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5. September 2018 – Top 1: Aktuelle Stunde

Pressemitteilung zu Chemnitz sorgt für Zündstoff

Der Ton wird schärfer: CDU, SPD, Grüne, FDP und SSW haben sich klar zu Demokratie und Pressefreiheit bekannt und der AfD vorgeworfen, sich von Rechtstaatlichkeit abzuwenden. Auch Forderungen nach Überwachung durch den Verfassungsschutz wurden laut.

von Wittgenstein AfD
Die AfD-Abgeordnete Doris von Sayn-Wittgenstein wirft der etablierten Politik Mitschuld vor. Foto: dpa, Carsten Rehder

In einer Aktuellen Stunde haben Jamaika-Koalition, SPD und SSW der AfD eine „Instrumentalisierung“ der Vorfälle in Chemnitz und eine wachsende Nähe zu Rechtsradikalen vorgehalten. Stein des Anstoßes war eine Pressemitteilung der AfD-Abgeordneten Doris von Sayn-Wittgenstein vom 28. August. Von Wittgenstein reagierte in einem knapp 30-sekündigen Redebeitrag mit dem Vorwurf, die anderen Parteien seien für Morde von Asylbewerbern verantwortlich. Sie selbst habe „nur unangenehme Wahrheiten“ ausgesprochen.

Die anderen Parteien wiesen dies vehement zurück. Wer gewalttätige Auseinandersetzungen mit „vaterländischem Patriotismus“ gleichsetze, „der hat offensichtlich jegliche Distanz zu Neonazis und Rechtsradikalen verloren“, konstatierte CDU-Fraktionschef Tobias Koch.

SPD: AfD vom Verfassungsschutz beobachten lassen

Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) hielt der AfD vor, gezielt die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Aus Tätern sollten Opfer gemacht werden. Dahinter stecke eine Strategie der Tatsachenverdrehung, „und das solange, bis selbst der grölende, Hitlergruß zeigende Neonazi öffentlich als hilfloses Opfer der deutschen Asylpolitik präsentiert werden kann“, so Stegner. Er sprach sich dafür aus, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen.

Auch FDP-Fraktionschef Christopher Vogt betonte, „der rechte Rand“ werde zunehmend hemmungsloser: „Die AfD lässt ihre Maske fallen, die eh schon nicht so fest gesessen hat.“ Er warnte davor, „über jedes Stöckchen zu springen, dass Populisten einem hinhalten“. Sorgen müssten sich die Demokraten über den zunehmenden Vertrauensverlust in der Gesellschaft machen. Mit Blick auf die AfD sagte Vogt: „Wir werden uns dagegen wehren, dass so Leute wie Sie versuchen, dieses Land an sich zu reißen.“

Grüne kritisieren „Lügenpresse-Rufe“

Lasse Petersdotter (Grüne) kritisierte, die „Lügenpresse-Rufe“ der AfD seien der Nährboden dafür, dass Journalisten angegriffen werden. Er empfinde „Zorn gegen die Fantasien von rechter Politik“. „Gleichgültigkeit ist keine Reaktion, Gleichgültigkeit ist immer das Ende“, mahnte Petersdotter.

Lars Harms (SSW) schob hinterher, die AfD nutze ihre Rechte, um sie anderen abzusprechen. Das entspreche nicht deutscher Kultur und dem deutschen Grundgesetz. „Aber mal am deutschen Kulturgut zu arbeiten, das geht Ihnen völlig ab“, hielt er der Oppositionsfraktion vor und betonte: „Die AfD ist nicht nur rechtspopulistisch, sie ist rechtsradikal.“

AfD-Fraktionschef Jörg Nobis hielt dagegen, die Proteste gegen die Asylpolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sollten „pauschal als rechtsextrem stigmatisiert“ werden. Die  Konsensparteien hätten sich von einer sachlichen Auseinandersetzung entfernt.

Eine Pressemitteilung der AfD-Abgeordneten Doris von Sayn-Wittgenstein zu den jüngsten Vorkommnissen in Chemnitz ist den Koalitionsfraktionen übel aufgestoßen und hat sie veranlasst, eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Nach der breiten Kritik an der AfD-Beteiligung an mehreren fremdenfeindlichen Demonstrationen in der sächsischen Stadt hatte Sayn-Wittgenstein ihrerseits am 28. August der Bundesregierung vorgeworfen, „von den bösen Deutschen zu schwafeln, die es wagen, von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch zu machen und gegen die ausufernde Ausländergewalt auf die Straße zu gehen“.

Weiter heißt es in der Pressemitteilung der AfD-Politikerin: Der Protest werde von einem „öffentlich-rechtlichen Propagandaapparat“ im Stil der „Aktuellen Kamera“ (Nachrichtensendung in der ehemaligen DDR) begleitet. Und später schreibt Sayn-Wittgenstein, „dass Millionen illegal Eingereister unser Rechtssystem vorführen und unsere Kultur, die wir in Jahrhunderten erschaffen haben, verachten und zerstören.“

Kritik an Nähe zu Pegida-Bündnis

In Chemnitz war es zu tagelangen Demonstrationen von Rechtsgerichteten, Neonazis und Gegnern der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung sowie zu Gegenprotesten gekommen. Anlass war, dass ein Deutscher mit kubanischen Wurzeln erstochen worden war, mutmaßlich von zwei Arabern, die in Untersuchungshaft sitzen.

In der weiteren Debatte um die ausländerfeindlichen Proteste in Chemnitz geriet die AfD unter anderem wegen eines Demonstrationszugs mit dem fremdenfeindlichen  Pegida-Bündnis in die Kritik. Bei der von der AfD organisierten Kundgebung vergangenen Samstag waren in der ersten Reihe auch Pegida-Vertreter mitmarschiert. Politiker zahlreicher Parteien fordern inzwischen eine Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz, insbesondere aus den Reihen von CDU, SPD und Grünen waren Rufe nach einer stärkeren Beobachtung der rechtspopulistischen Partei lauter geworden.

Günther gegen Einsatz des Verfassungsschutzes

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hat sich unterdessen gegen eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz ausgesprochen. Dies würde dazu führen, dass die Partei in eine „Märtyrerrolle“ falle, wird er in Medien zitiert. Auch Innenminister Horst Seehofer (CSU) sieht aktuell keine Grundlage für eine flächendeckende Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Am Montag wurde bekannt, dass der niedersächsische und der Bremer Verfassungsschutz den AfD-Nachwuchs ins Visier nehmen wollen.


Stichwort: Aktuelle Stunde

Über eine bestimmte Frage von allgemeinem Interesse kann eine Aktuelle Stunde von einer Fraktion oder von mindestens fünf Abgeordneten beantragt werden. Der Antrag muss spätestens zwei Tage vor Sitzungsbeginn gestellt werden.

Bei einer Aktuellen Stunde beraten die Abgeordneten ohne feste Rednerliste über einen landespolitischen Gegenstand von aktueller Bedeutung. Die Redezeit ist auf fünf Minuten pro Beitrag begrenzt. Die Reden sollen frei gehalten werden. Die Gesamtredezeit der Abgeordneten darf 60 Minuten nicht überschreiten; hinzu kommt das Zeitkonto der Landesregierung von maximal 30 Minuten. Werden zwei Anträge ein einer Aktuellen Stunde behandelt, ist die Dauer auf  eineinhalb Stunden beschränkt.

Mit einer Aktuellen Stunde wird kein konkreter Beschluss herbeigeführt; sie dient vorrangig dem Meinungsaustausch und der Darstellung der unterschiedlichen Standpunkte gegenüber der Öffentlichkeit.

Aktuelle Stunde

„Öffentliche Äußerungen der Abgeordneten Doris v. Sayn-Wittgenstein aufgrund der aktuellen Vorfälle in Chemnitz“
Antrag der Fraktionen von CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP – Drucksache 19/919