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14.12.00
10:29 Uhr
CDU

Martin Kayenburg: Reden und Handeln passen nicht zusammen

LANDTAGSFRAKTION S C H L ES WI G - H O LS T EI N

Pressesprecher Bernd Sanders Landeshaus 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 Internet: http://www.landsh.de/cdu-fraktion/ e-mail:fraktion@cdu.landsh.de
PRESSEMITTEILUNG Nr. 475/00 vom 14. Dezember 2000
Martin Kayenburg: Reden und Handeln passen nicht zusammen Ich glaube, keiner von uns kann behaupten, dass er nicht erschrocken war, als er am 24. November von dem ersten BSE-Fall in Deutschland und dann noch in Schleswig- Holstein erfuhr. Das kleine Dorf Hörsten im Kreis Rendsburg-Eckernförde hatte über Nacht eine traurige Berühmtheit erlangt. Erstmals in Deutschland war eine typisch norddeutsche rotbunte Kuh, in Hörsten geboren und dort 5 Jahre lang im gleichen Stall gefüttert und umsorgt, von BSE befallen.
Und aufgefallen war dies nur, weil vier Tage vorher ein großer Fleischabnehmer den BSE-Test von allen für ihn bestimmten Rindern aus reinen Marketing-Gründen eingefordert hatte. Unter dem Eindruck steigender BSE-Zahlen in Frankreich wollte das Unternehmen den deutschen Verbrauchern signalisieren: „Unser Fleisch ist getestet“.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatten alle verantwortlichen Politiker, insbesondere auch der Bundeslandwirtschaftsminister, immer wieder betont, Deutschland sei BSE-frei. Dabei hatten doch der Wissenschaftliche Lenkungsausschuss SSC der EU-Kommission, das höchste wissenschaftliche Gremium der EU, Deutschland bereits am 1. August dieses Jahres zusammen mit Frankreich und der Schweiz in die Kategorie 3 eingestuft: „BSE- Risiko-Gebiet“. Der SSC begründete diese Einstufung damit, dass er BSE in Deutschland vermute, dies aber aufgrund der geringen Überwachungsintensität noch nicht entdeckt wurde. Bis eben zu dem besagten 24. November.
Wenn es sicherlich manche nicht hören wollen, hatten doch diese von Edeka initiierten freiwilligen Tests etwas Gutes. Möglicherweise sind dadurch Menschenleben gerettet worden; denn lange war es auch nur eine Vermutung und wissenschaftlich nicht abgesichert, und es dauerte bis die Wissenschaft es erkannte, und vor allem, bis die Politiker in Europa überzeugt wurden: BSE kann auch Menschen infizieren.
Wir nennen dies die neue Variante der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit (nvCJD), deren ursprüngliche Form 1920/21 entdeckt und nach ihren Entdeckern benannt wurde. Wir wissen noch zu wenig über die Infektionsraten und über die Inkubationszeit beim Menschen. Aber wir wissen zum Beispiel, dass bei Fütterung mit BSE-verseuchter Nahrung die Infektionsraten bei Schafen 25 %, bei Ziegen 33 %, bei Kudus 50 %, bei

Mäusen und Nerzen 100 % betragen. Die bisher für den Menschen angegebene Infektionsrate von 0,0001 % ist da kaum glaubhaft.
Aber wir haben ja auch erst jetzt gehäufte Fälle der neuen Variante der CJD in Großbritannien und die ersten Fälle in Frankreich. Wir müssen mit mehr Fällen in Zukunft rechnen, wahrscheinlich auch bei uns in Deutschland. Welche Ausmaße diese menschliche Form des BSE annimmt, kann man wirklich nicht voraussagen. Die Fallzahlen bei Rindern in Großbritannien von 179.257 Stück seit 1989 lassen aber Schlimmes befürchten.
Eines darf aber auf keinen Fall wieder passieren: Dass Risiken klein geredet werden wie in der Vergangenheit, und da war vor allem Großbritannien ein unrühmliches Beispiel.
Aber vielleicht ist auch bei uns nicht alles so korrekt gewesen, wie es sein sollte. War an den Vermutungen der Tierärztin aus Bad Segeberg wirklich nichts dran? Ich kann das nicht beurteilen. Nachdenklich macht mich aber zum Beispiel die in der FAZ vom 30. November abgedruckte BSE-Chronik und die Berichte der Wissenschaftler Detlev Riesner oder Stephen Dealler in eben dieser Zeitung vom 02. bzw. 06. Dezember. Auch der Bericht des Epidemologen Michael G. Koch in der KN lässt mich fragen, ob wir nicht zu häufig nach dem Motto gehandelt haben: „Was nicht sein darf, das nicht sein kann“. Allerdings sollten wir auch nicht in das Gegenteil verfallen und wie so oft Angst verbreiten und Horrorszenarien malen.
Wir alle sind uns aber, auch mit den Landwirten, völlig einig: Der Verbraucherschutz muss Vorrang vor allem anderen haben. Ihr Regierungshandeln, Frau Simonis, lässt bei mir allerdings den Verdacht keimen, dass Reden und Handeln wieder einmal nicht übereinstimmen. Wie wollen Sie es denn in dieser Situation den Verbrauchern erklären, dass Sie gerade dabei sind, die Verbraucherzentrale als die unabhängige Institution, auf deren Urteil die Verbraucher vertrauen, kaputt zu sparen? Sie verliert in 2001 325.000 DM Landesmittel oder 20 %. Sie steht kurz vor dem Konkurs. Sie muss 12 qualifizierte Berater in die Arbeitslosigkeit entlassen und fast alle Zweigstellen schließen.
Die Mittel für die Landwirtschaftskammer, als der Beratungsstelle für die Bauern unseres Landes, werden ebenfalls so gekürzt, dass sie an die Grenze ihrer Existenzfähigkeit kommt.
Dem Gütesiegel „Hergestellt und geprüft in Schleswig-Holstein“ werden die Mittel gestrichen. Der Verbraucher wird dann nicht mehr wissen, woher die Lebensmittel kommen, die er einkauft. Das Vertrauen in die Wirtschaft des Landes geht verloren. Wir fordern dagegen, dass die Herkunftsinformation auch für verarbeitete Fleischwaren gelten muss. Wir müssen wissen, woher unserer Wurst kommt und was darin ist. Deshalb ist die Absicht der Landesregierung, das Gütesiegel nicht mehr finanziell zu unterstützen, absolut kontraproduktiv. Richtig wäre es, besonders in der jetzigen Situation, diese Mittel zu verstärken, damit zusätzliche Aufgaben erfüllt werden können. Die Ernährungswirtschaft ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in unserem Land. Durch BSE verlorenes Vertrauen muss zurückgewonnen werden.
Unabhängig davon will ich Ihnen ja gerne attestieren, dass Sie - was das Kapitel „Information der Öffentlichkeit“ angeht - aus dem Fall „Pallas“ viel gelernt haben. Die Einrichtung der Leitstelle im Innenministerium, sogar die Einschaltung von Polizeibeamtinnen und -beamten als Berater, das war schon in Ordnung. Formal hat das Krisenmanagement gestimmt.
Was ich allerdings eher als peinlich empfand, war der hektische Aktionismus Ihres Umweltministers. Sicher, auch er hat aus „Pallas“ gelernt. Während Sie, Frau Simonis, seinen Vorgänger anweisen mussten, sich doch endlich mal zum Ort des Unfalls zu begeben, stand der jetzige Umweltminister stets in der ersten Reihe, wenn denn Kameras da waren. Müller packt Testgeräte im Labor in Neumünster aus. Müller sitzt als erster Minister am Beratungstelefon. Müller verteilt Prospekte auf dem Wochenmarkt. Herr Umweltminister Müller, ich bescheinige Ihnen gerne, dass Sie in Ihrer Zeit im Bundestag von Bundeskanzler Schröder viel gelernt haben: Es kommt auf Bilder an, weniger auf politische Inhalte.
Herr Müller, Sie jedenfalls haben sich mehr um den eigenen Bekanntheitsgrad verdient gemacht als um die Lösung der BSE-Problematik in unserem Land.
Dieser Aktionismus passt allerdings gar nicht zu Ihrem Umgang mit dem betroffenen Landwirt. Kaum taucht die Vermutung von verseuchten Böden auf, schicken Sie neben Ihren Mitarbeitern auch gleich Kamerateams auf die Grundstücke des schwer betroffenen Landwirtes. Ihn selbst aber informieren Sie nicht. In dieselbe Kategorie der Missachtung von Betroffenen fällt die Idee des Bundeslandwirtschaftsministers, zu Forschungszwecken den gesamten Hof in Hörsten zu pachten. Der Landwirt selbst erfährt das aus dem ZDF. Ich finde das einfach ungehörig.
Im Vergleich zu diesem Aktionismus haben Sie, Frau Frantzen, dagegen Ihre Sache ganz ordentlich gemacht.
Schwierig wird es für unser Land allerdings jetzt, wenn es um die Kosten geht. Sie, Frau Simonis, sind nicht müde geworden, den Bund zurecht dafür anzugreifen, dass er sich an den Kosten der Tiermehlbeseitigung nicht beteiligen will. Aber ich muss Sie dann doch fragen, warum haben Sie denn im Bundesrat diesem Gesetzentwurf zugestimmt, obwohl die Kostenfrage bis zur Stunde ungeklärt ist? Warum haben Sie denn dem Gesetzentwurf zugestimmt, obwohl Sie doch wissen mussten, dass zumindest in unserem Land gar keine ausreichende Laborkapazitäten für die nun vorgeschriebenen Untersuchungen vorhanden waren? Ich glaube, Frau Simonis, da haben Sie sich vom Aktionismus Ihres Umweltministers anstecken lassen. Aber nicht nur hier in Schleswig-Holstein verhindert die Hektik gründliches Nachdenken. Bei der EU sieht das nicht besser aus. Ich frage mich, ob in Zukunft überhaupt noch eine Kuh in unserem Land älter als 29 Monate und 29 Tage wird. 30 Monate wird sie bestimmt nicht mehr werden, denn dann müssten sie nach dem Schlachten teuer getestet werden. So lange aber die Kosten für die Tests beim Bauern, Schlachthof oder Händler hängen bleiben, gibt es keine 30 Monate alten Schlachtrinder mehr. Nur, die 30 Monate, sind eine gegriffene Zahl. Auch bei 29 Monaten und 29 Tagen oder sogar noch etwas früher ist die Rinderkrankheit zu erkennen und vor allem übertragbar. Aus Gründen des Verbraucherschutzes muss das künftig mit verbesserten Tests sogar noch früher möglich sein. Hier sind Forschungsmittel und deren EU-weite Koordinierung gefordert.
Die Frage, die wir uns alle außerdem stellen müssen, ist, warum trat BSE vor allem in der EU auf? Ich glaube, es kann heute gar keinen Zweifel mehr daran geben, dass der Umgang mit BSE im Vereinigten Königreich damit etwas zu tun hat.
Der CDU-Europaabgeordnete Reimer Böge hat schon früh von der britischen Regierung und von der EU-Kommission konkretes und konsequentes Handeln gefordert, also das Keulen kompletter befallener Herden und ein Ex- und Importverbot von britischem Tiermehl. Ihm ist leider nicht gefolgt worden.
Mir macht darüber hinaus große Sorge, dass die Marktmacht der großen Lebensmittelkonzerne bisher dazu führt, dass die Landwirte als Fleischproduzenten für die zusätzlichen Kosten aufkommen müssen. Deren Erlöse werden erneut sinken, obwohl ihr Anteil am Ladenpreis für Fleisch schon immer bei weitem der geringste ist.
Es sind aber nicht nur die BSE-Tests, die mit einer Eilverordnung geregelt wurden, sondern Bundestag und Bundesrat, die sonst Monate für ein Kleingesetz brauchen, haben in der vergangenen Woche innerhalb weniger Tage das schnellste Verfahren abgeschlossen, das je in dieser Bundesrepublik zu einem Gesetz geführt hat: das Verbot zur Verfütterung von Tiermehl ausnahmslos an alle Tiere.
Seit 1994 war die Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer ja bereits verboten. Wenn Tiermehl - hergestellt auch aus von BSE oder Scrapie befallenen Tieren - der Auslöser für BSE ist - und das ist zur Zeit die Vermutung der Wissenschaft - hätte die 1995 in Hörsten geborene Kuh die Krankheit nicht haben dürfen, es sei denn, der Weg über die Nahrungskette könnte nachgewiesen werden. Und dieses „denn“ ist das große Fragezeichen.
Bisher kann man nur spekulieren: 1. Bestimmte Krankheiten können spontan auftreten 2. Gab es irgendwo noch Futterreste von vor 1994 in dem Stall? 3. Waren in dem Futtermitteltransportern Reste von Fuhren mit Tiermehl an Schweine- oder Geflügelzüchter? 4. Waren die Weiden kontaminiert? 5. War es das Milchaustauschfutter bei der Kälberaufzucht, das tierische Fette enthält, die auch stets geringe Mengen tierischer Eiweiße binden? Alles Fragen werden nur schwer aufzuklären sein.
Da alle Tiere aus dem Stall getötet wurden, die Krankheit aber erst bei etwa 30 Monate alten Tieren wirklich feststellbar ist, wird man auch keine Aussagen machen können, ob die Nachkommen der verseuchten Kuh vielleicht auch schon die Krankheit in sich hatten.
Für die Ursachenforschung und Wissenschaft war es wahrscheinlich nicht so klug, alle Tiere aus dem Stall in Hörsten sofort zu Keulen. Ich halte diese Vorgehen für eine unüberlegte Panikreaktion, da es sich bei BSE ja nicht um eine schnell um sich greifende Seuche im eigentlichen Sinne handelt.
Auch hätte es nach Auffassung der Wissenschaft gar nicht zu einem generellen Verbot von Tiermehl kommen müssen. Das eigentliche Problem lag nämlich ! in den Vorschriften, was auf keinen Fall zu Tiermehl verarbeitet werden darf, ! in einer mangelhaften EU-weiten Kontrolle der Tiermehlproduzenten und ! in einer mangelhaften Kontrolle von importiertem Tiermehl aus Nicht-EU- Ländern.
Außerdem waren Wissenschaft und Politik davon überzeugt, dass man tierische Abfälle bei 133 Grad Celsius und 3 Bar Druck in 20 Minuten sterilisieren kann. Seit längerem liegen aber Berichte vor, dass selbst bei 300 Grad Celsius und der Sterilisation durch UV-Strahlen und Desinfektionsmittel oder durch energiereiche Röntgenstrahlen die BSE-Erreger, die Prionen, nicht mit Sicherheit vernichtet werden. Man wiegt sich also in einer Sicherheit, die möglicherweise trügerisch ist. BSE- Tierkadaver, -Hirn, -Innereien, -Rückenmark haben daher im Tiermehl nichts zu suchen.
Aber die Standards in den einzelnen Ländern sind zu unterschiedlich. Hier rächt sich, dass es kein einheitliches EU-Recht gibt. Jedes Bundesland wirtschaftet auf diesem Gebiet für sich. Jedes EU-Land natürlich auch. Überall herrschen andere Vorschriften und Kontrollmechanismen. Das Futtermittel gehört aber in die Vorproduktkette der menschlichen Nahrung. Es sollte auch ähnlich gut kontrolliert werden. Wenn aber Kontrollen nicht stattfinden, ! weil es zu wenig Kontrolleure gibt, ! weil Kompetenzgerangel sie verhindert, ! weil Kontrollen nur nach Vorankündigungen stattfinden, oder keine verbindlichen oder belastbaren Methoden vorliegen kann man Risiken noch weniger ausschließen.
Zusätzlich gab es immer Missbrauch und schwarze Schafe, auch im Agrarbereich. Ich erinnere nur an die Skandale um Glykol im Wein oder Dioxin im Tierfutter. Genauso unsensibel, wie man mit den Warnungen vor BSE und der Fütterung von Tiermehl an Wiederkäuer umgegangen ist, werden auch andere Fütterungsmethoden noch heute nicht nur in der EU angewandt, bei denen dem Verbraucher die Haare sträuben. Dazu gehören Antibiotika in der Tiermast, aber auch Hornmehl, Knochenmehl, Federn und Haarmehl oder ähnliches, wie sie als "Bodenverbesserer" in der ökologischen Landwirtschaft eingesetzt werden. Alles dies könnte sich, wie das Tiermehl, zu Zeitbomben

entwickeln. Was jetzt Not tut, ist ein sorgsamer Umgang mit so genannten „Allheilmitteln“.
Wir sitzen jetzt als Folge der BSE-Krise auf Tiermehlbergen, die erst einmal schnell entsorgt werden müssen. Dann müssen Regelungen für die Beseitigung zukünftigen Tiermehls gefunden werden, und die Kostenfrage muss gelöst werden. Dafür sind alle gefordert: Produzenten, Verbraucher und die staatlichen Organisationen, seien es die Kommunen, das Land, der Bund oder die EU, und das europaweit.
Man hat erst einmal ein Gesetz gemacht und beginnt jetzt darüber nachzudenken, wie man es in die Praxis umsetzten kann. Sicher nicht der optimale Weg, aber um das Vertrauen der Verbraucher wieder herzustellen wahrscheinlich nicht anders möglich. Es sind schnelle Konzepte gefordert, denn Schlachtabfälle und verendete Tiere fallen täglich an. Den Verwertern sind die Absatzmärkte weggebrochen, die Einnahmen fehlen, die Kosten entstehen weiterhin und erhöhen sich durch zusätzliche Lagerkapazitäten. Konkurse sind zu erwarten.
Schnelle Hilfe und konkrete Entscheidungen sind jetzt gefragt. Erst wenn Sie das wirklich leisten, Frau Simonis, kann man Ihr Krisenmanagementals gelungen bezeichnen.