine Verzögerung des Studienverlaufs, sollen diese möglichst abgefedert werden. So könnten etwa Stipendien verlängert oder das aktuell laufende Fachsemester nicht gezählt werden. Außerdem ist geplant, dass Studierende im kommenden Wintersemester auch dann bereits ein Masterstudium beginnen können, wenn sie im Bachelorstudium noch nicht alle notwendigen Prüfungsleistungen erbracht haben.

Start der Kita-Reform verschoben

Das Gesetz zur Kita-Reform soll erst ab Januar 2021 statt wie geplant ab August dieses Jahres in Kraft treten. Einige Punkte der Reform, insbesondere die Deckelung der Elternbeiträge und landesweite Geschwisterermäßigung, sollen aber wie ursprünglich geplant ab August umgesetzt werden. Nach den Plänen der Regierung läuft mit der Einführung des Elternbeitragsdeckels die Zahlung des Kita-Gelds aus. Mit der Verschiebung der Reform werden auch Änderungen im Finanzausgleichsgesetz nötig, die ebenfalls in dem Corona-Regelungspaket enthalten sind.

Das Gesetzespaket soll nach der Debatte zur Ersten Lesung am Donnerstag bereits am Freitag verabschiedet werden. Fünf betroffene Landtagsausschüsse haben hierfür die Vorarbeit bereits geleistet.

Weitere Corona-Anträge der Fraktionen:

AFD: CORONA-TOTE OBDUZIEREN
Die AfD-Landtagsfraktion fordert, in Schleswig-Holstein alle Todesfälle im Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus zu obduzieren. So ließen sich wertvolle neue medizinische Erkenntnisse gewinnen, die für Behandlung von erkrankten Patienten von großem Nutzen sein könnten. „Auch lassen sich nur dadurch die Fallzahlen der tatsächlich an Corona Verstorbenen sicher ermitteln“, heißt es weiter in dem AfD-Papier. Leichenschauen seien auch ohne vorherige Zustimmung der Verstorbenen oder der Gewahrsamsinhaber zu veranlassen.

CDU, GRÜNE, FDP: BAFÖG LOCKERN
Wenn Kneipen, Restaurants und andere Betriebe wegen Corona geschlossen bleiben, dann trifft das auch Studenten, die dort jobben. Die Jamaika-Fraktionen regen deswegen an, die Regeln für das BAföG zu lockern, damit die Betroffenen den Lockdown überstehen. Die Dauer der BAföG-Förderung soll nach Willen von CDU, Grünen und FDP verlängert werden. Auch Studenten, die bislang keinen Anspruch auf das Bundesausbildungsförderungsgeld hatten, sollen für drei Monate davon profitieren. Und auch für Fachschüler sollen „Lösungen gefunden werden“. Die Koalitionsfraktionen rufen die Landesregierung auf, sich hierfür beim Bund stark zu machen.

CDU, GRÜNE, FDP: IDEEN FÜR FLEXIBLE SCHULE
Damit die Schulen die Corona-Krise meistern können, setzen die Jamaika-Fraktionen auf Flexibilität und Digitalisierung. Da eine Rückkehr zum regulären Schulbetrieb bis zu den Sommerferien nicht möglich sei, sollen die Schulen eine Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht anbieten. Dabei sei auch der Sonnabend als Schultag denkbar. In den Sommerferien soll es nach Willen von CDU, Grünen und FDP „Angebote für Kinder und Jugendliche mit besonderem Bedarf“ geben.

Zudem soll das Bildungssystem digitaler werden. Das Land soll eine „standardisierte digitale Infrastruktur“ bereitstellen, damit der Unterricht im Klassenverband als Videokonferenz möglich wird. Für die dort gezeigten Leistungen soll es dann auch Noten geben. Das Lehrerbildungsinstitut IQSH soll seine Schulungsprogramme für Pädagogen ausbauen, und die Politik soll gewährleisten, dass alle Schüler zu Hause mit Computer und Internetzugang ausgestattet werden.

Vorherige Debatten zum Thema:
April 2020
März 2020

Erste Lesung

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung schul- und hochschulrechtlicher Vorschriften, des Lehrkräftebildungsgesetzes, des Pflegeberufekammergesetzes, des Heilberufekammergesetzes, diverser Sozialgesetze, des KiTa-Reformgesetzes, des Kindertagesstättengesetzes, des Kindertagesförderungsgesetzes sowie des Finanzausgleichgesetzes aufgrund der Corona-Pandemie
Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 19/2122
(Federführend ist das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur)
Bericht und Beschlussempfehlung des Bildungsausschusses – Drucksache 19/2164

Antrag

Mehr Wissen über SARS-CoV2 und Covid-19 erlangen - Obduktionen in Corona-Todesfällen ausweiten
Antrag der Fraktion der AfD – Drucksache 19/2132
Alternativantrag der Fraktionen von CDU, Grünen und FDP – Drucksache 19/2165

Antrag

BAföG-Nothilfe unbürokratisch auf den Weg bringen
Antrag der Fraktionen von CDU, Bündnis 90/Grünen und FDP – Drucksache 19/2152

Antrag

Schule in Corona-Zeiten gestalten und organisieren
Antrag der Fraktionen von CDU, Bündnis 90/Grünen und FDP – Drucksache 19/2153