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15.04.08 , 16:55 Uhr
SPD

Dr. Ralf Stegner: Der Kampf für die Demokratie ist eine dauerhafte Aufgabe

Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion
Kiel, 15.04.2008, Nr.: 101/2008

Sperrfrist: Heute, 15.4.2008, 18 Uhr

Ralf Stegner:

Der Kampf für die Demokratie ist eine dauerhafte Aufgabe

Vor 75 Jahren wurde im Reichstag über das Ermächtigungsgesetz abgestimmt. Damit wurde faktisch die nationalsozialistische Diktatur etabliert. Die SPD-Reichstagsfraktion hat als einzige gegen dieses „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ ge- stimmt und den Nazis widerstanden – trotz Bedrohung mit Verfolgung und Mord. In ih- rer Veranstaltung „75 Jahre SPD gegen das Ermächtigungsgesetz“ erinnert die SPD- Landtagsfraktion Schleswig-Holstein heute an den Mut und Einsatz der Abgeordneten, die für unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eintraten und damit dem Hitler-Regime die Stirn boten. Die Gedenkrede hält der Bundestagsvizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse. Die Begrüßungsrede des Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion und des SPD- Landesverbandes, Dr. Ralf Stegner, hat folgenden Wortlaut:
Der 23. März 1933 ist wohl der schwärzeste Tag in der Geschichte des deutschen Par- lamentarismus. Das sogenannte „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ hat die letzten Weichen gestellt für Verbrechen, Terror, Diktatur und Krieg und es war der Reichstag selbst, der an diesem Tag seine ureigenen Rechte als Gesetzgeber ab- trat und in die Hände eines verbrecherischen Diktators legte.

Peter Struck, mein Kollege als Chef der SPD-Bundestagsfraktion, schrieb dazu: „Mit der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz, nicht nur durch die Nazi-Fraktion, sondern auch durch die bürgerlichen und liberalen Parteien wurde der braunen Barbarei parla- mentarisch Tür und Tor geöffnet. Statt Not abzuwenden, war das Gesetz ursächlich verantwortlich für die für uns Nachlebenden kaum nachvollziehbare Not, mit der in zwölf Jahren Naziterror Abermillionen von Menschen überzogen wurden. Der 23. März 1933 war der Tag, an dem sich die Demokratie endgültig ihren Feinden ergab. Es war



Herausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Postfach 7121, 24171 Kiel Verantwortlich: Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Petra Bräutigam Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-



aber auch ein Tag, der uns Sozialdemokraten immer in stolzer Erinnerung bleiben wird. Denn allein die sozialdemokratische Fraktion widersetzte sich an diesem Tag der Diktatur.“

Deshalb haben wir uns bewusst entschieden, wie im Berliner Bundestag vor wenigen Tagen, heute auch in Kiel dem Mut und Einsatz unserer SPD-Reichstagsabgeordneten und ihrem Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie zu gedenken.

Vor etwas mehr als 75 Jahren diskutierten die Reichstagsabgeordneten sehr heftig, ob sie mit ihrem Verhalten nicht eine pseudodemokratische Veranstaltung legitimieren würden. Denn von ihren eigenen Abgeordneten waren zahlreiche in Schutzhaft und den kommunistischen Abgeordneten waren die Mandate aberkannt worden. Die Abgeordnete Luise Schröder aus Altona, das damals zu Schleswig-Holstein gehör- te, argumentierte dagegen, sie sagte: „Wir müssen vor aller Welt den Nazis widerspre- chen.“

Wir wollen heute jene Demokratinnen und Demokraten würdigen, die das tatsächlich getan haben, die aufgestanden sind, laut geworden sind, trotz der Bedrohung mit Ver- folgung bis hin zu Mord durch die Nationalsozialisten. Die Rede von Otto Wels, in der er die Ablehnung durch die SPD- Reichstagsabgeordneten begründet, ist hierfür ein beispielhaftes Dokument.

Warum diese Veranstaltung? Den Blick zurück und die Einordnung will ich unserem Festredner überlassen. Neben der historischen Erinnerung will ich aber drei Gründe mit tagesaktuellem bzw. lokalem Bezug wählen. Erstens: Wir möchten an eine dauerhafte Aufgabe von Demokraten erinnern, den Kampf für die Demokratie. Die Demokratie ist ein hohes Gut, das wir verteidigen müssen. Unsere Vorgängerin- nen und Vorgänger haben es in viel schwereren Zeiten getan. In seiner Begründung -3-



für das Ermächtigungsgesetz sagte Hitler: „Es würde dem Sinn der nationalen Erhe- bung widersprechen und dem beabsichtigten Zweck nicht genügen, wollte die Regie- rung sich für ihre Maßnahmen von Fall zu Fall die Genehmigung des Reichstages er- handeln oder erbitten.“

Demokratische Rechte und Institutionen wie das Parlament dürfen nie wieder der Be- liebigkeit einer Regierung anheim fallen, sondern bedürfen einer für alle geltenden Rechtsgrundlage. In Artikel 7 der Erklärung der Menschenrechte, die die französische Nationalversamm- lung 1789 verabschiedete, heißt es: „Wer willkürliche Anordnungen verlangt, erlässt, ausführt oder ausführen lässt, muss bestraft werden.“

Gewaltenteilung, die Trennung zwischen Verfassungsschutz und Polizei, Richtervor- behalte, Kontrollinstrumente und andere Rechte des Parlaments, aber auch Tarifauto- nomie und Mitbestimmung – allzu oft haben wir heute den Eindruck, dass dies Instru- mente sind, die einige nur zu gerne als lästig beiseite legen wollen. Doch sie wurden aus guten Gründen in einigen Fällen sogar grundgesetzlich verankert als Lehre aus der Geschichte und als elementare Bausteine unserer Demokratie.

Auch dies wird in der Erklärung der Menschenrechte deutlich. Dort heißt es in der Prä- ambel: „damit diese Erklärung allen Mitgliedern der Gesellschaft stets gegenwärtig ist und sie unablässig an ihre Rechte und Pflichten erinnert werden; damit die Handlun- gen der gesetzgebenden wie der vollziehenden Gewalt jederzeit mit dem Zweck einer jeden politischen Einrichtung verglichen werden können und dadurch mehr geachtet werden; damit die Beschwerden der Bürger, von nun an auf einfache und unbestreit- bare Grundsätze gegründet, jederzeit der Bewahrung der Verfassung und dem Wohle aller dienen.“ -4-



Die SPD hat aufgrund ihrer Geschichte die nachdrückliche Aufgabe, diese Rechte zu verteidigen und zu sagen, dass mit unserer Verfassung nicht zu spaßen ist, sie ist we- der beliebig zu ändern noch mit den Füßen zu treten. Auch deswegen übrigens sollten wir ein Verbot der rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Neonazi-Partei NPD sorgfältig prüfen. Auch deswegen sollten wir – und hier weiß ich mich mit Ihnen, Herr Präsident Kayen- burg, einer Meinung - Einschränkungen der Parlamentsrechte, wie sie in der Födera- lismusdebatte zur Sprache kommen, sorgfältig diskutieren. Auch deshalb gilt es, der so üblich gewordenen Geringschätzung von Politik und Parlament entgegenzutreten und für demokratische Politik, die ja zumeist ehrenamtlich ausgeübt wird, zu werben und sie zu stärken.

Zweitens sollten wir an eine weitere Verpflichtung erinnern. Es ist unsere Aufgabe, uns den neuen und alten Nazis entgegenzustellen, schon dort aufzustehen oder gegenzu- halten, wo alltägliche Gewalt, alltäglicher Rassismus greift: Die Überzeugung, dass die Menschenwürde unantastbar ist, dass jede und jeder gleiche Rechte hat und die glei- chen Chancen verdient, ist ein Kernelement der deutschen Sozialdemokratie. Diese Überzeugung sollten wir offen vertreten auf Anti-Nazi-Demos, Ostermärschen oder Veranstaltungen zum ersten Mai, an Marktständen und bei Stammtischen. Dort heißt es: Farbe bekennen – wir haben es heute um so viel leichter. Zivilcourage war früher lebensgefährlich, das ist sie heute fast nie und doch ist sie ein so seltsam selten auf- tretendes Phänomen.

Bei allen wichtigen aktuellen Lehren, die wir mit aller Vorsicht ziehen können, wollen wir drittens vor allem erinnern. In Kiel wurde am 12. März 1933 mit dem damaligen so- zialdemokratischen Stadtverordneten Willhelm Spiegel einer der ersten Sozialdemo- kraten von den Nazis ermordet. Otto Eggerstedt, der gegen das Ermächtigungsgesetz stimmte, hat die Beerdigungsrede gehalten. Wenige Monate später wurde er selbst von SA-Leuten ermordet. Wir haben diese Veranstaltung bewusst in den Schleswig- -5-



Holsteinischen Landtag gelegt, weil es zum einen die schwärzeste Stunde für den deutschen Parlamentarismus war, zum anderen aber eben auch das beeindruckends- te Signal parlamentarischen Mutes und Selbstbehauptungswillens.

Wir wollen Ihnen zunächst etwa acht Minuten der Rede von Otto Wels vorspielen. Sie ist als Tondokument nicht vollständig, wir haben den vollständigen Text aber ausge- legt. Wir werden parallel zu der Rede Fotos der Schleswig-Holsteinischen Abgeordne- ten zeigen und einige Bilder des Widerstandes, von Zeitungen und Demonstrationen aus dieser Zeit. Anschließend freue ich mich sehr auf die Ansprache von Wolfgang Thierse, für den als Redner zu diesem Anlass viele Gründe sprechen. Ich möchte einen herausgreifen. Vor etwa acht Jahren warst Du, lieber Wolfgang, bei einer gemeinsamen Aktion in Neu- münster gegen den rechtsextremistischen Club 88 mit dabei. Gemeinsam mit Schüle- rinnen und Schülern, mit unserer Ministerpräsidentin Heide Simonis und Vertretern der Stadt Neumünster ging es darum, nicht nur zu einem bestimmten Termin zu demonst- rieren, das auch, aber eben auch darum, im Alltag Zivilcourage zu zeigen.

Widerstand gegen Unterdrückung und der Kampf für die Freiheit prägen die Sozialde- mokratie. Wir wollen Ihnen und Euch heute einen kleinen, aber wichtigen Ausschnitt davon zeigen.

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