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12.07.01 , 10:18 Uhr
CDU

Dr. Johann Wadephul:Mut zur Verantwortung: Grenzen setzen, damit wir die Menschenwürde weiter schützen

LANDTAGSFRAKTION S C H L ES WI G - H O LS T EI N

Pressesprecher Bernd Sanders Landeshaus 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 Internet: http://www.cdu.ltsh.de e-mail:info@cdu.ltsh.de
PRESSEMITTEILUNG Es gilt das gesprochene Wort
Nr. 299/01 vom 12. Juli 2001
TOP 29 und 33 Dr. Johann Wadephul: Mut zur Verantwortung: Grenzen setzen, damit wir die Menschenwürde weiter schützen
Mit der Diskussion um die Embryonenforschung behandeln wir heute eine der Schlüsselfragen des 21. Jahrhunderts. Das von der CDU-geführten Bundesregierung 1991 durchgesetzte Embryonenschutzgesetz war seinerzeit vorbildlich für ganz Europa und wurde von vielen EU-Mitgliedsstaaten nachgeahmt.
Auch die Umsetzung des Gesetzes war vorbildlich. Weder das blinde Vertrauen auf den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt noch eine irrationale Technikfeindlichkeit prägten das Handeln, sondern ein stets ethisch verantwortlicher Umgang mit diesem äußerst sensiblen Thema.
Nach scheinbar nur 10 Jahren merken wir, dass das Embryonenschutzgesetz der Rasanz des Tempos der Forschung nicht mehr standhält. Dass nun erneut Handlungsbedarf entstanden ist, ist zunächst einmal etwas Positives: Es ist vor allem der Wissenschaft in Deutschland, Europa und der Welt zu verdanken, dass der Fortschritt neue gesetzliche Regelungen notwendig macht.
Ohne diesen Fortschritt wären wir in vielen Bereichen der Wissenschaft um viele segensreiche Errungenschaften ärmer - ich nenne nur die Forschungen in den Bereichen Umwelt, Nahrungsmittel oder Medizin – Felder, die gerade für uns in Schleswig-Holstein sehr prägend sind.
Meine Damen und Herren, ich möchte den Forscherinnen und Forschern an dieser Stelle einmal unseren Dank aussprechen.
Wir müssen feststellen: Es geht in der wissenschaftlichen Debatte nicht mehr um die Frage, wie wir bei Biotechnologie und Gentechnik die Grundlagen ermitteln, sondern wie wir dieses Wissen beim Menschen zur Anwendung bringen. Und dies ist die neue Dimension an diesem Thema! Es ist der Forschung inzwischen immer mehr – naturwissenschaftliche Laien müssen den Eindruck bekommen, sogar schon fast grenzenlos alles möglich. Es ist die Aufgabe der Politik, Grenzen zu setzen und gesetzte Grenzen neuen Entwicklungen anzupassen, denn die Grenzen sind verschoben. Und das wird für uns, die wir Verantwortung für die Gesellschaft tragen, immer schwieriger, weil wir spüren, dass wir dabei immer deutlicher selbst an Grenzen stoßen: Grenzen unseres Einblicks in die Materie, Grenzen des Voraus- und des Nachdenkens, Grenzen des rechtzeitigen Reagierens und des verantwortlichen Agierens. Wir bewegen uns wie tapsend im absoluten Grenzbereich und suchen Halt und Orientierung.
Denn wir spüren, dass wir im Kern stoßen an die immer geheimnisvoll bleibende Grenze der menschlichen Existenz an sich. Es geht uns an die Substanz, an unsere eigene menschliche Substanz. Es geht um die Kernfrage, auch um die Kernfrage unserer Selbsterkenntnis:
Was ist der Mensch?
Wieweit ist menschliches Leben relativierbar? Wo beginnt die Verletzung der einzigartigen Würde des Menschen? Wo beginnen wir, uns als Geschöpfe anzumaßen, Schöpfer zu spielen? Was darf der Mensch? Und was darf er auf keinen Fall, selbst und gerade dann, wenn er es kann?
Die Debatte heute Morgen ist eine Debatte der leisen Töne, weil wir unter radikal veränderten Bedingungen die Würde des Menschen umso lauter verteidigen wollen.
Ich wünsche mir, dass wir den unbequemen Mut haben, uns zu deutlichen Grenzen zu bekennen:
Wir lehnen die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken und zu therapeutischen Zwecken ab, ebenso die verbrauchende Embryonenforschung und das sogenannte „therapeutische Klonen“.
Trotzdem habe ich Verständnis für das Anliegen der FDP. Die Möglichkeit, Methoden der Heilung schwerkranker Menschen zu entwickeln, darf nicht leichtfertig vergeben werden.
Wissenschaftliche Arbeit in diesem Bereich, der an die Grenzen des ethisch Vertretbaren stößt und dennoch segensreiche medizinische Neuerungen erwarten läßt, muss auf einer absolut sicheren rechtlichen Grundlage stehen und gesellschaftlich akzeptiert sein. Wir dürfen nicht in die Situation geraten, dass eine für unser Land wichtige Zukunftstechnologie in den Ruf der ethischen Fragwürdigkeit gerät.
Für mich gibt es im Bereich der Stammzellenforschung noch mehrere offene Fragen, die geklärt sein müssen, bevor eine gesetzliche Regelung in Angriff genommen werden kann. Ich frage mich: Ist es für unsere Gesellschaft akzeptabel, dass im Vorfeld der künstlichen Befruchtung Embryonen hergestellt werden, von denen ein Teil nicht gebraucht und „verworfen“, also nicht am Leben erhalten wird? Das akzeptieren wir anscheinend – die Forschung an diesen überzähligen Embryonen steht aber unter Strafe. Ich kritisiere das nicht – ich weise auf den Widerspruch hin.
Oder: Künstliche Befruchtung wird auch in Zukunft quasi, in Anführungszeichen „verbrauchende“ Embryonenforschung bedingen. Wann zahlt die AOK, wann wird die Staatsanwalt auf den Plan gerufen?
Oder: Wie gelingt es uns, Regeln aufzustellen, die unseren hohen Ansprüchen an Sicherheit und Ethik entsprechen, ohne dass wir in Kauf nehmen müssen, dass die Menschen dorthin fahren, wo weniger strenge Regeln gelten, um sich einer Behandlung zu unterziehen? Es gibt keine regionale Ethik. Wir brauchen eine globale Ethik. Wir haben die Verantwortung für ein Weltethos!
Das sind in meinen Augen keine Detailfragen, die man im Zuge eines Gesetzgebungsprozesses klären kann. Das sind Fragen, deren Beantwortung das Wertebewußtsein unserer Gesellschaft in Zukunft mit prägen wird.
Und wir müssen aus diesem Anlass auch einmal die Aufgabe von Politik erörtern. Wer steuert in diesen Fragen? Muss Politik nicht mehr tun, als ständig – auch in diesem ethisch-moralischen Bereich - auf Entwicklungen zu reagieren? Wir müssen Mechanismen entwickeln, die es uns ermöglichen, zu agieren, nicht zu reagieren. Und wir müssen uns fragen lassen, welche Verantwortung wir haben, wenn wir – wie ich finde töricht und leichtfertig – Begriffe wie „verbrauchende Embryonenforschung“ verwenden, die dann ebenso leichtfertig als feststehende Begriffe von der öffentlichen Meinung aufgenommen und ohne Bedenken weitertransportiert werden.
Aus all diesen Gründen stellen wir hier den Antrag, ein Moratorium zu beschließen. Wir brauchen eine Aus-Zeit! Moratorium: Das bedeutet nicht Denkpause, sondern Pause zum Denken, zum innehalten, zum nach- vorausdenken. Ein solches Moratorium bedeutet noch keine Entscheidung in der Sache, dazu ist es einfach noch zu früh! Wir brauchen Zeit für eine ausführlich Diskussion. Wir nehmen uns das im Alltag kostbarste Gut, nämlich Zeit, für das Kostbarste, nämlich unsere menschliche Würde.
Vor diesem Hintergrund ist es in meinen Augen ein zweifelhafter Vorgang, wenn Wissenschaftler embryonale Stammzellen nach Schleswig-Holstein einführen.
Jedem, der sich mit der Materie befasst, und davon kann man bei den angesprochenen Wissenschaftlern ja wohl ausgehen, weiß, dass der Import dem Geist des Embryonenschutzgesetzes zuwider läuft. Er ist nur deshalb nicht ausdrücklich verboten, weil die technische Möglichkeit zum Transport während des damaligen Gesetzgebungsverfahrens noch nicht bekannt war. Ich bin mir der Bedeutung der Stammzellenforschung vollauf bewußt – aber: Wer heute eine noch bestehende Regelungslücke ausnutzt, um unumkehrbare Tatsachen zu schaffen, der gefährdet das Vertrauen der Bevölkerung und der Politik in die ethische Sensibilität der Wissenschaft.
Ich bin sehr erfreut über die Aussage der Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur, dass auch sie die Auffassung teilt, bei einem Import handle es sich um einen Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz. Mich beunruhigt allerdings die Tatsache, dass auch das zuständige Ministerium anscheinend aus der Presse über diese Vorgänge informiert wurde.
Bei allem Verständnis, Ministerin Erdsiek-Rave, dafür, dass ihr Haus derzeit den Schwerpunkt seiner Arbeit auf den fehlervermeidenden Umgang mit Haushaltsdaten legt – in solch sensiblen Bereichen muss ein Ministerium wissen, was im Lande vor sich geht!
Nochmals: Ein Moratorium sorgt dafür, dass in Schleswig-Holstein keine Fakten geschaffen werden, die vielleicht irgendwann unumkehrbare Folgen auslösen, die wir alle nicht wollen.
Wir wissen, dass mit einer Verschiebung der Entscheidung auch eine hohe Verantwortung verbunden ist. Viele europäische Länder haben heute schon deutlich liberalere Regelungen als wir. Wir wollen nicht, dass Forscher oder Patienten abwandern.
Eine konsequente und zielführende gesellschaftliche Diskussion ist deshalb genau der richtige Weg. Wir lassen uns dabei auch nicht durch Äußerungen des Bundeskanzlers unter Druck setzen, der meint, noch in diesem Jahr um jeden Preis eine Entscheidung herbeiführen zu müssen. Die CDU ist der Auffassung, dass eine überhastete Entscheidung nicht nur Gefahr in sich birgt, ein der Thematik nicht angemessenes Ergebnis nach sich zu ziehen, sondern so auch der Wissenschaft und Wirtschaft in diesem Bereich nachhaltig zu schaden.
Dies ist eine Stunde der Politik, die wir verantwortungsbewußt, zielstrebig aber ohne Hast nutzen sollten.
Haben wir Mut zur Verantwortung!

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