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02.04.08 , 15:31 Uhr
Landtag

Offener Brief an die Föderalismuskommission: Nur eine gemeinsame Lösung hat eine Chance!

34/2008 Kiel, 2. April 2008


Offener Brief an die Föderalismuskommission: Nur eine gemeinsame Lösung hat eine Chance!


Kiel (SHL) –Landtagspräsident Martin Kayenburg (CDU) und der Vorsitzende der SPD- Landtagsfraktion Dr. Ralf Stegner haben heute gemeinsam mit fünf weiteren Vertretern der Landtage in der Föderalismuskommission II einen Offenen Brief an die Vorsitzenden der Kommission gerichtet. Sie warnen vor einem Scheitern der Föderalismusreform und spre- chen sich zugleich für eine Schuldenregelung in Abstimmung mit den Länderparlamenten aus. Mit unterzeichnet haben die Landtagsvertreter Wolfgang Drexler (stellv. Landtagspräsi- dent in Baden-Württemberg, SPD), Jörg-Uwe Hahn (Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion in Hessen), Winfried Kretschmann (Vorsitzender der Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Baden-Württemberg), Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué (Vorsitzender der FDP- Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt) und Volker Ratzmann (Vorsitzender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Abgeordnetenhaus von Berlin).
Der Wortlaut des Schreibens:
Offener Brief der Vertreter der Landtage und der unterzeichnenden Stellvertreter in der Föderalismuskommission II
An die Vorsitzenden der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen Herrn Dr. Peter Struck, MdB Herrn Günther H. Oettinger, Ministerpräsident Deutscher Bundestag, Sekretariat Födko II Platz der Republik 1 10111 Berlin
2. April 2008 Nur eine gemeinsame Lösung hat eine Chance!

Schleswig-Holsteinischer Landtag, Postfach 7121, 24171 Kiel ▪ V.i.S.d.P.: Dr. Joachim Köhler, Joachim.Koehler@landtag.ltsh.de, Tel. 0431/988-1120, Fax -1119; Annette Wiese-Krukowska, awk@landtag.ltsh.de, Tel. -1116; ▪ www.sh-landtag.de → Presseticker 2
Sehr geehrte Herren Vorsitzende,
in der letzten Sitzung der Föderalismuskommission ist die Dringlichkeit deutlich geworden, ein Gesamtkonzept für die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu entwickeln. Die Arbeit der Föderalismuskommission kann nur erfolgreich sein, wenn das Konzept auch von den Landtagen mitgetragen wird.
I.
Neue Schuldenregeln, die die Verschuldung von Bund und Ländern stoppen, sind ebenso dringlich wie unerlässlich.
Schuldenregeln sind jedoch – was die Länder angeht – wesentliche Bestandteile des Haus- haltsrechts der Länder. Sie schränken das Budgetrecht, das „Königsrecht der Parlamente“, zentral ein. Neue Schuldenregeln bedürfen daher der konstitutiven Mitwirkung durch die Landesparlamente. Deshalb sind Schuldenregeln in den Ländern den Landesverfassungen vorbehalten.
Eine freiwillige Einschränkung des Budgetrechtes durch die Landesparlamente wird nur in Betracht kommen, wenn ein in sich schlüssiges Gesamtkonzept der Kommission vorliegt, das die Begrenzung der Neuverschuldung durch die Bewältigung der Altschuldenproblematik und die Entwicklung einer aufgabengerechten Finanzausstattung flankiert.
Neue Schuldenregeln dürfen den Ländern nicht durch eine Änderung des Grundgesetzes übergestülpt werden. Der Weg einer einseitigen Grundgesetzänderung zu Lasten der Lan- desparlamente ist verfassungspolitisch nicht hinnehmbar und verfassungsrechtlich bedenk- lich. Die Landesparlamente können einen solchen Weg, der auf ihre budgetrechtliche Ent- machtung hinausliefe, nicht mitgehen.
II.
Die Vertreter der Landtage halten es angesichts des Vorschlages von Minister Steinbrück (Kommissions-Drucksache 096) für unerlässlich, Ihnen als den Vorsitzenden der Föderalis- muskommission die Position der Landtage noch einmal deutlich vorzutragen.
Minister Steinbrück schlägt vor, „die Prinzipien der neuen Schuldenregel sollten im Kontext der Bund und Länder bindenden Regelungen zur Haushaltswirtschaft des Grundgesetzes und in einem entsprechenden Ausführungsgesetz einheitlich verankert werden“. Dieser Vor- schlag bedeutet den Abschied von gemeinsamen Anstrengungen von Bund und Ländern, zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Hinzu kommt, dass in dem Vorschlag von Mi- nister Steinbrück zwar zutreffend annähernd ausgeglichene Haushalte als notwendige Vor- aussetzung zur Einführung und Einhaltung der neuen Schuldenregel anerkannt werden, an- gesichts der unterschiedlichen Ausgangslagen jedoch nur – völlig unbestimmte – „differen- zierte Übergangsregelungen“ vorgeschlagen werden. Nimmt man die Weigerung von Minis- ter Steinbrück hinzu, die Altschulden der Länder überhaupt in die Betrachtung einzubezie- hen, bleibt nur ein zeitlich gestaffeltes Inkrafttreten der neuen Schuldenregel übrig.
Ein solcher Vorschlag ist eine Provokation und für die Landesparlamente nicht hinnehmbar. Bei aller Anerkennung der Notwendigkeit neuer Schuldenregeln ist es nicht akzeptabel, das Budgetrecht der Landesparlamente durch eine Schuldenregel des Bundes zu beschneiden. Angesichts der allseits bekannten Versteinerung der Haushalte würde den Landesparlamen- ten mit neuen Schuldenregeln allein keineswegs nur ein Rahmen für die Gestaltung ihrer Haushalte vorgegeben, sondern geradezu eine Zwangsjacke angelegt. Die Länder und ihre Parlamente hätten kaum noch eigene Möglichkeiten und realistische Chancen, ihre Haushal- te zu gestalten. 3
III.
Der Vorschlag von Minister Steinbrück ist verfassungsrechtlich bedenklich. Das seinem Vor- schlag angefügte Gutachten verkennt, dass die Selbstständigkeit und die Unabhängigkeit der Haushaltswirtschaften des Bundes und der Länder als Ausprägung und Konkretisierung des Bundesstaatsprinzips von Artikel 109 Abs. 1 GG garantiert werden. Sie gehören zum Kernbereich der Staatlichkeit von Bund und Ländern. Insoweit unterfällt Artikel 109 Abs. 1 GG als Ausfluss des Bundesstaatsprinzips der „Ewigkeitsgarantie“ des Artikel 79 Abs. 3 GG. Das ist die ganz herrschende Auffassung im einschlägigen verfassungsrechtlichen Schrift- tum (vgl. Rodi in: Bonner Kommentar, 2004, Rn. 66 zu Artikel 109 GG; Heun in: Dreier, Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 13 zu Artikel 109 GG; Kramer, Grenzen der Verfas- sungsänderung im Bereich der bundesstaatlichen Finanzverfassung, 2000, S. 71). Somit sichert der verfassungsfeste Gewährleistungsbereich auch die wesentlichen Grundlagen materieller Haushaltsautonomie.
Der Gesichtspunkt der Bundestreue, auf den sich Minister Steinbrück beruft, gebietet nicht nur den Ländern, sondern auch dem Bund gegenseitige Rücksichtnahme. Der Bund darf die Länder und ihre Parlamente nicht daran hindern, ihre Aufgaben überhaupt noch wahrneh- men zu können.
IV.
Als verfassungsrechtlich einzig gangbarer Weg – der auch verfassungspolitisch der einzig sachgerechte ist – bleibt, den Ländern und ihren Parlamenten mit neuen Schuldenregeln gleichzeitig neue Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen, etwa durch mehr Steuerautonomie oder die Möglichkeit zur Abweichung von bundeseinheitlichen Standards bei der Aufgaben- erfüllung im Bereich der Infrastruktur und zum Ausgleich regionaler Besonderheiten. Auch müsste die Altschuldenproblematik aller Länder fair gelöst werden, um bei allen Ländern zu annähernd ausgeglichenen Haushalten und damit zu einer chancengleichen Ausgangslage für die Zukunftsgestaltung zu kommen.
Langfristig kann nur eine gemeinsame Lösung von Bund und Ländern erfolgreich sein, die auch die Länder mit ihren Landesparlamenten und Landesregierungen uneingeschränkt mit- tragen können. Die Einführung einer neuen Schuldenregel auf Bundesebene wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie in allen Ländern durch Verfassungsänderungen flankiert wird, mit denen die Landesparlamente ihre Budgetrechte selbst einschränken.

Mit freundlichen Grüßen
Martin Kayenburg Dr. Ralf Stegner Winfried Kretschmann Jörg-Uwe Hahn
Wolfgang Drexler Volker Ratzmann Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué

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