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25.02.11
14:18 Uhr
SPD

Siegrid Tenor-Alschausky zu TOP 13: Politik muss sich nach der Lebenswirklichkeit richten

Es gilt das gesprochene Wort!
Kiel, 25. Februar 2011


TOP 13, Große Anfrage zur Situation alleinerziehender Mütter und Väter und deren Kinder (Drucksache 17/1043)



Siegrid Tenor-Alschausky:

Politik muss sich nach der Lebenswirklichkeit richten
Jede fünfte Familie mit Kindern ist heute in Deutschland eine Einelternfamilie. Diese Familien sind überdurchschnittlich von niedrigen Einkommen und Armut betroffen. Das sind bekannte Fakten. Doch wie sieht die Situation in Schleswig-Holstein aus? Welche Konzepte zur Problemlösung gibt es? Und welche Schwerpunkte setzt die Landesregierung?
Es wäre verfehlt, Alleinerziehende und ihre Kinder lediglich als soziale Problemgruppe wahrzunehmen. Aber alle Probleme – ob es um die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz oder um die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht – spitzen sich bei Alleinerziehenden besonders zu.
Unser Dank gilt denen, die an der Beantwortung der Großen Anfrage mitgewirkt haben, auch wenn leider festzustellen bleibt, dass viele Fragen mangels statistischer Erhebungen nicht beantwortet wurden.
Die wichtigsten Fakten: Die Zahl der Alleinerziehenden in Schleswig-Holstein variierte im Erfassungszeitraum von 2005 bis 2009 zwischen 84.000 und 89.000, 2009 waren 86% der Alleinerziehenden Frauen. Der größte Anteil liegt in der Altersgruppe von 35 bis 45 Jahren, gefolgt von den 45- bis 55jährigen. Betrachtet man jedoch einen längeren Bemessungszeitraum, so kann man den Anstieg des Anteils der Alleinerziehenden von 13,6% im Jahr 1996 auf 19,6% im Jahr 2009 beobachten. 2009 haben 64% der Alleinerziehenden 1 Kind, 29,2% 2 Kinder. 6.000 Alleinerziehende haben keinen Schulabschluss, aber auch 17.000 Hochschulreife. Als dramatisch empfinde ich die Tatsache, dass 23.000 Personen über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen; statistisch nur Frauen! 2



Und wie steht es um die Erwerbstätigkeit? 2/3 aller alleinerziehenden Frauen mit Kindern unter 18 sind erwerbstätig, sie arbeiten zu 34% Vollzeit im Gegensatz zu 23% bei Paarfamilien. Der Wunsch nach Erwerbstätigkeit ist deutlich höher: Mehr als die Hälfte der nicht erwerbstätigen Mütter würde gerne arbeiten. Wunsch und Wirklichkeit klaffen also weit auseinander! Alarmierend ist, dass Alleinerzeihende in Schleswig-Holstein schon 20% der arbeitslosen Frauen insgesamt ausmachen.
Gut 24.000 Bedarfsgemeinschaften von Alleinerziehenden gibt es in Schleswig-Holstein, das sind 55% der Bedarfsgemeinschaften, in denen Kinder leben! Nun kann man daraus ableiten, dass diese Befunde mit der Betreuungssituation der Kinder zu tun haben. Aber leider antwortet die Landesregierung auf eine entsprechende Frage: „Da keine statistischen Daten darüber verfügbar sind, wie viele Kinder von alleinerziehenden Müttern und Vätern in Kindertageseinrichtungen und Tagespflegestellen betreut werden, lässt sich auch ein darauf bezogener Bedarf bzw. Versorgungsgrad nicht ermitteln.“
Hier wären Fakten dringend erforderlich. Es erschließt sich mir nicht, wie die Landesregierung trotzdem zu der Aussage kommt, es seien „keine Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Gegenden bekannt“. Die Lebenswirklichkeit sieht anders aus und so ist es auch zu erklären, dass lediglich 15% der Alleinerziehenden im ländlichen Raum leben!
Es ließen sich jetzt noch weitere Erkenntnisse statistischer Art darstellen; zielführender ist es aber sicherlich, sich damit auseinanderzusetzen, welche Handlungsstrategien die Landesregierung entwickelt hat, um die Schwierigkeiten, vor denen Alleinerziehende bei der Bewältigung ihres Alltags stehen, zu überwinden.
Wer kümmert sich z.B. um die Arbeitsmarktintegration für Alleinerziehende? Hier wird zum einen berechtigterweise auf Angebote der ARGEN verwiesen, ansonsten aber auch auf die segensreiche Arbeit der Beratungsstellen „Frau und Beruf“. Ein Drittel der dort Ratsuchenden sind Alleinerziehende! Nach den jetzt von CDU und FDP beschlossenen Haushalten werden diese Beratungsstellen aber ihre Arbeit einstellen müssen! Wer tritt ein?
23.000 allein erziehende Frauen verfügen über keinerlei Berufsausbildung, dem gegenüber steht das Projekt Teilzeitausbildung mit 131 Teilnehmerinnen im Jahr 2009. Um es umgangssprachlich zu sagen: Ein Tropfen auf den heißen Stein! Dieses Projekt entspricht offensichtlich den Bedürfnissen der Betroffenen, eröffnet ihnen Chancen, sich und ihre Kinder längerfristig von Transferleistungen unabhängig zu machen. Engagiert sich die Landesregierung für eine Ausweitung des Projekts? 3



Alleinerziehende sind erwerbsorientiert, 61% sind erwerbstätig, doch viele können den Lebensunterhalt für sich und ihrer Kinder durch ihr Einkommen nicht sichern. Sie sind als „Aufstockerinnen“ auf ALG-II-Leistungen angewiesen. Auch Alleinerziehende, die nicht auf diese Unterstützung angewiesen sind, sind von Armut bedroht, 43% erzielen ein monatliches Nettoeinkommen von unter 1.500 Euro, der Anteil von Ehepaaren mit Kindern mit entsprechendem Einkommen liegt bei 6%!
Alleinerziehende sind in besonderer Weise auf die Unterstützung von Staat und Gesellschaft angewiesen. Sie leisten täglich mehr als andere, um ihren Alltag zu organisieren. Sie sind Leistungsträgerinnen und Leistungsträger unserer Gesellschaft. Aufgabe der politisch Verantwortlichen ist es, ihnen möglichst optimale Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen.
Um den eigenen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit sichern zu können, brauchen sie ein bedarfsgerechtes Angebot an Kinderbetreuungsplätzen und Ganztagsschulen! Vollzeitberufstätigkeit und Kita-Versorgung mit Halbtagsplätzen passen nicht zusammen! Auch jüngere schulpflichtige Kinder brauchen Angebote: Es mangelt an Hortplätzen, verlässliche Grundschulzeiten sind ein Fortschritt, reichen aber nicht aus. Auch das Angebot von mehr gebundenen Ganztagsschulen könnte die Chancen gerade auch Alleinerziehender auf existenzsichernde Arbeit verbessern.
Wir Sozialdemokraten treten dafür ein, nicht auf eine Ausweitung von individuellen Transferleistungen wie das „Betreuungsgeld“ zu setzen, sondern in einer gemeinsamen Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen für eine verbesserte Infrastruktur bei der Kinderbetreuung zu sorgen. Es müssen flexiblere Kinderbetreuungsangebote geschaffen werden, um die Vereinbarkeit von Kindererziehung und Arbeit auch dann zu gewährleisten, wenn Schicht-, Nacht- oder Wochenendarbeit geleistet werden muss. Hier sind auch die Arbeitgeber gefordert, denn wer künftig bei sinkendem Angebot von Fachkräften z. B. im Pflegebereich auf die häufig vorhandene Kompetenz Alleinerziehender setzen will, muss hier Hilfe bieten, z. B. durch Betriebskindergärten.
Wir brauchen mehr Engagement, auch von den politisch Verantwortlichen in Schleswig-Holstein! Es reicht nicht aus sich, wie in vielen Antworten auf unsere Fragen ersichtlich ist, auf gute Ansätze und Projekte früherer Regierungen zu berufen, ihnen dann vielfach die finanzielle Grundlage zu entziehen und auf die Herausforderungen der Zukunft keine Visionen zu entwickeln! 4



Die aktuellen Verhandlungen über ALG-II-Leistungen dürfen nicht stehen bleiben bei der existenzsichernden Höhe von Transferleistungen; wir brauchen existenzsichernde Löhne! Alleinerziehende sind zu 86% Frauen; sie sind besonders von der immer noch bestehenden Entgeltungleichheit betroffen. Wir brauchen gleichen Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit durch gesetzlich verbindliche Regelungen. Genau so brauchen wir mehr Möglichkeiten zur Teilzeitausbildung wie auch zur Anpassungsqualifizierung, wenn sich das Berufsbild des einmal erlernten Berufs verändert hat.Hier ist die Landesregierung gefordert, entsprechende Initiativen zu ergreifen, zu unterstützen und für Beratungsangebote zu sorgen!
Alleinerziehende brauchen nicht nur politische Erklärungen, sondern tatsächliche Unterstützung im Alltag. Für die SPD ist klar: Politik muss sich nach der Lebenswirklichkeit richten. Sie muss gute Rahmenbedingungen schaffen. Alleinerziehende haben mehr Sorgen und Ängste vor Armut, Arbeitslosigkeit und Einsamkeit als andere. Wir wollen, dass kein Kind, keine Mutter, kein Vater zurück bleibt!