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26.09.01 , 10:22 Uhr
CDU

Martin Kayenburg: Föderalismusdebatte nicht den Regierungen überlassen

LANDTAGSFRAKTION S C H L ES WI G - H O LS T EI N

Pressesprecher Bernd Sanders Landeshaus 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 Internet: http://www.cdu.ltsh.de e-mail:info@cdu.ltsh.de
PRESSEMITTEILUNG Nr. 380/01 vom 26. September 2001
TOP 32 Martin Kayenburg: Föderalismusdebatte nicht den Regierungen überlassen
die Ministerpräsidenten der Länder haben auf ihrer Jahreskonferenz 1998 in Potsdam beschlossen „die bundesstaatliche Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmenverteilung einschließlich der bestehenden Regelungen der Finanzverfasssung und des Länderfinanzausgleichs...einer kritischen Überprüfung mit dem Ziel der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung zu unterziehen“. Hierzu wurde eine Kommission von Bundestag und Bundesrat vereinbart, deren Beratungen durch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Regierungsebene vorbereitet werden sollen.
Seit 1998 diskutieren die Regierungen über die Reform des Föderalismus.
Aber wir dürfen die Föderalismusdebatte nicht den Regierungen allein überlassen!
Es geht eben nicht nur um Administration und Ausgleiche zwischen den Ländern, es geht vielmehr auch um unser Selbstverständnis als Parlament.
Es geht darum, wie wir künftig in unseren Ländern, in den politischen Einheiten und in den Regionen unsere Aufgaben wahrnehmen wollen und können. Es liegt in unserer Verantwortung, unsere Kompetenzen wirksam zu vertreten, Kompetenzabgrenzungen und -übertragungen zu definieren und auch durchzusetzen.
Derzeit laufen wir Gefahr, diese wichtigste Aufgabe der Parlamente durch die Regierungen allein wahrnehmen zu lassen. Damit können wir gestalterisch nicht wirksam eingreifen, sondern nur noch Ergebnisse nachträglich „abnicken“, die ohne unsere Beteiligung ausgehandelt wurden.
Dies entspricht zumindest nicht meinem Parlamentsverständnis.
Auch wenn die Öffentlichkeit die Diskussion um die Reform, des Föderalismus kaum wahrnimmt, so ist doch kaum ein Thema von solch gravierender Bedeutung für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit unserer Länder und Regionen. Dies gilt vor allem im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses. Mit dem Maastrichter Vertrag, dem Amsterdamer Vertrag und den damit verbundenen Kompetenzübertragungen, sowie der endgültigen Entscheidung für die europäische Währungsunion ist vielen doch erst bewusst geworden, welch tiefgreifende Konsequenzen sich daraus für die nationale Souveränität und darüber hinaus auch für die Handlungsspielräume der Länder ergeben. Hinzu kommt die fortschreitende Globalisierung, die auch von den Ländern und Regionen verlangt schneller und flexibler zu reagieren als bisher.
Für uns muss dies Anlass sein, uns intensiv für eine Neuorientierung des Föderalismus im Sinne einer Stärkung der Entscheidungskompetenzen und der Eigenverantwortung auszusprechen.
Wir beobachten mit Sorge, dass der Kompetenzzuwachs des Bundes in fast allen Politbereichen für die Länder lediglich in Ausnahmefällen noch politische Gestaltungsspielräume offen lässt. Bundesrechtliche Regelungen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung wurden immer zahlreicher und im Bereich der Rahmengesetzgebung immer detaillierter.
Die Reaktionszeit der Politik auf gesellschaftliche und die europäischen Entwicklungen wird dadurch viel zu langsam. Komplizierte und überregulierte Entscheidungsprozesse kennzeichnen unsere politische Wirklichkeit.
Entscheidungen werden aufgeschoben oder gar nicht getroffen. Wir, die gewählten Volksvertreter, werden damit dem durch die Wähler erteilten Auftrag nicht mehr gerecht, auf ökonomische, ökologische und soziale Veränderungen in angemessener Zeit zu reagieren.
Wir haben oft auch nicht den Mut, das komplizierte Dickicht von Interessen und Besitzständen wirksam zu beschneiden. Dies haben die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes nicht vorausgesehen und auch nicht gewollt, als sie den Föderalismus zum Grundprinzip unseres Staatswesens definierten.
Der föderale Grundgedanke geht davon aus, dass der Gesamtstaat für die Dinge zuständig ist, die im Interesse des Volkes einheitlich geordnet werden müssen. Die übrigen Angelegenheiten regeln die Gliedstaaten. Entsprechend dieser Grundidee spricht Artikel 70 Grundgesetz den Ländern die grundsätzliche Gesetzgebungskompetenz zu, soweit das Grundgesetz nicht ausdrücklich dem Bund die Gesetzgebungskompetenz verleiht. Um diese Kompetenz geht es im Kern in der heutigen Föderalismusdebatte.
Die in Artikel 72 geregelte konkurrierende Gesetzgebung wurde von den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates vor 50 Jahren als die Ausnahme angesehen. Man nahm damals an, dass höchstens 10 Prozent der Gesetze, die der Bund erlassen würde, zustimmungspflichtig sein würden. Dies war eine gravierende Fehleinschätzung. Schon in der ersten Wahlperiode von 1949 bis 1953 betrug der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze 40 Prozent. Heute sind um die 60 Prozent aller Gesetze zustimmungspflichtig durch den Bundesrat als Vertretung der Länder. Verantwortlich für diese Entwicklung war sicherlich auch der Artikel 72 des GG, und zwar Abs. 2 alte Fassung. Dort war die „Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus“ festgeschrieben. Bei der Revision des Grundgesetzes nach dem Beitritt der neuen Länder hat der Bundesgesetzgeber diese Formulierung in „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ abgeändert. Aber das Streben nach „Einheitlichkeit“ in fast allen Lebensbereichen hat sich fest in unserem Denken verankert. Die Tendenz zu bundesweit einheitlichen Regelungen von Sachverhalten war und ist die Regel. Dieses unitaristische Denken erschwert eine ergebnisoffene, zukunftsgerecht Föderalismusdebatte.
Davon dürfen wir uns bei der Erschließung der Potentiale des Föderalismus nicht beeinflussen lassen. Es geht doch darum, die positiven Wirkungen eines stärker am Gedanken des Wettbewerbs der Länder um die besten politischen Lösungen orientierten föderalen Systems zu erschließen, und zwar im Interesse der Bürger und im eigenen Interesse der Länder selbst. Es geht im Wesentlichen: ! um wieder stärker am Prinzip der Subsidiarität und Dezentralität ausgerichtete Entscheidungsstrukturen und damit um eine Erweiterung der Entscheidungskompetenzen der Länder; ! mehr Bürgernähe, um den regionalen Gegebenheiten sowie den Präferenzen der Bürger besser Rechnung tragende und damit auch effizientere Entscheidungsverfahren; ! Um mehr Ideenwettbewerb um die besten politischen Lösungsalternativen; ! darum, den Ländern als autonomen Entscheidungsträgern künftig mehr Eigenständigkeit und Eigenverantwortung einzuräumen und einen konstruktiven „Wettstreit der Ideen“ zu ermöglichen.
Die zunehmend kritische Sicht auf die mit dem Erscheinungsbild des „kooperativen Föderalismus“ in der Praxis verbundenen, tatsächlichen Entwicklungen macht deutlich, in welchen Bereichen Reformen zwingend ansetzen müssen, wenn damit eine Stärkung der Eigenverantwortung der Länder und mehr Wettbewerbsorientierung verbunden sein soll. Die Forderungen an einen modernen Föderalismus lassen sich wie folgt zusammenfassen: ! Die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder werden gestärkt. Möglichkeiten der Rückübertragung von Regelungskompetenzen auf die Länder sind zu nutzen. Der Bund zieht sich im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung zurück. Im Bereich der Rahmengesetzgebung werden bundesrechtlich Regelungen künftig ausschließlich auf unverzichtbare Eckpunkte konzentriert, Einzel- und Detailregelungen bleiben den Ländern vorbehalten. ! Die Mischfinanzierungen zwischen Bund und Ländern werden abgebaut. Anstelle der von Bund und Ländern gemeinsam finanzierten Aufgaben tritt künftig eine klare Zuweisung der jeweiligen Aufgabe entweder in die Finanzierungszuständigkeit der Länder einerseits oder des Bundes andererseits. Allerdings darf eine in diesem Zusammenhang vorgenommenen Verlagerung der Kostenverantwortung für eine konkrete Aufgabe auf die Länder nicht zu einem einseitigen Rückzug des Bundes führen. Vielmehr sind die entsprechenden finanziellen Mittel, die derzeit für die mischfinanzierte Aufgabe zur Verfügung stehen, in vollem Umfang und dynamisiert den Ländern zuzuweisen, die hierfür künftig allein verantwortlich sein sollen. ! Die Länder erhalten künftig eine eigene Steuerautonomie. Unter dem Gesichtspunkt der Stärkung der Eigenverantwortung der Länder ist dies einer der Schwerpunkte der zu diskutierenden Reformansätze. Gerade in der Möglichkeit unterschiedliche wirtschaftliche Gegebenheiten mit eigenen Regelungen gestalten zu können, liegt die große Chancen des föderativen Systems. ! Der Länderfinanzausgleich ist weiter zu entwickeln. Er muss so gestaltet sein, dass er auch Anstrengungen der Länder fördert und belohnt.
Meine Damen und Herren, wir stellen uns den Herausforderungen der Zukunft, wir wollen unsere Chancen nutzen und uns aktiv in die Diskussion um die Gestaltung der Rahmenbedingungen hierfür einbringen. Wir begrüßen die Einsetzung einer Kommission, in der der Deutsche Bundestag, die Bundesregierung und die Landesregierungen sich mit der Föderalismusreform beschäftigen wollen, wir fordern aber auch alle Beteiligten auf die Landesparlamente gleichberechtigt in die Beratungen einzubeziehen.
Der Landtag ist das oberste Organ der politischen Willensbildung in Schleswig- Holstein. Von daher haben wir nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, uns in die Fragen die uns als Verfassungsorgan direkt betreffen, mit einzubringen. Dieses Recht werden wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln einfordern.

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