Regina Poersch zu TOP 17, 34, 35, 39 + 43: Weg von nationalistischen Egiosmen: Nur ein solidarisches Europa ist ein starkes Europa
Es gilt das gesprochene Wort!Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html Kiel, 13. Juni 2018TOP 17. 34.35.39 und 43: Europapolitische Schwerpunkte und Bericht über die Auswirkung (Drs-Nr.: 19/722, 19/307, 19/686, 19/152, 19/210, 19/687, 19/585)Regina PoerschWeg von nationalistischen Egoismen: Nur ein solidarisches Europa ist ein starkes Europa„Deutschland hat Europa unendlich viel zu verdanken. Auch deshalb sind wir seinem Erfolg verpflichtet. Für Deutschland ist ein starkes und geeintes Europa der beste Garant für eine gute Zukunft in Frieden, Freiheit und Wohlstand.“Das ist nicht von mir, sondern steht im Koalitionsvertrag von SPD und Union im Bund. Deutschland hat Europa unendlich viel zu verdanken. Und ich füge hinzu: Schleswig-Holstein auch. Aber: Die Sorgen in Europa und der Welt sind groß. Handelsbeschränkungen. Brexit. Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit in Teilen Osteuropas, Konflikt über die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU. Wachsende Europaskepsis. Vor allem der Brexit wirkt sich direkt auf die EU-Förder-Programme in Schleswig-Holstein aus. Das kann man beklagen und sich ins nationalistische Schneckenhaus zurückziehen. Man kann aber auch die jahrzehntelange Solidarität innerhalb der EU und ihrer Mitgliedsstaaten neu beleben und gemeinsam gestärkt aus der Krise hervorgehen.Wir sind mittendrin in einer Debatte über die Zukunft Europas. Neben all den Herausforderungen liegt darin auch eine Chance. Die Chance, Europa neu zu denken und zu gestalten. Vor genau 2einem Jahr hat die Europäische Kommission das „Weißbuch zur Zukunft Europas“ vorgelegt. Zu lesen im Europabericht ab Seite 9, für den ich mich an dieser Stelle im Namen meiner Fraktion bedanken möchte. Das Weißbuch enthält verschiedene Szenarien, wie sich Europa entwickeln könnte, wenn die Mitgliedsstaaten mehr oder weniger zusammenarbeiten, wenn sie mehr oder weniger gemeinschaftlich handeln.Zum Beispiel bei den EU-Finanzen: Die nächste EU-Förderperiode macht uns durch den Ausstieg Großbritanniens aus der EU im nächsten Jahr schon heute großes Kopfzerbrechen. Es ist mit schmerzhaften Kürzungen zu rechnen. Schon im vergangenen November haben wir zu dieser Debatte einen Antrag eingebracht. Auf unseren Antrag hin haben wir uns hier wie auch im Europaausschuss damit beschäftigt, warum „erheblich mehr gemeinsames Handeln“ – wie im Szenario 5 von der Europäischen Kommission beschrieben – so wichtig ist. Wir brauchen eine deutliche Ausweitung des EU-Haushaltes! Einnahmen fallen weg, neue gemeinschaftliche Aufgaben kommen hinzu. Aufgaben, die wir europäisch bewältigen müssen, nicht national oder gar nationalistisch. Unser Ansatz für ein zukunftsfähiges Europa muss sein, die soziale Dimension auszubauen. Nicht nur weil Schleswig-Holstein in erheblichem Maß von den Mitteln aus den europäischen Struktur- und Investitionsfonds profitiert – „In der aktuellen Förderperiode fließen 800 Mio. Euro nach Schleswig-Holstein“ -, sondern weil wir ein starkes Interesse an einem starken Europa haben müssen, in dem der soziale Frieden die Grundlage ist für gesellschaftlichen Zusammenhalt und wirtschaftlichen Wohlstand. Wirtschaftlich brauchen wir die Wettbewerbsfähigkeit einer sozialen und fairen Marktwirtschaft.Zu ihr gehören Unternehmensverantwortung genauso wie Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft, gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort, Mindestlohnregeln, faire Mobilität und die Bekämpfung von Steuerdumping. Zur Wettbewerbsfähigkeit gehören Freizügigkeit und Binnen-markt, aber eben auch der Erhalt der Investitions- und Förderprogramme. Dies darf nicht aufs Spiel gesetzt werden!Ich bedaure außerordentlich, dass sich die Koalitionsfraktionen nicht zu einem gemeinsamen Antrag auf der Basis unseres Antrags „Für ein solidarisches Europa“, Drucksache 19/152 entschließen konnten. Aber ehrlich gesagt: Am Ende der Verhandlungen konnten wir es auch nicht. So viel Prinzipienlosigkeit, wie Sie zum Beispiel bei der Vergabe von EU-Fördermitteln an den Tag legen, macht mich fassungslos! Keine Nachhaltigkeit! Abschaffung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung! Grundsatz der guten Arbeit gilt nicht mehr! Von der Gleichstellung gleich ganz zu schweigen! Das ist natürlich ganz klar FDP-Denke, aber gerade von den Grünen hätte ich doch Haltung erwartet! Wir hingegen sind der festen Überzeugung, dass nur ein solidarisches Europa ein starkes Europa ist. Schleswig-Holstein hätte weiter ein Zeichen setzen 3müssen! Ich weiß auch nicht, wie Sie sich das mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt hier in Schleswig-Holstein vorstellen. Denn dafür sind die EU-Fördermittel gedacht! Aber was machen Sie? Sie schleifen die Kofinanzierung! Ich zitiere aus Ihrem Koalitionsvertrag: „Beim Einsatz der Fördermittel […] der Europäischen Union sol-len alle Möglichkeiten zur Substituierung von sonst erforderlichen Landesmitteln genutzt werden. Soweit sich die landespolitischen Fachziele in den Rahmen von Förderprogrammen des Bundes oder der EU einfügen, sind diese Mittel vorrangig vor Landesmitteln einzusetzen. Bei der notwendigen nationalen Kofinanzierung von EU- Programmen wollen wir – wenn möglich – Bundesmittel oder Eigenmittel der Projektträger einsetzen.“ Und nur, wenn dann noch ein Rest verbleibt, kann es eventuell noch Landesmittel geben. Und ich zitiere weiter: „Eventuell wegfallende EU-Mittel können grundsätzlich nicht durch Landesmittel ersetzt werden.“ Wissen Sie eigentlich, was Sie damit aufs Spiel setzen, wenn Sie zum Beispiel der Integration von jungen Menschen oder von Menschen mit Handicaps in den Arbeitsmarkt den Boden unter den Füßen wegziehen? Merken Sie eigentlich nicht, wie brandgefährlich Ihr Spiel ist?Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen für ein Europa, das uns seit mehr als 60 Jahren Frieden beschert hat, uns Freiheit und Wohlstand sichert und auf gemeinsamen Wer-ten aufgebaut ist. Wir wollen Europa bürgernäher gestalten, das Europaparlament stärken und das Prinzip der wechselseitigen Solidarität und Werteorientierung stärken. Weg von nationalistischen Egoismen, dafür mehr Europa in solidarischer Verantwortung für Sicherheit und Wohlstand. Unsere 45 Europaschulen - in allen Schularten! - in unserem Land leisten dazu einen ganz hervorragenden Beitrag. Danke dafür! Sie wollen wir mit unserem Antrag Drucksache 19/722 unterstützen. Ich hoffe, dass wir uns wenigstens an dieser Stelle einig sind. Das wäre auch ein schönes Signal an die Jahrestagung des Vereins der Europaschulen, die am 25. Juni hier im Landeshaus stattfindet.Die Welt gerät aus den Fugen. Europa kann sich auf Amerika nicht mehr verlassen. Europa muss seine Rolle in der Welt neu definieren. Was uns ohne Europa fehlen würde, können wir beinahe täglich nachlesen, wenn Großbritannien erkennen muss, wie gut auch dort die EU - noch! – wirkt, und wie das nach dem Austritt sein wird. Europa muss sich entscheiden: zurückziehen ins nationale, ins nationalistische Schneckenhaus – oder gemeinsam für ein demokratisches, friedliches, solidarisches und wirtschaftlich starkes Gesellschaftsmodell in der Welt eintreten.Meine Fraktion und ich, wir sind für Letzteres. 4