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22.11.07
15:22 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zur Lehrerbildung

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 18 – Entwurf eines Gesetzes zur Lehrerbildung Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Dazu sagt der Vorsitzende der Fraktion Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Bündnis 90/Die Grünen, Telefax: 0431/988-1501 Karl-Martin Hentschel: Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de

Nr. 480.07 / 22.11.2007 Lehrer sollen lehren lernen!
Als ich mein Studium der Mathematik an der Christian-Albrechts-Universität begann, be- grüßte uns der Professor in Analysis mit den Worten. „Viele werden nicht verstehen, was ich vortrage. Das brauchen Sie auch nicht. Uns reichen vier Prozent für den wissen- schaftlichen Nachwuchs, die anderen können Lehrer werden.“
Das war vor 36 Jahren. Aber bis heute hat sich nicht viel geändert. Noch heute lernen viele Lehramtsstudenten überwiegend Stoff, den sie in der Schule nie wieder gebrauchen werden. Noch heute werden unsere Lehrerinnen und Lehrer überwiegend als Fachwis- senschaftlerInnen ausgebildet und bekommen von Psychologie, Pädagogik und moder- ner Fachdidaktik im Studium kaum etwas mit.
Seit Jahren wird auch die Trennung von Theorie und Praxis beklagt. Viele Lehramtsstu- denten stellen erst im Referendariat fest, dass es ihnen gar nicht liegt, mit Kindern um- zugehen. Aber kaum ein StudentIn orientiert sich nach fünf Jahren Studium noch um. Das Ergebnis ist dann oft der frühzeitige Burnout mit lebenslangen Folgen für die Lehre- rin oder den Lehrer und für die von ihnen unterrichteten SchülerInnen.
Aktuell kam dann noch ein dritter Anlass für dieses Gesetz hinzu: Mit der Weiterentwick- lung des Schulsystems in Schleswig-Holstein wird unsere Lehrerbildung endgültig ana- chronistisch. Heute werden die Studenten für Schularten ausgebildet, die es in Zukunft gar nicht mehr geben wird. Das ist absurd!
Wir legen Ihnen hiermit ein Lehrerbildungsgesetz vor. Das ist längst überfällig – nicht nur, weil die meisten anderen Bundesländer ein solches Gesetz haben. Gerade wenn der Staat die Autonomie der Hochschulen hoch hält und nicht in jede Studienordnung einwir- ken will, dann muss er auch definieren, was er von zukünftigen LehrerInnen erwartet.
Das vorliegende Gesetz führt internationale Standards auch in Schleswig-Holstein ein; es greift viele Vorschläge zur Reform der Lehrerbildung aus anderen Hochschulen auf und es zieht zugleich die Konsequenzen aus der Schulreform in Schleswig-Holstein.
1/3 Wir schlagen weit reichende Neuerungen vor – wir haben diese aber sehr sorgfältig mit Fachleuten von den Hochschulen diskutiert.
Insbesondere haben wir das Gesetz einer gründlichen juristischen Prüfung unterziehen lassen, um sicher zu stellen, dass die vorgeschlagenen Regelungen sowohl mit dem EU- Recht, dem Bundesrecht wie auch mit den Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz kompatibel sind.
Nur in einem einzigen Fall, nämlich bei der Ausbildung der GrundschullehrerInnen, ha- ben wir uns bewusst entschieden, von diesem Prinzip abzuweichen.
Das vorliegende Gesetz beendet den deutschen Sonderweg, die Lehrerausbildung an den Schularten des gegliederten Systems auszurichten. In Zukunft sollen die LehrerIn- nen entsprechend der unterschiedlichen Altersgruppen der Schülerinnen und Schüler als StufenlehrerInnen ausgebildet werden.
Und für alle Lehrerinnen und Lehrer soll in Zukunft gelten: Pädagogik, Psychologie und die altersgerechte Fachdidaktik sind zentraler Bestandteil des Studiums neben dem Stu- dium der Fachwissenschaften. Sie spielen eine umso größere Rolle, je kleiner die Kinder sind.
Lehrkräfte müssen in der Lage sein, Entwicklungsstörungen zu erkennen. Sie müssen in Zukunft Methoden der individuellen Förderung und des Unterrichtens in leistungshetero- genen Gruppen beherrschen. Und in einem Land, in dem an vielen Schulen mehr als ein Drittel der Kinder einen Migrationshintergrund haben, müssen interkulturelle Kompeten- zen fester Bestandteil des Studiums sein.
Für die kleinsten Kinder zuständig sind die ElementarlehrerInnen. Sie sind in Zukunft in den Kitas für die Gestaltung des Bildungsauftrages zuständig. Denn schon in der Kita werden die Grundlagen für das Lernen gelegt. Dankenswerterweise bietet die Fachhoch- schule in Kiel bereits einen solchen Studiengang an, für den wir in diesem Gesetz einen rechtlichen Rahmen schaffen.
Die PrimarlehrerInnen sollen an Grundschulen unterrichten. Diese Lehrkräfte unterrich- ten heute in der Regel fast alle Fächer, von Deutsch, Mathematik, Sachkunde über Musik und Kunst bis hin zu Sport und Englisch. Aber sie haben bisher nur zwei dieser Fächer studiert. Bei den anderen Fächern gilt das Prinzip ins kalte Wasser schmeißen und dann irgendwie durchwursteln. Das wollen wir ändern.
Deshalb soll das Studium die GrundschullehrerInnen befähigen, in allen Fächern zu un- terrichten und muss deshalb die didaktischen Grundlagen für das gesamte Fächerspekt- rum auf Grundschulniveau enthalten.
Für die LehrerInnen der Sekundarstufe eins ist die größte Herausforderung, dass sie endlich wissenschaftlich und praktisch auf den Umgang mit den Problemen der Ge- schlechterrollen und der Pubertät vorbereitet werden. Denn heute verzweifeln LehrerIn- nen gerade in den Klassen sechs bis acht. Insbesondere solche Jungen, die weniger sprachlich und mehr technisch begabt sind, fliegen heute reihenweise während der Pu- bertät raus und landen nicht selten frustriert in den Haupt- und Förderschulen.
Für die LehrerInnen in den Oberstufen der Gymnasien und Berufsschulen steht die An- schlussfähigkeit an das Berufsleben bzw. das Studium im Mittelpunkt. Im Studium muss sich dies durch vertiefte fachwissenschaftliche Kenntnis abbilden. Es geht uns aber nicht nur um die neue Ausrichtung der Inhalte der Lehrerausbildung. Wir wollen auch das Verhältnis von Praxis und Theorie im Lehrerstudium neu gestalten. Deshalb soll dem Studium ein Praktikum in der außerschulischen Jugendarbeit vorange- hen. Deshalb wollen wir Praktika mehr als bisher von Anfang an im Studium integrieren.
Die größte Veränderung ist aber die Abschaffung des Referendariats. Stattdessen soll nach dem Bachelor jeweils ein praktisches Jahr als Assistant Teacher in der Schule fol- gen. Nach diesem Jahr sollte der Student oder die Studentin wissen, ob sie sich zur Lehrerin berufen fühlt, ob sie mit dem Bachelor direkt in einen Beruf geht oder ob sie lie- ber in ein fachwissenschaftliches Masterstudium überwechselt.
Mit StudentInnen, die ein Jahr Praxis hinter sich haben, wird sich in Zukunft auch das Masterstudium wesentlich realitätsnäher gestalten. Das kennt man von den Ingenieurs- studentInnen, die nach dem Praxissemester im Betrieb stets mit einer ganz anderen Sicht an die Hochschule zurückkehren. Nach dem Abschluss des Masters beginnt dann das Berufsleben mit einem Einführungsjahr. In diesem Jahr machen die jungen LehrerIn- nen bereits vollwertigen Unterricht, jedoch mit reduzierter Stundenzahl und werden noch durch eine TutorIn unterstützt. Und für die, die in ein anderes Bundesland wechseln wol- len, kann dann falls nötig auch noch ein zweites Lehrerexamen abgelegt werden.
Unser Gesetzentwurf befasst sich nicht nur mit der Ausbildung, sondern auch mit der Weiterbildung unserer Lehrerinnen und Lehrer. Weiterbildung muss in Zukunft einen viel größeren Stellenwert bekommen. Die Schulen der Zukunft sollen autonomer und wand- lungsfähiger sein. Dazu gehört auch, dass die Lehrerbildung gestärkt und ausgeweitet wird. Weiterbildung wird zur Pflichtaufgabe und die Schulen sollen entscheiden, welche Weiterbildung für welche Lehrer erforderlich ist.
Weiterbildung soll in Zukunft sowohl eine Vertiefung und Weiterentwicklung der Fähigkei- ten in den Fachwissenschaften und der Fachdidaktik, aber auch sozialpädagogische Me- thoden und psychologische Kenntnisse umfassen. Weiterbildung soll aber auch den Er- werb von Zusatzqualifikationen ermöglichen. Das kann die Lehrberechtigung für weitere Fächer bzw. Lernfelder sein, das kann die Lehrberechtigung für weitere Schulstufen sein oder der Erwerb der Zusatzqualifikation als Schulpsychologe.
Und wer in Zukunft Leitungsfunktionen in der Schule übernehmen will, der kann und muss sich darauf durch ein Postgraduiertenstudium an den Hochschulen dafür qualifizie- ren. Das Gesetz enthält noch eine ganze Vielzahl von Neuerungen – die aber den Rah- men meiner Zeit sprengen würden. Deshalb schließe ich hiermit. Ich bin zuversichtlich, dass die Regierungsfraktionen und das Ministerium wie schon so oft die Vorschläge der Opposition freudig erregt aufgreifen werden und hoffe auf eine konstruktive Debatte im Bildungsausschuss.
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