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Lars Harms: Bei uns ist nur Platz für Herzlichkeit, Freundschaft und ein ehrliches Willkommen
Presseinformation Kiel, den 18. Februar 2015Es gilt das gesprochene WortLars HarmsTOP 1A+ 6+13 Regierungserklärung & Abschiebungshaft und Migrationsberatung für Flüchtlinge Drs. 18/2699, 18/2682 Lars Harms: „Als rot-grün-blaue Koalition diskutieren wir nicht darüber, ob wir helfen können. Sondern wir tun dies einfach!“Wenn wir die Flüchtlingsströme auf der Welt betrachten, können wir feststellen, dass wir hierin Deutschland objektiv es eben gerade nicht mit einem Flüchtlingsstrom zu tun haben. Undschon gar nicht in Schleswig-Holstein. Wir haben im gesamten letzten Jahr 7.620 Flüchtlingeaufgenommen und dieses Jahr werden wir eine fünfstellige Zahl erreichen. Ist das viel? Wirmeinen Nein! Jedenfalls, wenn man unsere Zahlen mit den Zahlen anderer Länder vergleicht.Im ersten Halbjahr 2014 lagen die Flüchtlingszahlen nach UNHCR-Angaben in Pakistan bei 1,6Millionen Menschen, im Libanon bei 1,2 Millionen Menschen, im Iran bei 1 Million Menschenund in der Türkei bei 800.000 Menschen. Selbst das vergleichsweise arme Jordanien nahm700.000 Menschen auf. Nehmen Sie diese Halbjahreszahlen jetzt ruhig mal zwei, dann redenwir alleine bei diesen Ländern regelmäßig zwischen 1,5 und 3 Millionen Menschen pro Jahr – 2nicht 7.620! Alle diese Angaben unterliegen darüber hinaus einer stetig steigenden Tendenz.Und diese Zahlen bestätigen, dass die Menschen eben nicht wegen irgendwelcher hohenLeistungen zu uns kommen, sondern insbesondere die ärmeren Länder der Welt haben dieHauptherausforderungen der Flüchtlinge zu tragen. Wer also objektiv auf die Flüchtlingslageguckt, der kann nicht anders als zu akzeptieren, dass die Herausforderungen, die vor uns liegen,gemeistert werden können und gemeistert werden müssen.Gerade vor diesem Hintergrund sage ich, dass einer der Leitsätze unseres Grundgesetzesuneingeschränkt Geltung hat und auch nicht hinterfragt werden darf: „Die Würde desMenschen ist unantastbar.“ Und gleiches gilt für die Bestimmung im Grundgesetz, die daheißt: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Beide Leitsätze bilden für uns den Rahmen indem sich unsere Gesellschaftsordnung in Flüchtlingsfragen bewegt. Diese Grundsätze sindnicht verhandelbar. Und wer dieses nicht akzeptieren will, der wendet sich gegen dieGrundfesten unserer Gesellschaftsordnung. Es mag sein, dass wir hier in Schleswig-Holsteineine Tradition haben, die sich im Besonderem dem Nächsten verpflichtet fühlt. Und dieseNächstenliebe mag jeder aus seinem eigenen Gesellschaftsbild herleiten – möge es nun aufeiner christlichen, einer islamischen oder auch auf einer anderen philosophischen Grundlageberuhen. Die Schlussfolgerung muss immer dieselbe sein: Alle Menschen sind willkommen undwir helfen gerne.Deshalb diskutieren wir als rot-grün-blaue Koalition auch nicht darüber, ob wir helfen wollenoder ob wir helfen können. Sondern wir tun dies einfach! Wir wissen jetzt schon, dass wiranhand der steigenden Flüchtlingszahlen mehr Lehrer brauchen, um den jungen MenschenDeutsch als Zweitsprache beizubringen. Wir haben hier in den letzten beiden Jahren schon vielgeleistet, aber wir sehen, dass dies trotz aller Anstrengungen noch nicht genug ist. Wir werdenmehr als 200 zusätzliche DAZ-Lehrer benötigen, um hier dem zukünftigen Bedarf entsprechenzu können und deshalb müssen diese eingestellt werden. Überhaupt wird es notwendig sein,noch mehr Lehrer in das System zu geben, um hier zu helfen. Die Schulen werden einen 3erhöhten Bedarf aufgrund von höheren Schülerzahlen haben und diesen Bedarf wollen wirabdecken. Und wie gesagt, dabei gucken wir nicht auf den einzelnen Euro, sondern wir guckenauf die Problemlage. Da wo Hilfe nötig ist, wollen wir helfen, und deshalb braucht man auchhier keine kleinkarierten Diskussionen.Übrigens, auch die Kommunen brauchen solche Formaldebatten nicht. Wir wissen, dass dieUnterbringungssituation für die Kommunen eine riesige Herausforderung ist. Wir werden auchhier nicht als Paragrafenreiter auftreten, sondern den Kommunen bei ihrer flexiblenHandhabung der Herausforderungen im Flüchtlingsbereich zur Seite stehen. Wir erstatten denKommunen 70% der Betreuungskosten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und daranwird auch bei steigenden Flüchtlingszahlen nicht gerüttelt. Wir fordern den Bund auf, dafürSorge zu tragen, dass die Asylverfahren noch zügiger bearbeitet werden. Wir wissen, dass dasschwierig ist, aber das ist nötig, damit auch die Kommunen hier finanzielle Planungssicherheitbekommen. Im Übrigen können wir uns durchaus vorstellen, dass der Bund hier in diesernationalen Aufgabe noch stärker einsteigt als bisher und die Länder und Kommunen auchstrukturell entlastet. Schließlich sind Länder und Kommunen hier überall gleich betroffen undsolange wir keine vernünftige einheitliche europäische Flüchtlingspolitik haben, muss derBund maßgeblich diese nationale Herausforderung mit bewerkstelligen. Wenn wir aber geradeschon beim Bund sind, muss ich sagen, dass die Bundesregelungen ausdrücklich vorsehen, dassLänder einen Winterabschiebestopp verhängen können – was wir ja auch getan haben. Damithat sich das Land rechtskonform entsprechend dieser bundesrechtlichen Regelungenverhalten. Wir setzen somit Bundesrecht um und dass führt dann nicht dazu, dass das Land fürdie zusätzlichen Kosten hierfür aufkommt. Was wir aber tun ist, die Kommunen auf andere Artund Weise zu entlasten. Wie gerade eben schon gesagt, geben wir mehr Lehrer in das System,um so auch den Druck von den Kommunen zu nehmen. Wir behalten die bisherigeKostenbeteiligung weiterhin bei und wir wollen auch die Gesundheitskarte für Flüchtlingeeinführen. 4Bisher ist es so, dass sich jeder Flüchtling eine Bescheinigung für einen Arztbesuch beimzuständigen Amt besorgen muss. Schon alleine die Tatsache, dass dieses diskriminierend ist,sollte eigentlich schon dazu führen, eine solche Regelung abzuschaffen. Sie ist aber auchextrem bürokratisch. Ein Nicht-Mediziner in der Amtsstube soll entscheiden, ob jemand krankist, oder nicht. Gleichzeitig muss der gesamte Vorgang dokumentiert und später abgerechnetwerden. Das, im Übrigen, noch zu den teuren Sätzen der privaten Krankenversorgung. Das istextrem bürokratisch und extrem teuer. Wir wollen mit Finanzmitteln des Landes dieGesundheitskarte für Flüchtlinge einführen. Hier sind wir in Gesprächen mit denKrankenkassen und die Erfahrungen unserer Nachbarn in Hamburg zeigen, dass hier nicht nurauf kommunaler Seite erhebliche Bürokratie und Kosten abgebaut werden können, sonderndass dieses auch zu einer unkomplizierten und endlich nicht mehr diskriminierendenHandhabung führen wird. Also eine Win-Win-Situation für alle, aber besonders für dieKommunen.Ich habe eben schon darauf hingewiesen, dass die Kommunen erhebliche Schwierigkeitenhaben, die Menschen unterbringen zu können. Wir werden deshalb versuchen, auch ananderen Orten weitere Erstaufnahmeeinrichtungen zu errichten. Gedacht ist dabei anLandesflächen insbesondere in der Nähe von Hochschulen. Deshalb ist der Innenminister hierin Gespräche eingestiegen. Je länger die Menschen in solchen Erstaufnahmeeinrichtungenbetreut werden können, je schneller können ihre Anträge bearbeitet werden und je schnellerkönnen die Menschen erste Maßnahmen bekommen. Beides wird die Kommunen entlasten.Dabei möchte ich nicht verhehlen, dass es hier auch möglich sein kann, dass wir in denSommermonaten auf Zeltunterkünfte und über das ganze Jahr hinweg auf feste mobileUnterkünfte zurückgreifen müssen. Das ist nicht schön, wird sich aber möglicherweise nichtverhindern lassen.Trotz dieser Probleme bleibt es aber das Ziel, weiterhin eine humane Flüchtlingspolitik zuverfolgen. Dazu zählt auch, dass Menschen, die zu uns flüchten und nichts verbrochen haben, 5nicht in Haft genommen werden. Die Abschiebehaftanstalt in Rendsburg ist deshalb nachgründlicher politischer Vorbereitung geschlossen worden. Dies wurde im Koalitionsvertrag sovereinbart und bringt daher wenig Überraschung mit sich. Und natürlich wurde in denvergangenen Jahren auch auf Bundesebene für eine Abschaffung der Abschiebehaft geworben.Jedoch fand diese Initiative keine mehrheitliche Zustimmung. An den grundsätzlichenUmständen zeichnet sich derzeit keine Veränderung ab. Von daher sind sämtlicheBestrebungen vorläufig auf Stand-by geschaltet. Ein erneuter Antrag auf Bundesebene für eineAbschaffung der Abschiebehaft wäre somit ein politisches Signal – mehr aber auch nicht.Inhaltlich ist für uns als SSW klar, dass wir zu unserer Aussage stehen, die Abschiebehaft nichtanwenden zu wollen. Es könnte jedoch ein Zeitpunkt kommen, zu dem wir auf Landesebenerechtlich gezwungen sind, von der Abschiebehaft oder einem Gewahrsam Gebrauch zumachen. In einem solchen Fall gilt für uns als SSW natürlich die Maßgabe, die Menschen eherin Gewahrsam nehmen und dies gleichzeitig so wenig freiheitseinschränkend wie möglichauszurichten. Ich glaube, da gibt es vielerlei Möglichkeiten, die die Landesregierung nutzenkann, damit eine klassische Abschiebehaft nicht gänzlich zum Tragen kommt. Fakt ist, dass einsolches Szenario trotz allem nicht ausgeschlossen werden kann. Von daher vertrauen wir alsSSW darauf, dass der Innenminister sich dieser Problematik bewusst ist und zu gegebener Zeit,für die Abschaffung der Abschiebehaft erneut auf Bundesebene wirbt. Derzeit haben wirwenige Erfolgsaussichten. Dafür reicht ein kurzer Blick auf die jeweiligen Positionen imBundesrat. Von daher geht der Antrag der Piraten völlig an der Sache vorbei und würde dabeihöchstens in der Vitrine landen. Trotzdem halten wir natürlich an unserem politischen Ziel fest;der Abschaffung der Abschiebehaft.Ein auf der Hand liegendes Thema, für das sich aus unserer Sicht sehr wohl Mehrheiten findenkönnten, wäre für eine Öffnung der Migrationsberatung. Bisher sind sämtliche Maßnahmendie vom Staat bereitgestellt werden können, an den jeweiligen Aufenthaltsstatus gebunden.Was sich im ersten Moment vielleicht nicht ganz verkehrt anhört, erweist sich im Alltag alsquasi unüberwindbare Hürde. Flüchtlinge mit ungesichertem Aufenthaltsstatus haben 6keinerlei Ansprüche auch Leistungen wie professionelle Migrationsberatung, Bildungskurseoder den Zugang zur legalen Arbeitsaufnahme. Der Staat verhindert derzeit den wichtigstenFaktor zur Teilhabe und Integration, nämlich die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit. Wirvom SSW wollen uns nicht mit dieser Ausgangsposition zufrieden geben. Die Menschen, die zuuns kommen, sind willig einen anderen Weg zu gehen, als der, den das System derzeitvorschreibt. Diesen Weg wollen wir für diese Menschen öffnen. Eine Bundesratsinitiative zurÖffnung der Migrationsberatung ist daher ein Schritt, von vielen. Nichtsdestoweniger istgenau hier die richtige Stelle, um eine Veränderung des Systems voranzubringen. DieMigrationsberatungsstellen sind die erste Anlaufstelle, um an Informationen zu gelangen undum eine erste Orientierung überhaupt möglich zu machen.Ein jeder Anfang ist ausschlaggebend für die weitere Entwicklung. Von daher sind dieMaßnahmen, die am Anfang eines jeden Aufenthaltes stehen, von besonderer Bedeutung.Derzeit steht am Anfang für die Menschen, die zu uns kommen, nur sehr wenig zur Verfügung,jedenfalls im Vergleich zu dem, was wir ihnen eigentlich alles anbieten könnten. Für uns alsSSW steht fest, dass diejenigen, die zu uns kommen vom ersten Tag an lernen, arbeiten,teilnehmen und vor allem etwas zum Alltag hier bei uns in Schleswig-Holstein beitragenkönnen. Bis dahin ist es noch ein Stück zu gehen. Mit der Öffnung der Migrationsberatung füralle Ankömmlinge, wäre ein weiterer, wichtiger Schritt in die richtige Richtung getan.Und deshalb fordern wir vom Bund, dass Integrationskurse vollständig für alle geöffnetwerden, die zu uns kommen. Das Erlernen der deutschen Sprache und das Kennenlernenunserer Kultur dürfen nicht von Aufenthaltsstatus der jeweiligen Personen abhängen. Wennwir wollen, dass die Menschen sich hier bei uns integrieren, dann müssen wir ihnen auch dieChance dazu geben. Dann muss es auch eine Möglichkeit geben, die rechtliche Situation vonunbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu verbessern. Und dann muss man denAsylsuchenden auch Möglichkeiten geben, eine Ausbildung aufzunehmen oder eine Arbeitanzunehmen. Hier fordern wir den Bund auf, endlich entsprechende moderne Regelungen zuschaffen. 7Und genauso ist es mit der Gesundheitskarte. Wir gehen hier in Schleswig-Holstein einenwichtigen Schritt, indem wir diese Gesundheitskarte für Flüchtlinge einführen. Aber auch diesist eigentlich eine nationale Aufgabe. Deshalb muss der Bund auch hier für eine gesichertebundesweite Finanzierung sorgen, damit alle Flüchtlinge in Deutschland die gleichenMöglichkeiten haben. Und letztendlich muss der Bund Vorreiter für eine humaneFlüchtlingspolitik in Europa sein und hier insbesondere auf Ebene der EU dafür Sorge tragen,dass Humanität das oberste Ziel einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik ist und dass alle Staatensich gemeinsam an dieser Herausforderung beteiligen.Sie sehen also, meine Damen und Herren, wir nehmen alle Herausforderungen als rot-grün-blaue Koalition an. Wer sagt, eine verstärkte Abschiebung dieser armen Menschen ist dieLösung, der handelt unchristlich – vielleicht hilft ja das bei einigen – und der handelt nachmeiner Auffassung auch unmenschlich. Wir tun das nicht. In unserem Weltbild sind kein Platzfür Fremdenhass, kein Platz für Ausgrenzung und kein Platz für irgendwelche dumpfenParolen. Bei uns ist nur Platz für Herzlichkeit, Freundschaft und einem ehrlichen Willkommen.