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Marret Bohn zu den Auswirkungen des BVerfG-Urteils über die Regelleistungen nach SGB II
PresseinformationEs gilt das gesprochene Wort Landtagsfraktion Schleswig-Holstein TOP 27 – Regelleistungen nach SGB II Pressesprecherin Claudia Jacob Dazu sagt die sozialpolitische Sprecherin Landeshaus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Marret Bohn: Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 102.10 / 24.02.2010Regelleistungen müssen individuell ermittelt werdenAm 9. Februar hat das höchste deutsche Gericht der langen Debatte über die Kinder- regelsätze ein Ende gesetzt. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, die Regelleistun- gen müssen an ihre individuellen Bedürfnisse angepasst werden. Auch die Regelleis- tungen für Erwachsene zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums müs- sen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht und nach- vollziehbar ermittelt werden.Zum Erstaunen vieler, die die Pauschalierung für eine kluge Lösung gehalten haben, wird zukünftig ein zusätzlicher Leistungsanspruch für darüber hinausgehende, laufen- de, nicht einmalige besondere Bedarfe festgelegt.Aus Sicht meiner Fraktion ist es für die Familien in Schleswig-Holstein wichtig zu erfah- ren, welche Konsequenzen dieses Urteil konkret für sie hat. Dabei – und ich denke, da sind wir uns einig – sind Bildungs- und Gesundheitsausgaben besonders wichtig. Wer- den jetzt die Fahrten im Schulbus oder die Schulbücher finanziert? Werden für Kinder mit Neurodermitis nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel übernommen?Nach aktuellen Zahlen beziehen 232.000 Schleswig-HolsteinerInnen Arbeitslosengeld II, davon 74.000 Kinder und Jugendliche. Sie haben nach unserer Verfassung einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Und zum Existenzminimum gehört nicht nur die physische Erhaltung, sondern ebenso die soziale, kulturelle und po- litische Teilhabe. Seite 1 von 2 Unterm Strich ist es unmöglich, diese Vorgaben kostenneutral zu erfüllen. Aber genau das ist die Marschrichtung, die einige UnionspolitikerInnen jetzt vorgeben wollen. Das kann nicht funktionieren. Ausgaben für Härtefälle, deren besondere Bedarfe bisher nicht berücksichtigt worden sind – die aber unabweisbar bestehen – kosten zusätzli- ches Geld. Pauschalen, die nicht das gesamte Existenzminimum abdecken, sind zu niedrig. Sie müssen erhöht werden und das kostet ebenfalls Geld.Im Zweifelsfall muss umgeschichtet werden im Haushalt. Hinter gesetzlich normierte Sozialleistungen stehen individuelle Rechtsansprüche. Sie sind keine unbegründeten Almosen. Und die Armut in Deutschland steigt. Das hat uns die neuste DIW-Studie bestätigt: jeder siebte Deutsche und damit 11, 7 Millionen Menschen leben an der Ar- mutsgrenze.Dabei handelt es sich nicht nur um SGB II- EmpfängerInnen, sondern auch um Gering- verdienerInnen. Menschen, die weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkom- mens zur Verfügung haben. Hier wird ein weiteres Problem sichtbar: das Lohnabstand- gebot. In der aktuellen Debatte wird dabei viel durcheinander geworfen.Beschäftigen Sie sich mit der aktuellen Studie des Instituts für Arbeit und Qualität zum Mindestlohn. Tatsache ist: Wer SGB II-Leistungen bezieht und zusätzlich geringfügig arbeitet, der hat mehr Geld, als wenn er dies nicht täte. Wer trotz vollschichtiger Er- werbstätigkeit sehr wenig verdient, hat ergänzenden Anspruch auf SGB II-Leistungen oder Kindergeldzuschlag und Wohngeld. Nur wer diese Möglichkeiten nicht ausschöpft, hat trotz Arbeit weniger Geld als ohne.Die Lösung des Problems ist aber nicht, die Regelsätze zu kürzen. Die richtige Lösung muss dafür sorgen, dass jeder der vollschichtig erwerbstätig ist, von seinem Einkom- men leben kann. Alles andere ist unsozial und ungerecht. Und genau deshalb brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn. Aber das lehnen FDP und CDU strikt an.Ein letztes Wort zum so genannten Härtefallkatalog. Der Ansatz des BMA, den Mitar- beiterInnen in den Jobcentern eine Orientierung für den Umgang mit der beginnenden Antragswelle zu geben, ist richtig aber auch gefährlich. Eine exemplarische Auflistung möglicher unabweisbarer individueller Ansprüche kann und darf die Überprüfung im Einzelfall nicht ersetzen. Und der Katalog darf in keinem Fall abschließend sein. Dass würde eine weitere Welle von Widersprüchen und Klagen nach sich ziehen.Geben wir die Hoffnung nicht auf. Lassen wir eine wirkliche Expertenkommission – oh- ne politische Verbundenheiten – arbeiten. Entscheiden wir dann, was menschenwürdig, Existenz sichernd und Bedarfs deckend ist. Wir wollen, dass die Familien, die von SGB II-Leistungen leben, erfahren, welche Leistungen zusätzlich übernommen werden. *** 2