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16. Oktober 2024 – Oktober-Plenum

Gebärdendolmetscher sollen fester Bestandteil in der Politik werden

SPD und SSW rufen dazu auf, Landtagssitzungen und politische Pressekonferenzen live von Gebärdendolmetschern für Gehörlose übersetzen zu lassen. Anlass der Forderung ist eine Debatte zur UN-Behindertenrechtskonvention.

Pauls Birte SPD Plenum Gebärdendolmetscher Canal
Birte Pauls (SPD) ruft die Landesregierung auf, sich stärker für Inklusion und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen einzusetzen. Gebärdendolmetscher Raffael Canal "übersetzt" ihre Rede. Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Viel überparteiliches Lob für Erreichtes und grundsätzliche Einigkeit in der Frage der weiteren politischen und gesellschaftlichen Umsetzung – so lässt sich die Debatte anlässlich von 15 Jahren UN-Behindertenrechtskonvention zusammenfassen. Das Abkommen verpflichtet Deutschland dazu, Menschen mit Behinderung die Menschenrechte in vollem Umfang zu gewähren. Auf ein Hauptanliegen des Antrags von SPD und SSW – die zukünftige barrierefreie Übertragung der Landtagssitzungen, so dass auch gehörlose und schwerhörige Menschen die Debatten verfolgen können – gab es in der Debatte keine konkrete Unterstützung von Seiten der Regierungskoalition. Es wurde vereinbart, den Oppositionsantrag und einen Alternativantrag von CDU und Grünen im Sozialausschuss weiter zu beraten.

Sitzungen und Pressekonferenzen nicht nur beim Thema Gehörlosigkeit immer in Gebärdensprache zu übersetzen, sei „eine wichtige Aufgabe, die wir hier im Haus lösen können“, betonte Birte Pauls (SPD). „Wir müssen ja nicht glauben, dass die Gemeinschaft der Gehörlosen sich nur für die Belange interessieren, die ihre Gehörlosigkeit betreffen. Aber so behandeln wir sie gerade. Sorgen sie dafür, dass wir nicht nur die Plenardebatten übertragen, sondern auch im Haus bei Pressekonferenzen Sprachdolmetscher zur Verfügung haben.“ Die Landesregierung solle sich zudem stärker für die Inklusion und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen einsetzen, etwa bei der flächendeckenden Versorgung mit inklusiven Kitas und Schulen, oder der Schaffung von barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum.

Aufbau inklusiver Strukturen braucht Zeit und Ressourcen

„Es geht nicht darum alles sofort zu erreichen, aber wir gehen kontinuierlich Schritt für Schritt voran“, lobte Andrea Tschacher (CDU) die Leistungen der Regierung. Es gebe im Norden 538.000 Menschen mit anerkannten Behinderungen und unterschiedlichsten Wünschen und Bedürfnissen, man habe „bemerkenswerte Fortschritte“ erzielt. „Wir haben den Fonds für Barrierefreiheit eingeführt, der bereits 213 Projekte unterstützt und rund 13,3 Millionen Euro für bauliche, bewusstseinsbildende und digitale Barrierefreiheit bereitgestellt hat, das Landesbehindertengleichstellungsgesetz umfassend modernisiert“, so Tschacher. Der Fokus-Landesaktionsplan 2022 sei ein zentrales Instrument zur Umsetzung der UN-BRK, ein wichtiger Bestandteil davon sei die digitale LAP-Datenbank, die es Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, sich über den Stand der Umsetzung zu informieren und aktiv Vorschläge einzubringen.

Zum Gelingen von Teilhabe brauche es auch Assistenz, betonte Eka von Kalben (Grüne). „Denn wer nichts sieht, braucht technische oder menschliche Unterstützung, um die Unterlagen zu lesen. Wer nicht hört braucht Übersetzung in Gebärden oder Mitschriften. Wer unbeweglich ist, benötigt Unterstützung bei der Anreise. Wem es schwer fällt, komplizierte Texte zu verstehen, braucht Worte in leichter oder einfacher Sprache.“ Die Forderung nach mehr Tempo und Effizienz nehme man ernst, doch der der Aufbau inklusiver Strukturen brauche Zeit und Ressourcen. „Es liegen noch viele Talente brach, die wir in unserer Gesellschaft brauchen. Wir wollen dafür sorgen, dass Schleswig-Holstein ein inklusives und gerechtes Bundesland für uns alle wird.“

Inklusion ist kein Nice-to-have

Man müsse dem gesellschaftlichen Klima, das Menschen mit Handicap zunehmend erfahren müssen, mit allem Nachdruck etwas entgegensetzen, betonte Heiner Garg (FDP) unter Bezug auf verächtliche Äußerungen eines sächsischen AfD-Mitglieds gegen Menschen mit Behinderungen. „Und vor diesem Hintergrund sage ich sehr deutlich: Inklusion ist weder ein Nice-to-have, geschweige denn eine Ideologie. Inklusion, die inklusive Gesellschaft, ist ein Recht. Ein Recht für alle Menschen.“ Garg schlug vor, Betroffene zu den Ausschusssitzungen einzuladen. „Bei Handlungsfeldern wie beispielsweise der weitere Abbau von Barrieren, Bildung, Gewaltschutz, Arbeit, Wohnen und Partizipation fände ich es richtig, diese Themen gemeinsam mit denen zu diskutieren, die wir eigentlich adressieren wollen.“

Es reiche nicht, viel und leidenschaftlich über Inklusion diskutieren, so Christian Dirschauer (SSW). „Wir müssen endlich in die konsequente Umsetzung kommen und uns noch viel stärker bewusst machen, was es für diese Menschen bedeutet, wenn wir das nicht schaffen. Nämlich nicht die gleichen Chancen auf Bildung, auf Arbeit und ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben.“ Es gebe nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, sein Kind mit Behinderung in einer adäquaten und wohnortnahen Kita betreuen zu lassen. Die Chancen auf einen höheren Schulabschluss, der vielleicht aufgrund der persönlichen Fähigkeiten möglich wäre, seien geringer. „Und im Zweifelsfall kein Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu dem Job, für den man eigentlich qualifiziert wäre.“

Minister: Neue Ziele und neue Aufgaben angehen

80 Prozent der Maßnahmen aus dem Landesaktionsplan seien angeschoben oder abgeschlossen, man habe viel erreicht, sagte Minister Dirk Schrödter (CDU). „Darauf sollten wir stolz sein.“ Es sei vorgesehen gemeinsam mit dem Landesbeauftragten und Menschen mit Behinderung im kommenden Jahr neue Ziele und neue Aufgaben anzugehen. „Es ist für uns alle der Auftrag, dass Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt und gleichberechtigt in unserer Mitte leben.“ Daran müsse man weiterarbeiten. Es werde kommendes Jahr eine Fokussierung auf die Schwerpunktthemen, Beschäftigung, digitale Teilhabe, Eingliederungshilfe und Gesundheit geben.

Die Debatte wurde von einem Gebärdendolmetscher begleitet.

Im Dezember 2006 hat die Generalversammlung das „Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“, die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), sowie das dazugehörige Zusatzprotokoll angenommen. Im Kern verpflichtet das Abkommen die Vertragsstaaten dazu, ihren Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderung die Menschenrechte in vollem Umfang zu gewähren. In Deutschland ist die UN-BRK seit 2009 in Kraft. Anlässlich dieses 15-ährigen Jubiläums rufen die Landtagsfraktionen von SPD und SSW dazu auf, weiterhin politisch und gesellschaftlich an ihrer Umsetzung zu arbeiten. Denn, so die Sozialdemokraten: „15 Jahre nach der Ratifizierung der UN-BRK ist festzustellen, dass Schleswig-Holstein bei der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen die Ziele nicht erreicht hat.“

Ein hervorgehobenes Anliegen in dem Antrag der Oppositionsfraktionen ist die zukünftige barrierefreie Übertragung der Landtagssitzungen, so dass auch gehörlose und schwerhörige Menschen die Debatten verfolgen können. Auch Pressekonferenzen sollten immer in Gebärdensprache übersetzt werden. Und die Landesregierung wird mit einem Sieben-Punkte-Katalog aufgefordert, sich ihrerseits stärker für die Inklusion und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen einzusetzen. Genannt werden etwa die flächendeckende Versorgung mit inklusiven Kitas und Schulen, die Schaffung barrierefreien und bezahlbaren Wohnraums, die Beseitigung des Personal- und Fachkräftemangels in der Pflege oder ein offener, integrativer Zugang zum Arbeitsmarkt für gehandicapte Menschen.

(Stand: 14. Oktober 2024)

Vorherige Meldung zum Thema:
August 2022 (19. Wahlperiode, ohne Aussprache)

Antrag

Top 29:
15 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention – Noch ist viel zu tun!
Antrag der Fraktionen von SPD und SSW – Drucksache 20/2581(neu)
Alternativantrag von CDU und Grünen – Drucksache 20/2608