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Thorsten Geißler: Ausschuss muss Verfassungsfragen prüfen
LANDTAGSFRAKTION S C H L E S WI G - H O L S T E I N Pressesprecher Bernd Sanders Landeshaus 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 Internet: http://www.cdu.ltsh.de e-mail:info@cdu.ltsh.dePRESSEMITTEILUNG Nr. 374/02 vom 12. September 2002 Justizpolitik TOP 11 Thorsten Geißler: Ausschuss muss Verfassungsfragen prüfen Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über Sonn- und Feiertage will die FDP es ermöglichen, dass in Schleswig-Holstein in Zukunft in Gewerbe- und Industriegebieten der Betrieb von gewerblichen Autowaschanlagen an Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen zugelassen wird. Die Fraktion der FDP verfügt offenbar über einen guten Archivar, denn schon einmal hatte eine Fraktion dieses Hauses, nämlich im Jahr 1991, es war damals die CDU-Fraktion, einen ähnlichen Gesetzentwurf eingebracht, der damals allerdings mit den Stimmen von SPD und SSW angelehnt wurde, nicht zuletzt unter Hinweis auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes, in dem erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der beachtsichtigen Gesetzesänderung vorgetragen wurden.Ob diese verfassungsrechtlichen Bedenken heute noch durchschlagend sind, die FDP verneint es ja in der kurzen Begründung des Gesetzentwurfes, darüber wird im Innen- und Rechtausschuss sehr sorgfältig zu diskutieren sein. Ebenso wird darüber zu diskutieren sein, ob es Sinn macht, den Sonn- und Feiertagsschutz scheibchenweise weiter einzuschränken, so wie wir es bei der Neuregelung der Öffnungszeiten von Videotheken getan haben oder wie die Landesregierung es mit der Einführung weiterer verkaufsoffener Sonntage offenbar vorhat.Der Vorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises meiner Partei, der Kollege de Jager, hat völlig zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass gegenwärtig eine Salamitaktik bei der scheibchenweisen Aushebelung des Sonn- und Feiertagesschutzes Anwendung findet, bei der jede Ausnahmeregelung zur logischen Begründung für nächste Ausnahme herangezogen wird. Vielleicht ist es sinnvoller, einmal im Gesamtzusammenhang unter gesellschaftspolitischen als auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten in einen Diskurs darüber einzutreten, wie der Staat seine Ausgestaltungs- und Schutzpflicht für Sonn- und Feiertage unter sich wandelnden sozialen Bedingungen wahrnehmen soll. Dabei ist zu beachten, dass die verfassungsrechtliche Garantie des Sonn- und Feiertagsschutzes sowohl sozialen wie auch religiösen Zwecken dient. Die durch den Wochenrhythmus erfolgende synchrone Taktung des sozialen Lebens erst befähigt zu familiären und sonstigen gesellschaftlichen Aktivitäten. Nur unter der für die ganze Gesellschaft umfassenden verbindlichen Festlegung eines einheitlichen Ruhetages können sich die traditionellen familienspezifischen Sozialformen ausbilden. Auch andere Formen sozialer Geselligkeit, insbesondere Aktivitäten in gesellschaftlichen Verbänden, werden zumindest durch einheitliche gesellschaftliche Ruhetage gefördert, wenn nicht gar erst ermöglicht.Die mit einem Tag der Arbeitsruhe einhergehende physische und psychische Regeneration dient der körperlichen Unversehrtheit. Die Befähigung des Einzelnen zur Religionsausübung in Gemeinschaft ist ebenfalls ganz wesentlicher Zweck des Artikel 139 Weimarer Reichsverfassung, der Bestandteil des Artikel 140 des Grundgesetzes ist. Dabei folgen ich jenem nicht, die behaupten, in einer immer stärker säkularisierten Gesellschaft habe die sonntägliche Autowäsche bereits den Charakter einer religiösen Ersatzhandlung angenommen.Bei der Frage, was zum unantastbaren Kernbereich der Verfassungsnorm gehört und was der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers unterliegt, werden wir dem Wandel der Freizeitbedürfnisse Rechnung zu tragen haben. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass jeder Einsatz von Arbeitnehmern eine Durchbrechung der sonn- und feiertäglichen Arbeitsruhe ist. Deshalb ist auch im Falle der Arbeit für den Sonntag eine Abwägung zwischen den Freizeitbedürfnissen der Bevölkerung und der Belastung der Arbeitnehmer durch Sonntagsarbeit erforderlich. Es gilt der Satz: Wenn allzu viele für die Freizeitbedürfnisse der anderen arbeiten müssen, wird das Prinzip des Sonntagsschutzes verletzt. Demzufolge hält das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung Arbeit für Freizeitaktivitäten dann für unzulässig, wenn die Freizeitbedürfnisse werktäglichen Charakter haben. Dies sind die verfassungsrechtlichen Maßstäbe, die wir zu beachten haben bei der von der Landesregierung angekündigten Novellierung des Sonn- und Feiertagsgesetzes.Es geht aber auch um mögliche gesellschaftliche Folgen. Ohne Sonntage gibt es nur noch Werktage, plakatiert die Evangelische Kirche. Wenn wir nicht Acht geben, wird der Sonntag seinen Ausnahmecharakter verlieren, es wird mehr Gleichförmigkeit herrschen. Ob dies auf Dauer wirklich zu mehr Abwechslung oder nicht vielmehr zu mehr Langeweile führt, darüber werden wir sorgfältig zu beraten haben. Die Ausschussberatung wird eine solche grundsätzliche Erörterung trotz des eher geringen Regelungsgehaltes des Gesetzentwurfes willkommene Gelegenheit bieten.