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15.12.04
10:17 Uhr
CDU

Jost de Jager: Einheitsschule schafft nur neue Probleme!

Nr. 574/04 15. Dezember 2004


IM SCHLESWIG-HOLSTEINISCHEN LANDTAG
PRESSEMITTEILUNG PRESSESPRECHER Torsten Haase Landeshaus, 24105 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 E-mail: info@cdu.ltsh.de Internet: http://www.cdu.ltsh.de



Bildungspolitik TOP 37 und 40 Jost de Jager: Einheitsschule schafft nur neue Probleme!
Deutschland ist wieder einmal im PISA-Taumel. Doch im Vergleich zu der Debatte vor drei Jahren gibt es einen erheblichen Unterschied: Vor drei Jahren wurde noch der Versuch un- ternommen, PISA-Daten und politische Forderungen in einen Zusammenhang zu bringen. In diesem Jahr geht es völlig losgelöst von der Erde nur noch um Schulideologie.
Dabei hat PISA II kaum merkliche Veränderungen gebracht. Um so verwunderlicher ist es, dass wir es seitens der SPD und der Grünen heute mit schulpolitischen Forderungen zu tun haben, die vor drei Jahren noch gar keine Rolle gespielt haben. Ein Schelm, wer Wahlkampf dabei denkt. Diese Wahl entscheidet tatsächlich über die Schulen im Land. Die Menschen haben am 20. Februar die Wahl zwischen der rot-grünen Einheitsschule auf der einen Seite und mehr und besserem Unterricht im gegliederten Schulwesen auf der anderen Seite.
Wir haben diesen Schulkampf nicht gewollt! Es war zweieinhalb Jahre Konsens in diesem Haus, dass aus PISA keine Schulstrukturdebatte hervorgeht. Jetzt fangen Sie aus ideologi- schen und politischen Gründen die Schulsystemdebatte wieder an. Und wenn Sie uns den Fehdehandschuh hinwerfen, dann nehmen wir ihn auf. Aber ich sage Ihnen in der gleichen Deutlichkeit: Der ideologische Impetus, der kommt von Ihnen und nicht von uns.
Die CDU lehnt die Einheitsschule ab. Wir stehen für unsere Schulen hier im Land, weil sie sehr viel mehr können als Rot-Grün in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten in Schles- wig-Holstein zugelassen hat.
Insbesondere die SPD will das abschaffen, was sie jahrlang vernachlässigt hat. Das beste Beispiel dafür ist die Bundesbildungsministerin. Frau Bulmahn will jetzt die Hauptschule ab- schaffen, weil sie die wenigsten Fortschritte bei PISA II gemacht habe. Ich frage die gute Frau Bulmahn aber: Wie sollen die Hauptschulen auch Fortschritte machen? Festzustellen, die Hauptschulen hätten keine Fortschritte gemacht, ist eine self-fullfilling-prophecy ange- sichts der Rahmenbedingungen, die diese Schulart vorfindet.
Es gibt keine Schulart, die von Rot-Grün so stiefmütterlich in den Ländern behandelt worden ist wie die Hauptschule. Und jetzt dieser Schulart die eigene Schlechterstellung zum Vorwurf zu machen, ist fast schon perfide. Zumal wir die Fortschritte der anderen Schularten nun auch nicht überbewerten sollen. Alle Schüler insgesamt haben sich in der Lesefähigkeit von 484 Punkte auf 491 Punkte verbes- sert, das ist eine Steigerung von nicht einmal 1,5 %. Hier werden politisch vorsätzlich Zerr- bilder erzeugt. Und ich möchte Ihnen einmal vorlesen, wie Hauptschullehrer darauf reagie- ren. Nachzulesen in den Kieler Nachrichten vom 10.12.: „Gegen das Image (der Restschule) kämpfen wir seit langem. Aber dass man uns das jetzt noch von höchster Stelle bescheinigt, ist nicht nur schmerzlich. Das verkennt die Situation und den Auftrag, den die Hauptschule in dieser Gesellschaft hat, hält Lehrer Rolf Jakob Clausen von der Muhliusschule dagegen.“
Der Auftrag ist genau der Punkt. Der Auftrag der Hauptschule in der Gesellschaft. Jede Schulart, das ist unsere feste Überzeugung, hat ihren eigenen und spezifischen Auftrag in dieser Gesellschaft. Und deshalb glauben wir an das bestehende und das bewährte Schul- wesen, weil es unsere Kinder ihren Begabungen, Fähigkeiten und Neigungen entsprechend fördert und nicht über- oder unterfordert. Die Einheitsschule dagegen will alle Kinder des Begabungsspektrums in einer Klasse zielgleich unterrichten.
Ich sage Ihnen: Jedes Kind ist anders und nichts ist ungerechter als die gleiche Behandlung Ungleicher, um es mit den Worten von Paul F. Brandwein noch einmal zu verdeutlichen. Doch genau darauf läuft die Einheitsschule hinaus und wird deshalb nicht funktionieren. Die Einheitsschule setzt das Bildungsniveau auf ein Mittelmaß herab und geht vor allem zu Las- ten der schwachen, aber auch der starken Schüler, die nicht mehr richtig gefördert werden können.
Was wir hier diskutieren, ist mehr als eine Frage der Schulorganisation. Wir diskutieren hier welches Menschenbild und welches Bild von Schule wir haben. Der Unterschied zwischen unserem Bild von Schule und Ihrem Bild von Schule ist der Unterschied zwischen Vielfalt und Vereinheitlichung. Auch deshalb lehnen wir die Einheitsschule ab.
Die Einheitsschule löst keine Probleme, aber schafft neue. Aus dem Landesrechnungshofbe- richt vom Juni diesen Jahren wissen wir, dass die Umwandlung der Sekundarschule in eine integrierte Beschulung die Schließung von 96 Schulstandorten nach sich ziehen würde. Ge- nauso wissen wir, dass eine solche Änderung des Schulsystems mit zusätzlichen Personal- kosten in Höhe von knapp 100 Mio. € einhergehen würde.
Dieses Geld würden wir nur für einen Schulsystemwechsel ausgeben und nicht einmal für eine Verbesserung der Unterrichtssituation hier im Lande. Nun kenne ich Ihre Gegenargu- mente und weiß, dass Sie sagen werden, dass dies alles nicht stimmt und das es nur Schritt für Schritt passieren wird. Dennoch ist das Ziel klar und es wird beschrieben in dem Gutach- ten des Bildungsforschers Ernst Rösner (es ist ohnehin erstaunlich, dass man für die Wahl- programmatik von SPD inzwischen nicht mehr ins Wahlprogramm der SPD gucken muss, sondern in die Gutachten dieser Landesregierung). Dort steht ganz eindeutig auf Seite 8: „Hierzu empfiehlt das Gutachten einen kontinuierlichen Umbau des bestehenden Sekundar- schulangebots zu vollständigen schulrechtlichen Einheiten. Diese Schule, die alle Grund- schulabgänger aufnehmen und zu den verschiedenen Abschlüssen der Sekundarstufe I füh- ren kann, soll als Gemeinschaftsschule bezeichnet werden.“
Auf Seite 9 heißt es dann: „Auch wenn die Gemeinschaftsschule nicht binnen kurzer Zeit zu einem ersetzenden Regelangebot ausgebaut werden kann, ist es aus Sicht des Gutachters notwendig, politisch unmissverständlich deutlich zu machen, in welche Richtung die Entwick- lung des Schulwesens in Schleswig-Holstein gehen soll. Klare Zielvorgaben erleichtern Ent- scheidungen der Schulen und Schulträger, gleichzeitig verhindern sie Fehlinvestitionen“, soweit Herr Rösner.
Hier wird eine Maschinerie in Gang gesetzt, die unsere Schüler in einem offenen Feldver- such führen wird. Denn dass die Gesamtschule dem gegliederten Schulwesen nicht überle- gen ist, das wissen wir. Und das wissen auch Sie. Mit der Forderung nach Gesamtschulen können Sie keine Wahl mehr gewinnen. Deswegen geben Sie dem Kind einen neuen Namen – Gemeinschaftsschule – das klingt gut und sozial gerecht. Doch so wie von Rot-Grün ge- plant, ist die Gemeinschaftsschule nicht anderes als eine gigantische Gesamtschule mit dem Unterschied, dass die Einheitsschule die Leistungszüge A, B, C der Gesamtschule nicht mehr kennt. Sie differenziert in den Klassen überhaupt nicht mehr. Sie wird die Leistungsun- terschiede nur noch verstärken, da gerade Begabungsschwache in undifferenzierten Lern- gruppen zunehmend geringere Chancen haben, Lern- und Wissensstände aufzuholen (das haben bereits Studien in den 80er Jahren belegt.
Und darin liegt der Unterschied zu Finnland. Das finnische Schulwesen differenziert in einer Weise, die die Gemeinschaftsschule a la SPD nicht vorsieht und personell überhaupt nicht vorsehen kann. Ohnehin stellt sich die Frage: Was ist das Hauptcharakteristikum des finni- schen Schulwesens. Ist es tatsächlich das gemeinsame Lernen oder ist es das zusätzliche Geld, das zur Verfügung steht? Immerhin geben die Finnen pro Schüler 10 % mehr aus.
In Wahrheit übernehmen Sie gar nicht das finnische Modell, sondern Sie übernehmen die Teile a la carte, die Ihnen ideologisch passen.
Denn was gehört noch zum finnischen Modell:
• Das Zentralabitur. Bisher habe ich es aber so verstanden, dass Sie nicht nur das Zentralabitur, sondern zentrale Abschlussprüfungen an allen weiterführenden Schulen in Schleswig-Holstein auf das bitterste bekämpfen. • Zum finnischen Modell gehört die verbundene Ganztagsschule. Eben die führen Sie in Schleswig-Holstein aber nicht ein. Sie führen hier die offene Ganztagsschule ein, die bei Weitem nicht das pädagogisch leisten kann, was die gebundene Ganztagsschule et- wa auch in Finnland leistet. • Das finnische Modell ist ausgesprochen fremdsprachenorientiert. In Finnland be- ginnen die Schüler spätestens in der dritten Klasse mit der ersten Fremdsprache, in der fünften Klasse mit der zweiten Fremdsprache und in der siebten Klasse mit der dritten Fremdsprache. Rot-Grün hat in Schleswig-Holstein noch nicht einmal Englisch als or- dentliches Unterrichtsfach in der Grundschule hinbekommen. • Das finnische Schulwesen verfügt über eine Personalausstattung von Förderkräf- ten, Speziallehrern und Psychologen, die ich im Rösner-Gutachten vergeblich ge- sucht habe. Das finnische Modell mit seinen Fördermöglichkeiten und seiner Binnendif- ferenzierung funktioniert aber nur mit dieser Personalausstattung und ist ohne diese Per- sonalausstattung überhaupt nicht denkbar. Weil dieses Geld in Schleswig-Holstein nicht zur Verfügung steht, wird die Gemeinschaftsschule die Situation nur verschlimmbessern.
Förderung ist das eigentliche PISA-Thema. Der PISA-Papst Prenzel, der sich übrigens auch gegen einen überstürzten Umbau des Schulwesens ausgesprochen hat, gibt der individuel- len Förderung die zentrale Bedeutung. Fördern können die gegliederten Schulen, wenn man sie nur lässt. Doch dazu bedarf man (siehe oben) Pädagogen. Diese Landesregierung hat es allerdings zugelassen, dass sich ein Fehlbedarf von 1.100 Lehrkräften aufgebaut hat, die wir bräuchten, um den vorgesehenen Unterricht zu erteilen und die Zeit zu haben, Kinder tat- sächlich individuell zu fördern und zu fordern. Das sind die Rahmenbedingungen des Schul- systems, das Sie hier in Schleswig-Holstein abschaffen wollen, nachdem Sie diesen Zustand selber herbeigeführt haben.
Die CDU sieht in der Verbesserung der Unterrichtssituation eine der wichtigsten Herausfor- derungen. Wir wollen im ersten Schritt 650 zusätzliche Lehrkräfte einstellen. Der Schwer- punkt soll dabei die Grundschule sein und dort für die Unterrichtsversorgung und für die Ein- führung von Englisch in der Grundschule als ordentliches Unterrichtsfach (wie in Finnland) sollen diese Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Eine der wirklich bemerkenswerten Befunde der PISA-Studie lautet, dass wir in Deutschland besonders viel Geld für die späten Jahrgän- ge und besonders wenig für die frühen Klassen in der Schule ausgeben. Durch unseren Schwerpunkt auf die Grundschulen wollen wir das verändern. Die Grundschule muss auch deshalb gestärkt werden, weil sie die Grundlagen für die weite- ren Bildungserfolge legt. Hier müssen die künftigen Bildungsfortschritte vorbereitet werden. Das deutsche Schulwesen, auch das eine Schlussfolgerung aus PISA, schafft es besonders schlecht, vorhandene Defizite, die die Schüler mit in die Schule bringen, in der Schule aus- zugleichen. Wenn dieses geschehen soll, dann sinnvollerweise in der Grundschule. Wenn die Grundschule dieses nicht schafft, werden die Schüler diese Defizite durch ihre gesamte Schullaufbahn mit sich herumschleppen. Aus dem Grund kommt der Grundschule im geglie- derten Schulwesen eine fundamentale Bedeutung zu. Der wollen wir gerecht werden.
Eine weitere Lehre aus PISA besteht darin, dass wir mit einer bürokratischen Input- Steuerung auf Dauer nicht weiterkommen. Deshalb muss die schulische Eigenverantwortung gestärkt werden. Wir vertrauen unseren Lehrerinnen und Lehrern und wir vertrauen unseren Schulen und deshalb wollen wir mehr pädagogische Verantwortung vor Ort erreichen. Wir glauben an den Ideenreichtum der Lehrer, Eltern und Schüler. Wir sind aber gegen Ideolo- gien in der Schulpolitik und deshalb sind wir gegen Einheitsschulen.