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„Reichsbürger“ lehnen Grundgesetz, Behörden und Gerichte ab, wollen keine Steuern zahlen und bestreiten die Existenz der Bundesrepublik Deutschland. Mindestens 307 Angehörige dieser Szene haben die Sicherheitsorgane im Lande identifiziert. Das geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Große Anfrage der Grünen hervor. „Was früher als skurrile Spinnerei abgetan wurde, hat sich zu einem Problem entwickelt“, mahnte Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU).
Er sehe ein „hohes Gefahrenpotential“, weil Reichsbürger eine „hohe Affinität zu Waffen“ hätten, so der Minister. Der Verfassungsschutz beobachte die Szene systematisch seit 2015. Eine Erkenntnis: Aktuell werde kein Reichsbürger im Lande als Gefährder eingestuft.
Reichsbürger seien Anhänger einer „Verschwörungsideologie“, so Lasse Petersdotter (Grüne), und hätten „die Wahrheit für sich gepachtet“. Er warf der AfD vor, als „Magnet für Verschwörungstheorien“ aufzutreten und Reichbürgern eine politische Heimat zu bieten. Das wies der AfD-Abgeordnete Claus Schaffer entschieden zurück. Grundsätzlich werde das Problem übertrieben dargestellt, denn nur zwölf von 307 Reichsbürgern würden als rechtsextrem eingestuft und nur 20 hätten einen Waffenschein. Schaffer stellte klar: Es sei nicht akzeptabel, die Rechtsordnung und die Verfassung abzulehnen.
Reichsbürger seien „Feinde unserer Demokratie und kein verwirrten Spinner“, unterstrich Tobias von Pein (SPD). Bund und Länder könnten es sich nicht gefallen lassen, so Claus Christian Claussen (CDU), wenn das staatliche Gewaltmonopol abgelehnt werde. Und Lars Harms (SSW) rief dazu auf, das genaues Hinsehen nicht nur den Behörden überlassen – „da sind wir alle gefragt.“
Jan Marcus Rossa (FDP) machte eine, „diffuse Unzufriedenheit mit ‚denen da oben‘“ aus. Dies gelte für Reichsbürger wie auch für Linksextreme und Islamisten. „An allen Rändern fasern wir aus“, so Rossa. Es reiche nicht aus, nur mit Polizeimaßnahmen zu reagieren, wenn Menschen von Staat und Politik enttäuscht seien. Es müsse darum gehen, „verloren gegangenes Vertrauen in unsere Institutionen zurückzugewinnen. Die Politik müsse Ankündigungen und Versprechen auch umsetzen.
Der Innen- und Rechtsausschuss berät das Thema weiter.
„Reichsbürger“ lehnen das Grundgesetz, Behörden und Gerichte ab und bestreiten die Existenz der Bundesrepublik Deutschland. Sie werden zunehmend als Bedrohung wahrgenommen, denn viele von ihnen sind bewaffnet. Für bundesweites Entsetzen sorgten die Schüsse eines „Reichsbürgers“ auf Polizisten in Georgensgmünd (Bayern). Der Mann tötete im Oktober 2016 einen Beamten und verletzte zwei weitere. Er wurde inzwischen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Die Bundesregierung spricht von 19.000 „Reichsbürgern“ in ganz Deutschland. Informationen zur Szene in Schleswig-Holstein liefert die Antwort des Innenministeriums auf eine Große Anfrage der Grünen.
Demnach steigt die Zahl der „Reichsbürger“ auch im Norden an. Im Jahre 2015 gab es laut Ministerium 24 bekannte Fälle, mittlerweile seien schon 288 identifiziert – und die Entwicklung sei „noch nicht abgeschlossen“. Der Landesregierung lägen weitere Hinweise von kommunalen Behörden, staatlichen Stellen und auch gesellschaftlichen Organisationen vor. Hochburgen sind die Kreise Pinneberg und Herzogtum Lauenburg. Allerdings werden keine der Personen im Lande als „Gefährder“ eingestuft.
Ein Indiz dafür, dass es mehr als 288 „Reichsbürger" in Schleswig-Holstein geben könnte, liefert die Zahl der beantragten „Staatenangehörigkeitsausweise“. Diese liegt mit 712 deutlich höher. „Staatenangehörigkeitsausweise“ beantragen „Reichsbürger“ häufig, damit sie keinen Personalausweis brauchen. Denn der bestätigt ihrer Meinung nach, dass sie Bürger der Bundesrepublik Deutschland sind, deren Rechtmäßigkeit sie bestreiten. Der „Staatenangehörigkeitsausweis“ wird nur selten von Personen außerhalb der Szene beantragt, weil er nur in wenigen Fällen nützlich ist, etwa zur Einbürgerung von ausländischen Ehegatten. Wie viele von den 712 Antragstellern tatsächlich „Reichsbürger“ sind, sei jedoch unklar.
„Reichsbürger“ haben laut Ministerium auch in Schleswig-Holstein eine „hohe Affinität zu Waffen“. 20 von ihnen hätten noch eine waffenrechtliche Erlaubnis, 46 Waffen befänden sich in ihrem Besitz - und das, obwohl sie laut einem Erlass aus dem Jahr 2017 keine Waffen haben dürfen, weil sie als unzuverlässig gelten. In zehn Fällen wurde die waffenrechtliche Erlaubnis bereits entzogen. Dabei wurde 19 Schusswaffen sichergestellt. In den übrigen Fällen werde weiter geprüft, ob die Waffen-Lizenz widerrufen werden kann.
Anders als in anderen Bundesländern sind in Schleswig-Holstein keine Fälle bekannt, in denen „Reichsbürger“ verbeamtet sind, in Behörden, bei der Polizei oder im Finanzamt arbeiten. Das Innenministerium räumt aber ein, dass es rechtlich schwierig sei, zu prüfen, ob ein identifizierter „Reichsbürger“ im Staatsdienst ist. Aus der Großen Anfrage geht hervor, dass bei einem „Reichsbürger“-Verdacht die Abfrage bei der Deutschen Rentenversicherung nur „in rechtlich begründeten Einzelfällen“ möglich ist. Ein „standardisierter Abgleich“ der „Reichsbürger“-Szene mit dem Datenbestand sei „rechtlich unzulässig“.
Was ihr Selbstverständnis betrifft, sind „Reichsbürger“ eine heterogene Gruppe. Manche beharren darauf, immer noch in einem Deutschen Reich in den Grenzen von 1913 zu leben. Andere pochen auf die Grenzen von 1937 oder 1945. Die so genannten „Selbstverwalter“ sehen nur ihr eigenes Grundstück als ihr „Reich“ an.
Das Innenministerium hat vier Hauptorganisationen in Schleswig-Holstein ausgemacht: Sie nennen sich „Staatenbund Deutsches Reich“, „Amt für Menschenrechte“, „Geeinte Deutsche Völker und Stämme“ und „Religionsgemeinschaft heilsamer Weg“. Bis zu 30 Personen engagieren sich in den einzelnen Gruppierungen. Außerdem gebe es vermehrt Verbindungen von „Reichsbürgern“ in die rechtsextreme Szene. Von den Identifizierten hätten zwölf Personen einen Bezug zur NPD, zur rechtsextremen „Europäischen Aktion“ oder der „Artgemeinschaft“.
(Stand: 10. Dezember 2018)