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23.07.09 , 14:01 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zum Atomkraftwerk Krümmel

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Es gilt das gesprochene Wort Pressesprecherin Claudia Jacob TOP 1A und 31 – Atomkraftwerk Krümmel Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Telefon: 0431 / 988 - 1503 Dazu sagt der Vorsitzende der Fraktion Fax: 0431 / 988 - 1501 Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172 / 541 83 53
Karl-Martin Hentschel: presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 318.09 / 23.07.2009

Nein zur Gefährdung von Millionen! Das AKW Krümmel muss stillgelegt werden
Sehr geehrter Herr Präsident , sehr geehrte Damen und Herren!
Heute geht es um drei Fragen: Ist der Betreiber Vattenfall noch zuverlässig? Ist der Reaktor sicher zu betreiben? Welche Konsequenzen muss die Regierung daraus ziehen?
Dazu eine kurze Chronik der letzten acht Jahre:
2002: Nach unerklärbaren Messergebnissen im AKW Brunsbüttel dauert es Monate, bis das Ministerium gegenüber dem neuen Betreiber Vattenfall durchsetzen kann, dass der Re- aktor untersucht wird.
Ergebnis: Durch eine Wasserstoffexplosion war eine Rohrleitung geplatzt. Der Reaktor stand daraufhin eineinhalb Jahre still.
Damals wurde zum ersten Mal die Zuverlässigkeit des Betreibers Vattenfall in Frage gestellt.
Um die Zuverlässigkeit wieder herzustellen, musste das gesamte leitende Personal ausgetauscht werden. MitarbeiterInnen mussten nachgeschult werden. Abläufe und Dokumentationen wurden überarbeitet und technische Änderungen wurden vorgenom- men.

Seite 1 von 6 2003: Bei der periodischen Sicherheitsüberprüfung des AKW Brunsbüttel wurde eine Mängel- liste von 600 Punkten erstellt. Von diesen waren vier Jahre später über 200 Punkte im- mer noch nicht abgearbeitet. Vattenfall weigerte sich drei Jahre lang, entgegen der Umweltinformationsrichtlinie der EU, diese Liste zu veröffentlichen.
September 2006: Unfall im AKW Forsmark in Schweden – bis heute der größte Unfall in einem AKW in Westeuropa.
Durch einen Kurzschluss in einem Trafo wurde der Reaktor vom Netz getrennt. Darauf erfolgte eine Schnellabschaltung. Danach versagten Teile der Notstromversorgung und das Notkühlsystem konnte nicht die volle Leistung bringen. Außerdem fiel die zentrale Reaktorkontrolle aus.
Erst nach 20 Minuten gelang es per Handschaltung die Notstromdiesel zu starten und den Reaktor wieder unter Kontrolle zu bekommen. Zu diesem Zeitpunkt war nach Aus- sage des Chefkonstrukteurs Höglund der Reaktor kurz vor der Kernschmelze.
Wieder informierte Vattenfall die Öffentlichkeit und die Behörden zum Teil falsch, zu spät und nicht umfassend. Der interne Vattenfall-Bericht hat der Mannschaft des AKW Forsmark eine völlig unakzeptable Sicherheitskultur bescheinigt.
In Deutschland erklärt Vattenfall, ein vergleichbares Ereignis sei in Brunsbüttel oder Krümmel nicht möglich. Später musste Vattenfall einräumen, dass diese Aussage so nicht stimmte.
Oktober 2006: Im AKW Biblis müssen über 7.000 falsche Dübel ausgetauscht werden. Alle anderen AKWs werden auf falsche Dübel untersucht. Die Überprüfung in Krümmel und Bruns- büttel ergibt angeblich keine Hinweise auf falsche Dübel.
Oktober 2006: Im AKW Ringhals in Schweden – ebenfalls von Vattenfall betrieben – brennt ein Trafo und explodiert anschließend.
Und dann kam der 28. Juni 2007: Es begann mit einem Kurzschluss in der Schaltanlage des AKW Brunsbüttel. Es erfolgt eine automatische Schnellabschaltung. Außerdem wird ein Brennstab zu langsam ein- gefahren und ein Schwelbrand im Bereich der Turbine musste durch Feuerlöscher ge- löscht werden. Das waren allein drei unabhängige Fehler in Brunsbüttel an diesem Ta- ge.
Zwei Stunden später brennt im AKW Krümmel in einer Trafostation die Kühlflüssigkeit. Fehler Nr. 4 an diesem Tag. Ob dieser Brand durch die Netzschwankung in Folge der Schnellabschaltung von Brunsbüttel verursacht war, ist bis heute ungeklärt.
Dann drangen Brandgase in den Leitstand des AKW - Fehler Nr. 5. Aufgrund eines Be- dienungsfehlers wird auch der zweite Trafo von Krümmel ausgeschaltet. Fehler Nr. 6.
Damit war Krümmel im gleichen Zustand wie das AKW Forsmark vor dem Beinahe- GAU im Jahre 2006. Die automatische Schnellabschaltung des Reaktors wurde gestar- tet. Allerdings funktionierten die Notstromdiesel.
2 Nun fiel jedoch eine Speisewasserpumpe aus. Der Kühlwasserstand fiel erheblich ab. Fehler Nr. 7. Nach sieben Minuten sprang zum Glück das erste automatische Wieder- einspeisesystem an.
14 Minuten später dann Fehler Nr. 8: Ein Mitarbeiter öffnete irrtümlich zwei Ventile von Hand. Der Wasserstand im Reaktordruckbehälter sinkt erneut um zwei Meter. Das zweite automatische Hochdruckeinspeisesystem springt an und rettet die Situation.
Dann Fehler Nr. 9: Es kommt zu einem kurzfristigen Ausfall der Eigenstromversorgung des AKW. Auch die Datensicherung in der Kontrollwarte fällt aus - Fehler Nr. 10.
Aber damit nicht genug: Obwohl Dioxin in der Abluft gemessen wurde, wurde weder die Bevölkerung noch die eingesetzte Feuerwehr über diese Giftgase informiert. Und die zuständigen Katastrophenschutzbehörden der benachbarten Landkreise wurden erst gar nicht benachrichtigt.
Meine Damen und Herren, wer nach all diesen Vorkommnissen sich hinstellt, und eine Verlängerung der Laufzei- ten fordert, hat nichts begriffen. Die Behauptung, solche Anlagen seien hundertprozen- tig sicher, ist ein frommer Glaube, Herr Carstensen.
Doch zurück zu Vattenfall: Im anschließenden Bericht verschweigt Vattenfall zunächst alle Bedienungsfehler des Personals und behauptet wahrheitswidrig, der Reaktor sei von dem Unfall gar nicht be- troffen gewesen. Mehrere Anträge von Vattenfall, Krümmel in den nächsten Tagen wie- der anzufahren, mussten von der Ministerin gestoppt werden.
Brunsbüttel wird hochgefahren, produziert innerhalb von drei Wochen mindestens vier neue Störfälle und geht dann wieder vom Netz. Unter anderem bestand wieder mal Explosionsgefahr, weil sich Wasserstoff gebildet hatte.
Und dann eine weitere unglaubliche Feststellung: Bei den folgenden Untersuchungen wird festgestellt, dass sowohl in Krümmel als auch in Brunsbüttel doch falsche Dübel eingebaut waren.
Meine Damen und Herren, Erneut wird die Zuverlässigkeit von Vattenfall in Frage in Frage gestellt. Wieder einmal musste das leitende Personal gehen – diesmal sogar der Konzernchef von Vattenfall Europe.
Der Ministerpräsident Carstensen forderte „absolute Offenheit“. Dann erklärte er aber, jüngste Erklärungen lassen hoffen, dass Vattenfall Fehler eingesehen habe und diese nicht wiederholen wolle. Das war genau vor zwei Jahren. Seither standen dann beide Meiler still.
Doch auch während des Stillstandes kam das AKW Krümmel nicht aus den Schlagzei- len:
Juli 2007: Leckage im Turbinenbereich Februar 2008: Schwelbrand in der Lüftungsanlage August 2008: Ausfall von vier Pumpen des Nebenkühlwassersystems und Ausfall eines Notstromdiesel
3 März 2009: Automatische Abschaltung eines Notstromtransformators.
Und was dann nach dem Wiederanfahren von Krümmel am 19. Juni passierte, hat uns die Regierung gerade berichtet.
Meine Damen und Herren, unser Vertrauen in diese Firma ist erschöpft. Es geht um die Gesundheit und Sicherheit von Millionen Menschen.
Es ist Zeit festzustellen, dass Vattenfall nicht zuverlässig ist.
Die Ministerin hatte erklärt, dass sie das jetzt prüfen will. Bravo!
Aber unser Ministerpräsident hat erneut erklärt, er gibt Vattenfall noch eine einzige Chance. Dann würde er aber persönlich dafür sorgen, das Krümmel für immer abge- schaltet werde.
Im Klartext: Unser gutmütiger Ministerpräsident hat wieder mal die Zuverlässigkeit von Vattenfall bescheinigt, bevor sie überhaupt geprüft wurde. Das klingt markig – ist aber in Wirklichkeit ein Persilschein!
Der markige Satz ist aber noch in anderer Hinsicht erstaunlich. Sagte uns doch die Mi- nisterin ständig, dass eine endgültige Stilllegung aufgrund des laxen Atomgesetzes nicht möglich ist.
Weiß also der Ministerpräsident mehr? Oder hat er nur wilde Sprüche in die Luft gebla- sen, die keinerlei rechtliche Grundlage haben? Herr Carstensen: Ich erwarte von Ihnen hier und heute Antworten!
Aber kommen wir zur zweiten Frage: Sind die Reaktoren Krümmel und Brunsbüttel noch sicher zu betreiben?
Dazu zwei Aussagen: Der frühere Konstruktionsleiter des AKW Forsmark, Lars Olof Höglund, erklärte nach dem Transformatorbrand in Krümmel 2007, dass seit mehr als 20 Jahren nicht mehr genügend in die Atomkraftwerke investiert wurde.
Der Reaktorexperte des Ökoinstituts, Michael Sailer, sagte: Die Anlagen seien auf Grund der aus Sicherheitsgründen durchgeführten technischen Änderungen von den Reaktormannschaften schwieriger zu überblicken. Da die erste Generation der Be- triebscrews oft aus Altersgründen bereits ausgeschieden sei, fehlten zunehmend Kenntnisse aus der Zeit der Inbetriebnahme.
Die häufigen Unfälle sind also nicht Zufall!
Ursache sind die Veralterung der Anlagen und Materialien, die im Laufe der Zeit spröde werden und immer neue Änderungen und Reparaturen, die die Anlagen undurchschau- barer und schwerer zu bedienen machen. Die Folge sind Materialschäden und Bedie- nungsfehler.
Bei einer Notabschaltung, also einer Vollbremsung, die den Reaktor maximal unter Stress setzt, passiert dann Folgendes: Es treten jedes Mal reihenweise Folgestörungen auf. Und es kommt aufgrund der Hektik zu Bedienungsfehlern. In der Folge entstehen dann regelmäßig kritische Situationen.
4 Egal was man von Atomkraft hält: Diese Anlagen sind nicht sicher kontrollierbar. Diese Anlagen dürfen nicht wieder anfahren und müssen endgültig vom Netz!
Und damit komme ich zu der dritten Frage: Was ist zu tun?
Ich fordere Ministerium und Vattenfall auf, alle Fakten auf den Tisch zu legen.
Vorletzte Woche wurde groß verkündet, nun würden neue Transformatoren bestellt. Nach meinen Informationen sind die Trafos schon im letzten Jahr ausgeschrieben wor- den und längst bestellt. Wieder mal werden wir von Vattenfall an der Nase herumge- führt.
Auch die Geschichte mit dem fehlenden Einbau des Messgeräts für Teilentladungen der Trafos ist mysteriös. Wieso wurde das nicht kontrolliert, obwohl Messungen mit solchen Geräten vor zwei Jahren ergeben hatten, dass die Trafos an der Grenze der Funktions- fähigkeit waren?
Wusste das Ministerium davon, dass das das Messgerät nicht installiert wurde? Des- halb fordere ich: Alle Fakten müssen auf den Tisch! Das Ministerium muss unverzüglich das Verfahren einleiten, um die Zuverlässigkeit des Betreibers zu überprüfen.
Ein Persilschein von Carstensen nach dem Motto „Vattenfall bekommt noch eine Chan- ce“, ist nach acht Jahren Pannen und Pleiten nicht mehr zu vertreten.
Meine Damen und Herren, Atomkraftwerke müssen nach Atomgesetz und dem Kalkar-Urteil stets dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Deshalb hatte Bundesminister Trittin 2003 den Auftrag gegeben, das noch aus den achtziger Jahren stammende kerntechni- sche Regelwerk (KTR) grundlegend zu überarbeiten. Das Ergebnis liegt jetzt vor – das Papier heißt „Revision D“.
Nach Atomgesetz gilt dieser Wissenstand unverzüglich. Dass Umweltminister Gabriel jetzt eine eineinhalbjährige freiwillige Probephase mit den Ländern vereinbart hat, ist unseres Erachtens rechtswidrig.
Angesichts dieses eklatanten Versagens sind Gabriels Forderungen nach Übernahme der Atomaufsicht durch den Bund und seine Kraftmeierei – er würde Krümmel stilllegen – purer Populismus!
Deswegen fordere ich dass das Ministerium unverzüglich eine grundlegende Sicher- heitsüberprüfung beider Reaktoren auf Grundlage der „Revision D“ anordnet. Und dass auf Grundlage der Ergebnisse der beiden Untersuchungen alle rechtlichen Möglichkei- ten geprüft werden, um das AKW Krümmel endgültig stillzulegen.
Dabei ist auch zu prüfen, ob das Atomgesetz verfassungswidrig ist. Denn die Regierung ist verpflichtet, Schaden vom deutschen Volk fernzuhalten. Daran darf sie auch ein im- mer noch laxes und betreiberfreundliches Atomgesetz nicht hindern.
Meine Damen und Herren, ein GAU in Krümmel nach dem Muster von Tschernobyl würde große Teile von Schles- wig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg unbewohnbar machen.

5 Ein solcher Unfall ist schon im Normalbetrieb nicht auszuschließen. Dazu kommt: Kei- ner dieser Reaktoren ist gegen Flugzeugabstürze, geschweige gegen Terrorangriffe gesichert. Und das, obwohl ein Gericht entschieden hat, dass Terrorangriffe nach dem 11. September nicht mehr als zu vernachlässigbares Restrisiko gelten können.
Eine solche Technologie darf nicht länger akzeptiert werden. Je schneller uns der Ausstieg gelingt, desto besser.

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