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20.03.02
10:26 Uhr
CDU

Thorsten Geißler: Die Allgemeinheit muss geschätzt werden

LANDTAGSFRAKTION S C H L ES WI G - H O LS T EI N

Pressesprecher Bernd Sanders Landeshaus 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 Internet: http://www.landsh.de/cdu-fraktion/ e-mail:fraktion@cdu.landsh.de
PRESSEMITTEILUNG Nr. 125/02 vom 20. März 2002
TOP 4 Thorsten Geißler: Die Allgemeinheit muss geschätzt werden Im Herbst des Jahres 2000 wurde in Baden-Württemberg der Straftäter Daniel Z. aus der Haft entlassen, nachdem er zuvor wegen einer brutalen Vergewaltigung eine achtjährige Haftstrafe verbüßt hatte. Im Laufe seiner Haft war Mitgefangenen, dem Wachpersonal und Sozialarbeitern klar geworden: Der ist gefährlich. Die Staatsanwaltschaft war sich fast sicher: Der wird rückfällig. Doch tun konnte sie nichts. Der Ersttäter Z. hatte seine Strafe verbüßt, Sicherungsverwahrung konnte nicht angeordnet werden, also öffneten sich die Gefängnistore. Z. kam frei. Innerhalb einer Woche vergewaltigte er drei Frauen und überfiel ein Juweliergeschäft.
„So etwas darf nicht wieder vorkommen“ sagte der der FDP angehörende baden- württembergische Justizminister Goll und entschloss sich, energisch gegen Schwächen der bestehenden Gesetze vorzugehen. Er legte dem Landtag von Baden-Württemberg einen Entwurf für ein Straftäterunterbringungsgesetz vor, mit dem die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung bei besonders gefährlichen, rückfallgefährdeten Straftätern geschaffen wurde. Im Februar 2001 wurde das Gesetz vom Landtag beschlossen.
Für mich steht fest: Justizminister Goll hat richtig gehandelt. Er ist nicht nur ein kompetenter Minister. Er hat auch erkannt, dass sich eine liberale Gesellschaft nur dann verwirklichen lässt, wenn die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger wirksam vor jenen geschützt werden, die entschlossen sind, schwerste Straftaten zu begehen.
Auch in Schleswig-Holstein haben wir Anlass, die bestehende Sicherheitslücke zu schließen, um den Schutz der Allgemeinheit vor hochgefährlichen Straftätern zu verbessern. Daher legt ihnen meine Fraktion heute einen Gesetzentwurf zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern vor.
Denn die bestehende Gesetzeslage ist unbefriedigend. Bei einem kleinen Teil von Rückfalltätern lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersehen, dass sie nach ihrer Haftentlassung erneut schwerste Straftaten begehen werden. Manche drohen, nach der Strafverbüßung neue Straftaten zu begehen, um sich an einzelnen Personen oder „an der Gesellschaft“ zu rächen. Andere kündigen –obgleich HIV-positiv oder AIDS-krank- weiterhin ungeschützte sexuelle Kontakte mit Frauen, Männern oder Kindern an. Auch kann sich die Gefährlichkeit daraus ergeben, dass zu zeitiger Freiheitsstrafe Verurteilte im Vollzug –obgleich in hohem Maße rückfallgefährdet- beharrlich die Mitwirkung am Erreichen des Vollzugszieles verweigern. Sie lehnen insbesondere eine rückfallvermeidende Sozial- oder Psychotherapie entschieden ab oder brechen sie aus nicht nachvollziehbaren Gründen ab.
In solchen Fällen wird die Justizvollzugsanstalt keinen offenen Vollzug, keine Vollzugslockerungen und keinen Hafturlaub gewähren. Die Strafvollstreckungskammer wird eine Strafrestaussetzung ablehnen, so dass der Gefangene die zeitige Freiheitsstrafe bis zum Strafende im geschlossenen Vollzug verbüßen muss. Freiheitsentziehende Maßnahmen der Besserung und Sicherung- vor allem die Sicherungsverwahrung sind oft nicht angeordnet, weil zum Zeitpunkt des Urteils die Gefährlichkeit des Täters noch nicht sichtbar war. Eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung sieht das derzeit geltende Bundesrecht nicht vor. Eine landesrechtliche Unterbringung in einem Bezirkskrankenhaus greift nur dann, wenn der Betroffene psychisch krank ist. Es bleibt daher bislang bei Straftätern, die nicht psychisch krank im Sinne des Psychisch-Kranken-Gesetzes sind, nur die Haftentlassung , unter Umständen mit der in solchen Fällen nicht ausreichenden ambulanten Führungsaufsicht.
Hinzu kommt, dass die Gefangenen diese Gesetzeslücke kennen. Sie können daher eine rückfallvermeidende Sozial- oder Psychotherapie verweigern, ohne ihre Entlassung nach dem Strafende zu gefährden. Dies schwächt die Wiedereingliederungsbemühungen im Strafvollzug, demotiviert die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzug und wirkt sich negativ auf resozialisierungsbereite Gefangene aus.
Alle Bemühungen um die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung im Strafrecht sind bisher gescheitert. Der Bundesrat hat mehrfach mit Stimmenmehrheit die Einbringung eines entsprechenden Gesetzentwurfes beim Bundestag abgelehnt. Teilweise wurden –aus unserer Sicht unbegründete- rechtsstaatliche Bedenken geltend gemacht, teilweise verwies die derzeit amtierende Bundesregierung die Bundesländer darauf, ihre Regelungskompetenz für Gefahrenabwehr im Sinne einer vorbeugenden Verbrechensbekämpfung auszuschöpfen. Dies haben dann auch Baden-Württemberg und kurz darauf Bayern getan. Andere Bundesländer wollen folgen, und auch wir ergreifen mit unserem Gesetzentwurf für unser Bundesland die Initiative.
Dies ist auch weiterhin angebracht, obwohl ich nicht verkenne, dass auf Bundesebene Bewegung ins Spiel gekommen ist. CDU/CSU und FDP haben immer wieder eine bundesrechtliche Regelung über die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung angemahnt, nicht zuletzt in der Plenardebatte des Deutschen Bundestages vom 21.Februar dieses Jahre mit einem besonders nachlesenswerten Beitrag des FDP-Abgeordneten Jörg van Essen. Unter Berufung auf den ebenfalls der FDP angehörenden Justizminister Goll hat er zu Recht darauf hingewiesen, dass es doch nicht angehen könne, dass man, wenn alle Spezialisten und alle Experten, die sich mit einem Strafgefangenen befassen, vorhersagen, dass der zur Entlassung anstehende Straftäter wieder schwerste Straftaten begehen wird, nicht prüfen kann, ob die nachträgliche Sicherungsverwahrung dieses Straftäters zum Schutze von Opfern ergriffen werden muss. Nun hat auch die Bundesregierung ihre rechtsstaatlichen Bedenken über Bord geworfen und am 13.März einen Gesetzentwurf zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung beschlossen. Aber dieser Entwurf ist mängelbehaftet, weil er zum einen die sogenannten Altfälle nicht erfasst und zum anderen keine Regelung für diejenigen Straftäter trifft, bei denen sich die Gefährlichkeit erst im Verlaufe des Vollzugs herausstellt, aber bei denen keine –nach dem Gesetzentwurf nunmehr mögliche- Anordnung der Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt erfolgte.
Und ich teile auch nicht den Optimismus des FDP-Abgeordneten Jörg van Essen, der in der genannten Bundestagsdebatte erklärte, er hoffe im Interesse der Personen, die nicht Opfer werden, weil jemand in Sicherungsverwahrung genommen wird und darum eine Untat nicht begehen kann, dass der Bundesgesetzgeber schnell zu einer vernünftigen Lösung kommen werde. Die Legislaturperiode des Bundestages ist fast zu Ende, der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird der Diskontinuität zum Opfer fallen, er ist nicht mehr als ein Wahlkampftrick, mit dem von jahrelangen Versäumnissen abgelenkt werden soll.
Weil auch die neue Bundesregierung an Anhörfristen gebunden sein wird, ist mit einer kurzfristigen bundesrechtlichen Regelung nicht zu rechnen, und daher muss auch in Schleswig-Holstein der Landesgesetzgeber tätig werden.
Zwar ist der Kreis derjenigen, die von diesem Gesetz betroffen sein werden, glücklicherweise nicht groß. In Baden-Württemberg sind derzeit zwei Fälle in der gerichtlichen Überprüfung, ein dritter soll in Kürze folgen. Aber es sind schwerste Gefahren, die von diesen Straftätern nach Einschätzung der mit ihnen befassten Experten ausgehen, und daher ist eine gesetzliche Regelung erforderlich. Diejenigen, die sich in unserem Land mit Justizvollzug befassen, wissen im übrigen, dass die Struktur unserer Gefangenschaft immer problematischer wird, dass sich das Gewalt- und Aggressionspotenzial erhöht hat, so dass auch diese Landesregierung unserer Forderung nach Einrichtung einer Hochsicherheitsabteilung für besonders gefährliche Straftäter nunmehr Rechnung tragen will.
Gestatten sie einige Anmerkungen zu den einzelnen Regelungen unseres Gesetzentwurfes.
Die von uns vorgesehenen Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften sichern ein rechtsstaatliches und faires Anordnungsverfahren. Die zwingende Beiordnung eines Rechtsanwaltes, das Kammerprinzip zählen ebenso dazu wie die Vorschrift, dass das Gericht zur Gefährlichkeit des Gefangenen mindestens zwei Gutachten einzuholen hat, wobei einer der Sachverständigen weder mit der Behandlung des Gefangenen befass noch regelmäßig in einer Justizvollzugsanstalt beschäftigt sein darf. Der Beschluss des Gerichts ist zu begründen, er ist rechtsmittelfähig, er ist auf Antrag des Betroffenen jederzeit, unter bestimmten Umständen zumindest jährlich zu überprüfen.
Der bayerische Landtag hat ein entsprechendes Gesetz am 12. Dezember vergangenen Jahres beschlossen. Der Sprecher der SPD-Fraktion, der Abgeordnete Dr. Jung erklärte dazu in der Plenardebatte: „Die übergroße Mehrheit der SPD-Fraktion wird dem Gesetzentwurf zustimmen. Auch wir haben erkannt, dass hier eine Lücke besteht, die zwar nicht viele Fälle betrifft, aber durchaus Fälle, die sehr dramatisch sind. Ich bin davon überzeugt, dass es Fälle gibt, bei denen der Richter nicht von vornherein die Gefährlichkeit eines Täters richtig einschätzen kann, weil sich die Gefährlichkeit eines Täters erst während der Haftzeit herausstellt. In solchen Fällen ist es vernünftig, dass der Staat noch einmal eingreifen kann um die Bevölkerung vor solchen Straftätern wirksam und effektiv zu schützen.“
Wenn die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion hier im Hause von ähnlicher Einsichtsfähigkeit geprägt sind, und wenn die Kolleginnen und Kollegen der FDP- Fraktion, sollten sie es nicht längst getan haben, ihren Sachverstand noch einmal im Gespräch mit ihren Parteifreunden in Baden-Württemberg schärfen, dann kann unser Gesetzentwurf mit breiter Mehrheit beschlossen werden.