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Anke Spoorendonk zu TOP 2 - Regierungserklärung zur Bundeswehrstrukturreform
PresseinformationKiel, den 17. November 2011 Es gilt das gesprochene WortAnke SpoorendonkTOP 2 Regierungserklärung zur Bundeswehrstrukturreform 29 + 41 + 42 + 46 Drs. 17/1940, 17/1973, 17/1974, 17/1978Die Bundeswehrstrukturreform ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits befürworten wir na-türlich die Bestrebungen, die Truppe zu verkleinern. Sie wird in der Größe nicht mehr gebrauchtund es gibt genügend andere Bereiche, in denen das Geld besser ausgegeben werden kann.Andererseits ist die Bundeswehr, dort wo sie angesiedelt ist, eine Wirtschaftskraft und einStandortfaktor. Zehntausende Menschen im Land leben unmittelbar von Lohntüten der Bundes-wehr, die so jährlich fast eine Milliarde Euro nach Schleswig-Holstein trägt, und viele Menschenmehr verdienen ihren Lebensunterhalt, indem sie Waren und Dienstleistungen an Bundeswehr-angehörige und an die Bundeswehr verkaufen. Deshalb ist es ein tiefer Einschnitt, wenn 8 von 31Standorten und 10.700 von 26.000 Dienstposten in Schleswig-Holstein künftig wegfallen sollen.Man kann diskutieren, ob ein so harter Schlag für den Norden unausweichlich war, oder ob dieLandesregierung möglicherweise schlecht verhandelt hat. Der Ministerpräsident hat in seinerArgumentation für die Schleswig-Holsteinischen Standorte offensichtlich stark auf die Folgenfür den Katastrophenschutz fokussiert, der für unser Land von großer Bedeutung ist. Immerhin 2ist es auch gelungen, das Spezialpionierbataillon in Husum zu erhalten, das für den Küsten-schutz von großer Bedeutung ist. Ob diese starke Fokussierung insgesamt optimal gewesen ist,ist aber eine andere Sache. Es war von vornherein klar, dass Schleswig-Holstein vor tiefenEinschnitten steht, weil der Anteil der Soldaten an der Bevölkerung in unserem Land bundesweitSpitze ist. Trotzdem stellt sich die Frage, weshalb dann nicht in Mecklenburg-Vorpommerngenauso gekürzt wird, wo es eine ähnlich hohe Dichte an militärischen Dienstposten gibt.Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Strategie der Landesregierung nicht ganzaufgegangen ist. Aber Verteidigungsminister de Maiziere hat am 26. Oktober seine Entschei-dung verkündet und nun ist es die wichtigste Aufgabe der Landespolitik, zu sehen, wie wir mitden Tatsachen umgehen. Insbesondere in der nördlichen Hälfte Schleswig-Holsteins reißt derSchwerthieb des Bundesverteidigungsministers gewaltige Wunden, von denen die struktur-schwachen Regionen sich erst in Jahrzehnten vollkommen erholt haben werden, wennüberhaupt. Bekommt der Norden jetzt nicht die erforderliche erste Hilfe, wird er ausbluten.Die kommende Neustrukturierung der Bundeswehr ist nicht die erste Bundeswehrreform, diewir erleben, und wir kennen die Therapieverfahren zur Konversion von militärischen in zivileStandorte mittlerweile ganz gut. Unsere wichtigsten Instrumente sind die Unterstützung derbetroffenen Kommunen bei der Neuorientierung, die Wirtschaftsförderung, die Nutzung vonFörderprogrammen für Städte- und Wohnungsbau und Naturschutz sowie die Vermarktung derLiegenschaften. Aber auch wenn diese Heilmittel gut bekannt sind, gibt es kein Patentrezeptdafür, was lokal wirklich Heilung bringt.Welche Ideen Kommunen und Investoren für die Nutzung der verlassenen Bundeswehr-standorte haben und ob es überhaupt realistische Alternativen gibt, ist von Fall zu Fall ganzunterschiedlich. Es liegt noch auf der Hand, ein früheres Munitionsdepot als Lager für Feuer-werkskörper oder eine frühere Kaserne für den Wohnungsbau zu nutzen. Aber was macht manmit atomwaffensicheren Kommandobunkern 30 Meter unter der Erde? Große Kreativität ist 3gefragt. Das Land hat durch frühere Bundeswehrreformen insbesondere im Zuständigkeits-bereich des Wirtschaftsministeriums das Know-how und die Infrastruktur dafür entwickelt, dieKommunen bei der Entwicklung neuer Nutzungskonzepte zu unterstützen. Entscheidend ist indieser Phase, dass den klammen Gemeinden dabei geholfen wird, solche Planungen zu finan-zieren. Wirtschaftsminister de Jager hat zugesagt, dass die Mittel für Entwicklungsgutachten,Machbarkeitsstudien etc. noch aus dem laufenden Zukunftsprogramm Wirtschaft geschöpftwerden können. Daran werden wir die Landesregierung messen.Weit größere Sorgen bereitet uns die zweite Phase der Konversion, nämlich die Umsetzung derPläne. Der Wirtschaftsminister hat mit seinem Aktionsplan eine Liste mit „Best Practice“-Beispielen vorgelegt, die sich allesamt dadurch auszeichnen, dass neben der Förderung für diePlanung keine weiteren öffentlichen Mittel erforderlich waren. In vielen Fällen wird die Konver-sion ohne die Hilfe von Förderprogrammen für die Umsetzung aber nicht realisiert werdenkönnen. Wir brauchen dafür Geld, das wir nicht haben. Die Mittel des schleswig-holsteinischenZukunftsprogramms Wirtschaft reichen nur noch für Planungen und Konzepte und angesichtsder Schuldenbremse ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Landtag im Doppelhaushalt 2013/2014 wesentlich mehr Geld für das Zukunftsprogramm zur Verfügung stellen kann, um denneuen Konversionsstandorten erhöhte Förderquoten zu gewähren. Deshalb begrüßen wir dieForderung der Ministerpräsidenten nach einem Bundeskonversionsprogramm, das die Gleich-wertigkeit der Lebensbedingungen in den betroffenen Regionen retten soll. Schleswig-Holsteinmuss sich in Berlin vor allem auch dafür stark machen, dass die Bund-Länder-Gemeinschafts-aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ nach 2014 weiter geführt wird undKonversionsstandorten uneingeschränkt offen steht. Sowohl für die Bundes- wie für dieLandesförderung gilt: alle Konversionsstandorte müssen Priorität haben, das ist noch ent-scheidender als eine erhöhte Förderquote. In diesem Sinne muss die Landesregierung sich beimBund auch dafür einsetzen, dass ein GA-Ansatz für Konversion eingerichtet wird, der nicht aufdie allgemeine Quote der betroffenen Länder angerechnet wird. 4Sehr skeptisch stimmen den SSW die Aussagen im neuen Aktionsplan Konversion der Landes-regierung, dass künftig nur Standorte förderfähig sind, bei denen es sich um Komplettschlie-ßungen handelt und wo Liegenschaften noch nicht vermarktet wurden. Für die bisherigenKonversionsstandorte mögen diese Kriterien noch in Ordnung sein, auf die neuen dürfen sie aufkeinen Fall angewandt werden. Es gibt mehrere Standorte, die nicht komplett verlassen abertrotzdem massiv zu Ader gelassen werden. Gemeinden wie Boostedt, wo von 1980 Dienstpostennur 40 übrig bleiben, oder Oldenburg, wo 500 von 750 Stellen entfallen, werden auch erheblichgeschwächt und müssen ebenso die Chance haben, Hilfe zu bekommen.Die bisherigen Konversionserfahrungen haben gezeigt, dass eine der größten Komplikationenvom Staat selbst verursacht wird. Wie hinderlich es ist, wenn der Bund noch versucht, jeden Euroaus den Ex-Kasernen zu pressen, haben wir auf Sylt und in Schleswig erlebt. Wir haben Verständ-nis dafür, dass sich die Bundeswehr reformiert und dabei Standorte geschlossen werden müs-sen. Es kann aber nicht sein, dass der Bund noch versucht, sich mit den verlassenen Kasernenund Bunkern eine goldene Nase zu verdienen und damit lokale Lösungsansätze behindert. Diegeschlossenen Bundeswehrgelände müssen den betroffenen Kommunen weit unterhalb desVerkehrswerts, am besten nur zu einem symbolischen Betrag, zur Verfügung gestellt werden,um vor Ort einen Neuanfang zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang begrüßen wir auch dieForderung der Landesregierung, dass die Bundesagentur für Immobilienmanagement (BImA) dieKommunen dabei unterstützen soll, schwer vermittelbare Liegenschaften anzukaufen, indemsie Planungskosten, Gutachterkosten oder kommunale Förderanteile übernimmt.Zu einem ordnungsgemäßen Rückzug der Bundeswehr aus ihren Liegenschaften gehört natür-lich auch, dass sie sie nicht nur besenrein, sondern wirklich sauber hinterlässt. Deshalb unter-stützen wir die Forderung der Ministerpräsidenten, dass die Bundeswehr die gesundheits- undumweltgefährdenden Altlasten in Kasernengeländen, Munitionsdepots oder Truppenübungs-geländen befinden, auf eigene Rechnung beseitigen muss. Dies gilt ebenso für die Forderung,dass die BImA Liegenschaften zurückbauen muss, die nicht für eine Folgenutzung geeignet sind. 5Der Abzug der Bundeswehr hat einschneidende Folgen für die betroffenen Kommunen. Deshalbstehen sie im Zentrum der Konversionsstrategien. Bei der Bundeswehrreform geht es aber ummehr als die Bedeutung für das regionale Wirtschaftsleben. Es geht um zahllose Einzelschicksale.Die Reform ist eine tiefe Zäsur im Leben vieler Arbeitnehmer und Familien, die ihren Lebensmit-telpunkt in Schleswig-Holstein haben. Die Soldaten und vor allem die Zivilbeschäftigten müssenmöglichst eine Zukunft in der Region bekommen. Wenn dies durch die Verkoppelung mit Maß-nahmen zur Behebung des Fachkräftemangels erreicht werden kann, wie der Wirtschaftsmini-ster angeregt hat, ist es gut. Die meisten Zivilangestellten dürften davon aber kaum profitieren.Für sie muss es sozialverträgliche Lösungen geben. Wie in früheren Konversionsrunden wird derSSW darüber hinaus auch darauf aufmerksam machen, dass es für die Angehörigen der Minder-heiten besonders fatal ist, wenn sie in andere Regionen ziehen müssen. Außerdem liegt es unsbesonders am Herzen, dass die Bundeswehr ein wichtiger Ausbildungsbetrieb ist. Gerade für diestrukturschwachen ländlichen Regionen war es eine große Hilfe, dass die berufliche Ausbildungam Bedarf der Region ausgerichtet wurde. Wir fordern, dass die Bundeswehr auch in Zukunftdiese gesellschaftliche Aufgabe wahrnimmt und über den eigenen Bedarf hinaus ausbildet. Daüber die Ausbildungsstandorte noch nicht endgültig entschieden ist, muss die Landesregierungin dieser Frage noch einmal in Berlin vorstellig werden.Für die vielen betroffenen Arbeitskräfte ist es entscheidend, dass sich allgemein in derwirtschaftlichen Entwicklung der betroffenen Landstriche etwas tut. Die Bundeswehr wurdevielfach gezielt in den wirtschaftlichen Randlagen des Landes angesiedelt. Deshalb wird dieBundeswehrreform Schleswig-Holstein eine noch stärkere Schlagseite geben, die sich durchKonversion allein nicht auffangen lässt. Denn trotz aller Best-Practice-Vorbilder ist es offen-sichtlich, dass die bisherigen Konversionsrunden für viele ehemalige Bundeswehrstandortekeine Heilung gebracht haben. Ihnen ist allein durch eine ganzheitlichere Medizin zu helfen, dienicht nur lokal auf einzelne Standorte und Liegenschaften ausgerichtet ist. Die Landesregierungwill dem Ungleichgewicht begegnen, indem sie „soweit möglich“ nicht Landesbehörden in den 6betroffenen Regionen schließen will. Das ist richtig so, reicht aber nicht aus. Der SSW forderteine eigenständige, gezielte wirtschaftspolitische Strategie der Landesregierung für dieseRandlagen, die sich auch keine Hoffnung machen können, künftig von der wirtschaftlichenDynamik in und um Hamburg zu profitieren. Wenn das nördliche Schleswig, das östliche Hol-stein und die Westküste nicht zu abgelegenen Landstrichen werden sollen, wo man allenfallsnoch Touristen, Windräder und bedrohte Vogelarten unterbringt, dann muss es eine neueWirtschafts- und Regionalpolitik für diese Regionen geben. Ansonsten droht eine Spaltung, beider die Randlagen ganz von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt werden.Ein zentrales Element, wenn nicht gar DER zentrale Bestandteil einer solchen Strategie, ist eineHochschul- und Bildungspolitik, die ihre regionalpolitische Verantwortung annimmt. Bildungs-und Forschungseinrichtungen, die eng mit den Betrieben und Arbeitskräften verbunden sindund die eine Rolle als regionale Wachstumsmotoren übernehmen können, sind das Fundamenteiner nachhaltigen regionalen Entwicklung. – Das gilt übrigens nicht nur für Hochschulen,sondern auch für Berufsschulen. – Bildungseinrichtungen sind die Hefe, die Wirtschaft undArbeitsmarkt zum Gären bringt. Deshalb fordert der SSW, dass die Hochschulen auch außerhalbKiels in ihrer Existenz gesichert und weiter entwickelt werden. Etwas Besseres kann dieLandesregierung kaum tun, um die Wunden des Truppenabbaus dauerhaft zu heilen.Gerade weil der Werkzeugkasten für die Konversion überschaubar ist, ist der Dissens derParteien in diesen Fragen relativ gering. Diese Chance sollten wir nutzen, denn Geschlossenheitist die beste Medizin. Entscheidend ist jetzt vor allem, dass das Land sich auf Bundesebene Gehörverschafft. Gerade weil wir gewisse Zweifel an der Durchschlagskraft des Ministerpräsidentenund seiner Landesregierung im Bund haben, sollten wir nun die Kräfte im Land bündeln undgemeinsam die Interessen unseres Landes in Berlin vertreten. Das ist der beste Beitrag denRegierungsparteien wie Opposition leisten können, um den betroffenen Menschen undKommunen zu helfen. 7Rest:Die Investitionsbank Schleswig-Holstein berät zwar alle Kommunen bei der Prüfung von allge-meinen Nutzungsvorhaben, stellt ihnen aber die Beratungskosten in Rechnung, wenn dasFinanzministerium eine Förderung ablehnt. Auch hier wäre eine „kommunalfreundlichere“Lösung doch sehr wünschenswert.