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04.04.03
15:52 Uhr
CDU

Thorsten Geißler: Keine Relativierung oder Einschränkung des Folterverbots

Nr. 157/03 04. April 2003


IM SCHLESWIG-HOLSTEINISCHEN LANDTAG
PRESSEMITTEILUNG PARLAMENTARISCHER GESCHÄFTSFÜHRER Heinz Maurus Landeshaus, 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 E-mail: info@cdu.ltsh.de Internet: http://www.cdu.ltsh.de



Justizpolitik TOP 18 Thorsten Geißler: Keine Relativierung oder Einschränkung des Folterverbots In der Mitte des 17. Jahrhunderts ging von England eine neue Geistesbewegung aus – die Aufklärung. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, die Vernunft und die Menschenwürde zur Herrschaft zu bringen und entwickelte eine neue Staatsauffassung. Diese Bestrebungen hatten auch Auswirkungen auf die Rechtspflege und führten zu einer Forderung nach einer Humanisierung des Strafrechts und der Abschaffung der im Inquisationsprozess angewandten Folter. Als Folge davon ergingen in einzelnen deutschen Staaten noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Verbote gegen die Anwendung der Folter im Strafverfahren. Grund dafür waren nicht nur humanitäre Erwägungen, sondern auch das gewonnene Erfahrungswissen, dass durch die Folter häufig Unschuldige zu Geständnissen gezwungen und zu Unrecht bestraft wurden.
Doch dieser zivilisatorische Gewinn konnte weder universell verzeichnet werden noch galt er bis in das 20. Jahrhundert auch in Europa nicht in allen Ländern, in denen sich Menschen aus den unterschiedlichsten weltanschaulich religiösen Gesichtspunkten für eine Abschaffung der Folter ausgesprochen hatten.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes begannen ihre Arbeit nur wenige Jahre nach dem Ende des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte. Dass sie an den Anfang unseres Grundgesetzes unserer Verfassung den Satz stellten „Die Würde des Menschen ist unantastbar, sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ war nichts anderes als die Zusammenfassung der aus der Geschichte gewonnenen Erkenntnis, dass staatliche Macht begrenzt werden muss, da es unveräußerliche Menschenrechte gibt, die von Jedermann zu respektieren sind, auch von denjenigen, die die staatliche Macht in den Händen halten.
Weil die Väter und Mütter des Grundgesetzes wussten, dass sich die öffentliche Meinung beeinflussen lässt, auch die Meinung von Abgeordneten, versahen sie diesen Artikel 1 unseres Grundgesetzes mit der sogenannten Ewigkeitsgarantie des Artikel 79 / 3. Eine Änderung des Artikel 1 des Grundgesetzes ist unzulässig. Sie kann auch nicht mit einer Mehrheit von 2/3 der Mitglieder des Bundestages bzw. des Bundesrates herbeigeführt werden.
Es ist unstreitig, dass Folterungen, archaische Strafsanktionen, staatliche Morde, Verstöße gegen diese Menschenwürde darstellen.
Aber der Schutz des Grundgesetzes geht weiter. Droht im Ausland die Gefahr menschenunwürdiger Behandlung, so gebietet die Verpflichtung der deutschen Hoheitsträger zur Achtung der Menschenwürde von einer Abschiebung abzusehen.
In einer im 75. Band veröffentlichten Entscheidung formuliert das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus, „dass es zu den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung gehört, dass eine angedrohte oder verhängte Strafe nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein darf.“
Es gibt keinen Hinweis darauf, dass staatliche Stellen dieses Bundeslandes die strikte Einhaltung des verfassungsrechtlichen Folterverbots nicht gewahrt hätten. Es ist daher fraglich, ob dieser Landtag wirklich die Zulassung von Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung, insbesondere für polizeiliche Vernehmungen, in Form einer Resolution ablehnen sollte. Ich habe jedenfalls keinen Hinweis darauf, dass solches geschehen wäre. Gleiches gilt, glaube ich, auch für die Frau Justizministerin oder den Herrn Innenminister.
Einer bundesgesetzlichen Klarstellung des Folterverbots für Amtspersonen bedarf es meines Erachtens nicht. Der § 136 a der Strafprozessordnung lautet: „Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten darf nicht beeinträchtigt werden durch Misshandlung, durch Ermüdung, durch körperlichen Eingriff, durch Verabreichung von Mitteln, durch Quälerei, durch Täuschung oder durch Hypnose. Zwang - damit ist beispielsweise die Festnahme, nicht aber eine Folter oder ein folterähnliches Verhalten gemeint - darf nur angewandt werden, soweit das Strafverfahrensrecht dies zulässt. Die Drohung mit einer nach seinen Vorschriften unzulässigen Maßnahme und das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils sind verboten.“ In Absatz 2 heißt es: „Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten beeinträchtigen, sind nicht gestattet“. Und weiter heißt es in Absatz 3 „das Verbot der Abs. 1 und 2 gilt ohne Rücksicht auf die Einwilligung des Beschuldigten. Aussagen die unter Verletzung dieses Verbotes zustande gekommen sind, dürfen auch dann nicht verwertet werden, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt“. Diese Norm ist Ausdruck des Grundsatzes, dass ein Beschuldigter Beteiligter und nicht Gegenstand des Verfahrens ist und dass er seinen Anspruch auf Achtung seiner Menschenwürde nicht verliert, weil er einer Straftat verdächtig ist. Daher ist jede Beeinträchtigung seiner Willensentschließung- und -betätigung durch Zwang, Täuschung, Drohung und ähnliche Mittel verboten. Dieser § 136 a gilt auch für Zeugen gemäß § 69 Abs. 3 und Sachverständige gem. § 72 und für Vernehmungen durch Staatsanwaltschaft und Polizei gemäß der §§ 161 a Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5. Es gilt der allgemeine Grundsatz, den das Bundesverfassungsgericht formuliert hat, dass die Wahrheit im Strafverfahren nicht um jeden Preis, sondern nur auf justizförmige Weise, d. h. in einem rechtsstaatlichen Verfahren erforscht werden darf.
Unser Strafgesetzbuch hat dem Rechnung getragen. So ist das Delikt der Aussageerpressung durch Amtsträger gem. § 343 StGB als Verbrechen eingestuft. Dabei ist die Gewaltandrohung der Gewaltanwendung gleichgestellt. Aber natürlich ist auch mir bewusst, dass der Antrag der Fraktion der SPD einen aktuellen Anlass hat. Denn im Anschluss an die Androhung von Gewalt gegen einen Tatverdächtigen im Entführungsfall Jacob von Metzler hatten sich einige Politiker in einer Weise geäußert, die Klarstellungsbedarf hervorrief. So musste die Frau Bundesjustizministerin Zypries einen Vorwurf der Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ zurückweisen, sie habe mit ihren Äußerungen zum Mordfall Jacob von Metzler das bestehende Folterverbot relativiert. „Ich habe das Folterverbot nie in Frage gestellt“, betonte sie. In einer ersten Stellungnahme hatte die Justizministerin erklärt, dass bei der Anwendung von polizeilicher Gewalt in bestimmten Fällen rechtfertigender Notstand vorliegen könne.
Der Brandenburgische Innenminister Schönbohm ließ nach Zeitungsberichten, er habe erklärt, die Folter sei bei Terrorgefahr vorstellbar, erklären, entsprechende Zitate seien sicherlich aus dem Zusammenhang gerissen.
Und der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Geert Mackenroth, hatte, nachdem er durch einige missverständliche Äußerungen für Aufsehen gesorgt hatte, wörtlich erklärt: „Die Folter ist nach internationalen und nationalen Vorschriften zu Recht verboten. Wer sie anwendet, macht sich der Aussageerpressung schuldig, eines Verbrechens, das da nach dem Strafgesetzbuch mindestens mit einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist. Durch Folter erzwungene Aussagen sind im Strafverfahren nicht verwertbar.
Es bedarf auch angesichts des tragischen Falls des getöteten Jacob von Metzler keines Sonderrechts für die Polizei, das Ausnahmen von diesem Verbot zulässt, das wäre ein völlig falsches Signal. Die bestehenden Gesetze reichen aus, Umstände des Einzelfalls angemessen zu berücksichtigen.
Im zu Recht eingeleiteten Strafverfahren gegen die Polizeibeamten wird die Staatsanwaltschaft auch die Konfliktsituation der Beschuldigten berücksichtigen. Sie gingen offenbar zum fraglichen Zeitpunkt aufgrund der Angaben des mutmaßlichen Mörders des Jungen davon aus, das Leben noch retten zu können. Es ging ihnen in erster Linie nicht um das Erpressen einer Aussagen, sondern um die Rettung eines vergleichsweise höherrangigen Rechtsgutes.
Ob im konkreten Einzelfall diese Motivlage, der Gewissenskonflikt der Polizeibeamten, wenn er sich denn im Verfahren bestätigt, als Rechtsfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund zu werten ist, obliegt der Entscheidung des zuständigen Gerichts.“
Ob in einem Einzelfall ein Rechtsfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund vorliegt, dies zu klären ist in der Tat Aufgabe unabhängiger Gerichte. Es ist wenig hilfreich, wenn Politiker in der Öffentlichkeit erklären, sie hofften oder sie hofften nicht, dass ein Beschuldigter verurteilt würde.
Aber dies ändert nichts daran: jede Art von Gewalt, auch deren Androhung zur Erzwingung einer Aussage ist verboten. Dies ergibt sich aus Art. 1 des GG sowie aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Konvention gegen Folter. Dieses Verbot hat einen überragenden Rang unter den Menschenrechten und gilt absolut. Jede Relativierung oder Einschränkung auch im Einzelfall muss ausgeschlossen bleiben. Wir haben die gemeinsame Verpflichtung, uns für die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen. Ob dieser Antrag der SPD-Fraktion dazu einen überragenden, unschädlichen oder überflüssigen Beitrag darstellt, sollten wir im Fachausschuss gemeinsam beraten.