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20. Mai 2021 – Mai-Plenum

Viele Ex-Nazis an Neuaufbau der Verwaltung beteiligt

In Schleswig-Holstein sind Juristen und Polizisten in der Nachkriegszeit noch häufiger in das NS-Regime verstrickt gewesen als erwartet. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie des Historikers Danker.

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Der Historiker an der Uni Flensburg, Prof. Uwe Danker (l.), stellt die Folgestudie zur NS-Vergangenheit vor; hier mit dem Beiratsvorsitzenden Burkhard Peters (Grüne). Foto: Thomas Eisenkrätzer

Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2016 zur NS-Belastung von Landespolitikern in der Nachkriegszeit ist nun eine Folgestudie des Forscherteams um den Historiker Professor Uwe Danker erschienen. Am Mittag wurde sie der Öffentlichkeit vorgestellt, im Anschluss gab es eine Debatte im Plenum dazu. Die neue Studie hat sich vorrangig mit der Frage befasst, ob es neben vorbelasteten Einzelpersonen auch Nazi-Netzwerke in Politik, Justiz und Verwaltung gab. Ein Ergebnis: Viele Beamte in den genannten Bereichen weisen eine „biografische Erfahrungsnähe zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen“ auf, wie es in der Untersuchung heißt. NS-belastete Beamte und Juristen stellten also vielfach die überwiegende Mehrheit des Personals des demokratischen Neuanfangs. Der Umfang der Verstrickung und Belastung habe die Forscher überrascht.

Es sei gelungen, „ehemals massiv in NS-Unrecht verstrickte Funktionseliten zu reintegrieren“ und mit diesem Personal eine „funktionierende Demokratie und einen stabilen Rechtsstaat zu errichten“. Das habe auch dazu geführt, dass viele Opfer der NS-Diktatur in Schleswig-Holstein nach 1945 ihren ehemaligen Peinigern in hohen und zum Teil höchsten Ämtern der Verwaltung, des Justizwesens und der Landespolizei wieder begegnen mussten.

„Unerwartet bedrückende Ergebnisse“

In der Debatte sprach Barbara Ostmeier (CDU) von „nicht überraschenden, aber unterwartet bedrückenden“ Ergebnissen. Es sei erschreckend, wie viele NS-belastete Menschen an zentralen Stellen etwa in der Justiz und der Polizei saßen. Es sei ein „hoher ethischer Preis“ gezahlt worden. „Für die Opfer der Nationalsozialisten muss es schrecklich gewesen sein“, mutmaßte Ostmeier. Dennoch zeige sich so auch die Wehrhaftigkeit und Stärke von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Auch SPD-Fraktionschef Ralf Stegner kam zu dem Schluss, dass man für den Wiederaufbau der Strukturen auf Menschen angewiesen war, „die Demokratiefeinde waren“. Wäre etwa jeder Lehrer mit Nähe zum Nationalsozialismus entfernt worden, „wären die Schulen wohl bis 1950 geschlossen gewesen“, so Stegner. Gleichwohl hätten den Preis ehemalige Verfolgte bezahlt – das sei beschämend. Er sprach sich dafür aus, in Zukunft in weiteren Studien Felder wie das Gesundheitssystem und die Psychiatire nach ähnlichen Kriterien auszuleuchten.

Beklemmung mit „Händen zu greifen“

Peter, Burkhard Grüne Plenartagung
Der Vorsitzende des studienbegleitenden Beirats, Burkhard Peters, will Studieninhalte in die Verwaltungsausbildung integrieren. Foto: Thomas Eisenkrätzer

Burkhard Peters (Grüne) beschrieb ein Gefühl der Beklemmung bei der Vorstellung der zweiten Danker-Studie, das mit „Händen zu greifen“ gewesen sei. Auch ihn trieb die Frage um, wie sich „mit einem solchen Führungspersonal eine demokratisch-rechtsstaatliche Polizei und Justiz aufbauen“ ließ. Er sprach sich dafür aus, die Ergebnisse der Untersuchung in die Ausbildung in der Landesverwaltung einfließen zu lassen.

Auch Lars Harms (SSW) kam zu dem Schluss, „man schien keine Wahl gehabt zu haben“. Fachpersonal sei benötigt worden, um Verwaltungsstrukturen neu aufzubauen, auch wenn so Opfer und Peiniger oft am gleichen Arbeitsplatz saßen. Aus heutiger Sicht wirke das grauenhaft.

Der Landtag hatte die Studie in Auftrag gegeben und mit 200.000 Euro finanziert. Eine fast 1200 Seiten starke zweibändige Buchversion erscheint am 26. Mai. Die Wissenschaftler hatten 482 Biografien untersucht. Demnach hatten von 91 Juristen 80 Prozent eine NSDAP-Vergangenheit und 50 Prozent waren bei der SA.

Der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Schleswig-Holstein ist ein weiteres Kapitel hinzugefügt worden: Nach der 2016 veröffentlichten Untersuchung zur personellen und strukturellen Kontinuität im Land nach 1945 in der Exekutive und Legislative erscheint jetzt eine Folgestudie. Beide Studien wurden vom Landtag in Auftrag gegeben und von Professor Uwe Danker geleitet. Der Historiker an der Universität Flensburg stellt die Ergebnisse der zweiten Aufarbeitung am Donnerstag in der Mittagspause der Plenartagung erstmals öffentlich vor – bereits rund eine Stunde später wollen die 73 Abgeordneten im Plenarsaal die neue Studie diskutieren.

Gegenstand der aktuellen Untersuchung ist unter anderem, ob es neben vorbelasteten Einzelpersonen auch Netzwerke in Politik, Justiz und Verwaltung gab. Außerdem wird beleuchtet, wie sich die Kommunikation im Landtag sowie seinen Ausschüssen und der persönliche Umgang zwischen den in der NS-Zeit unterschiedlich grundorientierten Mitgliedern des Landtages gestaltete.

Jahrzehntelange dunkle Vergangenheit

Ein Team um Danker hatte vor Jahren bereits im Auftrag des Landtags die NS-Belastungen von Landespolitikern unter die Lupe genommen. Demnach hatten 36 Prozent aller Landtagsabgeordneten von 1946 bis 1982, die vom Alter dafür infrage kamen, der NSDAP angehört. Bei den Regierungsmitgliedern waren es nach 1950 sogar zwei Drittel, bei den Staatssekretären mehr als 80 Prozent.

(Stand: 17. Mai 2021)

Meldung bei Antragstellung:
April 2018 (ohne Aussprache)

Bericht

Folgestudie: Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive
Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und der Abgeordneten des SSW – Drucksache 19/684

Bericht zur Studie (noch unveröffentlicht) – Drucksache 19/2953