Wolfgang Baasch zu TOP 1: Die Ursachen von Armut wirksam bekämpfen!
Es gilt das gesprochene Wort! Kiel, 6. Oktober 2010TOP 1, Aktuelle Stunde zur Berechnung der Regelleistung nach ALG II der BundesregierungWolfgang Baasch: Die Ursachen von Armut wirksam bekämpfen!Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 09. Februar 2010 wurde die Politik vor eine große Herausforderung gestellt. Die Bundesregierung und der Gesetzgeber, der Bundestag, wurden in die Verantwortung genommen, gerechte Teilhabechancen für Kinder von langzeitarbeitslosen Eltern sicherzustellen. Schaut man sich das Ergebnis, den vorliegenden Referentenentwurf zur Neubestimmung der Regelsätze im SGB II an, bleibt festzuhalten: Das Verfahren der Bundesregierung zur Neubestimmung der Regelsätze zeichnet sich durch politische Trickserei aus. Das vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte menschenwürdige Existenzminimum wird nicht umgesetzt, sondern es wird nach Kassenlage des Bundes eine Erhöhung der Regelsätze vorgenommen. Dieser Weg der Bundesregierung ist eine Beleidigung der Rund 7 Mio. Hilfeempfänger im ALG II und in der Sozialhilfe und nicht zuletzt des Bundesverfassungsgerichtes, das ein transparentes und sachlich einwandfreies Verfahren gefordert hat. Um das politisch gewünschte Ergebnis zu erreichen, wurde statistisch getrickst.So wurden aus der maßgeblichen Referenzgruppe „Haushalte mit Erwerbseinkommen und ergänzendem Hartz IV-Bezug“, sogenannte Aufstocker nicht herausgerechnet. Bei den Alleinstehenden werden sogar nur die untersten 15 % der Einkommenspyramide als Bezugsgruppe genommen. Dieses Vorgehen der Bundesregierung untermauert die Feststellung: Hier wird Politik rein nach Kassenlage betrieben. Mit dieser Politik nach Haushaltslage und nicht, wie vom Bundesverfassungsgericht klar verlangt, nach den Bedürfnissen der Betroffenen, setzt die Bundesregierung den sozialen Frieden aufs Spiel. Mehrere 100 Mio. € werden für Hoteliers zum Fenster hinausgeworfen, aber für diejenigen, die es wirklich benötigen, wird jeder Cent in den Berechnungen zweimal umgedreht.Diese Politik ist unsozial, sie erhöht das Armutsrisiko und spaltet die Gesellschaft. Und wenn diese Bundesregierung sich dann auch noch mit dem Erfolg brüstet, dass sie bei den 1 Kinderregelsätzen ja eigentlich hätte kürzen müssen, zeigt dies nur, wie weit sich diese Bundesregierung von der sozialen Lage in diesem Land entfernt hat. Von der Bundesregierung ist zu verlangen, dass sie die notwendigen Daten, die Basiszahlen zur Regelsatzbemessung, offen vorlegt. Wir Sozialdemokraten fordern, die Bildung und Teilhabe für alle Kinder zu stärken. Das heißt für uns, wir brauchen einen Bildungspakt statt Mogelpäckchen. Das Existenzminimum gerade von Kindern und Jugendlichen zeichnet sich auch durch einen Anspruch auf gute Bildung und gesellschaftliche Teilhabe aus. Das von der Bundesregierung vorgestellte Bildungspaket wird diesen Anforderungen aber in keiner Weise gerecht. So gilt dieses sogenannte Bildungspaket nur für Kinder von Eltern im Arbeitslosengeld II-Bezug. Und die Bundesregierung beabsichtigt, das Schulstarterpaket von 100 € für Familien, die nicht im Hartz IV-Bezug sind, jedoch auf Grund ihres niedrigen Einkommens einen Kinderzuschlag erhalten, zu streichen. Ein Vorhaben, das es auf jeden Fall abzulehnen und zu verhindern gilt.Und es ist allen Ernstes zu hinterfragen, wie mit einem Minibetrag von 120 € pro Kind und Jahr gerechte Teilhabe an Bildung, Sport und Kultur sichergestellt werden soll. Dieser Betrag ist nicht ausreichend. Und völlig abwegig ist der Vorschlag der Bundesregierung, in Zukunft die Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung, der Jobcenter, über die Nachhilfe oder Förderbedarf von Kindern entscheiden zu lassen. Gilt doch die allgemeine Feststellung: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen und sie sind erst Recht keine kleinen Arbeitslosen. Von daher ist es völlig unverständlich, warum Familienlotsen in den Jobcentern anstatt der Jugendhilfe für die gesellschaftliche Teilhabe der Kinder an Bildung, Sport, Musik und Kultur zuständig sein sollten. Hier muss der Grundsatz gelten: Die Ermittlung und Entscheidung über die Bedürfnisse der Kinder muss von Fachleuten der Jugendhilfe getroffen werden. Dazu müssen die örtlichen Jugendämter und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestärkt werden.Die Jugendämter müssen auch weiterhin für arme Kinder zuständig sein und dürfen ihre Kompetenzen nicht an die Jobcenter abtreten. Wer die Bildung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen fördern und ausbauen will, muss bedarfsgerechte Regelsätze für Kinder und Jugendliche schaffen. Aber genauso notwendig ist es, den Städten und Gemeinden sowie den Bundesländern ausreichend finanzielle Mittel zu geben, um die Bildungsinfrastruktur mit Kindertagesstätten, Familienbildungsstätten und Ganztagsschulen, die auch ein warmes Mittagessen anbieten, zu verbessern bzw. auszubauen. Städte und Gemeinden müssen in die Lage versetzt werden, dafür ausreichend qualifiziertes Personal vorzuhalten. Dazu gehören insbesondere auch Schulsozialarbeiterinnen an den Schulen, die besondere Integrationsleistungen erbringen müssen. 2 Und natürlich gehört in diesen Kontext auch, die Gebührenfreiheit von Kindertagesstätten ebenso zu erreichen wie die Lehr- und Lernmittelfreiheit beizubehalten bzw. sicherzustellen. In diesem Zusammenhang ist es kontraproduktiv, wenn die schwarz-gelbe Landesregierung hier im Haus die Gebührenfreiheit des dritten Kita-Jahres wieder streicht. Und ebenso kontraproduktiv ist es, wenn die Landesregierung per Haushaltsbeschluss die Kommunen zwingt, die Eltern wieder mit Schülerbeförderungskosten zu belasten.Anstatt die Eltern in Schleswig-Holstein zu belasten, wäre Engagement der Landesregierung angebracht, auf die Bundesregierung einzuwirken, Städte, Gemeinden und Bundesländer beim Ausbau der Bildungsinfrastruktur zu unterstützen. Die Bundesregierung kann die dafür benötigten finanziellen Mittel in Höhe von fünf Mrd. € bereitstellen, wenn sie den Kommunen und Ländern die Steuerausfälle durch das Hotelier-Begünstigungsgesetz ersetzt und auf die Finanzierung von Bildungs-Chip-Karten ebenso verzichtet wie auf die Einführung eines Betreuungsgeldes für Kinder, die nicht in die Kindertagesstätte gehen. Die sogenannte Herd- Prämie, das Betreuungsgeld für Kinder, die nicht in die Kindertagesstätte gehen, ist ebenfalls kein Beitrag zur Förderung von Bildung und Teilhabe bei Kindern. 3