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Jette Waldinger-Thiering: Wir wünschen eine Hochschule, die die Verschiedenheit lebt und lehrt
Presseinformation Kiel, den 16. Juli 2015Es gilt das gesprochene WortJette Waldinger-Thiering TOP 11 Änderung des Hochschulgesetzes Drs. 18/3156Wir wünschen eine Hochschule, die die Verschiedenheit lebt und lehrtEs tut sich etwas an den Hochschulen Schleswig-Holsteins. Letzte Woche hat derKoalitionsausschuss grünes Licht für Mehrausgaben für die Hochschulen gegeben. Siesind nämlich seit Jahren chronisch unterfinanziert und benötigen dringend einebessere Grundausstattung. Genau das hat der Koalitionsausschuss vereinbart. Das istein Schritt in Richtung eines umfassenden Hochschulausbaus.Dazu gehört auch das Hochschulgesetz, das wir heute diskutieren.Das Hochschulgesetz ist ein großer Wurf. Es stellt die Weichen für eine nachhaltigehochschulpolitische Entwicklung in Schleswig-Holstein. Vorausgegangen ist eineintensive Vorarbeit, bei der die bestehenden Strukturen analysiert wurden. Man mussnämlich erst einmal sicheren Grund haben, auf dem man aufbauen kann. In derHochschulpolitik ist ein politischer Schnellschuss das reinste Gift, weil damitRessourcen verschenkt werden. Von Anfang an haben wir darüber hinaus darauf 2geachtet, die Hochschulen selbst in den Gesetzgebungsprozess einzubinden. MeinDank gilt dabei vor allem der Ministerin und dem Staatssekretär Rolf Fischer, derunermüdlich mit Hochschulbeschäftigten, Studierenden und allen Präsidien Gesprächegeführt hat und dem es immer wieder gelungen ist, auch vermeintlich anspruchsvolleAkteure an einen Tisch zusammen zu bringen. Hinter den Kulissen haben wir auf dieseWeise sehr viel bewegen können. Die Bereitschaft zur Kooperation ist nichtselbstverständlich, denn oftmals haben die Hochschulen erlebt, dass sie nur von derLandespolitik eingeladen werden, um bereits Beschlossenes abzunicken. Der Prozess,der dem Entwurf von SPD/ Grünen und SSW vorangegangen ist, war dagegen offen,was bei allen Hochschulakteuren ausgesprochen gut ankam.Vor allem in Sachen Praxistauglichkeit waren die Gespräche mit den Experten ineigener Sache zielführend. Die Chance, die in den sehr kurzen Wegen in Schleswig-Holstein begründet ist, haben wir genutzt. Und ich muss sagen, es hat auch Spaßgemacht. Wir haben gelernt, dass Geld allein eben nicht reicht, sondern dass es sichlohnt, gemeinsam und ohne Schere im Kopf über starke Strukturen nachzudenken.Das gilt insbesondere für die Fachhochschulen in Schleswig-Holstein. Sie wurden inder Vergangenheit wie Hochschulen zweiter Klasse behandelt. Dabei leisten sieexzellente Forschung und Lehre. Die praxisbezogenen Fachhochschulen beweisentagtäglich ihre Leistungsfähigkeit und ihr hohes Niveau. So hat das Institut fürWindenergie der Fachhochschule Flensburg vor wenigen Tagen mit einer selbstkonstruierten Kleinwindanlage einen europaweiten Studenten-Wettbewerbgewonnen. Das ist ein gutes Beispiel für die Hochleistungsfähigkeiten derFachhochschulen in unserem Land. Die Absolventen lernen, wie sie selbständigforschen und konstruieren können und legen damit die Grundlage für ihre Karriere.Darüber hinaus sichern sie damit den industriellen Kern unserer Wirtschaft, denn die 3Windenergiebranche ist auf kluge Köpfe vor Ort angewiesen. Warum diesen jungenMenschen in der Vergangenheit Steine in den Weg gelegt wurden, wenn siepromovieren wollten, versteht wohl wirklich niemand. Fachhochschulabsolventenberichten über regelrechte Betteltouren, wenn sie eine Promotion anstreben. KeinWunder, dass sich Viele von Ihnen eine Promotion schenken. So verschenkt manallerdings dann Chancen fürs Land. Darum ist die Schaffung eines verlässlichenRahmens für die Promotionsverfahren ein gesamtgesellschaftliches Anliegen, das mitdem vorliegenden Hochschulgesetz umgesetzt wird.Es liegt im hochschulpolitischen Interesse, die willkürliche Trennung derHochschularten Universität und Fachhochschule mittelfristig zu beseitigen.Großbritannien hat es in den 90er Jahren vorgemacht, als die dortigenFachhochschulen Universitätsrang erhielten. Man lebt inzwischen auf der Insel sehrgut damit, nur noch Universitäten zu haben, die jeweils einen theoretischen und einenpraxisorientierten Teil anbieten. Wir hingegen verschenken enorme Synergien durchParallelstrukturen und Abgrenzungsgefechte. Das soll der Vergangenheit angehören.Mit dem erweiterten Promotionsrecht schaffen wir ein wichtigesGleichstellungsmerkmal, dass der hohen Qualität der Arbeit unserer Fachhochschulenin Schleswig-Holstein Rechnung trägt und zugleich die Zusammenarbeit zwischenFachhochschulen und Universitäten noch mehr stärkt.Die Hochschulen leisten sich neben der Trennung in Theorie und Praxis noch einenanderen Anachronismus: und zwar die Benachteiligung von Frauen inFührungspositionen. Im letzten Jahr waren an den Universitäten des Landes 35Personen habilitiert worden, unter ihnen lediglich acht Frauen, also etwa jede vierte.Die letzte Statistik der Studienanfänger aus dem Jahr 2013 weist dagegen einenFrauenanteil von 49% aus. Bis ganz nach oben verengen sich also die 4Karrieremöglichkeiten von Frauen enorm. Die Hochschulen sind immer nochInstitutionen, die die Geschlechterungerechtigkeit fortsetzen. Darum freue michbesonders über die Änderungen für die Gleichstellungsbeauftragten an denHochschulen. Denn mit einem gesetzlichen Widerspruchsrecht, das den Beauftragtengewährt wird, setzen wir ein deutliches politisches Zeichen, dass wir als Politik nichtlänger gewillt sind, die Benachteiligung von Frauen einfach so hinzunehmen. Darüberhinaus verankert das neue Hochschulgesetz die berufliche Absicherung nach der erstenWiederwahl für hauptberufliche Gleichstellungsbeauftragte. Das ermutigt Frauen, sichdafür zu bewerben. Es ist eben kein Schleudersitz, der eine gehörige PortionSelbstausbeutung verlangt, sondern ein starkes Amt mit klaren Vorgaben zu Personalund Ausstattung. Damit wird dieses wichtige Amt an den Hochschulen gestärkt.Die Universitäten haben Platznot, und zwar nicht nur in den Hörsälen, sondern auch inden Laboren und Bibliotheken. An den Standorten muss schnellstens in neue Gebäudeinvestiert werden und in den Ausbau bestehender Gebäude. Die Studierenden müssenbessere Studienmöglichkeiten erhalten, damit sie den internationalen Anschluss nichtverpassen. Nicht zuletzt haben auch die Beschäftigten an den Universitäten Anspruchauf solide Ausstattung.Vernünftige Arbeitsverhältnisse betreffen natürlich auch dieBeschäftigungsperspektiven. Die Universitäten bieten dagegen auch exzellentenWissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern lediglich Zeit- und Teilzeitverträge an –und das manchmal über Jahre. Diese Situation bietet keine Perspektiven. Hier müssenwir am Ball bleiben, um eine Verbesserung zu erreichen. Die Hochschulen erhalten mitdem neuen Gesetz den klaren Auftrag, sich für gute Beschäftigungsverhältnisseeinzusetzen und einen verbindlichen Verhaltenskodex zu verfassen. 5Mehr Autonomie im Bereich der Bauherrentätigkeit ist von den Hochschulen gefordertworden, der die HSG Novelle zeigt auch diesem Punkt Bewegung.Meiner Ansicht nach kann die Bauplanung und Bauaufsicht bei den Hochschulen vorOrt angesiedelt sein, damit der Sanierungsstau schneller aufgelöst werden kann. DieAnhörung wird sicherlich auch in diesem Punkt zeigen , wie die Bauherrentätigkeitstrukturiert werden kann, damit alle Hochschulen im Lande davon profitieren.Gemeinsam mit der GMSH ,dem Finanzministerium und demWissenschaftsministerium muss ein gangbarer Weg gefunden werden.Bei dem Stichwort Eigenständigkeit möchte ich auf den Wunsch der Europa UniversitätFlensburg eingehen, Beginn und Ende der Unterrichtszeiten in die eigeneVerantwortung zu übernehmen. Sie alle kennen den entsprechenden Brief derUniversitätsleitung. Die Semesterzeitenüberschneidungen zwischen der SyddanskUniversitet und der Europauniversität verursachen Asymmetrie und erschweren dieinternationale Mobilität von Lehrenden und Studierenden. Das Kursangebot mit derdänischen Seite kann nur durch das weit überdurchschnittliche Engagement derLehrenden und Studierenden koordiniert werden. Das muss geändert werden.Schließlich ist der Hochschulkalender nicht in Stein gemeißelt, nur weil man das schonimmer so handhabt. Tatsächlich kann er geändert werden – auch in Deutschland.Meines Wissens macht die Hochschule der Bundeswehr gute Erfahrungen mitTrimestern und auch die Mannheimer Universität. Internationaler Standard sind dieDreimonats-Semester sowieso schon lange. Allerdings hat sich die FlensburgerUniversitätsleitung gegen Trimester ausgesprochen, sondern favorisiert individuelleLösungen. Ich denke, diese Freiheit sollten wir der Europauniversität unbedingtzubilligen. 6Zum Schluss möchte ich auf die Mitbestimmungsechte der Studierenden eingehen, ichdavon überzeugt, dass wir mit dem zusätzlichem Rede- und Antragsrecht des Asta-Vorsitzenden, das im Hochschulgesetz verankert ist, bereits einen richtigen Wegeinschlagen haben. Das ist ein konstruktiver Weg, damit die Studierenden ihreInteressen vorbringen können. Der Senat einer Universität stellt die Weichen für dieEntwicklung und fungiert wie ein Parlament der Universität. Die Studierenden wollenhierbei nicht nur Zaungäste sein, denn schließlich sind sie es, die Fehlentwicklungenausbaden müssen. Ich möchte an dieser Stelle allerdings auch deutlich machen, dass esnicht um Mehrheiten geht. Kein Senat kann langfristig die Interessen einer Gruppe, seies der Beschäftigten, der Lehrenden oder eben der Studierenden dauerhaft ignorieren.Vielmehr verstehe ich die Entscheidungsprozesse als gemeinsames Ringen, bei derkeine Seite die andere niederstimmt. Vernünftige Argumente sollten sich durchsetzenlassen; gerade an einer Hochschule. Deshalb fordert der SSW so viel Mitbestimmungfür die Studierenden, wie es das Grundgesetz zu lässt .Damit komme ich zu einem Wunschtraum: eine Hochschule nämlich, die dieVerschiedenheit lebt und lehrt. Fachlich haben wir es mit dem Terminus Diversity zutun. Der nicht übersetzte englische Begriff gibt bereits einen Hinweis darauf, dass sichdeutsche Institutionen schwer tun, soziale Vielfalt konstruktiv zu nutzen. Realität ist:Männer stellen Männer ein, Nicht-Behinderte Nicht-Behinderte, und so weiter.Dagegen sollte es das Ziel sein, die Verschiedenheit der Beschäftigten anzustreben,weil sich das für die Universität auszahlt. Verschiedenheit und Anerkennung vonMinderheiten entwickeln jede Institution weiter und tun ihr einfach gut. Darum istDiversity ausdrücklich im Gesetz verankert. Der Landtag sollte die Entwicklungbeobachten und gegebenenfalls nachsteuern, wenn sich zeigt, dass Diversity ebennicht nach Ehrenamtlichkeit, sondern nach Professionalität verlangt. 7Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass das neue Hochschulgesetz denStudienstandort Schleswig-Holstein weiter stärken wird. Unsere Hochschulen erfreuensich wegen ihrer Vielfalt und guten Angebote einer großen Beliebtheit gerade auch beiausländischen Studierenden. Unter den Studienanfängern hatten im Studienjahr elfProzent die Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben. Darüber freue ichmich sehr, dass der gute Ruf unserer Hochschulen weit über die Landesgrenzen reicht.Der echte Norden ist eben ein guter Platz für die Wissenschaft.