Serpil Midyatli zu TOP 49: Schleswig-Holstein muss für junge Menschen attraktiv bleiben
Es gilt das gesprochene Wort! Kiel, 28. Januar 2011TOP 49, Zukunftsperspektiven der jungen Generation in Schleswig-Holstein (Drucksache 17/1145, 17/1219neu)Serpil Midyatli: Schleswig-Holstein muss für junge Menschen attraktiv bleibenZunächst möchte ich mich bei allen bedanken, die an dem Bericht der Landesregierung beteiligt waren. Dem Bericht liegt die 16. Shell-Jugendstudie zugrunde, die als Ergebnis herausstellte, dass die Jugend von heute trotz Krise optimistischer in ihre Zukunft blickt als noch vor vier Jahren. Das freut mich sehr, denn jedes Kind soll das Leben und die eigene Zukunftsplanung als positive Herausforderung sehen und sich darauf freuen, was noch kommt.Soviel zum Positiven, denn die Gegenwart bleibt von großen sozialen Unterschieden und von der Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Chancen geprägt. Denn wenn man die Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien befragt, schaut nur noch einer von dreien zuversichtlich in die Zukunft.Die Studie stellt erneut fest: „Der Schulabschluss ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Und Deutschland gehört zu den OECD-Ländern, in denen die soziale Herkunft eines jungen Menschen noch immer maßgeblich für seine Bildungschancen ist. Da konnte es schon passieren, dass ein Lehrer bei der Grundschulempfehlung für die weiterführende Schule sagte: „Diesem Kind tue ich gar keinen Gefallen, wenn ich es fürs Gymnasium empfehle, weil ich weiß, dass es zu Hause nicht die Unterstützung bekommen wird, die es dafür braucht, also empfehle ich es für die Realschule“, und dasselbe spielt sich bei der Entscheidung zwischen Real- und Hauptschule ab.Unser Bildungswesen steht vor der Herausforderung, Nachteile aufgrund der sozialen Herkunft durch Bildungsgerechtigkeit auszugleichen, und deswegen haben wir vor vier Jahren unser Schulsystem umgebaut hin zu längerem gemeinsamem Lernen und individueller Förderung und ohne Aussortieren an die Hauptschulen. 2Aber was tut die Regierungskoalition jetzt? Sie leitet mit ihrem vorgestern beschlossenen Schulgesetz eine Kehrtwende ein, die auch im Widerspruch zu ihrem eigenen Bericht steht, indem die Gemeinschaftsschulen unattraktiver gemacht werden und das Grundprinzip des binnendifferenzierenden Unterrichts zur Disposition gestellt wird. Das ist die falscheste Antwort auf die Strukturmängel unseres Schulsystems, die es überhaupt geben kann, eine Kehrtwende, die zum Crash führen wird, wenn der Kurs nicht sehr schnell korrigiert wird.Wenn wir den hier vorgelegten Bericht isoliert betrachten, müssten wir alle hier im Grunde mit der geleisteten Arbeit der jetzigen Landesregierung recht zufrieden sein. Das können wir aber nicht. Wenn wir genauer hinschauen, sehen wir einerseits, dass der Bericht die Arbeit der vorherigen Landesregierung, nämlich der vorherigen Sozialministerin Dr. Gitta Trauernicht, der ehemaligen Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave und auch des Arbeitsministers Uwe Döring, auflistet. Mit dieser Arbeit sind wir sehr zufrieden. Denn die Konzepte, wie das Handlungskonzept Schule und Arbeitswelt, haben sich bewährt. Der Kinder- und Jugendaktionsplan hat viel angestoßen. Projekte in Kitas und Schulen wurden entwickelt, die inklusive Bildung vorangetrieben und Partnerschaften mit der Wirtschaft sind entstanden.Neue Konzepte, die die bewährten ergänzen, zeigt die jetzige Landesregierung jedoch nicht auf. Überhaupt haben CDU und FDP letztes Jahr eher alles schlimmer gemacht. Der von den regierungstragenden Fraktionen beschlossene Haushalt steht im klaren Widerspruch zu diesem Bericht. Es wurde bei den frühen Hilfen gekürzt, obwohl es gerade bei Kindern auf Prävention und frühe Förderung und Hilfe ankommt. Wir wollen doch gleiche Startchancen im Leben für alle Kinder. Dazu gehört auch eine beitragsfreie Kita, die Sie auch abgeschafft haben.Des Weiteren zeigt die Shell-Studie eine wunderbare Entwicklung auf, nämlich dass immer mehr Jugendliche sich gesellschaftlich engagieren. Das ist toll, das muss man unterstützen und nicht durch Kürzungen bei den Jugendverbänden und bei den Freiwilligendiensten gefährden. Gesellschaftliches Engagement eröffnet jungen Menschen die Chance persönlicher und beruflicher Orientierung. Es bietet neue Lernerfahrungen, vermittelt fachliche, soziale und interkulturelle Fähigkeiten. Die SPD will das stärken und die Jugendfreiwilligendienste ausbauen. Auch hierbei müssen sozial benachteiligte Jugendliche besser erreicht werden.Neben den Kürzungen bei den Jugendverbänden ist auch die Mitbestimmung der Jugendlichen in den Gemeinden in Frage gestellt worden. Dagegen haben wir uns im Landtag schon gewehrt. Wir wollen mehr gesellschaftliche Teilhabe durch Partizipation. In der Shell- Jugendstudie wurde hierzu auch die Absenkung des Wahlalters vorgeschlagen, was die SPD Forderung bestätigt. 3Von der Politik erwartet man, dass sie Entscheidungen trifft für die Menschen, für die Jugend in unserem Bundesland. Aber für die Jugend in Schleswig-Holstein wäre es besser gewesen, Schwarz-Gelb hätte keine Entscheidungen getroffen.Die Regierung kann sich auch nicht damit herausreden, dass die Kommunen für die Kinder- und Jugendhilfe zuständig ist. Falls Sie es nicht wissen sollten, sage ich es Ihnen noch einmal: Es ist eine rechtliche und politische Aufgage der Landesregierung, unter anderem neue Wege in der Kinder- und Jugendpolitik zu forcieren und zu finanzieren. Nichts, aber auch gar nichts ist Ihnen bisher dazu eingefallen: Nur kürzen bei den Kurzen – eine erbärmliche Bilanz! Auf der Bundesebene wird zurzeit ein Bundeskinderschutzgesetz wieder diskutiert. Uns würde dazu von Minister Dr. Garg interessieren, wie die Landesregierung sich dazu verhalten wird.Damit die Jugendpolitik in diesem Land wieder vorankommt, hat die SPD-Landtagsfraktion einen umfangreichen Antrag gestellt mit allen bedeutenden Handlungsfeldern. Wichtig ist dabei, dass diese Politik ressortübergreifend geschieht. Alle müssen an einem Strang ziehen. Die SPD bleibt dabei auch der bisherigen Linie treu und möchte die bewährten Konzepte fortführen und weiterentwickeln.Schule und Ausbildung sind für die Zukunft der jungen Menschen das A und O. Zum Thema Kita und Schule kennen Sie unsere Position. Dazu haben wir ausführlich am Mittwoch debattiert. Wir müssen unbedingt die benachteiligten Jugendlichen mitnehmen. Dazu gehört auch die bedarfsgerechte Versorgung mit Sozialarbeit an Schulen und Berufsschulen. Des Weiteren ist die berufliche Integration noch weiter zu verbessern, bis jeder Jugendliche eine Chance auf einen Ausbildungsplatz hat.Weitere Bereiche sind der Kinderschutz und die Gesundheitsförderung, denn wir wollen, dass unsere Kinder gesund aufwachsen. Zu einer guten Lebensperspektive gehört die physische und psychische Gesundheit. Mit Präventionskonzepten müssen wir dies unterstützen.Zudem müssen wir die Medienkompetenz als politisches Handlungsfeld entdecken. Fast alle Kinder sind heute im Internet unterwegs. Wir müssen den jungen Menschen einen kritischen Umgang mit den Medien vermitteln und über die Gefahren und den Datenschutz aufklären. Die SPD-Landtagsfraktion ist mit ihrer Großen Anfrage aktiv geworden und wird in den Diskussionen das Thema Medienkompetenz weiter vorantreiben.Als letzten Punkt haben wir den Generationendialog aufgegriffen, da die Shell-Studie auch herausstellte, dass mehr als die Hälfte der Jugendlichen das Verhältnis zwischen Jung und Alt 4als eher angespannt sieht. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels muss man einem Generationenvorbehalt entgegenwirken und das Miteinander stärken.Die Jugendlichen haben heute viel mehr Möglichkeiten, was ihre Ausbildung angeht, als die Generationen zuvor. Sie sind in der globalen Welt ihrer Möglichkeiten längst angekommen. Sie planen Auslandssemester in Mittel- oder Nordamerika oder ein Praktikum in England oder Spanien. Es ist toll, dass die Jugendlichen all diese Möglichkeiten haben und sie auch nutzen. Wir wollen sie bei all ihren Plänen unterstützen. Es ist aber auch wichtig, dass dann die gut ausgebildeten jungen Menschen, reich an Erfahrungen und neuen Ideen, zurück nach Schleswig-Holstein kommen. Dieser Punkt muss bei der Zukunftsperspektive mitgedacht werden. Schleswig-Holstein muss für junge Menschen attraktiv bleiben.Ich freue mich sehr, all diese vielen Punkte mit Ihnen zu diskutieren, und hoffe auf eine breite Unterstützung für unseren Antrag.