Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
26.01.01
10:11 Uhr
CDU

TOP 14 Thorsten Geißler: Finanzierungszusagen schnell erfüllen

LANDTAGSFRAKTION S C H L ES WI G - H O LS T EI N

Pressesprecher Bernd Sanders Landeshaus 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 Internet: http://www.landsh.de/cdu-fraktion/ e-mail:fraktion@cdu.landsh.de
PRESSEMITTEILUNG Nr. 38/01 vom 26. Januar 2001


TOP 14 Thorsten Geißler: Finanzierungszusagen schnell erfüllen Im Juli des vergangenen Jahres legte das Institut für Schleswig-Holsteinischen Zeit- und Regionalgeschichte eine umfängliche historische Statuserhebung zur Zwangsarbeit bzw. Ausländerbeschäftigung im Land während des 2. Weltkrieges vor.
Seit Beginn des 2. Weltkrieges war es Ziel der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik, aus den besetzten Länder Kriegsgefangene und sogenannte Zivilarbeiter zur Stützung der deutschen Kriegswirtschaft ins Deutsche Reich zu verbringen. 1944 betrug die Zahl dieser Arbeitskräfte ca. 8 Millionen. Der größte Teil stammte aus Osteuropa, 2,8 Millionen aus der Sowjetunion - Russen, Ukrainer, Weißrussen - und 1,7 Millionen aus Polen. Aber auch aus westeuropäischen Ländern kamen Fremdarbeiter, allein aus Frankreich 1,2 Millionen. Insgesamt waren zwischen 1940 und 1945 im sogenannten Reichseinsatz ca. 9,5 Millionen Ausländer tätig. Dabei übertraf die Zahl der Personen, die durch Zwangsaushebungen ins Reich kamen, die Zahl der Freiwilligen bei weitem. Zwar gab es in allen besetzten Ländern Personen, die sich aus den verschiedensten Beweggründen freiwillig zum Arbeitseinsatz im Deutschen Reich meldeten. Da deren Zahl aber weit hinter den Erwartungen der Nationalsozialisten zurückblieben, griffen sie zum Mittel der gewaltsamen Zwangsaushebung, insbesondere in Polen und in den besetzten Teilen der Sowjetunion.
Die Hauptausbauphase der Ausländerbeschäftigung in Schleswig-Holstein fiel in den Zeitraum 1941 bis 1942. Im Sommer 1942 wurde die Marke der 100.000 überschritten, um 1944 mit 134.000 Zivilarbeitern den Höchststand der von der Arbeitsverwaltung gesteuerten Ausländerbeschäftigung zu erreichen. Mehr als 2/3 von ihnen waren aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion und aus Polen nach Schleswig-Holstein deportiert worden.
Zu den Einsatzbranchen zählten die Landwirtschaft mit 57.000 Beschäftigten, die Industrie, insbesondere die Rüstungsindustrie, mit etwa 43.000 Beschäftigten, im Sektor Bauwirtschaft / Dienstleistung / Handwerk arbeiteten 11.600, der Öffentliche Dienst mit Reichsbahn auf kommunaler Kreis- und provinzieller Ebene war mit immerhin fast 12.800 – also etwa 1/10 der Ausländerbeschäftigung – vertreten. Insgesamt waren während der NS-Zeit in Schleswig- Holstein ca. 225.000 Ausländer zwangsweise beschäftigt. Im Bereich der Lohn- und Abgabenregelung für ausländische Arbeitskräfte schuf der NS-Staat eine Rangordnung. Sogenannte „Westarbeiter“ wie Belgier, Franzosen, Italiener, Holländer und Dänen erhielten grundsätzlich den gleichen Lohn wie ihre deutschen Kollegen. Polen sollten nur etwa 50 % bis höchstens 85 % des deutschen Lohnes erhalten, hatten aber eine zusätzliche Sozialausgleichsabgabe von 15 % ihres Lohnes zu entrichten. Sogenannte „Ostarbeiter“, also Deportierte aus den besetzten Teilen der Sowjetunion, erhielten lediglich 10 bis 20 % des Lohnes ihrer deutschen Kollegen. Aber auch von diesem geringen Betrag entzog man fast alles als Steuer und Unterbringungskosten. Alle Beschäftigten hatten Beiträge für die Renten-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung zu entrichten, hatten jedoch zum Teil keinen Anspruch auf Leistungen. Mit ihrer Arbeit, aber auch mit ihren nicht unerheblichen Steuerleistungen und Sonderabgaben finanzierten die ausländischen Arbeitskräfte den Krieg auf Deutscher Seite mit.
Die Arbeiter aus Polen und dem besetzten Teil der Sowjetunion wurden gekennzeichnet. Die sogenannten Ostarbeiter mussten ein blaues Rechteck mit der weißen Beschriftung Ost als Abzeichen tragen. Die Polen mussten einen Aufnäher mit dem Buchstaben P auf der Kleidung tragen. Kontakte mit der deutschen Bevölkerung sollten auf ein Minimum beschränkt werden. Wer wegen Krankheit nicht mehr zur Arbeit fähig war, wurde in die Heimat zurückgebracht.
Das Gutachten schildert auch die Lebensbedingungen, unter denen die Ausländer in Schleswig-Holstein arbeiteten. Sie waren gegenüber den Behörden nahezu rechtlos. In den Städten reichte die Nahrung vielfach nicht aus, um die Arbeitskräfte gesund und arbeitsfähig zu erhalten. In der Industrie tätige Polen und Ostarbeiter lebten abgeschottet von der deutschen Bevölkerung.
Teilweise anders sah die Situation auf dem Lande aus. Trotz aller entgegenstehenden Bestimmungen ergaben sich gerade in landwirtschaftlichen Betrieben persönliche Kontakte zwischen Fremdarbeitern und deutschen Hofangehörigen. Auf vielen Höfen erfuhren die Ausländer eine anständige und menschliche Behandlung, wobei man jedoch nicht vergessen darf, dass sie meist nicht freiwillig gekommen waren. In einzelnen Fällen entstanden Freundschaften, die bis heute andauern oder wieder aufgenommen wurden. Gegen das Verbot, mit Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern an einem Tisch zu essen, wurde offenbar vielfach verstoßen. Die Ernährungssituation war für die in landwirtschaftlichen Betrieben eingesetzten ausländischen Arbeitskräfte erheblich besser. Teilweise erhielten sie entgegen den behördlichen Vorschriften die gleichen Portionen wie die deutschen Landarbeiter. Andererseits gibt es auch Belege für Misshandlungen von Ausländern, die in landwirtschaftlichen Betrieben eingesetzt waren.
Für das unermessliche Elend, das der Nationalsozialismus über die Völker Europas gebracht hat, hat sich die Bundesrepublik Deutschland nach Kriegsende mit erheblichen finanziellen Mitteln um Entschädigung bemüht – soweit man Leid durch finanzielle Mittel überhaupt entschädigen kann. In den letzten 50 Jahren wurden etwa 140 Mrd. DM gezahlt, weitere 20 Mrd. DM an Entschädigungsleistungen sind unabhängig von dem sogenannten Stiftungsgesetz noch fällig.
Mit überwältigender Mehrheit nahm der Deutsche Bundestag am 06. Juli vergangenen Jahres das sogenannte Stiftungsgesetz zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter an. Darin stellt der Bundestag fest, dass die Errichtung des Zukunftsfonds innerhalb der Stiftung eine besondere Chance biete, der Verantwortung von Staat, Gesellschaft und Privatwirtschaft gerecht zu werden. Danach soll zur Entschädigung der auf eine Zahl von 1,2 Millionen geschätzten ehemaligen Zwangsarbeiter der deutsche Staat und die Wirtschaft jeweils 5 Mrd. DM bereitstellen. Zwangsarbeiter, die in Konzentrationslagern eingesperrt waren, sollen mit jeweils 15.000 DM entschädigt, für andere Zwangsarbeiter sind 5.000 DM vorgesehen. Allerdings können Entschädigungen in dieser Höhe nur gewährt werden, wenn sich auch die Wirtschaft in dem vorgesehenen Maß an der Bereitstellung von Mitteln für die Stiftung beteiligt. Dies ist jedoch bisher nicht der Fall. Firmen, die wie die Lübecker Dräger-Werke, verhältnismäßig früh mit der Aufarbeitung eines dunklen Kapitels ihrer Firmengeschichte begonnen haben und die sich zu ihrer historischen und moralischen Verantwortung bekannt haben, bilden leider die Ausnahme, verdienen es aber, besonders gewürdigt zu werden. Es wäre mehr als wünschenswert, wenn sich mehr Unternehmen, auch aus Schleswig-Holstein, an der Stiftungsinitiative zur Entschädigung der Zwangsarbeiter beteiligen würden.
Ich finde es darüber hinaus bemerkenswert, dass die Landwirtschaftliche Rentenbank 10 Millionen DM in den Stiftungsfonds eingezahlt hat. Im übrigen gibt es Einzahlungszusagen aus der Wirtschaft in nicht unbeträchtlichem Umfang.
Dennoch ist es erforderlich, dass die Finanzierungszusagen möglichst schnell auch erfüllt werden; denn die Anspruchsberechtigten sind in einem hohen Lebensalter. Das Kapitel der deutschen Geschichte, das sie jetzt aufarbeiten, liegt mehr als 55 Jahre zurück und der Kreis der Anspruchsberechtigten wird ständig kleiner.
Im übrigen sieht das Stiftungsgesetz vor, dass die Leistungsberechtigten der Kategorien 1 und 2 vorrangig entschädigt werden – also den Inhaftierten von Konzentrationslagern und Gettos bzw. deportiert wie inhaftiert oder unter haftähnlichen Bedingungen oder vergleichbar besonders schlechten Lebensbedingungen unterworfen waren. Leistungsberechtigte der Kategorie 3 – über die reden wir ja hier in erster Linien – werden also eine Entschädigung, die nicht nur symbolisch ist, erhalten können, wenn die Finanzierung des Stiftungsfonds in dem Gesetz vorgesehenen Umfang erfolgt.
Nach dem vom Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit angenommene Stiftungsgesetz soll ein Teil des Stiftungsfonds in näherer Zukunft der Zukunftsaufgabe dienen. Die Erinnerung an Holocaust und das Gedenken der Opfer wach zu halten und so eine Wiederholung solcher Entwicklungen entgegen zu wirken. Mit seinen Erträgen sollen daher Projekte nicht zuletzt der Jugendbegegnung und der internationalen Zusammenarbeit zur Sicherung von Frieden und Menschenrechten gefördert werden. Im Rahmen dieser Werte sollen auch Interessen der Erben und Hinterbliebenen von Opfern nationalsozialistischer Unrechtsmaßnahmen berücksichtigt werden. Auch diese Aufgaben können nur wahrgenommen werden, wenn die erforderlichen Mittel in den Entschädigungsfonds eingezahlt werden.
Es ist daher zu hoffen, dass unser Appell Früchte trägt. Dem Antrag der Fraktion von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stimmen wir zu.