Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

24.01.01 , 10:38 Uhr
SPD

Friedrich-Carl Wodarz zu TOP 11, 13, 15 und 16: Eckpunkte für einen besseren Verbraucherschutz

Sozialdemokratischer Informationsbrief


Landtag Kiel, 24.01.01
aktuell Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn



Friedrich-Carl Wodarz zu TOP 11, 13, 15 und 16:

Eckpunkte für einen besseren Verbraucherschutz (SPD) Lebensmittel und Futtermittelkontrollen (FDP) Entschließung zu den erforderlichen Maßnahmen (CDU)


Das Gesprächsthema Nr. 1 ist derzeit BSE. Es gibt keinen gesellschaftlichen Bereich, in dem Menschen in Deutschland und mittlerweile in ganz Europa nicht die Frage nach der Gesundheit der Nahrungsmittel diskutieren. BSE ist da nur ein Stichwort. Die jüngsten Futtermittelskandale in der Schweinemast leiten dann zu einer allgemeineren Diskussion über.

In der letzten Landtagssitzung hat die SPD-Fraktion bereits eine Neuorientierung in der Landwirtschaft und Ernährungsmittelindustrie gefordert. Seit dieser Sitzung hat sich einiges verändert - und damit meine ich nicht nur den Wechsel der Bundesminister.

Es gibt mehrere Vorschläge und Papiere. Die wirkungsvollsten waren wohl zunächst das Papier des Staatssekretärs Wille und die Vorschläge der NRW-Ministerin Bärbel Höhn. All diese Vorschläge sind im Grunde nicht neu, die Art und Ernsthaftigkeit, wie jetzt diskutiert wird, ist es aber. Es bedurfte offenbar dieser gesellschaftlichen Krise, um endlich zu Handlungskonzepten und Umsetzungen zu kommen. Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



Während früher Gedankengänge über eine Ökologisierung der Landwirtschaft besten- falls als fach- und sachfremde Spinnereien abgetan wurden, öffnen sich heute immer mehr Menschen solchen Gedankengängen. Ich konnte das unmittelbar bei meinem Besuch der Grünen Woche in Berlin erleben. Nicht nur Landwirte, auch Verarbeiter und Gastronomen fordern eine Neuorientierung. Ein „weiter so“ wurde abgelehnt, und man argumentierte differenziert. Ich halte die Aufklärungskampagne einiger Bauern in Schleswig-Holstein für den rich- tigen Weg, um aufzuklären, aber auch um die Befindlichkeiten der Verbraucher zu er- fahren.

Ich möchte gern einmal wissen, was Treckerblockaden und Rinder auf Autobahnen und Bundesstraßen zur Vertrauensbildung bei Verbrauchern beitragen können. Da versuchen Funktionäre nur, ihre Handlungsdefizite zu kaschieren.

Die neuerlichen Futtermittelskandale in Bayern und Österreich machen die Vertrau- ensbildung aber nicht leichter. Die Arroganz, mit der ein Herr Stoiber auf diese krimi- nellen Machenschaften reagiert ist schon erstaunlich. Das Positive an diesen Skandalen ist aber, dass sie öffentlich werden und die Mehr- heit der Verbraucher sie nicht mehr toleriert. BSE wurde in Deutschland erst wahrgenommen, nachdem kontrolliert worden war. Dass in bestimmten Mastsystemen Antibiotika eingesetzt werden, ist keine Neuigkeit. Nicht umsonst verbieten und kontrollieren Markenfleischprogramme die Verwendung dieser Zusatzstoffe. Wir fordern daher schärfere und häufigere Kontrollen und müssen uns dann auch eingestehen, dass wir dafür mehr Mittel bereitzustellen haben. SPD und Grüne im Schleswig-Holsteinischen Landtag fordern daher die Landesregie- rung auf, sich an den im Antrag formulierten Eckpunkten zu orientieren. Wir fordern absolute Priorität für einen effizienten Verbraucherschutz. Unabhängig von Markenprogrammen oder Qualitätssiegeln darf von Nahrungsmitteln kein Gesundheitsrisiko ausgehen. Gesunde Lebensmittel müssen selbstverständlich und für jeden Geldbeutel erschwinglich sein. -3-



Qualitätssiegel sollten darüber hinaus Anforderungen an die Produktionsweise, die Tierhaltung und die Umweltverträglichkeit stellen. Einen undifferenzierten Einsatz der Gentechnik lehnen wir strikt ab.

Ich verstehe die naive Technikgläubigkeit der CDU nicht. Schauen Sie doch einfach einmal auf den US-Markt, wo mittlerweile auf ca.17 % der Ackerfläche transgene Pflanzen angebaut werden und die ersten Anzeichen von Umweltunverträglichkeit (Sterben von Schmetterlingen) und Gesundheitsschädlichkeit (allergische Reaktionen) zu beobachten sind. Die Verbraucher reagieren und kaufen kein Genfood, und die Agroindustrie setzt Milliarden in den Sand.

Wenn uns die heimische CAU die Gentechnologie als Heilmittel für den Welthunger einreden will, so zitiere ich die Agrarexpertin Jane Rissler, die Unterernährung nicht als Problem falscher Technik, sondern der Armut entlarvt. Und weiterhin Frau Rissler: „Jahrzehntelang haben uns die Firmen einzureden ver- sucht, dass ihre Pestizide gar nicht so schlimm seien. Jetzt teilen uns dieselben Fir- men mit, die Pestizide seien eben doch derart gefährlich, dass wir Genpflanzen brau- chen, die einen geringeren Pestizideinsatz ermöglichen - halten die uns eigentlich für blöde?“

Das Stichwort von der gläsernen Produktion ist mittlerweile in aller Munde. Setzen wir diese Forderung also um - und zwar umgehend. Die lückenlose Herkunftskennzeich- nung ist bei uns schon heute durchführbar. Warten wir nicht auf eine EU-Richtlinie oder ein Bundesgesetz - was natürlich kommen muss -, handeln wir bis dahin freiwillige Vereinbarungen aus, die es ja schon gibt. Un- längst hörte ich von einer Erzeugergemeinschaft, die sich zu sehr strikten Qualitäts- standards verpflichtete. Jedes Mitglied musste einen Wechsel über 20.000,00 DM hin- terlegen, der sofort bei einem Richtlinienverstoß fällig wurde. Bislang wurde ein Wech- sel fällig. Zu einer solchen Erzeugergemeinschaft hätte ich Vertrauen. Landwirte, die unerlaubte Antibiotika eingesetzt haben, sind kriminell. -4-



Diese Herrschaften wussten, was sie tun, und ich akzeptiere nicht die entschuldigen- den Kommentare, der scharfe Wettbewerb zwinge sie zu solchen Maßnahmen. Viele gesetzestreue und wirtschaftlich erfolgreiche Landwirte beweisen das Gegenteil.

Wettbewerb ist immer scharf und führt immer zu Verdrängungen. Das ist ein markt- wirtschaftliches Prinzip, das rechtfertigt oder entschuldigt kein Handeln, das die Ge- sundheit von Verbrauchern gefährdet. Doch auch die rechtschaffenden Landwirte wissen oft nicht, was sie denn eigentlich an ihre Tiere verfüttern. Wie die Lebensmittel müssen auch die Futtermittel klar und vor allen Dingen verständlich deklariert sein.

Einen breiten Raum nimmt die Frage nach dem Umfang des Ökolandbaus in der Dis- kussion ein. Ich lehne jede Festlegung auf eine konkrete Zahl ab. Wenn in dem Wille- Papier die Rede von 20 %-Anteil der Ökolandwirtschaft an der Gesamtproduktion ist, so spricht der Staatssekretär mittlerweile von einem möglichen Potenzial in dieser Größenordnung. Das mag angehen. Ein Gradmesser in nicht erreichbaren Prozenten würde nur enttäuschen und eine posi- tive Entwicklung verschleiern und könnte von konventionell wirtschaftenden Landwir- ten als Diskriminierung verstanden werden.

Ansonsten wollen und müssen wir die Rahmenbedingungen für den Ökolandbau verbessern und hoffen, dass der Markt dieses annimmt. Dazu gehört es aber auch, dass Ökoprodukte professioneller beworben werden müssen. Öko muss raus aus der Nische. Öko ist gesund und modern und kein Produkt, das man mit Lustfeindlichkeit, Esoterik oder Besserwisserei verbindet. Öko muss als Alternative aber auch präsent sein, und zwar in allen Läden und Supermarktketten.

Verkaufskampagnen, die den regionalen Bezug der Produkte betonen, wurden schon recht erfolgreich in Schleswig-Holstein gefahren, sie sollten mit Ökoprodukten verbun- den werden. -5-



Ich erwarte hier von den beteiligten Verbänden aber auch, dass sie verstärkt bei den Berufskollegen über ihre Wirtschaftsweise aufklären - ohne Besserwisserei und ohne Vorwürfe. Ich habe oft eine große Unwissenheit über ökologische Produktionsmetho- den bei konventionellen Landwirten feststellen können. Man kann auch voneinander lernen. Hier fordere ich eine deutliche Wende in der Lehre und Forschung ein, denn die neue Ausrichtung der Landwirtschaft ist eine langfristige Aufgabe.

Weder unsere Fachhochschule noch die Universität haben sich in ausreichender Wei- se bisher der Lehre des ökologischen Landbaus gestellt. Ich habe im Gegenteil von Studenten erfahren können, dass diese Produktionsmethode belächelt und allenfalls als Nischenproduktion angesehen wird. Ökolandbau als interdisziplinäres Prinzip ist zwar verstanden worden - ich verweise auf den Lindhof - aber noch lange nicht umge- setzt worden. Gleiches gilt für die Berufsschulen. Ich fordere in diesem Zusammen- hang zum wiederholten Male neue und verbindliche Lehrpläne.

Unabhängig von der „reinen Lehre“ muss ein natur- und umweltverträgliches Wirt- schaften in der Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft Produktionsprinzip sein. Ein zentraler Punkt wird dabei die Prämienpolitik sein. Grundsätzlich sollte sich die Prämie an der Fläche und nicht an der Menge der Pro- dukte orientieren. Wir werden aber auch zu einem neuen Konsens kommen müssen, wie „gute fachliche Praxis“ zu definieren ist. Der Aufschrei über das Diskussionspapier des Ministeriums und der Kammer in diesem Landtag war schon entlarvend. Der Beg- riff „gute fachliche Praxis“ darf nicht beliebig interpretiert werden. Wir werden ihn regional unterschiedlich auslegen müssen. Allerdings nicht so, wie es die bayerische Politik zur Zeit macht. Es wird vordringlichste Aufgabe sein, ein System zur Bewertung und Honorierung von ökologischen Leistung aufzubauen und kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Natur- und umweltverträgliche Landbewirtschaftung und eine artgerechte und flächen- gebundene Tierhaltung werden wichtige Parameter sein. -6-



Die Silomaisprämie ist nur ein agrarpolitischer Unsinn, den es umgehend zu beseitigen gilt und der durch eine Prämie zu ersetzen ist, die Grünland oder den Anbau von ei- weißhaltigen Futtermitteln fördert.

Ich betone auch an dieser Stelle: Wir lehnen die Verfütterung von gentechnisch verän- derten Futtermitteln ab. Wenn diese verwendet werden, muss auch auf dem Endpro- dukt, d. h. dem Fleisch, eine verständliche und vollständige Deklaration erfolgen.

Die SPD-Fraktion ist überzeugt, dass wir eine gesunde Nahrungsmittelproduktion nur über eine Ökologisierung der Landwirtschaft erreichen werden. Neben neuen Standards bei der Vergabe von Qualitätssiegeln der Lebensmittel sollten sich auch mehr Betriebe einem Umweltauditsystem unterwerfen. Wir stellen dafür Mit- tel bereit, und die Landesregierung hat m. W. bislang keinen Antrag für ein Umweltau- dit abgelehnt.

Wir sollten das Instrument der LSE zukünftig verstärkt nicht nur im Sinne der Agenda 21, sondern auch im Sinne der Agenda 2000 nutzen.

Ich kann mir sehr gut Projekte vorstellen, die die Einrichtung von Ökobetrieben oder die Umstellung von konventionellen Betrieben einbeziehen. Hier könnte ein Diskurs geführt werden, der alle Betroffenen einbezieht und Akzeptanz vor Ort schafft. Wenn mir ein Ökobauer erzählt, dass er seit der Umstellung seines Betriebes nicht mehr bei seinem Skatclub gelitten ist, kann das nicht das letzte Wort sein.

In einer Denkschrift der Robert-Koch-Stiftung wird von „subsidiärer Organisation von Entscheidungsprozessen“ gesprochen, wobei die Mitwirkung und Mitentscheidung der Betroffenen (hier: Landwirte, Verbraucher, Verarbeiter, die Gemeinde, etc.), die ein Umweltproblem durch ihr Verhalten oder Handeln schaffen und es durch Änderungen von Verhalten und Handeln beseitigen und begrenzen können eine wesentliche Aus- gestaltung der Subsidiarität darstellt. -7-



Dieses wissenschaftlich formulierte Postulat kann in unseren bewährten LSE verwirk- licht werden. Ich schlage vor, dass wir diese Idee in einigen ausgewählten Referenzprojekten realisieren.

Ich kann mir dies sehr gut in Trenthorst/Wulmenau vorstellen, wo demnächst ca. 300 ha einer neuen Nutzung zugeführt werden. Das Forschungsinstitut wäre als Kompetenzzentrum eingebunden. Gleiches könnte ich mir in der Region des Lindhofes vorstellen. Und wenn der Kollege Feddersen auf Pellworm das wahrmachen würde, wozu er sich verbal so gerne bekennt, so könnte ich mir die dort anlaufende LSE genau in diesem Sinne vorstellen, zumal der Anteil ökologisch produzierender Landwirte mit 12 % auf Pellworm sehr hoch ist. Der Pellwormer Stand auf der Grünen Woche war sehr sympa- thisch und ein guter Werbeträger. Lassen Sie bitte den ökologischen Landbau auf Ihrer Insel nicht zu einem Werbegag verkommen.

Die Diskussion um einen verbesserten Verbraucherschutz wird z. Z. im Wesentlichen unter dem Eindruck der BSE-Krise geführt. Die erneuten Futtermittelskandale führen uns drastisch vor Augen, dass die Probleme komplexer sind, z. T. kriminelle Strukturen aufweisen, und es im Wesentlichen um das Verdienen schnellen Geldes geht. Der Verbraucher spielt bei diesen Leuten keine schutzwürdige Rolle.

Unabhängig von der Betriebsgröße gibt es in fast allen Bereichen der Tierproduktion Handlungsbedarf, den wir mit unserem Antrag ebenfalls ansprechen wollen. Das Prob- lem der legalen und illegalen Verwendung von antibiotischen Leistungsförderern und die prophylaktische Verabreichung von antibiotischen Arzneimitteln ist allen bekannt, nicht nur in der Schweinmast, auch in der Geflügelmast.

Das Tierschutzgesetz verbietet sog.“Qualzüchtungen“, und man regt sich trefflich über Taubenzüchter auf, die zugegeben, etwas eigenartige Schönheitsvorstellungen haben und Tiere züchten, die in der Wildbahn nicht überlebensfähig sind. Mir erscheint es wichtiger, dass wir über die millionenfachen Qualzüchtungen in der Hähnchen- und -8-



Putenmast sprechen. Diese unnatürlichen Hybridzüchtungen leiden Höllenqualen und werden in den seltensten Fällen ohne Antibiotika aufgezogen. Jeder weiß das, keiner handelt!

Da ich davon ausgehe, dass alle Anträge zur Beratung in den Agrarausschuss gehen und wir hier nicht in der Sache abstimmen, möchte ich der CDU noch auf den Weg geben: Mit einigen Punkten Ihres Antrages kann ich mich sehr wohl einverstanden er- klären. Die Einzelmaßnahmen sind in Ordnung, doch vermisse ich bei Ihnen den Wil- len oder die Vorstellung für eine grundsätzliche Neuorientierung. Sie greifen zu kurz und verharren im alten System. Dafür typisch ist m. E., dass Sie in alter Bauernver- bandstradition zunächst einmal die Übernahme zusätzlicher Kosten durch den Staat fordern. Der Partei, die doch immer die Marktwirtschaft so vehement gegen die Sozial- demokratie zu verteidigen bereit ist, fällt nichts weiter ein, als abgewirtschaftete, plan- wirtschaftliche Instrumente zu fordern. Wer ein offenes Ohr hat, vernimmt den Unmut der Landwirte über das traditionelle Po- litikmuster des Bauernverbandes. Herr Sonnleitner rudert ja schon mächtig zurück. Die Zeiten, in denen ein von Heereman die agrarpolitischen Weichen der Bundesregie- rung stellte, sind vorbei. Genauso wie die Zeiten, in denen die Agrobusiness-Lobby den Abgeordneten die Änderungsvorschläge direkt diktierte.

Nutzen wir diese Krise zu einem Neuanfang. Ohne Schuldzuweisung, Ohne ideologi- sche Scheuklappen, mit Besonnenheit und klaren Zielvorstellungen. Allerdings, drei Prämissen sollten wir uns verpflichtet fühlen: Dem Verbraucherschutz - dem Umwelt- schutz - und dem Respekt vor der Würde des Tieres.

Download PDF

Pressefilter

Zurücksetzen