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TOP 26 Thorsten Geißler: Kein Durchbruch bei Justizreform
LANDTAGSFRAKTION S C H L ES WI G - H O LS T EI N Pressesprecher Bernd Sanders Landeshaus 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 Internet: http://www.landsh.de/cdu-fraktion/ e-mail:fraktion@cdu.landsh.dePRESSEMITTEILUNG Nr. 375/00 vom 18. Oktober 2000 TOP 26 Thorsten Geißler: Kein Durchbruch bei JustizreformBereits in der Debatte über den von meiner Fraktion gestellten Berichtsantrag hatte sich ein hohes Maß an Übereinstimmung ergeben zwischen meiner Fraktion und der Frau Justizministerin im Hinblick auf eine kritische Bewertung des vom Bundesjustizministerium zum damaligen Zeitpunkt vorgestellten Referentenentwurfes. Zwischenzeitlich liegen zwei Gesetzentwürfe vor, einer der Berliner Koalitionsfraktionen und einer der Bundesjustizministerin. Auch wenn in diesen Gesetzentwürfen einige Entschärfungen gegenüber dem Referentenentwurf vorgenommen wurden, so lehnen wir dennoch die beabsichtigten Änderungen entschieden ab, weil die Möglichkeiten des Rechtsschutzes für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in erheblichem Maße beeinträchtigen würden. Und wir hoffen, dass Sie, Frau Ministerin, und glauben auch aufgrund Ihres Berichtes dazu Anlass zu haben, unsere kritischen Bewertungen teilen. Wenn Sie diesen Kurs fortsetzen, Frau Ministerin, können Sie mit der uneingeschränkten Unterstützung meiner Fraktion rechnen.Zwar haben die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag erkannt, dass der Ursprungsentwurf der Bundesjustizministerin mit schweren Mängeln behaftet ist und angesichts des Widerstandes aus den Bundesländern, von Richtern, Staatsanwälten und Anwälten, von ihren Berufsverbänden und Kammern wohl kaum durchsetzbar wäre. Sie haben deshalb die Vorlage eines Kabinettsentwurfes nicht abgewartet, sondern am 04. Juli ihrerseits einen Gesetzentwurf zur Reform des Zivilprozesses vorgelegt, der im Deutschen Bundestag in erster Lesung bereits behandelt wurde. Um es klar zu sagen: Auch dieser neue Vorschlag stellt keinen Durchbruch und auch keinen Kompromiss bei der geplanten Justizreform dar. Zahlreiche begründete Bedenken gegenüber dem Ursprungsentwurf sind unberücksichtigt geblieben. Ich stimme daher Ihrem Staatssekretär, Frau Ministerin, nachdrücklich zu, der den von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf wörtlich als Schnellschuss kritisiert hat. Wir sollten gemeinsam darauf hinwirken, dass auch dieser Gesetzentwurf zumindest im Bundesrat keine Mehrheit erhält. Gleiches gilt auch für den Gesetzentwurf der Bundesjustizministerin, der zwar einigen weiteren Bedenken Rechnung trägt, dennoch ebenfalls mängelbehaftet ist.Zu den einzelnen Kritikpunkten: 1. Beide vorgelegten Gesetzentwürfe sehen eine Streichung der Berufungszuständigkeit der Landgerichte vor. In Zukunft sollen hierüber die Oberlandesgerichte entscheiden. Sie weisen völlig zu Recht darauf hin, dass in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein die Konzentration der Berufungen bei den Oberlandesgerichten das Ziel der Bürgernähe gefährden würde. Die von Ihnen angedachte Schaffung eines zweiten Oberlandesgerichtes wäre nicht nur mit erheblichen Kosten verbunden, sie würde die Folgen der Zuständigkeitsverlagerung zwar mildern, nicht aber beseitigen. Wir hätten dann zwei und nicht mehr wie bisher vier Berufungsgerichte. Wenn man das Ziel einer bürgernahen Justiz verfolgt, kann man eine solche Neuregelung nicht unterstützen. Eine Schaffung von Außensenaten des Oberlandesgerichtes an den Landgerichten macht aus mehreren Gründen keinen Sinn. Die organisatorische Einheit des Oberlandesgerichtes würde zerschlagen und die damit einhergehenden Probleme ließen sich – wenn überhaupt – nur durch erhöhten Kostenaufwand lösen. Eine Auslagerung der Senate ließe sich auch nicht mit der nach wie vor bestehenden und auch sinnvollen Singularzulassung der Anwälte beim OLG vereinbaren. Letztlich aber, und das ist für mich der entscheidende Grund wird, die hohe Qualität der Rechtsprechung unseres Oberlandesgerichtes wird unter anderem auch dadurch gewährleistet, dass alle Zivilsenate Sonderzuständigkeiten für bestimmte Sachgebiete haben. Dieses überaus sinnvolle System der Spezialisierung könnte kaum aufrecht erhalten werden, denn eventuelle Außensenate müssten zwangsläufig für alle vor Ort anfallenden Streitigkeiten zuständig sein.2. Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen will die Einlegung des Rechtsmittels der Berufung erschweren; nach beiden Gesetzentwürfen soll der Prüfungsumfang des Berufungsverfahrens eingeschränkt werden. Gleichzeitig soll der Prüfungsumfang des Berufungsverfahrens eingeschränkt werden. Wir sind als CDU-Fraktion, wie offenbar auch Sie, Frau Ministerin, nicht bereit, einen solchen Weg mitzugehen, der zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Rechtsschutzes der Bürgerinnen und Bürger führen würde.Wenn die Analyse falsch ist, sind auch die Schlussfolgerungen selten richtig. Falsch ist die Behauptung der Bundesjustizministerin, die erste Zivilinstanz sei ineffektiv und werde nur als Durchlauferhitzer für die Berufungsinstanz genutzt. Ist das Amtsgericht Eingangsinstanz, so werden die Prozesse zu über 90 % in erster Instanz entschieden. Bei unseren Landgerichten, werden wenn dies als Eingangsinstanz tätig ist, etwa 65 % der Verfahren ohne streitiges Urteil durch Vergleich, Versäumnisentscheidung, Klagerücknahme oder in sonstiger Weise erledigt. In rund 35 % der Verfahren ergeht ein streitiges Urteil. Gegen ca. 58 % dieser Urteile wird Berufung eingelegt. Die Erledigungszahl der Landgerichte liegt damit bei deutlich über 80 %. Diese Zahlen sprechen für sich. Denjenigen Bürgerinnen und Bürgern, die sich durch ein aus ihrer Sicht materiell unrechtmäßiges Urteil beschwert fühlen, es erschweren will, hiergegen ein Rechtsmittel einzulegen oder den Prüfungsumfang der Berufung einschränken will, der darf sich nicht wundern, wenn Vertrauen in Recht und Gerechtigkeit und die Rechtsprechung schwinden, wenn Rechtsfrieden nicht erzielt wird. Diese Folgen werden eintreten,wenn man, wie es beabsichtigt ist, den Prüfungsumfang der Berufungsinstanz auf eine Rechtsfehlerüberprüfung beschränkt oder komplizierte Präklusionsvorschriften für den Tatsachenvortrag einführt. Wir wissen alle, in der ganz überwiegenden Anzahl der Zivilverfahren ist die Feststellung des Sachverhaltes ausschlaggebend für den Prozessausgang. Für den rechtssuchenden Bürger wird daher die Korrektur von Tatsachenfehlern wichtiger sein als die von Rechtsfehlern. Erstere liegen für ihn auch eher auf der Hand als Rechtsfehler. Er wird ein Urteil, das auf einer falschen Tatsachenfeststellung beruht, als Unrecht empfinden und wird es nicht verstehen, wenn ihm die Möglichkeit zu einer Überprüfung dieser Tatsachenfeststellung durch ein Berufungsgericht genommen wird. Wer dies trotzdem weiter vorhat, wird viel verspielen und wenig gewinnen. Die Entlastungswirkung wäre gering, denn so findet beispielsweise nur in einem Viertel der Berufungsverfahren vor unserem Oberlandesgericht eine erneute Beweisaufnahme statt. Aber wenn es keine zweite Tatsacheninstanz mehr gibt, so werden die Anwälte in erster Instanz gezwungen, umfangreicher vorzutragen, um sich nicht einem Regress ausgesetzt zu sehen. Die erste Instanz würde also aufgebläht. Dass in Zukunft ein hohes Risiko eingehen würde, wer sich nicht vor dem Amtsgericht anwaltlich vertreten ließe, sei nur am Rande erwähnt.Für ebenso problematisch halten wir die vorgesehene Beschränkung des Zugangs zur Revisionsinstanz und die Ablösung des bisherigen Systems der Zulassungs- und Annahmerevision. Auch dies bedeutet eine Verschlechterung des Rechtsschutzes der Bürgerinnen und Bürger.Scharf abgelehnt wird von uns die im § 348 ZPO vorgesehene Einführung des originären Einzelrichters. Gerade wer in der zweiten Instanz eine reine Rechtsüberprüfung durchführen will, muss die Tatsachenfeststellung in der ersten Instanz auf eine solide Grundlage stellen. Das kann aber in der Regel nur durch die Vorteile des Kammerprinzips erreicht werden. Sie führen völlig zu Recht aus, dass das „Mehr-Augen-Prinzip“ die Qualität der Rechtsprechung sichert und das Kollegialentscheidungen größere Akzeptanz bei den Parteien genießen und zu mehr Rechtsfrieden führen. Für völlig praxisfremd, um es milde auszudrücken, halten wir die vorgesehene Ausnahme für Proberichter bis zu einer Tätigkeitsdauer von 6 Monaten. Selbst der begabteste junge Richter wird in diesen wenigen Monaten nur wenig Erfahrung gewinnen können. Gerade bei Proberichtern hat sich daher die Einbindung in eine Kammer bestens bewährt.Ich darf in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass die Bundesjustizministerin nicht müde wird, zu erklären, wenn man die erste Instanz stärken wolle, dann müssten selbstverständlich die erfahrensten und besten Richter in die Eingangsinstanz. In der Konsequenz heißt dies aber, die weniger erfahrenen und vielleicht weniger leistungsstarken Richter müssen dann an die Rechtsmittelgerichte. Eine absurde Konsequenz.Falsch ist aus unserer Sicht auch die obligatorische Einführung einer Güteverhandlung. Ich räume natürlich ein, dass der Entwurf der Bundesjustizministerin Ausnahmen durchaus vorsieht, aber bereits nach dem geltenden Recht ist der Richter in jeder Lage des Verfahrens gehalten, auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreites hinzuwirken. Die hohe Zahl der Erledigungen durch Vergleich belegt, dass bereits heute im Sinne dieses Zieles erfolgreich gearbeitet wird. Schon jetzt bietet § 279 ZPO die Möglichkeitder Anberaumung eines gesonderten Gütetermins. Wann der geeignete Zeitpunkt für eine gütliche Einigung gegeben ist, kann der Richter selbst am besten beurteilen. Oft werden die Parteien zu Beginn des Verfahrens, also dort, wo jetzt der obligatorische Güteversuch durchgeführt werden soll, vergleichsunwillig sei, dann führt ein solcher Termin nur zu einer Verlängerung des Verfahrens. Dass nun aber Parteien durch Androhung und ggf. durch Verhängung von Ordnungsmitteln zur Teilnahme an einer Güteverhandlung ermuntert werden sollen, ist vollends absurd. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Partei, die mit Ordnungsmitteln zum Gütetermin gezwungen wird, sich anschließend noch vergleichen wird.Nur am Rande sei angemerkt, dass die vorgesehene Neufassung der Vorschriften über die materielle Prozessleitung aus unserer Sicht bedenklich ist. Sie bedeutet ebenso wie die Ausdehnung der Vorlagepflicht von Urkunden eine Beeinträchtigung der Beibringungsmaxime und die Einführung des unserem Zivilverfahren fremden Amtsermittlungsgrundsatzes. Sie birgt ferner die Gefahr vermehrter Befangenheitsanträge und die Gefahr einer erheblichen Mehrbelastung der Berufungsgerichte durch die Geltendmachung einer angeblichen Verletzung dieser Vorschriften in der ersten Instanz. Dass durch die vorgesehene Dokumentationspflicht die Akten weiter aufgebläht werden, braucht nicht näher belegt zu werden.Ausdrücklich danken möchte ich Ihnen dafür, dass Sie in Ihrem Bericht darlegen, dass die vorgesehenen Neuregelungen keineswegs zu einer Kostenminderung, sondern erhebliche Mehrkosten zur Folge haben wird.Und dabei gibt es Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung und der Kostensenkung, die die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in keiner Weise einschränken. In Hessen werden die jährlich anlaufenden 440.000 Mahnverfahren in einem Zentralrechner automatisch bearbeitet. Ein modernes EDV-Programm rechnet landesweit die Gerichtskosten für jedes einzelne Straf- und Zivilverfahren ab. Die Daten werden am Sitz der Gerichte nur noch am PC erfasst. Den Rest, das Drucken und Versenden von Rechnungen, erledigt der Großrechner. Am Hamburger Finanzgericht läuft seit einem Jahr ein Modellversuch. Schriftsätze können per e-mail eingereicht werden. Die Akten werden elektronisch verwaltet. Die Einsparungen sind in beiden Fällen beträchtlich.Die Vorschläge der Bundesjustizministerin aber sind gründlich verfehlt. Gleiches gilt auch für die Vorschläge, die SPD und Bündnis 90 / Die Grünen jetzt im Deutschen Bundestag eingebracht haben. Und ich hoffe sehr, Frau Justizministerin, dass es Ihnen gelingen wird, Ihre Parteifreunde in Berlin davon zu überzeugen, dass sie sich derzeit auf dem Holzweg befinden. Der uneingeschränkten Unterstützung meiner Fraktion können Sie sich dabei jederzeit sicher sein.