Karl-Martin Hentschel, Angelika Birk und Monika Obieray zur Finanzierung der Bildungsreform in Schleswig-Holstein
= RESSEDIENST P Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob „Ich bin sicher, wir würden staunen, wie Landeshaus viel Kreativität freigesetzt wird, wenn Düsternbrooker Weg 70 Schulen Autonomie aber auch 24105 Kiel Beratungsmöglichkeit bekommen, die sie Durchwahl: 0431/988-1503 sich von ihren selbst verwalteten Mitteln Zentrale: 0431/988-1500 je nach Bedarf selbst einkaufen können.“ Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0172/541 83 53 Klaus Hurrelmann, E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Leiter der Shell-Jugendstudie Internet: www.gruene-landtag-sh.de Nr. 289.02 / 27.11.2002Finanzierung der Bildungsreform in Schleswig-HolsteinBündnis 90/Die Grünen haben sich auf ihrem letzten LHA schwerpunktmäßig mit der Fi- nanzierung der Bildungsreform beschäftigt und einen Leitantrag „Denkanstöße nach PISA“ verabschiedet.Monika Obieray, Sprecherin des Landesverbandes, Karl-Martin Hentschel, Fraktions- vorsitzender und Angelika Birk, bildungspolitische Sprecherin erläutern dazu:Unsere Kinder haben ein Anrecht auf ein besseres Bildungssystem. Die Schule muss ein Ort werden, an dem es den Kindern und den LehrerInnen gut geht. Lehrende brauchen mehr Autonomie und weniger Reglementierung, um guten Unterricht machen zu können.Wir haben in mehreren Beschlüssen grundlegende Reformen des Bildungs- und Betreu- ungssystems eingefordert. Dazu gehören der Ausbau der Betreuungsangebote für Klein- kinder – auch unter drei Jahren - die bessere Vorbereitung auf die Schule, bessere För- derung in den Schulen statt Sitzenbleiben, bessere Förderung der Migrantenkinder, der Ausbau der verlässlichen Halbtagsschule und von Ganztagsangeboten.Immer wieder sind wir angesichts der Finanzsituation des Landes gefragt worden, wie das alles finanziert werden soll. Die folgenden Überlegungen und Berechnungen sollen zugleich deutlich machen, welche finanziellen Möglichkeiten und Chancen sich durch ei- ne Reform des Schulsystems ergeben. Wir wollen bewusst Anstöße für eine Diskussion geben und legen keine fertige Konzepte vor. Es versteht sich von selbst, dass viele dieser Maßnahmen nicht ad hoc umzusetzen sind. Wir rechnen deshalb mit einem Umsetzungszeitraum von mindestens zehn Jahren.Vorschläge zur Organisation und Finanzierung der Bildungsreform1) Wir wollen prüfen, ob und wie Schulen zu eigenständigen kommunalen Einrichtungen werden können. Die Finanzierung könnte beispielsweise durch Zuweisungen von Schülerkostensätzen des Landes entsprechend der Schülerzahl und dem Schultyp erfolgen, modifiziert um einen Korrekturfaktur, der besondere soziale Probleme im Schulumfeld berücksichtigt. Die Schülerkostensätze und die zusätzliche Zuweisungen der Kommunen können dann in den Schuletat einfließen, für den die Schule verant- wortlich ist. Für die Verwaltung solcher kommunalen Schulen könnte ein Schulvorstand eingerich- tet werden, in dem neben der Schulleitung, die Kommune, die LehrerInnen, die Eltern und die SchülerInnen vertreten sind. Alle grundsätzlichen Beschlüsse über Organisa- tion, Klassengröße und interne Budgetverteilung könnten vom Schulvorstand getrof- fen werden. Dieser könnte auch über die Stellen (LehrerInnen, pädagogische und technische AssistentInnen, die die LehrerInnen beim Unterricht, der Vorbereitung und der Betreuung unterstützen, Verwaltungskräfte, HausmeisterIn) und über zeitweise Beschäftigung von externen Fachleuten (für Unterricht, Krankenversorgung, psycho- logische Betreuung usw.) entscheiden. In grundsätzlichen Fragen könnte wie bisher die Schulkonferenz entscheiden.2) Wir wollen prüfen, ob kleine Grundschulen im ländlichen Raum zu einer autonomen kommunalen Schule mit mehreren Schulstandorten zusammengefasst werden kön- nen. Der Schulvorstand würde dann auch über die interne Organisation, Klassengrö- ße sowie die Einrichtung, Aufgabe oder Zusammenfassung von Schulstandorten ent- scheiden. Da integrierte Schulsysteme sich durchweg als leistungsfähiger erwiesen haben, soll- te geprüft werden, ob im ersten Schritt kleine Haupt- und Realschulen in räumlicher Nähe zusammengelegt werden können (Regionalschulen bzw. ländliche Gesamt- schulen). Ziel einer solchen Bündelung der Verwaltung der Schulen wäre es, durch die Verrin- gerung der vielen sehr kleinen Lerneinheiten ohne eine generelle Vergrößerung der Klassen die durchschnittlichen Klassenfrequenzen in Schleswig-Holstein auf ein Ni- veau zu bringen, wie es in anderen Bundesländern üblich ist. Die dadurch freiwer- denden Ressourcen sollten eingesetzt werden, um zusätzlichen Förderunterricht und den Einsatz von SchulassistentInnen zu finanzieren. Über die interne Verteilung der Mittel entscheidet der Schulvorstand.3) Einer der Hauptkostenfaktoren im deutschen Schulsystem sind die Oberstufen der Gymnasien und Gesamtschulen, was nur zum kleineren Teil eine Folge der höheren Gehälter ist. Primar Sekundar I Sekundar II Bundesrepublik Deutschland 3531 $ 4641 $ 9519 $ OECD-Durchschnitt 3940 $ 5083 $ 5916 $ Finnland 4641 $ 4616 $ 5515 $ Ausgaben pro SchülerIn 1998 kaufkraftbereinigt (aus OECD-Bericht 2001 „Education at a glance“) Die Zahlen für Schleswig-Holstein dürften im deutschen Mittel liegen. Die OECD- Angaben machen deutlich, dass bei uns für GrundschülerInnen erheblich weniger als in anderen Ländern ausgegeben wird, dagegen sind unsere Oberstufen durch die vie- len kleinen Kurse extrem teuer. Deshalb wollen wir die Zusammenarbeit von benachbarten Schulen mit Oberstufen verstärken und wo möglich die Bildung von Oberstufenzentren (Colleges) prüfen. Da- durch könnte das Angebot an Kursen verbessert und zugleich auf teuere Kleingrup- penkurse verzichtet werden. Durch die Angleichung der durchschnittlichen Kursgröße an die Klassengrößen im Primar- und Sekundar-I-Bereich würden erhebliche Mittel freigesetzt werden, die für die Förderung in den Grundschulen und im Vorschulbe- reich eingesetzt werden könnten. In Schleswig-Holstein gibt es 102 Gymnasien und 22 Gesamtschulen. Davon liegen immerhin 94 Schulen in der Nachbarschaft einer anderen Schule mit Oberstufe (ma- ximal 5 km Abstand) und weitere 15 Schulen in einem Abstand von bis zu 10 km, der für SchülerInnen dieses Alters ohne Probleme erreichbar ist. Geprüft werden sollte auch, ob die über 20 gymnasialen Oberstufen in den Berufs- schulzentren in ein Konzept von Oberstufenzentren einbezogen werden kann.4) In Schleswig-Holstein sind zirka 45 Prozent der SchülerInnen der neunten Klasse be- reits einmal sitzengeblieben. Bis zum Ende der Schulzeit dürften über 50 Prozent der Kinder eine Klasse wiederholt haben. Durch eine Abschaffung des Sitzenbleibens könnten erhebliche Ressourcen freige- setzt werden. Etwa 1000 LehrerInnen sind zusätzlich nötig, weil durch das Sitzenblei- ben jede/r zweite SchülerIn ein Jahr länger zur Schule geht. Diese LehrerInnen soll- ten statt dessen für einen besseren Förderunterricht eingesetzt werden. 5) Die Aufteilung der SchülerInnen nach Leistungsniveaus für das dreigliedrige Schul- system nach dem 4. Schuljahr hat erhebliche negative Auswirkungen. Deshalb sollte geprüft werden, ob der Übergang in die Sekundarstufe erst nach dem 6. Schuljahr er- folgen sollte.6) Eine Reform des Schulsystems erfordert auch eine Reform der Lehrerbildung. Wir setzen uns für eine einphasige Lehrerbildung ein, die Theorie und Praxis eng ver- zahnt. Wir wollen mehr Menschen aus schulfernen Berufen für die pädagogische Ar- beit an den Schulen gewinnen. Die Einstellung von PädagogInnen mit Migrationshin- tergrund ist aufgrund der Zusammensetzung der Schülerschaft eine zwingende Vor- aussetzung, um eine erfolgreiche Integration einschließlich des notwendigen mutter- sprachlichen Unterrichts zu bewerkstelligen.Darstellung der Finanzierung unserer Vorschläge zur SchulreformDie folgende Tabelle soll als grobe Übersicht dienen, um die Umverteilungsmöglichkeiten abzuschätzen. Mehr als ein Sechstel, mit dem Geld des Bundes fast ein Fünftel des ge- samten Volumens aus dem Lehreretat wird dabei umgewidmet. Neues Angebot Kosten pro Jahr Finanzierung durch Betreuung für 20 Prozent der Kinder unter 45 Mio. Euro Bund (10) 3 Jahren (1) Vorschulische Angebote in Kitas – insbe- 10 Mio. Euro Verlagerung von Gel- sondere Sprachförderung (2) dern durch Einrichtung Letztes Kita-Jahr kostenlos (3) 25 Mio. Euro Oberstufenzentren Ganztagsbetreuung in Sekundarstufe I (4) 15 Mio. Euro (11) Fördermaßnahmen in Grundschulen (5) 20 Mio. Euro Abschaffung des Sit- Fördermaßnahmen in Sekundarstufe I (6) 30 Mio. Euro zenbleibens (12) Verlässliche Grundschule (7) 30 Mio. Euro Zusammenlegung von Deutschförderung in der Grundschule (8) 5 Mio. Euro Schulen / Regional- Ganztagsbetreuung in Grundschulen (9) 20 Mio. Euro schulen (13)Nicht berücksichtigt wurden:• Die bereits bestehenden sonderpädagogischen Maßnahmen an Kitas, die für das Konzept genutzt werden können. • Die mögliche Einbeziehung der Sonderschulen. • Die möglichen Einsparungen durch den Rückgang der Schülerzahlen in den kom- menden Jahren. • Eventuell notwendige zusätzliche Betreuungsangebote in den Ferien. • Änderungen in der Lehrerausbildung - kann durch Verkürzung des Referendariats bei einer mehr praktisch ausgerichteten Ausbildung auch zu Einsparungen führen. • Einsparmöglichkeiten bei den Horten aufgrund von Ganztagsangeboten an den Schu- len.Die Finanzierung der erforderlichen Investitionen erfolgt durch das Bundesprogramm für Ganztagsschulen und durch den KIF (Kommunaler Investitionsfonds).Anmerkungen:(1) Drei Jahrgänge mit jeweils 25.000 Kindern; davon 20 Prozent sind 15.000 Kinder; je- weils durchschnittlich 3000 Euro Zuschuss (Mischfinanzierung für Krippen und Ta- gesmuttermodell): 3.000 Euro x 15.000 = 45 Mio. Euro(2) Gerechnet im Wert von 2 Unterrichtsstunden durch LehrerIn pro Gruppe mit jeweils 20 Kindern – weiteres Lernen im Rahmen des normalen Kita-Betriebes.(3) Gerechnet wird die Übernahme der Elternbeiträge für Halbtagsbetreuung (5 Stunden pro Tag) durch das Land: 105 Mio. Euro pro Jahr (Elternbeitrag heute); zusätzliche Kosten pro Platz für das Land 4.611 Euro pro Jahr, Kosten pro Halbtagsplatz 3.061 Euro pro Jahr. Das ergibt: 105 Mio. Euro : 4.611 x 3.061 = 69,7 Mio. Euro für 3 Jahr- gänge. Ein Jahrgang kostet also zirka 23 Mio. Euro zusätzlich.(4) Grobe Schätzung, da der Bedarf sich nicht sicher ermitteln lässt.(5) Zusätzliche Mittel für Fördermaßnahmen zur Ermöglichung von differenziertem Unter- richt in Klasse 1-4 aufgrund des Wegfalls des Sitzenbleibens. Gerechnet wird eine Lehrerwochenstunde pro Klasse. Die Mittel sollten aber nicht unbedingt für LehrerIn- nen, sondern können auch für SchulassistentInnen eingesetzt werden.(6) Zusätzliche Mittel für Fördermaßnahmen zur Ermöglichung von differenziertem Unter- richt in Klasse 5-10 aufgrund des Wegfalls des Sitzenbleibens. Gerechnet wird eine Lehrerwochenstunde pro Klasse. Die Mittel sollten aber nicht unbedingt für LehrerIn- nen, sondern können auch für SchulassistentInnen eingesetzt werden.(7) Schätzung des Bildungsministeriums – Finanzierung von Betreuungsmaßnahmen und Unterricht nach dem Konzept der Schule.(8) Grobe Schätzung, da der Bedarf sich nicht sicher errechnen lässt. Die Mittel sollen schwerpunktmäßig in Grundschulen mit hohem Migrantenanteil eingesetzt werden.(9) Grobe Schätzung, da der Bedarf sich nicht sicher ermitteln lässt. Im Vergleich zur Se- kundarstufe I wird bei den Grundschulen ein deutlich höherer Ansatz in Rechnung gestellt, da es in der Sekundarstufe I wesentlich mehr Kooperationsmöglichkeiten (Ju- gendhilfe, Vereine und Schule) gibt.(10) Der Bund hat 1,5 Mrd. Euro für die Betreuung von Kindern unter 3 Jahren zugesagt. Das sind für Schleswig-Holstein zirka 50 Mio. Euro.(11) Durch Bildung von Oberstufenzentren werden die Kursgrößen den Klassengrößen in Sekundarstufe I angeglichen. Dadurch werden die Schülerkosten in Sekundarstufe II auf 6.000 Euro pro Jahr reduziert, und liegen immer noch um 1.400 Euro oberhalb von Sekundarstufe I. Rechnung: 17.500 Oberstufenschüler x 3.000 Euro = 52,5 Mio. Euro.(12) Gerechnet werden: 50 Prozent Wiederholer, 11 Jahre durchschnittliche Schulzeit. Bei einem Lehrer-Etat von 1,03 Mrd. Euro sind das 1/22 x 1,03 Mrd. Euro = zirka 47 Mio. Euro für Lehrerstunden. Die Kosten des Schulträgers einschließlich Investitionen werden auf geschätzt auf 3 Mio. Euro angesetzt.(13) Gerechnet wird, dass durch diese Maßnahmen der Klassendurchschnitt für Grund- schulen und Sekundarstufe I um 1,5 Kinder pro Klasse erhöht wird. Dann liegt Schleswig-Holstein immer noch um 0,5 Kinder/Klasse unter dem Durchschnitt in Ba- den-Württemberg und Hamburg und um 2,5 Kinder unter dem Durchschnitt von Bay- ern. Rechnung: 10 Jahre von 11 Jahren Schulzeit, durchschnittlich 25 Kinder pro Klasse: 1,03 Mrd. Euro x 10/11 x 1/25 = 55,1 Mio. Euro. Dazu kommen noch die Kos- ten des Schulträgers – sie sind hier weggelassen.Quellen:• Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen zur Kinderbetreuung in Schleswig- Holstein (15.8.2002) • Bericht der Landesregierung zur Unterrichtsituation 2001/2002 (4.6.2002) • Bericht der Landesregierung zur Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule (31.10.2001) • Schülerleistungen im Internationalen Vergleich (PISA) – im Auftrag der KMK (2001) • OECD-Bericht 2001 „Education at a glance“ ***