Schulbegleitung: Eltern im Ungewissen
Nr. 149 / 19. Juli 2016Schulbegleitung: Eltern im UngewissenKurz vor den Sommerferien sind viele Eltern von Kindern mit Behinderung immer noch im Ungewissen, ob sie ihr Kind nach den Ferien wie gewohnt zur Schule schicken können. Kinder mit Behinderung, die die Schule besuchen und einen entsprechenden Bedarf mit- bringen, haben Anspruch auf eine individuelle Schulbegleitung, die von den Kreisen bewil- ligt werden muss. Dieser Bedarf wird zunehmend in Frage gestellt: Die Kreise verweisen bei ihren Ablehnungen oder Leistungskürzungen auf die Schulassistenz.Die Schulassistenz ist seit dem 1. Februar an den Grundschulen eingerichtet und wird direkt vom Land finanziert. Problematisch: Schulassistenten sollen und können aber in der Regel nicht die Aufgaben der Schulbegleitung übernehmen, sondern das „System Schule“ insgesamt unterstüt- zen.Dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung und dem PARITÄTISCHEN Schleswig- Holstein liegen aus mehreren Kreisen Berichte und Dokumente vor, in denen Eltern eine Ableh- nung für die Schulbegleitung ihres Kindes erhielten. Die Begründung war immer gleichlautend: Die Kreise verwiesen auf die Schulassistenz.So auch bei Katja Prothmann. Die Mutter eines 8-jährigen Jungen musste vor einem Jahr um die Bewilligungen einer individuellen Schulbegleitung kämpfen. Die Begleitung wirkte sich positiv auf die schulische und soziale Integration des Jungen aus. Jetzt teilte ihr der Kreis Herzogtum Lauen- burg ablehnend mit, „dass die Abweichung der seelischen Gesundheit nicht in Abrede gestellt werde. Trotzdem könne die Schulbegleitung nicht bewilligt werden“. Katja Prothmann hat eine Elterninitiative ins Leben gerufen, die gleichfalls betroffene Eltern anspricht. „Viele Mütter haben Angst, dass ihre Kinder gar nicht mehr in die Schule gehen können, weil sie allein nicht klar kom- men. Eltern und Kinder werden alleingelassen und gehen mit Ohnmacht, Ungewissheit und Ver- zweiflung in die Ferien“, so Prothmann. 2Zudem sind einige Kreise dazu übergegangen, ihre Ablehnungen telefonisch mitzuteilen. Die be- troffenen Eltern haben so keine Möglichkeit, Widerspruch zu erheben, weil sie nicht Schriftliches vorweisen können.„Es ist ein Unding, dass es zwischen Land und Kommunen ein ständiges ‚Schwarzer-Peter- Spiel‘ gibt“, so die Vorsitzende des Landeselternbeirates für Grundschulen und Förderzentren, Dr. Katrin Engeln. „Dies ist eine Politik zu Lasten von Eltern und Kindern mit Behinderung“. Ihr sind weitere Fälle aus den Kreisen Segeberg, Stormarn und Herzogtum Lauenburg bekannt.Auch die Rückmeldungen von Trägern lassen auf eine deutlich verzögerte Beantwortung der An- träge schließen. Bei einigen Trägern der Schulbegleitung sind in der Woche vor den Sommerferien die Bewilligungen um 50 Prozent eingebrochen. Es wird zu Entlassungen von eingearbeiteten Schulbegleitern kommen.„Für die Kinder mit Behinderung bedeutet es so oder so nichts Gutes. Selbst wenn die Schulbe- gleitungen bis zum Beginn des Schuljahres bewilligt werden, werden neue Schulbegleiter einge- stellt werden. Die Kinder müssen sich dann an neue Bezugspersonen gewöhnen“, so Engeln.Auch im Norden des Kreises Ostholstein kommen die Bewilligungen nur schleppend. Zwar laufe es langsam an, aber: „Das Gros der Eltern wird Bewilligung oder Ablehnung erst in den Ferien erhal- ten“, so der Verwaltungsleiter des Kastanienhof in Oldenburg, Thomas Bauer. „Dann kann bis zum Beginn des Schuljahres Vieles nicht mehr geregelt werden. Für Eltern und Mitarbeitende ist das eine bedrückende Situation.“Prof. Dr. Ulrich Hase, Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderung, ist mit der Situation sehr unzufrieden: „Wenn einige Aufgabenträger Schulbegleitung stark reduzieren oder nicht weiter be- willigen, dann bedeutet das, dass Kinder ihrer Schulpflicht nicht nachkommen können. Deswegen brauchen wir eine schnelle Lösung. Der genannte Konflikt darf nicht zu Lasten von Kindern mit Behinderung und deren Eltern in das neue Schuljahr fortgesetzt werden.“Der PARITÄTISCHE kritisiert die jetzige Praxis stark: „Seit zwei Jahren finden Gespräche zwi- schen Land und Kommunen hinter verschlossenen Türen statt, und es sollte an einer landesweiten Lösung für die passende Unterstützung von Kindern mit Behinderung gearbeitet werden. Trotzdem ist keine wirkliche Bewegung zu erkennen. Es scheint immer nur noch komplizierter zu werden. Leidtragende dieser verschleppten Politik sind die Kinder, Eltern und Lehrer, so der Vorstand des PARITÄTISCHEN Schleswig-Holstein, Günter Ernst-Basten.Ansprechpartner für die Presse: • Alexandra Arnold, Fachreferentin PARITÄTISCHER Schleswig-Holstein, Tel. 0431/ 5602-37 • Dr. Katrin Engeln, Vorsitzende des Landeselternbeirates für Grundschulen und Förderzentren, Tel. 0451/8830985 • Katja Prothmann, betroffene Mutter, Tel. 04545/ 871 90 21 • Dirk Mitzloff, Stellvertreter des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung, Tel. 0431/988 1624