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24.01.01 , 10:08 Uhr
FDP

Christel Happach-Kasan zur BSE-Debatte

F.D.P. L a n d t a g s f r a k t i o n Schleswig-Holstein 1 Christian Albrecht Pressesprecher
V.i.S.d.P.


F.D.P. Fraktion im Nr. 13/2001 Schleswig- Holsteinischen Landtag Landeshaus, 24171 Kiel Kiel, Mittwoch, 24. Januar 2001 Postfach 7121 Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497 Sperrfrist: Redebeginn E - Mail: fraktion@fdp-sh.de Internet: http://www.fdp-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!
In ihrem Debattenbeitrag zu TOP 11, 13, 15 und 16 (BSE-Debatte) sagte die agrar- und umweltpolitische Sprecherin der F.D.P.- Landtagsfraktion, Dr. Christel Happach-Kasan:
„Seit dem 24. November 2000 ist die BSE-Freiheit Deutschlands Geschichte.



Presseinformation Dies ist zutage getreten, weil der Lebensmittelhandel freiwillig ohne jegliche gesetzliche Grundlage bei einem Schlachtrind einen BSE- Schnelltest durchführen ließ. Staatliche Kontrollen haben zur Aufdeckung von BSE in einem schleswig-holsteinischen Bestand nichts beigetragen. Die Behörden in Ihrem Verantwortungsbereich, Herr Umweltminister, haben versagt.
Hinweise, dass Deutschland nicht BSE-frei ist, gab es schon früher, aber niemand, ich betone, niemand hat sie ernst genommen - auch diejenigen nicht, die jetzt für sich reklamieren, es schon immer gewusst zu haben.
1990 traten in Niedersachsen auf einem Hof bei Hannover BSE- Verdachtsfälle auf. Der zuständige Minister war Hermann Funke (SPD). Dem Verdacht wurde nicht nachgegangen. Experten, wie der Europaabgeordnete Reimer Böge, sind der Auffassung, dass dieses möglicherweise die ersten deutschen BSE-Fälle waren.
1994 vermutete eine Tierärztin, dass es in einem Schlachthof im Kreis Segeberg BSE-auffällige Tiere gegeben habe. Die Gehirne mehrerer Tiere wurden untersucht. Der Gutachter stellte fest, dass „perineuronale Vakuolen“ gefunden wurden und bewertete dies vorsichtig als - ich zitiere aus dem Gerichtsurteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 23. 5. 1997 - „histopathologisch kein eindeutiger Hinweis auf BSE“. Im Untersuchungsbericht der Landesregierung vom 5. Oktober 1994 des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei des Landes Schleswig-Holstein heißt es jedoch abschließend: „Der Vorwurf, BSE-verdächtige Rinder seien ... geschlachtet worden, trifft eindeutig nicht zu.“ Auch in diesem Fall ist festzustellen, der Verdacht wurde ignoriert. Der zuständige Minister war Hans Wiesen (SPD). Und noch auf der vorletzten Sitzung des Agrarausschusses, nach dem ersten BSE-Fall in Schleswig-Holstein, wiegelte Staatssekretär von Plüskow auf meine Nachfrage hin ab, da wäre nichts gewesen. 2 In der Kommissionsentscheidung 98/272/EC werden die Länder der EU verpflichtet, ein Monitoringprogramm aufzulegen, um das Vorkommen von BSE in ihren Rinderbeständen zu untersuchen. Über die Umsetzung heißt es in einem Bericht der EU vom September 2000, dass in einem Labor in NRW, das für BSE-Kontrollen zuständig war, mehr als 30% der Proben nicht getestet werden konnten, weil sie vergammelt waren, wörtlich „they were rotten“. Zuständige Ministerin Bärbel Höhn (Grüne). Ähnliches wird aus Bayern berichtet, die zuständige Ministerin (CSU) ist gerade zurückgetreten.
Frau Höhn lässt sich feiern, weil sie in NRW 5000 Rinder hat auf BSE testen lassen. Die EU sieht keinen Grund für Eigenlob und wertet den Test ausdrücklich nicht als Umsetzung der EU-Entscheidung. Und dies mit gutem Grund: Der Test war nicht anerkannt, es wurden nur Tiere getestet, die - so die Kommission wörtlich - „all the animals tested in this exercise were animals fit for human consumption“.
Im Fazit will ich festhalten, Hinweise auf BSE sind von Regierungen in Deutschland nicht ernst genommen worden, notwendige Kontrollen wurden nicht durchgeführt. Vor diesem Hintergrund hat die F.D.P. ihren Berichtsantrag zur Kontrolle der Lebens- und Futtermittel gestellt.
Niemand kann Lebensmitteln ansehen, ob giftige Zutaten verwandt wurden, bakterielle Verunreinigungen vorhanden sind. Deshalb brauchen wir Lebensmittelkontrollen. Sie gehören zu den wichtigen staatlichen Maßnahmen, die Verbraucherinnen und Verbraucher Vertrauen in die Lebensmittel geben, die auf der Ladentheke angeboten werden.
Der Umweltminister hat schon vorab erklärt, dass Lebensmittel teilweise Sondermüll seien, ein in der grünen Szene gern gepflegtes Klischee. Wenn das so ist, Herr Minister, werden Sie und Ihr Vorgänger zur Verantwortung gezogen. Es liegt in der Verantwortung des jeweiligen Umweltministers durch Kontrollen dafür zu sorgen, dass die Lebensmittel, die bei uns auf den Tisch kommen, in Ordnung sind.
Von Ihnen, Herr Minister, wird verantwortliches Regierungshandeln erwartet, nicht Verbalradikalismus gegen ihnen verhasste Berufsgruppen.
Im übrigen Herr Minister, Sie sind auch für Sondermüll verantwortlich.
Was hilft den Verbraucherinnen und Verbrauchern Ihre Charakterisierung von Lebensmitteln als Sondermüll? Soviel wie Ihre sonstige Politik, nämlich nichts.
Mein Kollege Peter Jensen-Nissen hat aufgezeigt, dass die Futtermittelkontrollen äußerst lasch gehandhabt wurden, oder anders gesagt, Futtermittelkontrollen waren rot-grün kaum eine müde Mark wert. Bei Mängeln trifft´s ja nur die Landwirtschaft. Nicht einmal das bereits seit 1994 bestehende Verbot der Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer wurde überwacht, obwohl doch das Verbot der Verfütterung von Tiermehl zu Ihren Glaubensbekenntnissen gehört.
Verbote werden von rot-grün immer wieder gefordert. Für die zur Umsetzung von Verboten notwendigen Kontrollen stellt rot-grün jedoch nicht die erforderlichen Mittel bereit. Rot-grüner Schnickschnack hat Vorrang. Damit wird der immer wieder laut werdende Ruf nach Verboten als wirkungsloser Reflex entlarvt.
Die Bewältigung der durch das Auftreten von BSE in deutschen Rinderbeständen eingetretenen Krise in der Land- und Ernährungswirtschaft verlangt ein zielstrebiges und vorrangig auf die Bewältigung der Krise ausgerichtetes Management. 3 Gerade Schleswig-Holstein kann sich auch vor dem Hintergrund der finanziellen Lage des Landes nichts anderes leisten.
Jeglicher ideologische Schnickschnack hat zur Folge, dass die Menschen im Land verstärkt den Eindruck gewinnen, die Politik kümmere sich nur um ihre ideologischen Grabenkämpfe aber nicht um die Sorgen und Nöte der Menschen.
Die Gesundheit der Nahrungsmittel muss gewährleistet sein, das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in unsere Nahrungsmittel wiederhergestellt werden, die Existenz mittelständischer Betriebe gesichert werden.
Arbeitslosigkeit und Insolvenzen in der Land- und Ernährungswirtschaft sind für die betroffenen Menschen genauso schlimm wie in jedem anderen Wirtschaftsbereich. Da darf die Politik nicht mit einem Achselzucken zur Tagesordnung übergehen.
Der Antrag von SPD und Grünen „Eckpunkte für einen besseren Verbraucherschutz“ enthält Positionen, der die F.D.P. durchaus zustimmen kann. Aber einige Formulierungen sind nicht überzeugend. Was bedeutet denn „die Umkehr in der Nahrungsmittelproduktion“. Soll links- statt rechtsherumgepflügt werden? Es bleibt doch dabei, dass Kühe Kälber gebären und Milch geben, oder wollen Sie das ändern? Ich weiß auch nicht, was Sie unter einer Offensive im Bereich der Lebensmittelstandards verstehen. Das klingt sehr militärisch, aber das Problem ist doch, dass die Landesregierung nicht einmal die Umsetzung der bestehenden Standards sicherstellen kann.
In unserem Alternativantrag gehen wir weniger ins Detail und geben statt dessen die Leitlinien vor:
• Der Schutz der Verbraucher hat oberste Priorität. • Wir brauchen eine artgerechte und gläserne Tierhaltung. • Das Gütezeichen der Landwirtschaftskammer soll weiterentwickelt werden, denn wir haben anders als andere Bundesländer bereits ein bundesweit bekanntes Gütezeichen. Warum wollen wir es nicht nutzen, um für besonders sichere und vielfältig geprüfte Lebensmittel zu werben? • Die Lebens- und Futtermittelkontrollen müssen intensiviert werden, denn es sind Defizite zutage getreten. • Wie brauchen eine natur- und umweltverträgliche Landwirtschaft. • Wir wollen eine Weiterentwicklung der EU-Agrarreform mit einer Grünlandprämie. • Wir brauchen auch in Schleswig-Holstein BSE-Forschung. Nur dann haben wir schnell und umfassend Zugriff zu den aktuellsten Forschungsergebnissen anderer Einrichtungen. Im übrigen bringen die Institute der CAU wie der Fachhochschule glänzende Voraussetzungen für ein attraktives Forschungsprogramm mit. • Wir wollen den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft, denn sonst könnten alle gut gemeinten Maßnahmen bei uns dazu führen, dass wir doch unsere Lebensmittel importieren müssen, weil hier alle Produzenten pleite sind.
Zum Entschließungsantrag der CDU bringt die F.D.P.-Fraktion einen Änderungsantrag ein.
Wir alle hoffen, dass entsprechend den Ankündigungen im Sommer ein Lebendtest auf BSE zur Verfügung stehen wird. Dies würde die Bekämpfung der Krankheit unendlich erleichtern. Das ist noch Zukunftsmusik, dennoch sollte festgelegt werden, dass eine Übernahme der Gebühren für den Schnelltest nur bis zu diesem Zeitpunkt vom Staat getragen werden kann. Schließlich soll der Lebendtest, wenn er zur Verfügung steht, möglichst schnell und von allen Betrieben zur Sanierung der Rinderbestände genutzt werden. Wie die Anwendung des noch 4 nicht vorhandenen Lebendtests dann zu finanzieren ist, ist jetzt nicht zu entscheiden. Wir haben wirklich andere Sorgen.
Die Entscheidung des Bundestages, das Verfüttern von Tiermehlen total zu verbieten, musste die Landwirte unvorbereitet treffen. Dies hatte niemand erwartet. Daher gibt es Restbestände von Futtermitteln auf den Betrieben. Beim Einkauf legale Futtermittel dürfen nun auf Grund der geänderten Rechtslage nicht mehr verfüttert werden. Um dies zu gewährleisten, sollten diese Futtermittel von den Behörden sichergestellt und ihre Beseitigung veranlasst werden, sofern dies nicht bereits geschehen ist.
Um die Frage, wie Rinderbestände zu behandeln sind, in denen ein BSE-krankes Tier nachgewiesen wurde, gibt es Diskussionen.
Die einen fordern das Keulen des gesamten Bestandes, in dem BSE nachgewiesen wurde, die anderen das Keulen einer Kohorte, d. h. einer definierten Menge von Tieren, bei denen eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein weiteres Tier an BSE erkrankt ist.
Beim zweiten BSE-Fall in Schleswig-Holstein hat die Landesregierung entschieden, dass der Herkunftsbestand des Tieres zu keulen ist, nicht jedoch der Bestand, in dem sich das Tier zuletzt aufgehalten hatte. Damit ist die Landesregierung der Hypothese gefolgt, die besagt, dass BSE nicht von Tier zu Tier übertragen wird. Dieser Entscheidung stimme ich zu.
Konsequent wäre es, in Zukunft analog zu verfahren und nur noch die Kohorte zu keulen, das sind die Tiere, die mit dem erkrankten Tier in einem direkten Verwandtschaftsverhältnis stehen und diejenigen, die in dem Zeitraum von einem Jahr vor der Geburt des Tieres bis ein Jahr nach der Geburt geboren wurden, die also voraussichtlich dieselben, vermutlich Prionen-infizierten Futtermittel gefressen haben.
Die Erfahrungen in der Schweiz stützen eine solche Vorgehensweise. Dort wurde bis jetzt bei 365 Rindern BSE nachgewiesen, bei 352 Tieren war dies der einzige Befund im Bestand. Nur in einem Bestand gab es drei Fälle. Zur Zeit geht niemand davon aus, dass die BSE- Erkrankungen in Deutschland britische Ausmaße annehmen werden, dort gab es bis jetzt mehr als 180 000 an BSE erkrankte Tiere. Die Situation in Deutschland entspricht somit eher der in der Schweiz als der in Großbritannien. Daher ist das Schweizer Vorgehen als Vorbild geeignet.
Das Tierschutzgesetz schreibt uns vor, dass ein vernünftiger Grund zum Töten eines Tieres bestehen muss. Wenn für die Sicherheit der Nahrungsmittel das Töten einer Kohorte ausreichend ist, widerspricht es dem Tierschutzgesetz, den ganzen Bestand zu keulen.
Die Ansicht ist verbreitet, dass je höher der Blutzoll ist, der gezahlt wird, um so höher auch der Verbraucherschutz ist. Das ist falsch, denn die Tötung von gesunden Tieren hilft niemand.
Die Erfahrungen in der Schweiz haben auch ergeben, dass nach einem BSE-Fall in einem Bestand und folgender Keulung einer Kohorte die Vermarktung von Milch und Fleisch des Restbestandes nur wenige Probleme bereitet hat. Allerdings wurde dies von einer umfassenden Verbraucheraufklärung begleitet. Das ist kein Selbstgänger. Aber sollen gesunde Tiere getötet werden, weil niemand eine ernsthafte Verbraucheraufklärung will?
Der zuständige Direktor der Abteilung für klinische Veterinärmedizin der Universität Bern, Prof. Marc Vandevelde, erklärte im „Ernährungsdienst“ vom 17. Januar 2001 auf die Frage nach der Übertragbarkeit des Schweizer Modells auf Deutschland: „Das ist in erster Linie ein Imageproblem. Angesichts der in Deutschland besonders ausgeprägten Hysterie könnte es 5 Probleme beim Absatz von Fleisch und Milch geben. Gesundheitliche Risiken bestehen nicht.“
Aufgabe der Politik ist es, die Vermeidung gesundheitlicher Risiken zu gewährleisten. Die Kohortenlösung ist dafür ausreichend.
Die beabsichtigte Herauskaufaktion der EU von 30 Monate alten Rindern soll der Land- und Ernährungswirtschaft helfen. Diese Hilfe ist bitter nötig. Schlachtreife, gesunde Bullen sind unverkäuflich, sie müssen weiter ernährt werden, ohne dass die Betriebe sie in absehbarer Zeit verkaufen können. Sie verursachen Kosten, eine Einnahme steht nicht zu erwarten. Die besten Betriebe können dies nicht lange durchhalten.
Dennoch kann mit einer Herauskaufaktion zur Entlastung des Rindfleischmarktes erst begonnen werden, wenn die Regierungen entschieden und entsprechend geplant haben, was mit den getöteten Tieren geschehen soll. 400 000 Rinder lassen sich nicht im Knick verscharren, es muss vorher entschieden werden, was damit geschehen soll. Dies ist eine Lehre aus den Erfahrungen in Großbritannien.
Rot-grün hat immer wieder erklärt, dass in der Krise auch eine Chance liege. Ich vermag diesem Schönreden einer für viele Betriebe im Lande existenzbedrohenden Situation erst dann etwas abzugewinnen, wenn es uns gemeinsam gelingt, die vorhandene Neigung zur Hysterie zurückzudrängen und damit den Freiraum zu schaffen für die sachlich gebotenen Entscheidungen.
Nach meiner Auffassung muss Politik mehr sein als das Management von Emotionen. Politik soll den Menschen im Land dienen, dem Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern aber auch der Existenz von Betrieben, denen wir in der sozialen Marktwirtschaft eine Menge Verantwortung aufbürden.“

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