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19.06.03
17:12 Uhr
CDU

Thorsten Geißler: Reform des Jugendstrafrechts überfällig

Nr. 269/03 19. Juni 2003


IM SCHLESWIG-HOLSTEINISCHEN LANDTAG
PRESSEMITTEILUNG PRESSESPRECHER Torsten Haase Landeshaus, 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 E-mail: info@cdu.ltsh.de Internet: http://www.cdu.ltsh.de



Justizpolitik TOP 35 Thorsten Geißler: Reform des Jugendstrafrechts überfällig Ein starker Anstieg der registrierten Jugendkriminalität, spektakuläre Einzelfälle kindlicher und jugendlicher Intensivtäter, aber auch schwere rechtsextremistische Gewalttaten junger Menschen haben eine Diskussion über eine Reform des Jugendstrafrechts ausgelöst.
Und in der Tat – die Zahlen sind alarmierend. Zwischen 1993 und 2001 hat die polizeilich registrierte Kriminalität junger Menschen unter 21 Jahren bundesweit um etwa 37 % zugenommen, die Gewaltkriminalität sogar um 78 %. Ein Blick auf die Kriminalstatistik unseres Landes zeigt, dass der Tatverdächtigenanteil unter 21-Jähriger bei Raubüberfällen auf Straßen und Wegen 75,7 % beträgt, bei räuberischen Angriffen auf Kraftfahrer 73,6 %, beim Handtaschenraub 63,2 %, bei Raub bzw. räubersicher Erpressung insgesamt 62 %.
Wir stehen vor einer ernsten Herausforderung für alle gesellschaftlichen und staatlichen Kräfte und wir müssen uns dieser Herausforderung stellen.
Meine Fraktion hat zweimal umfangreiche Maßnahmenpakete zur Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität hier im Hause vorgelegt. In der vergangenen Legislaturperiode wurde unser Antrag leider abgelehnt. Noch haben Sie die Chance, unseren Vorschlägen in dieser Wahlperiode zuzustimmen.
Wir wissen, allein mit einer Reform des Jugendstrafrechts ist eine Trendwende nicht zu erreichen. Darum haben wir umfangreiche Stärkung der Präventionsarbeit vorgeschlagen und dabei neue Ansätze berücksichtigt. Wir wissen aber auch, unser Jugendstrafrecht ist reformbedürftig. Der Bericht der Landesregierung zeigt die Felder auf, in denen Reformbedarf gegeben ist.
Ich nenne die zentralen Punkte:
Nach der gegenwärtigen Fassung des § 105 JGG muss für Heranwachsende, d. h. Täter, die zur Zeit der Tat 18, aber noch nicht 21 Jahre alt sind, im Einzelfall geprüft werden, ob allgemeines Strafrecht oder Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Prüfungskriterien sind der Entwicklungsstand des Heranwachsenden und die Qualifizierung der Tat als sogenannte Jugendverfehlung. Der Gesetzgeber ging bei der Schaffung des § 105 JGG davon aus, dass die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende die Ausnahme bilde, denn mit Erreichen der Volljährigkeit werden alle Rechten und Pflichten eines mündigen Staatsbürgers übernommen. Tatsächlich hat die Norm zu einer erheblichen Rechtsungleichheit geführt.
Der Bericht verweist auf Zahlen aus dem Jahr 1987, die offensichtlich im wesentlichen immer noch Gültigkeit haben, sonst hätte die Landesregierung sicherlich aktuellere Zahlen genannt. Danach wird das Erwachsenenstrafrecht auf Heranwachsende bundesweit im Durchschnitt in 36,1 % der Fälle angewandt, allerdings mit erheblichen Unterschieden im Ländervergleich. In Nordrhein-Westfalen wurde Erwachsenenstrafrecht bei 59,8 % der Heranwachsenden angewendet, in Schleswig-Holstein bei 8,5 %.
Ich glaube nicht, dass der Anteil der Heranwachsenden in Schleswig-Holstein die – und das sind die Voraussetzungen des § 105 JGG – noch einem Jugendlichen gleichstehen oder Jugendverfehlungen begehen, soviel größer ist als in Nordrhein- Westfalen wie es diese Praxis widerspiegelt. In vielen Bundesländern - Nordrhein- Westfalen bildet insofern ein Gegenbeispiel – erfolgt eine rein schematische Bejahung von Entwicklungsverzögerungen. Hier besteht Reformbedarf.
Ich halte wenig davon, so wie es vereinzelt gefordert wird, das JGG dahingehend zu ändern, dass in Zukunft zwingend auf über alle 18-Jährigen das Erwachsenenstrafrecht angewendet werden muss. Man wird differenzieren müssen, weil es gerade in der Altersgruppe der 18- bis 20-Jährigen erhebliche Entwicklungsunterschiede gibt. Daher wäre es ebenso falsch, so wie es ebenfalls gefordert wird, auf alle 18- bis 20-Jährigen das Jugendstrafrecht anzuwenden. Es trüge der Tatsache nicht Rechnung, dass ein nicht unerheblicher Teil der Täter in dieser Altersgruppe eben keine Entwicklungsverzögerung aufweist, dass es sich bei deren Taten auch nicht um Jugendverfehlungen handelt.
Ich begrüße daher ausdrücklich Bundesratsinitiativen, die eine Neuformulierung des § 105 JGG mit dem Ziel beabsichtigen, bei Heranwachsenden im Regelfall Erwachsenenstrafrecht anzuwenden und nur bei der Annahme einer erheblichen Verzögerung der sittlichen und geistigen Entwicklung einzelne Vorschriften des Jugendstrafrechts Anwendung finden zu lassen.
Allerdings wünsche ich mir, dass gleichzeitig das Sanktionssystem des Erwachsenenstrafrechts reformiert wird.
In der Diskussion ist auch die Strafmündigkeitsgrenze. Nach geltendem Recht setzt die Strafmündigkeit voraus, dass der Täter zur Zeit der Tat 14 Jahre alt ist. Darüber hinaus muss der Jugendliche zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug sein, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
Im europäischen Vergleich existieren Strafmündigkeitsgrenzen zwischen 7 und 16 Jahren. Angesichts der zunehmenden Fälle sogenannter jugendlicher Intensivtäter und des allgemeinen Anstiegs der Kinderkriminalität – unsere PKS weist für das Jahr 1993 3.343 Kinder als Tatverdächtige aus – für das Jahr 2002 bereits 4.825 – ist vereinzelt auch immer wieder eine Absenkung der Strafmündigkeitsgrenze auf 12 Jahre gefordert worden. Ich halte davon wenig. Allerdings sage ich auch sehr klar, das Instrumentarium des Kinder- und Jugendhilfegesetzes muss konsequent genutzt werden, und dazu zählt auch – wie es in anderen Bundesländern gängige Praxis ist – die pädagogische Intensivbetreuung in geschlossenen Einrichtungen. In unserem Entschließungsantrag, der noch in der Ausschussberatung ist, haben wir genau dies gefordert.
Nach § 105 Abs. 3 Jugendgerichtsgesetz liegt das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende bei 10 Jahren. Zwischen 1987 und 1996 wurde diese Höchststrafe insgesamt 74 mal verhängt und zwar ausschließlich bei Verurteilungen wegen Mordes. Bei nicht wenigen dieser Taten, die Zahl mag gering erscheinen, aber sie ist ja nicht irrelevant, handelt es sich um brutalste Kapitalverbrechen, bei denen auch nach Einschätzung manch erkennender Gerichte das Höchstmaß von 10 Jahren den Unrechtsgehalt der begangenen Straftaten wiederspiegelt. Es erscheint daher konsequent, wenn die Justizministerkonferenz – ebenso hat ja der Deutsche Juristentag mehrheitlich votiert – eine Anhebung der Höchststrafe von 15 Jahren fordert, soweit auf Heranwachsende Jugendstrafrecht angewandt wird.
Gemäß § 106 Abs. 2 JGG ist eine Anordnung der Sicherungsverwahrung auch bei Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende nicht möglich. Jedoch gibt es einige, wenn auch seltene Fälle, in denen Heranwachsende Täter schwerste oder eine so große Zahl von schweren Straftaten begangen haben, dass von einer gravierenden Gefährlichkeit für die Allgemeinheit ausgegangen werden muss.
Ich begrüße es daher, dass die Landesregierung eine Änderung im vorgeschlagenen Sinn für denkbar hält und eine vertiefende Prüfung – sie sollte nicht allzu lange dauern – dieser Frage für sinnvoll erachtet.
Meine Fraktion unterstützt die Einführung des Warnschuss- bzw. Einstiegsarrestes. Hiermit soll den Jugendgerichten die Möglichkeit eingeräumt werden, neben der Verurteilung zu einer Jugendstrafe auf Bewährung auch einen Jugendarrest zu verhängen. Die gegenwärtige Rechtslage hat in der Praxis teilweise kuriose Folgen. Nehmen Sie folgendes Beispiel: Drei jugendliche Täter begehen gemeinsam eine Straftat. Zwei haben eine günstige Prognose, deshalb bekommen sie 4 Wochen Jugendarrest, dieser wird auch vollstreckt. Der dritte hat eine negative Prognose. Was geschieht mit ihm? Er bekommt eine Freiheitsstrafe auf Bewährung und geht freien Fußes aus dem Gerichtssaal. Es liegt auf der Hand, dass er diese Rechtsfolge als Freispruch zweiter Klasse empfinden wird. Praxis ist zudem auch nicht, dass bereits bei der ersten Straftat innerhalb des Bewährungszeitraums ein Widerruf der zuvor zur Bewährung ausgesetzten Strafe erfolgen würde. Oft gibt es die Verhängung mehrerer Bewährungsstrafen. Irgendwann dann aber erfolgt der Widerruf der Bewährung. Es wird eine Gesamtstrafe gebildet, die dem Täter im Verhältnis zu der letzten abgeurteilten Tat als völlig überzogen und ungerecht kommt. Er versteht die Welt nicht mehr. Es wäre richtiger gewesen, ihm bereits frühzeitig deutlich zu machen, dass sein Verhalten nicht sanktionslos bleibt und das von ihm eine Verhaltensänderung erwartet wird. Selbstverständlich soll dieser Warnschussarrest in einer Arrestanstalt – wie wir sie ja haben – vollstreckt werden, um schädliche Einflüsse durch ältere Strafgefangene zu verhindern. Es besteht Übereinstimmung, dass nur eine Sanktion, die der Tat auf dem Fuße folgt, die gewünschte erzieherische Wirkung entfalten kann. Wenn dies durch das sogenannte vorrangige Jugendverfahren erreicht werden kann, so bedarf es keiner Ausweitung des beschleunigten Verfahrens, das bisher ja im Strafverfahren gegen Heranwachsende oder Erwachsenentäter möglich ist, auf Jugendliche.
Eine Reform des Jugendstrafrechts ist im Hinblick auf die Herausforderung, auf die ich eingangs hingewiesen habe, zwingend erforderlich und ich bin insofern dankbar, dass wir diese Debatte heute führen.
Ebenso erforderlich ist aber die Umsetzung bereits vorhandener Konzepte zur Kriminalitätsverhütung. Der Rat für Kriminalitätsverhütung in Schleswig-Holstein hat hierzu Vorschläge unterbreitet. Sie sollten die Vorschläge meiner Fraktion nicht deshalb ablehnen, weil sie von der Oppositionsfraktion kommen. Die Bilanz der vergangenen Jahre ist wahrhaft ernüchternd. Im Interesse der Gesellschaft wünsche ich der Landesregierung Erfolg und nicht eine weitere Zuspitzung der Lage. Das aber setzt voraus, dass Sie bereit sind, Konsequenzen zu ziehen – auch bei der Reform des Jugendstrafrechts.