Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

18.02.11 , 14:15 Uhr
B 90/Grüne

Marlies Fritzen zu ukrainischen Giftmüll-Lieferungen nach Brunsbüttel

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Stellv. Pressesprecher Dr. Jörg Nickel Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0178/28 49 591 presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 106.10 / 18.02.2011 Wer bewacht die Wächter? Mehr Transparenz bei Giftmülltransporten Zu den Antworten der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage über die ukrainischen Giftmüll-Lieferungen nach Brunsbüttel erklärt die umweltpolitische Sprecherin der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen, Marlies Fritzen:
Die Antworten der Landesregierung auf unsere Kleine Anfrage bestätigen, dass es massive Probleme und Ungereimtheiten bei der Abwicklung der Giftmülltransporte ge- geben hat. Weder ist bis heute klar, um welche Stoffe es sich handelt, noch wurden die Lieferungen ordnungsgemäß angemeldet und abgewickelt.
Zwischen Genehmigungsbehörde und Aufsichtsbehörde in Deutschland werden die In- formationen nicht lückenlos ausgetauscht.
Vor allem aber zeigte sich die SAVA als komplett unzuverlässiger Betreiber, der in un- verantwortlicher Weise Probleme bei der Lagerung von giftigem Müll so lange ver- schwiegen hat, bis es zu Bränden in Brunsbüttel und Lübeck gekommen ist. Erst als die Übermengen nicht mehr zu vertuschen waren, wurden diese der Genehmigungsbehör- de gemeldet. Ein unglaublicher Skandal!
Bei dem Betrieb von Sondermüllentsorgungsanlagen müssen höchste Standards gelten und auch eingehalten werden. Wir werden kritisch darauf achten, dass die Verbesse- rungsvorschläge des Ministeriums aus der vergangenen Woche auch umgesetzt wer- den.
Die Gesellschaft für die Organisation und Entsorgung von Sonderabfällen (GOES) ist für die Genehmigung und Überwachung der Transporte zuständig. Gesellschafter ist
Seite 1 von 2 neben dem Land Schleswig-Holstein und den Kommunen auch die Abfallwirtschaft. Im Aufsichtsrat der GOES sitzt der Geschäftsführer des Müllmonopolisten Remondis. Wir fragen uns: Wer bewacht die Wächter?
Ich fordere daher eine komplette Umstrukturierung der GOES, um die Verflechtung von hoheitlichen Aufgaben und wirtschaftlichen Interessen zu beenden.
Schließlich brauchen wir mehr Transparenz im Geschäft mit dem Müll. Alle aktuellen Transportgenehmigungen müssen öffentlich zugänglich und im Internet einsehbar sein.
Wir werden dazu einen Antrag in die Märztagung des Landtages einbringen.
Anlage: Kleine Anfrage



***



2 SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 17/1251 17. Wahlperiode 11-02-16



Kleine Anfrage der Abgeordneten Marlies Fritzen (Bündnis 90/Die Grünen) und
Antwort der Landesregierung – Ministerin für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume



Lieferung von giftigen Abfällen aus der ukrainischen Landwirtschaft


Vorbemerkung:
Im Zusammenhang mit unzulässigen Mengenüberschreitungen bei der Lieferung von giftigen landwirtschaftlichen Abfällen aus der Ukraine kam es am 09. und am 16. 01. 2011 zu Bränden in Lübeck und Brunsbüttel.
Im Rahmen der Information der umweltpolitischen SprecherInnen der Landtagsfrakti- onen hierüber durch die Ministerin für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume am 28. 01. 2011 wurde darauf hingewiesen, dass sowohl der Abgang als auch der Eingang der Transporte der Gesellschaft für die Organisation der Entsorgung von Sonderabfällen (GOES) angezeigt werden müssen. Die Aufgaben der GOES beste- hen nach Eigendarstellung in der „zentralen Erfassung, Kontrolle und Lenkung der Entsorgungsvorgänge mit dem Ziel der Optimierung der Vermeidung, der Verwertung und sonstigen Entsorgung der Sonderabfälle“ (www.goes-sh.de).

1. Liegen der Landesregierung mittlerweile Erkenntnisse darüber vor, welche Ab- fälle tatsächlich geliefert wurden? Wenn ja, um welche Stoffe handelt es sich im Einzelnen? Die gelieferten Abfälle wurden gem. Klassifizierungssystem der Vereinten Na- tionen für Gefahrgüter (UN-Nummer 2588) als Pestizid, fest, giftig, n.a.g. klas- sifiziert. Die Bezeichnung „n.a.g.“ (nicht anderweitig genannt) bedeutet, dass Drucksache 17/1251 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 17. Wahlperiode


das Material nicht eindeutig anderen UN-Nummern, die für genauer definierte Stoffe vergeben sind, zugeordnet werden kann. Es handelt sich bei den gelieferten Abfällen um Mischungen, bei denen weder die einzelnen Komponenten noch die Zusammensetzung näher bekannt ist.

2. Wurden die Abfälle auf Radioaktivität hin überprüft? Wenn ja, mit welchen Er- gebnissen? Wenn nein, warum nicht? Von dem Entsorger wurden Strahlenschutzmessungen an den gelagerten Fässern durchgeführt. Die Messwerte zeigten keine Auffälligkeiten und lagen im Bereich der mittleren natürlichen Strahlenbelastung in Norddeutschland. Die Radioaktivitätsmessungen werden bei den Fassbeprobungen fortgeführt.
3. Welche Schadstoffe wurden bei den Bränden freigesetzt? Gemäß Einsatzbericht der Feuerwehr Lübeck wurden noch während der Be- kämpfung des Brandes am 09.01.2011 in Lübeck, aber auch danach ver- schiedene Luftschadstoffmessungen durchgeführt. Die Messungen erfolgten direkt an der Brandstelle in der Halle 10 sowie auf dem Vorplatz, ca. 50 m von der Brandstelle entfernt. Es wurden zu keiner Zeit kritische Messwerte mit den eingesetzten Messver- fahren (Simultanteste mit verschiedenen Prüfröhrchen) festgestellt. Auch Un- tersuchungen des Löschwassers ergaben keine kritischen Messwerte.

Gemäß Einsatzdokumentation der Werkfeuerwehr wurde der Brand in der Umfüllstation in Brunsbüttel am 16.01.2011 von der Brandmeldeanlage sofort erkannt und von der automatischen Löschanlage unmittelbar gelöscht. Die Raumluft der Umfüllstation wurde bestimmungsgemäß über eine Sammelent- lüftung abgesaugt und als Verbrennungsluft der Verbrennungsanlage zuge- führt. Die sofort eingeleiteten Luftschadstoffmessungen durch Chemiker des Ent- sorgers und der Werkfeuerwehr ergaben während des gesamten Einsatzes keine messbaren Schadstoffkonzentrationen.

4. Wie kommt die Landesregierung zu der Auffassung, dass es im Zusammen- hang mit diesen Bränden keine Gesundheitsgefährdung für die Bevölkerung gab (vgl. Medieninformation des MLUR vom 25.01.2011)? Siehe Ausführungen zu Frage 3.

5. Wie sind die in Lübeck und Brunsbüttel gelagerten Abfälle gegen Zugriff von außen gesichert und sind diese Sicherungsmaßnahmen aus Sicht der Lan- desregierung ausreichend? Die Anlage in Lübeck ist durch eine ca. 2 m hohe Kombination aus Industrie- und Maschendrahtzaun mit Übersteigeschutz / Stacheldraht eingefriedet. Die Halle 4 ist zusätzlich durch ein Rolltor verschlossen.
2 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1251


Zur Feststellung von möglichen Unregelmäßigkeiten erfolgen außerhalb der normalen Betriebszeiten regelmäßig Rundgänge auf dem Betriebsgelände durch einen externen Wachdienst (Nacht- und Wochenend-Sicherheitsdienst). Durch den Betreiber wurden nach dem Ereignis vom 09.01.2011 die Rund- gänge durch den externen Wachdienst außerhalb der normalen Betriebszeiten verdichtet. Der Wachdienst überwacht bei seinen Rundgängen insbesondere den ordnungsgemäßen Zustand der Lagerung in den Hallen 4 und 10. Die Abfälle werden auf dem Betriebsgelände in Brunsbüttel so gelagert, dass kein direkter Zugriff von außerhalb möglich ist (Umzäunung, Schließeinrich- tungen, Kameraüberwachung). Der Betriebsbereich ist kontinuierlich über 24 h täglich mit Anlagenpersonal besetzt. Es werden regelmäßige Anlagenrund- gänge zur Überwachung durchgeführt. Durch den Betreiber wurden seit dem Ereignis vom 16.01.2011 zusätzlich durchgehend (24 h täglich) Rundgänge zur Überprüfung der Lagerung der Pestizide aus der Ukraine veranlasst. Eine behördliche Überprüfung in Lübeck im November 2009 kam zu dem Er- gebnis, dass ein hinreichender Schutz der Anlage vor dem Zutritt Unbefugter gewährleistet wird. Im Rahmen der vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) nach dem Ereignis veranlassten Sachverständigen- Begutachtung in Lübeck und Brunsbüttel ist auch der Schutz vor dem Zugriff Unbefugter einbezogen worden. In einer Kurzstellungnahme vom 08.02.2011 werden die getroffenen Maßnahmen aus der Sicht des Sachverständigen so- wohl für den laufenden Betrieb als auch für die befristete Zwischenlagerung von Pestiziden ukrainischer Herkunft als ausreichend eingestuft.

6. Welche Transporte aus der Ukraine (Abgang aus der Ukraine) wurden von wem und wann der GOES angezeigt? Wurden alle abgegangenen Transporte ordnungsgemäß angezeigt? Falls nein, auf wen ist dieses Versäumnis zu- rückzuführen? Die Transporte zur SAVA GmbH & Co. KG, Brunsbüttel, wurden wie folgt durch die „Notifizierende Person“, National Centre for Hazardous Waste Ma- nagement, Kiev, angemeldet: Transport-Nr. Anmeldedatum 1, 2 26.11.2010 3-8 09.12.2010 9 - 15, 25 10.12.2010 16 15.12.2010 34 - 41 22.12.2010 42 - 55 28.12.2010

Die Transporte wurden zu spät oder gar nicht angemeldet. Die Anmeldungen von drei Transporten (Trp. 17, 18 und 23) wurden der GOES von der SAVA 3 Drucksache 17/1251 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 17. Wahlperiode


erst mitgeteilt, als diese bereits eingetroffen waren. Neun Transporte (Trp. 33, 56 - 63) wurden gar nicht angemeldet. Der Empfang wurde der GOES durch die SAVA mitgeteilt. Die Transporte 19 – 22, 24 und 26 – 32 sind von der SA- VA bei der GOES angezeigt worden. Für das Versäumnis der verspäteten bzw. nicht angemeldeten Transporte ist allein die „Notifizierende Person“, National Centre for Hazardous Waste Ma- nagement, Kiev, verantwortlich.

Die Transporte zu REMONDIS Industrie Service GmbH & Co. KG, Niederlas- sung Lübeck, wurden wie folgt angezeigt: Am 28.12.2010 wurden bei der GOES sieben Transporte (Trp. 1-7) durch die Notifizierende Person, National Centre for Hazardous Waste Management, Kiev, angemeldet. Die Transportanmeldungen erfolgten zu spät. Für das Versäumnis der verspä- teten Transportanmeldungen ist allein die „Notifizierende Person“ verantwort- lich.

7. Welche Eingänge in Brunsbüttel und Lübeck wurden von wem und wann der GOES angezeigt? Wurden alle Eingänge ordnungsgemäß angezeigt? Falls nein, auf wen ist dieses Versäumnis zurückzuführen? Die Mitteilung des Empfangs der Abfälle in Brunsbüttel erfolgte bei der GOES durch den Anlagenbetreiber, die SAVA GmbH & Co. KG, für 43 Transporte fristgerecht und für 20 Transporte verspätet. Das Versäumnis ist auf den An- lagenbetreiber zurückzuführen. Die Eingänge für Transport 1 - 7 in das Zwischenlager Lübeck erfolgten bei der GOES durch die REMONDIS Niederlassung Lübeck. Die Mitteilung erfolg- te für alle Transporte fristgerecht.

8. Wann hat die GOES die Lieferungen gestoppt? Die GOES rügte bereits am 10.12.2010 den ersten Verstoß wegen verspäteter Anmeldungen. Im Laufe des Dezembers wurde die SAVA von der GOES im- mer wieder auf die Einhaltung der Verpflichtungen aus der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 (Verbringungsverordnung Abfall – VVA) hingewiesen. Ab dem 22.12.2010 wurde der GOES mitgeteilt, dass ein Mitarbeiter der SAVA vor Ort die Anmeldung koordinieren würde. Ab diesem Zeitpunkt konnte die GOES von einem Ende der Verstöße ausgehen. Nachdem die Probleme auch nach dem 22.12.2010 nicht endeten, drohte die GOES am 28.12.2010 an, einen so- fortigen Transportstopp zu verhängen. Diese Maßnahme wurde letztlich nicht umgesetzt, weil die Ukraine nach dem Jahresende keine weiteren Transporte mehr in die Wege leitete.



4 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1251


9. Wann hat die GOES die Notifizierung widerrufen? Die GOES hat am 20.01.2011 die Notifizierungen für die SAVA GmbH & Co. KG, Brunsbüttel und für die REMONDIS Niederlassung Lübeck widerrufen.

10. Wenn es zutrifft, dass nicht alle Transporte und Eingänge angezeigt wurden bzw. Eingänge angezeigt wurden, zu denen keine Transportmeldung vorlag, warum hat die GOES die Lieferungen nicht früher gestoppt? Siehe Ausführungen zu Frage 8.

11. Durch wen und wann erfolgte die Meldung, dass die genehmigten Mengen in Brunsbüttel überschritten wurden? Bei der aufgrund des vorhergegangenen Brandereignisses anberaumten Überwachung in Brunsbüttel am Dienstag, 18.01.2011, wurde durch das LLUR erstmalig festgestellt, dass eine erhebliche Übermenge an Abfällen auch auf hierfür nicht genehmigten Flächen lagerte. Eine Feststellung weiterer nicht genehmigter Lagerorte von Pestiziden aus der Ukraine erfolgte bei der Anla- genbegehung am 21.01.2011.

12. Waren bestimmte Transportwege vorgeschrieben und wenn ja, wurden diese eingehalten? Ja, der Transportweg ist Bestandteil der Notifizierung. Erkenntnisse, dass hiervon abgewichen wurde, liegen der Landesregierung nicht vor.

13. Nach einer Pressemitteilung der Landesregierung vom 25.01.2011 erfolgte die Lieferung der Abfälle im Rahmen eines internationalen Projektes. Um welches Projekt handelt es sich? Wer ist Träger? Wird dieses Projekt mit öffentlichen Mitteln gefördert? Falls ja, durch wen und in welchem Umfang? Die Angaben aus der Pressemitteilung, wonach es sich um ein internationales Projekt handele, haben sich nicht bestätigt. Nach Auskunft des Umweltministeriums der Ukraine erfolgt die Finanzierung der Entsorgung mit Haushaltsmitteln im Rahmen eines nationalen Programms zum Management gefährlicher Abfälle. Nähere Angaben hierzu liegen der Landesregierung nicht vor.



5

Download PDF

Pressefilter

Zurücksetzen