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19.06.03 , 17:53 Uhr
SPD

Klaus-Peter Puls zu TOP 35: Prävention ist besser als Reaktion

Sozialdemokratischer Informationsbrief

Kiel, 19.06.2003 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell TOP 35 – Reform des Jugendstrafrechts


Klaus-Peter Puls :

Prävention ist besser als Reaktion

Die Landesregierung hat einen Bericht über den Stand der Reform des Jugendstraf- rechts vorgelegt. Namens der SPD-Landtagsfraktion möchte ich mich bei der federfü h- renden Ministerin für Justiz, Frauen, Jugend und Familie und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür herzlich bedanken.

Das Jugendstrafrecht des Bundes ist im Jugendgerichtsgesetz verankert. Das Ju- gendgerichtsgesetz mit dem Erziehungsgrundsatz als normativem Leitprinzip ist schon seit 1923 in Kraft. Kann ein 80 Jahre altes Jugendstrafrecht heute noch zeitgemäß sein?

Der Anstieg registrierter Jugendkriminalität hat in den vergangenen Jahren immer wie- der insbesondere in CDU-Kreisen und -Ländern Forderungen nach einer massiven Verschärfung des Jugendstrafrechts ausgelöst. Zuletzt hatte die Justizministerkonfe- renz in Berlin am 04.11.2002 mehrheitlich, d.h. mit den Justizministern der CDU- geführten Bundesländer, die Bundesregierung aufgefo rdert, eine Reform auf den Weg zu bringen, die folgende Eckpunkte enthält:

• Grundsätzlich Anwendung des allgemeinen Strafrechts auch für Heranwach- sende,
Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/13 07 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



• Anhebung der Höchststrafe auf 15 Jahre, soweit auf heranwachsende Jugendli- che Strafrecht angewendet wird, • Sicherungsverwahrung von Heranwachsenden, auf die das allgemeine Straf- recht angewendet wird, und • Einführung eines sogenannten „Warnschussarrests“ neben zur Bewährung ausgesetzter Jugendstrafe.

Wir teilen die Auffassung der SPD-geführten Bundeslä nder und die im Bericht konkret und umfassend dokumentierte Meinung auch unserer schleswig-holsteinischen Lan- desregierung, dass es sich bei den Forderungen der CDU-geführten Länder um ein populistisches Manöver handelt, das dem Problem wachsender Jugendkriminalität nicht gerecht wird. Wir empfehlen der Landesregierung, in der Arbeitsgruppe, die zur Reform des Jugendstrafrechts auf Bundesebene eingerichtet worden ist und der das Land Schleswig-Holstein angehört, auf die Beachtung und Einhaltung der folgenden vier Grundsätze hinzuwirken:

Erstens: Es bedarf keiner grundlegenden Änderungen des Jugendstrafrechts, weil schon das geltende Recht zutreffend davon ausgeht, dass Jugendkriminalität wesent- lich durch außerstrafrechtliche Faktoren bestimmt wird. Wir teile n die Auffassung der Landesregierung, dass der Umgang mit der Jugendkriminalität nicht losgelöst von der gesellschaftspolitischen Diskussion über den Umgang mit jungen Menschen betrachtet werden kann, sondern in eine Gesamtkonzeption einzubetten ist.

Wenn es so ist, dass Jugendliche ohne Ausbildung und ohne Arbeitsplatz und junge Leute aus sozialen Brennpunkten und nicht - oder nicht mehr - intakten Familien eher in kriminelle Milieus geraten, dann muss die Bekämpfung von Kinderdelinquenz und Jugendkrimina lität als gesamtgesellschaftliche Aufgabe formuliert werden, die nicht nur von Polizei und Justiz, sondern auch und vorrangig von einer auf junge Menschen zugeschnittenen Bildungs-, Ausbildungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu leisten ist. -3-



Wir begrüßen, dass die Landesregierung deshalb zum Schwerpunkt ihrer Arbeit neben dem Aufbau kriminalpräventiver Ansätze den Schwerpunkt ihrer Arbeit auch in einer Verbesserung der Familienförderung, einer Verstärkung der Zusammenarbeit von Ju- gendhilfe und Schule, im Ausbau der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, und in der Bekämpfung häuslicher Gewalt sieht.

Die Entwicklung normativer Verantwortlichkeit und sozialer Handlungskompetenz er- folgt in der Tat in erster Linie im Elternhaus, im Kindergarten und in der Schule. Das sozialpolitische Ziel, Jugendliche zu einem Leben ohne Straftaten anzuhalten, ist eher mit den Mitteln des Kinder- und Jugendhilferechts als mit verschärften jugendstraf- rechtlichen Sanktionen zu erreichen. Das alleinige Abstellen auf das Jugendstrafrecht zur Verhinderung von Jugendkriminalität wird nicht zum Erfolg führen, weil das Ju- gendstrafrecht an den verstärkt jugendliches Fehlverhalten auslösenden gesellschaftli- chen Faktoren nichts ändert, sondern naturgemäß erst einsetzen kann, wenn Fehlver- halten in Form von Straftaten zu Tage getreten ist.

Der zweite Grundsatz muss deshalb heißen: Prävention ist besser als Reaktion. Es gilt, mit den Mitteln und Maßnahmen, die die Landesregierung in ihrem Bericht aufge- zeigt hat, gesellschaftspolitisch zu handeln, ehe das Kind in den kriminellen Brunnen gefallen ist. Herr Kubicki hat gestern an anderer Stelle gesagt, dass für die FDP das Ordnungsrecht kein Mittel sein könne, soziale Missstände zu beheben. In Abwandlung dieses von uns unterstützten Satzes sage ich heute an dieser Stelle: Auch das Ju- gendstrafrecht kann kein Mittel sein, soziale Missstände zu beheben. Gleichwohl muss natürlich Strafrechtspolitik reagieren, wenn Straftaten begangen werden.

Unser dritter Grundsatz lautet: Auf Jugendstraftate n muss schnell, angemessen und differenziert reagiert werden. Strafschärfende Repression halten wir nicht für erforder- lich. Auch im Bereich der Reaktion auf begangene Straftaten ist nach unserer Auffas- sung Erziehung, Belehrung, Normverdeutlichung, sozialisierende, ggf. re- sozialisierende Einflussnahme auf den straffällig gewordenen jungen Menschen alle- mal besser als konzeptionsloses Verknacken und Wegsperren. -4-



Dass die Landesregierung auf jugendliches Fehlverhalten maßvoll und interessenge- recht reagiert, zeigen die Beispiele, die im Bericht genannt werden: Die Landesregierung weist zu Recht auf die Erfolge des in Schleswig-Holstein prak- tizierten Diversionsverfahrens hin, bei dem die Polizei nach Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf eine spätere Einstellung des Ermittlungsverfahrens Erziehungsgespräche mit auf frischer Tat ertappten Jugendlichen führen und diese auffordern kann, angerichteten Schaden wieder gut zu machen oder sich bei den Op- fern zu entschuldigen. • Auch das vorrangige Jugendverfahren (Flensburger Modell genannt), dessen Ziel es ist, bei Einhaltung aller Verfahrensvorschriften in bestimmten Fällen das ju- gendliche Fehlverhalten durch eine jugendgerichtliche Entscheidung möglichst bin- nen vier Wochen nach Begehung der Tat zu ahnden, hat sich bewährt und ist als vorbildliche Regelung des Zusammenwirkens von Amtsgericht, Staatsanwaltschaft, Polizei und sozialen Diensten der Kommunen von anderen Bundesländern über- nommen worden.

• Und schließlich ist auch das von der Landesregierung gemeinsam mit dem Städte- und Landkreistag und den Jugendämtern der Hansestadt Lübeck und des Kreises Dithmarschen sowie dem Deutschen Jugendinstitut entwickelte Konzept der Zusammenarbeit aller verantwortlichen Institutionen Polizei, Justiz, Kinder- und Jugendhilfe, Schule, Kinder- und Jugendpsychiatrie bei der Ahndung von Straftaten jugendlicher Mehrfach- und Intensivtäter ein Modellprojekt, das im Gegensatz zur geschlossenen Unterbringung, zur flächendeckenden Anwendung empfohlen wird.

Unser vierter Grundsatz lautet: Auch bei der Abgrenzung zwischen Erwachsenen- und Jugendstrafrecht muss der Erziehungsgedanke im Vordergrund stehen. Das Jugend- strafrecht ist Teil der sozialen Kontrolle junger Menschen. Es beinhaltet Kontrolle – nicht notwendig Strafe – aus Anlass einer Straftat, so der Bericht der Landesregierung. Wir teilen diese Auffassung und lehnen deshalb die Forderung nach einer grundsätzli- -5-



chen Anwendung des allgemeinen Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende von 18 bis 21 Jahren ab.

Der formale Hinweis auf das „Volljährigkeitsalter 18“ verkennt das entwicklungspsy- chologische Faktum vielfach erst späteren Heranreifens zu einem sozial verantwortli- chen, rücksichtsvollen Mitmenschen, der sich als soziales, in die Gesellschaft einge- bundenes Wesen versteht und der sich bewusst und überzeugt entsprechend verhält. Nicht ohne Grund, sondern sachgerecht und folgerichtig zieht z.B. das Kinder- und Ju- gendhilferecht des Bundes die Altersgrenze für „junge Menschen“ erst bei 27 Jahren.

Auch ein Vorziehen der Strafmündigkeits-Altersgrenze von 14 auf 12 oder noch weiter lehnen wir ab. Wir teilen die Auffassung der Landesregierung, dass für Kinder unter 14 Jahren das Instrumentarium des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ausreicht und bes- ser geeignet ist zur Reaktion auf kindliches Fehlverhalten als strafrechtliche Sanktio- nen.

Weitere Einzelfragen, die der Bericht aufwirft, sollten wir zum Gegenstand unserer Be- ratungen in den zuständigen Ausschüssen machen. Ich beantrage Überweisung in den Innen- und Rechtsausschuss (federführend) und zur Mitberatung in den Sozialaus- schuss.

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