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Sehr geehrte Damen und Herren,
stellen Sie sich vor, dass Sie an einer Autismus-Spektrum-Störung leiden. Dies hat häufig zur Folge, dass Sie sich gegen Reize von außen nicht wie neurotypische Menschen abschirmen können, so dass für Sie
- Geräusche dreimal so laut,
- Licht dreimal so hell und
- Gerüche dreimal so intensiv
sind.
Sie sehen in die Welt durch zwei in unterschiedliche Richtungen zeigende Fernrohre. Es liegt auf der Hand, dass Schüler mit einer Autismus-Spektrum-Störung bei der Inklusion in die Schule besondere Bedürfnisse haben. Für sie sind Sätze an der Tafel häufig Buchstabensalat und das Getuschel der Schüler vor ihnen bildet eine akustische Mauer, die von den Worten des Lehrers nicht durchdrungen wird, da der Autist jene aus den übrigen Worten nicht herausfiltern kann.
Zum Glück hat das Land Schleswig-Holstein erkannt, dass die Inklusion dieser Kinder besondere Herausforderungen birgt und mit Wirkung zum 1. August 2020 ein Förderzentrum mit dem Schwerpunkt autistisches Verhalten" errichtet.
Doch dieses Förderzentrum ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. So betreut z.B. die zuständige Fachkraft für die Kreis Steinburg und Segeberg mit einer halben Stelle ca. 100 Autisten und deren Lehrer. Selbst bei größtmöglichen Einsatz bleibt pro Autist und deren Lehrer nur eine Stunde pro Monat. Es liegt auf der Hand, dass dies kaum ausreichend ist, zumal die Zahl der autistischen Schüler steigt.
Die Integration dieser Kinder kann nur gelingen, wenn
- in den jeweiligen Schulen die baulichen Gegebenheiten wie Rückzugsräume angepasst sind,
- die Lehrer geschult und bereit sind, auf die Bedürfnisse dieser Kinder einzugehen.
Da dies nicht von heute auf morgen zu realisieren ist, muss es zusätzlich die Möglichkeit geben, dass diese Kinder in Autisten-spezifischen Kleingruppen entsprechend ihrer Bedürfnisse unterrichtet werden.
An solchen Kleingruppen fehlt es aber in Schleswig-Holstein. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie veranlassen könnten, dass in allen Kreisen zeitnah (spätestens zum Start des nächsten Schuljahres) solche Kleingruppen eingerichtet werden könnten. Dies kommt den Bedürfnissen der autistischen Kinder, ihrer Mitschüler und Lehrern zu Gute und sichert ihren Anspruch auf Teilnahme.
Der Petitionsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages hat sich intensiv mit dem Anliegen des Petenten befasst. Zur Entscheidungsfindung wurde eine Stellungnahme des Ministeriums für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur eingeholt sowie eine öffentliche Anhörung durchgeführt. An dieser haben neben dem Petenten und seiner Begleitung, einer Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche, die Leitung des Landesförderzentrums Autistisches Verhalten sowie eine Vertreterin des Bildungsministeriums und des Verbands Sonderpädagogik teilgenommen.
Der Petent stellt anhand des bisherigen Lebensweges seiner mit Autismus diagnostizierten Tochter die besonderen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern mit einer Autismus-Spektrum-Störung heraus. Die Wahrnehmung von deutlich mehr Sinnesreizen als bei nichtautistischen Menschen kann ohne Rückzugsmöglichkeit bei den Betroffenen zu erheblicher Überforderung führen. Dieser Umstand muss nach Meinung des Petenten in der Schule berücksichtigt werden, damit Inklusion gelingt. Er fordert, dass in den jeweiligen Schulen die baulichen Gegebenheiten durch Rückzugsräume angepasst und die Lehrkräfte darin geschult werden, auf die speziellen Bedürfnisse dieser Kinder einzugehen. Als kurzfristigere Maßnahme spricht sich der Petent überdies dafür aus, in sämtlichen Kreisen Kleingruppen anzubieten, in denen Kinder und Jugendliche in einem ihren Bedürfnissen entsprechenden Rahmen einen Zugang zum eigenen Lernen finden können.
Der Petitionsausschuss betont zunächst die Notwendigkeit, jede Schülerin und jeden Schüler bestmöglich in seiner individuellen Bildungsbiographie zu unterstützen. Daher müssen selbstverständlich auch die Herausforderungen und Probleme, die Kindern und Jugendlichen mit einer Autismus-Spektrum-Störung im regulären Schulalltag begegnen können, angemessen erkannt und gelöst werden. Dem Ausschuss ist bekannt, dass insgesamt rund 2100 Schülerinnen und Schüler im Land von einer Autismus-Spektrum-Störung betroffen sind.
Das Bildungsministerium hat die Notwendigkeit einer besonderen Unterstützung autistischer Kinder und Jugendlicher im Schulalltag erkannt und im Jahr 2020 das Landesförderzentrum Autistisches Verhalten gegründet. Dieses leistet nach Auffassung des Ausschusses bereits wertvolle Arbeit in der Begleitung von Schülerinnen und Schülern, die aufgrund einer Autismus-Spektrum-Störung spezieller Unterstützung oder Hilfe bedürfen. Das Förderzentrum unterstützt ebenso die Schulen und Lehrkräfte und berät und begleitet auch an den Förderzentren „Geistige Entwicklung und Lernen“. Die Lehrkräfte des Landesförderzentrums besuchen die Schulen und führen Beratungsgespräche mit Lehrkräften, Eltern und ab einem gewissen Alter auch mit den betroffenen Schülerinnen und Schülern. Gemeinsam wird überlegt, wie eine möglichst erfolgreiche Beschulung gewährleistet werden kann. Diesbezüglich weist das Zentrum darauf hin, dass bereits Nachteilsausgleichsmaßnahmen oder sogenannte förderliche Rahmenbedingungen einen wichtigen Beitrag leisten können. In der Anhörung des Ausschusses wurde deutlich, wie individuell die Bedarfe der einzelnen Schülerinnen und Schüler sind. Die Leiterin des Landesförderzentrums hat dabei hervorgehoben, dass neben der besonderen Wahrnehmungsverarbeitung ein erhöhtes Bedürfnis nach Beständigkeit und Kontinuität sämtlicher Rahmenbedingungen bestehe.
Der Petitionsausschuss begrüßt, dass die Zahl der Planstellen im Landesförderzentrum gegenüber der vorherigen Beratungsstelle Autismus von 15 auf 45 Vollzeitstellen erhöht wurde. Zwar ist damit die Relation von Schülern und Beratungslehrkraft, wie in der Petition beschrieben, weiterhin hoch, nach Ansicht des Ausschusses ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich der Umfang der jeweiligen Beratung nach der Höhe des individuellen Bedarfs richtet und sehr unterschiedlich ausfallen kann. In einer Krisensituation kann er individuell erhöht werden.
Die von dem Petenten angeregte Einrichtung von dezentralen Kleingruppen für Kinder und Jugendliche mit einer Autismus-Spektrum-Störung in sämtlichen Kreisen wäre nach Einschätzung des Ausschusses mit verschiedenen Hürden verbunden und nicht in jedem Einzelfall eine sinnvolle Lösung. Zunächst stellt sich bei der Einrichtung von Kleingruppen die Frage, nach welchen Kriterien sie gegründet werden und für welche Schülerinnen und Schüler sie geeignet sind. Aktuell befinden sich in Schleswig-Holstein ungefähr 100 Schülerinnen und Schüler in einer besonderen Beschulungssituation und sind nicht in der Lage, am regulären Schulalltag teilzunehmen. Diese Schülerinnen und Schüler besuchen verschiedene Schularten, sind unterschiedlich alt und bringen ganz individuelle Voraussetzungen mit. In einer heterogen zusammengesetzten Kleingruppe wären sie ähnlichen Reizen ausgesetzt wie in einer regulären Lerngruppe. Ferner müssten im Flächenland Schleswig-Holstein für die Beschulung vermutlich weite Fahrtwege in Kauf genommen werden, während durch die Betreuung der Gruppen Ressourcen des Landesförderzentrums gebunden wären. Letzteres würde die Beratungsmöglichkeiten an den Schulen einschränken.
In Sinne der sehr individuellen Belange der betroffenen Schülerinnen und Schüler spricht sich der Petitionsausschuss dafür aus, in Schulen ein bestmöglich auf die Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit einer Autismus-Spektrum-Störung ausgerichtetes Umfeld zu schaffen und die Lehrkräfte entsprechend zu schulen und zu unterstützen, gegebenenfalls auch durch dauerhafte personelle Unterstützung vor Ort. Der Ausschuss stellt weiterhin fest, dass auch die Schulbegleitungen im Sinne einer Kontinuität und Verlässlichkeit für die Schülerinnen und Schüler fest zugeordnet sein müssen. Es ist offenkundig, dass sogenannte Pool-Lösungen kontraproduktiv sind.
Im Rahmen der Anhörung ist deutlich geworden, dass neben der Schaffung der baulichen Voraussetzungen in Form von Rückzugsräumen und der Berücksichtigung anderer Lernformen insbesondere eine Qualifizierung der Fachkräfte in Schulen für das gesamte Spektrum der Neurodiversität erforderlich ist. Dies ermöglicht eine rechtzeitige Intervention und Vermittlung individueller Lösungen. Dem Ausschuss ist bekannt, dass das Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein bereits in verschiedenen Formaten Fortbildungen anbietet, um Lehrkräften die besonderen Anforderungen von Kindern und Jugendlichen mit einer Diagnose aus dem Autismus-Spektrum näherzubringen. Er bittet das Bildungsministerium, verstärkt auf diese Angebote aufmerksam zu machen.
Der Petitionsausschuss stellt im Ergebnis seiner Beratung fest, dass die Ausprägungen einer Autismus-Spektrum-Störung in ihrer Bandbreite sehr breit gestreut sind und es daher gilt, für jede einzelne Schülerin und für jeden einzelnen Schüler individuelle Unterstützungsbedarfe zu finden. Dies kann auch ein Lernen in Kleingruppen sein oder alternative Lernformen. Für eine feste Einrichtung entsprechender Gruppen in sämtlichen Kreisen spricht der Ausschuss sich aus den dargestellten Gründen jedoch nicht aus. Der Ausschuss bedankt sich bei dem Petenten für seinen wertvollen Beitrag im Sinne der Kinder und Jugendlichen Lösungen für eine Verbesserung der schulischen Situation zu erarbeiten.
Zur weiteren Berücksichtigung dieses wichtigen Themas beschließt der Ausschuss ferner, die Petition zur Kenntnisnahme an den Bildungsausschuss weiterzuleiten.