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26.04.13 , 09:33 Uhr
SSW

Lars Harms zu TOP 28 - Kommunales Wahlrecht auch für Nicht-EU Bürgerinnen und Bürger

Presseinformation Kiel, den 26. April 2013

Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms
TOP 28 Kommunales Wahlrecht auch für Nicht-EU Bürgerinnen und Bürger Drs. 18/748

Man stelle sich das einmal vor: da wird in einem Maschinenbaubetrieb ein Betriebsrat
gewählt, und die türkischen Kollegen dürfen sich nicht beteiligen, weil sie keine EU-
Bürger sind. Sie können also nicht wie die anderen im Betrieb mitbestimmen, obwohl sie
die gleiche Arbeit machen. Das klingt absurd und ist es dank der Änderung des
Betriebsverfassungsgesetzes auch. Und das nicht erst seit gestern oder vorgestern. Das
Betriebsverfassungsgesetz hob bereits am 15. Januar 1972 die Diskriminierung der
Ausländer auf in Sachen betrieblicher Mitbestimmung auf. Seitdem heißt es in § 7:
„Wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das 18. Lebensjahr vollendet
haben.“ So einfach geht das – und das schon seit vierzig Jahren. Das Prinzip: derjenige,
der betroffen ist, soll mitbestimmen können, wird seit mehr als vier Jahrzehnten
erfolgreich in der betrieblichen Praxis angewandt. Kritik an dieser Regelung kenne ich
nicht. Sie ist etabliert und selbstverständlicher Teil der Arbeitswelt. 2
Genau das fordern wir nun auch für die kommunale Ebene. Die absurde Unterscheidung
nach dem Pass muss aufhören. Und dabei sollte es eben keine Rolle spielen, ob ein
Husumer nun einen norwegischen oder schwedischen Pass hat!
Bereits 1990 hatten wir ein entsprechendes Gesetz zur Kommunalwahl in Schleswig-
Holstein, das zuließ, dass alle Bürger einer Stadt oder eines Dorfes auch dort wählen
können. Damals kassierte das das Bundesverfassungsgericht das Gesetz ein, und zwar
mit dem Verweis darauf, dass das Volk im Sinne des Grundgesetzes auf allen staatlichen
Ebenen allein aus deutschen Staatsangehörigen bestehe. Die Ausländer sollten also
schleunigst die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Das war damals bekanntlich
gar nicht so einfach. Darum wiesen die Verfassungsrichter auf eine entsprechende
Grundgesetzänderung hin, um Wahlrecht und Staatsangehörigkeit zu entkoppeln.
Dieses Signal zur Grundgesetzänderung griffen einige Initiativen auf, scheiterten aber
zuletzt 2007.
Zwischenzeitlich erhielten allerdings die EU-Bürger das kommunale Wahlrecht, weil das
in allen EU-Staaten so gehandhabt wurde. Das Prinzip der Gegenseitigkeit führte zu
einer entsprechenden Grundgesetzänderung. Artikel 28 gewährt ausdrücklich bei
Wahlen in Kreisen und Gemeinden denjenigen das passive und aktive Wahlrecht, die die
Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen.
Darüber hinaus hat die Direktwahl zum EU-Parlament eine weitere Änderung gebracht.
Die 99 deutschen Europaabgeordneten, die deutsche Interessen im Europa-Parlament
vertreten, werden von allen Erwachsenen gewählt, die in Deutschland wohnen,
unabhängig von ihrem Pass. Die einzige Einschränkung: es muss ein Pass eines der EU-
Staaten sein.
Damit wurde die Bastion der „demokratiewidrigen Fremdbestimmung“, die einige
Konservative immer noch im Wahlrecht für Nicht-Deutsche ausmachen, nach Meinung 3
aller Demokratieforscher ziemlich sturmreif geschossen. Seit der
Verfassungsgerichtsentscheidung 1990 sind wir in das transnationale Rechtssystem der
EU eingebunden, das ziemlich weitgehende Gesetzgebungskompetenzen hat. Das wird
ihnen jeder Schleswig-Holsteiner sofort bestätigen. Diese eingeführte Praxis hat
Konsequenzen auch für die kommunale und auch für die Landesebene. Es sind nämlich
keine Gründe zu erkennen, warum das Wohnsitzprinzip nicht auch bei anderen Wahlen
gelten soll.
In der Kommunalpolitik ist das doch rechtlich ganz einfach; schließlich erlassen Kreistage
keine Gesetze und Gemeindevertretungen schon gar nicht. Wir haben es auf der
kommunalen Ebene mit einer Selbstverwaltung zu tun, die alle betrifft, die dort wohnen,
und deshalb auch von allen mitbestimmt werden sollte.
Auf der Landesebene sieht das anders aus. Bisher galt für eine gesetzgebende
Versammlung – wie zum Beispiel dem Landtag – dass das Wahlrecht zu dieser
Versammlung nur für die Staatsbürger vorbehalten sei. Ob diese Rechtsauffassung
aufrecht erhalten werden kann, ist zumindest fraglich, seitdem EU-Bürger deutsche
Abgeordnete in das EU-Parlament entsenden können. Denn diese Abgeordneten haben
durchaus mit der Gesetzgebungskompetenz unseres Landtages vergleichbare
Befugnisse. Salopp gesprochen kann man sogar sagen, dass EU-Direktiven und EU-
Verordnungen oft tiefgreifendere Auswirkungen auf das Leben und auf das
Rechtssystem bei uns haben als es sich manch einer eingestehen will. Und deshalb ist es
eben auch fraglich, ob dann nicht auch EU-Bürger den Landtag mit wählen können,
wenn sie durch ihre Stimme für ihre Europaabgeordneten auch schon einen hohen
gesetzgeberischen Einfluss ausüben können.
Ich bin sehr optimistisch, dass sich in einem ersten Schritt das kommunale Wahlrecht für
Bürger aus so genannten Drittstaaten durchsetzen wird. Und dann werden wir sehen, ob 4
ein Wahlrecht zum Landtag für EU-Bürger auch möglich wird. Der SSW würde dies
begrüßen.

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