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18.10.00
11:02 Uhr
CDU

TOP 7 Jost de Jager: Mit alten Rezepten neue Medienwelt erschließen

LANDTAGSFRAKTION S C H L ES WI G - H O LS T EI N

Pressesprecher Bernd Sanders Landeshaus 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 Internet: http://www.landsh.de/cdu-fraktion/ e-mail:fraktion@cdu.landsh.de
PRESSEMITTEILUNG Nr. 370/00 vom 18. Oktober 2000
TOP 7 Jost de Jager: Mit alten Rezepten neue Medienwelt erschließen
Lassen Sie mich zunächst einmal festhalten, dass ich es seitens der Ministerin für einen schlechten Stil halte, wenn zwei Tage vor der Debatte über die Große Anfrage teilweise wortgleiche Passagen gesondert der Presse vorgestellt werden. Das ist ein durchsichtiges Manöver, aber es wird dazu führen, dass wir uns zukünftig nur noch über die Presse austauschen. Soweit der formale Punkt.
Interessant ist aber, dass am gleichen Tag, dem 16. Oktober, die bayerische Bildungsministerin Monika Holmeyer der Presse mitgeteilt hat, dass bis Ende dieses Jahres alle Schulen in ihrem Bundesland am Netz sein werden. Und hier sind wir beim Punkt.
Schleswig-Holstein backt dagegen kleine Brötchen. Erst 50 % der Schulen, so können wir der Antwort auf unsere Große Anfrage „Auswirkungen von Multi-Media an Schleswig-Holsteins Schulen“ entnehmen, sind bisher am Netz und damit rangieren wir wieder einmal ganz hinten. Die anderen 50 % - sprich 500 Schulen – sollen innerhalb des nächsten Jahres angeschlossen sein. Bei dem bisher an den Tag gelegten Tempo glaubt das allerdings kein Mensch.
Was uns vor allem überrascht hat an der Antwort auf unsere Große Anfrage ist zweierlei. Zum einen das kleine Kaliber, mit der die Bildungsministerin schulpolitisch auf die gigantische Herausforderung Internet reagieren will und zum anderen die Ahnungslosigkeit, mit der sie durch das schulische Cyber-Space tappt. So verweisen Sie in der Großen Anfrage zum Beispiel mehrmals darauf, dass die technische Ausstattung der Schulen eigentlich Aufgabe der Schulträger ist. Eine Ahnung davon, wie viel Geld die Kommunen diese Aufgabe kostet, haben Sie nicht. Ebenso haben Sie keinen Überblick darüber, wie viele Netzzugänge oder Computer über privates Sponsoring an die Schulen gegangen sind. Dies würde nicht zentral erfasst, heißt es lapidar als Antwort auf die Frage A 5. Das ist schade, denn die Frage des privaten Sponsoring ist eine der zentralen Fragen im Zusammenhang mit Multi-Media und weiteren Schulentwicklungen. Bemerkenswert bei der Lektüre dieser Großen Anfrage ist zudem der eigentümlich altmodische Rückgriff auf die traditionellen Instrumente der Bildungspolitik im Umgang mit der Einführung hochmoderner Technik. In den Antworten auf unsere Fragen wimmelt es von Modellversuchen, Pilotprojekten, mehrjährigen Untersuchungen und dem ständigen Verweis auf die Schulautonomie. Bei der Frage nach der Betreuung der Computeranlagen und Netzwerke an den Schulen wird zum Beispiel auf ein Pilotprojekt zu Schulassistenten verwiesen, das noch drei Jahre läuft. Will man wissen, welchen zeitlichen Aufwand diese Betreuung beinhaltet, wird auf ein anderes Pilotprojekt verwiesen, dessen erste Ergebnisse noch in diesem Jahr vorliegen sollen, aber offenbar nicht mehr rechtzeitig für diese Große Anfrage. Stellt man eine Frage nach dem pädagogischen Konzept, wird die Autonomie und Eigenverantwortung der Schulen angeführt. Davor möchte ich allerdings warnen: Mit einem reflexartigen Autonomie-Automatismus und althergebrachten Mitteln wie Pilotprojekten werden wir beim Thema „Multi-Media“ nicht weiterkommen. Denn durch Multi-Media wird sich für die Schulen und die Organisation von Schulen sehr viel mehr ändern, als Sie in der Großen Anfrage uns Glauben machen wollen, und es wird sich sehr viel schneller ändern, als Sie es denken.
Lassen Sie mich deshalb im Einzelnen auf vier Bereiche eingehen, die im Sinne der oben zitierten Bildungsreform auch in Schleswig-Holstein zügig angegangen werden müssen: 1. Die Aufgabenverteilung zwischen Schulträgern und Land bei der Einführung neuer Technologien wie Multi-Media. Ich bin der festen Überzeugung, dass Grenzen der Zuständigkeiten - zwischen dem Schulträger, der für die technische Ausstattung zuständig ist, und dem Land, das für die Personalausstattung zuständig ist - erreicht sind. Dies wird am Beispiel Multi-Media überdeutlich. Technische Ausstattung und personelle Betreuung vermengen sich beimThema „Multi-Media“. Denn das Problem für die Schulträger ist ja in der Regel nicht die Erstbeschaffung der Geräte, sondern vor allem die Folgekosten. Und zu den Folgekosten gehört natürlich die Wartung, die Pflege und die pädagogische Betreuung. Nun ist die Wartung, das Einrichten von Software, das Adaptieren für den Schulgebrauch nicht von der pädagogischen Arbeit zu lösen, d. h. dem Schulträger ist nicht damit geholfen, eine Computerfirma zu organisieren, sondern es müssen schon die Lehrer der Schule tun. Und hier kommen wir in den Bereich, wo die Zuständigkeiten sich mischen.
Die Regelung, dass der Schulträger für das eine und das Land für das andere zuständig ist, entstammt einer Zeit, in der noch niemand an Computer dachte. Deshalb ist die Regelung auf Computer auch nur unzulänglich anwendbar. Und insofern ist es meine Forderung, diese alten Grenzen der Zuständigkeiten zu überwinden. Erforderlich wäre es, dass Land und Kommunen sich an einen Tisch setzen und über neue Pakete der Zuständigkeit und der Finanzierung nachdenken und verhandeln. Dabei darf es nicht das Ziel sein, die Lasten einseitig auf die Kommunen oder einseitig auf das Land zu schieben. Es geht meines Erachtens darum, dass Thema „Multi-Media“ umfassender und umfänglicher zu behandeln als es bisher der Fall ist. Die von Ihnen in der Großen Anfrage erwähnte Arbeitsgruppe des Städteverbandes unter Beteiligung von Vertretern des Landes ist ein guter Anfang. Mir wäre es lieber, es wären Spitzengespräche, die alle kommunalen Spitzenverbände beteiligen.

2. Der zeitliche Aufwand von Lehrkräften für die Betreuung von Computernetzwerken in Schulen, die sogenannten Systemadministration. Glaubt man der Großen Anfrage, stochert das Bildungsministerium bei der Festlegung darauf, wie viel Zeit die Systemadministration an den Schulen wirklich bindet, ziemlich im Nebel. Aber vielleicht will man die genaue Zahl der Lehrerarbeitsstunden, die die pädagogische Betreuung von Computern und Netzzugängen bindet, aus naheliegenden Gründen auch gar nicht benennen. Denn Anhaltspunkte gibt es schon. Es wurde zum Beispiel festgestellt, dass jede an der Planung, Einrichtung, Koordination, Pflege, Reparatur, Wartung und am Ausbau von Computeranlagen beteiligte Lehrkraft im Durchschnitt mit rund 20 Jahresarbeitstagen an dieser Aufgabenwahrnehmung belastet ist. Das scheint mir realistisch. Nur diese Zahl hochgerechnet, bedeutet, dass die von der Landesregierung derzeit gewährten 100 Ausgleichsstunden für die Systemadministration an allgemeinbildenden Schulen und die 150 Ausgleichsstunden für berufliche Schulen nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein sind. Zumal diese Ausgleichsstunden über den Verwaltungs- und Innovationspool jeder einzelnen Schule erfolgen und damit in Konkurrenz zum Ausgleich anderer Aufgaben an den Schulen. Ich will nicht auf unsere kaiserliche Werft zurückkommen, aber: Diese zusätzlichen Aufgaben können wir als verantwortungsvolle Schulpolitiker nur dann an die Schulen geben, wenn wir für die Schulen auch die zeitlichen Kapazitäten zur Erfüllung dieser Aufgaben bereitstellen. Das ist eine Form von Konnexität in der Schulpolitik. Und klar ist, dass sie mit 100 Ausgleichsstunden für 1.000 Schulen nicht weiterkommen, denn das bedeutet, dass – geschmeichelt gerechnet – jede 10. Schule eine Ausgleichsstunde für die Wartung, Pflege und Konzeptionierung von Computeranlagen und Netzzugängen erhält.
Wir werden auch an diesem Beispiel den vor uns liegenden Herausforderungen nicht gerecht, wenn wir in die alten Verfahrensweisen zurückverfallen. Es ist meine feste Überzeugung, dass wir dem Thema Systemadministration nicht mit Ausgleichsstunden beikommen können, sondern nur über die Lehrerarbeitzeit. Und da trifft es sich gut, dass eine Kommission ja nun einen Vorschlag, wenngleich auch einen systemkonservativen Vorschlag, zur Neugestaltung der Lehrerarbeitzeit vorgelegt hat.
Bei einer Neufestlegung der Lehrerarbeitszeit, sollte daher nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob ein Mathelehrer genauso viel Zeit zur Unterrichtsvorbereitung braucht wie ein Deutschlehrer, sondern vor allem, wie wir solche neuen Aufgaben in der Schule über die Lehrerarbeitszeit mit berücksichtigen können. Hier, meine Damen und Herren, ist ein großer Wurf gefragt und nicht eine kleinkarierte Regelung über Pool- und Ausgleichsstunden. 3. Lehrerausbildung – Eine unserer Ausgangsüberlegungen für diese Große Anfrage hieß: Vorausgesetzt irgendwann einmal sind auch in Schleswig-Holstein alle Schulen am Netz, wie setzen wir dann diese ganze teure Technologie tatsächlich im Unterricht ein? Sind die Lehrer, die jetzigen und die künftigen, auf die didaktische Anwendung von Multi-Media im Unterricht vorbereitet? Das Tempo mit 4.000 Lehrern pro Jahr ist nach meinem Empfinden zu langsam, wenn man bedenkt, wie schnell in diesem Bereich Wissen veraltert. Bei der Lehrerfortbildung



steht das Land in der Tat vor einer Herkules-Aufgabe, der die bisherigen Maßnahmen nicht gerecht werden. Nach Erkenntnissen von BIG, einem Gemeinschaftsprojekt von Bertelsmann- und Nixdorf-Stiftung, haben zwar 25 % der Lehrkräfte Grundkenntnisse in Computern, allerdings größtenteils nur für den eigenen Gebrauch zu Hause, nur 7 % der Lehrkräfte wenden den Computer auch tatsächlich im Unterricht an.
Mindestens so bedeutend wie die Lehrerfortbildung ist natürlich die Lehrerausbildung. Und da sind die Erkenntnisse dieser Großen Anfrage zum Teil besorgniserregend. Laut Angaben der Nixdorf- und Bertelsmann-Stiftungen liegt der Anteil von fachdidaktischen Veranstaltungen, die Multi-Media-Kompetenz in der ersten Phase der Lehrerausbildung, also dem Studium, vermitteln, bei 3 %. In Schleswig-Holstein liegt der Anteil für die Lehramtskandidaten für allgemeinbildende Schulen im Durchschnitt zwischen 1,3 und 1,6 %. Das ist zu wenig! Grund dafür ist die von Ihnen so gerühmte neue Verordnung über die Lehrerausbildung vom vergangen Jahr, die lediglich einen solchen Schein im Studium vorsieht. In Anbetracht der Tatsache, dass jetzt die Lehrer ausgebildet werden, die die nächsten 25 bis 30 Jahre an den Schulen Schleswig-Holsteins im Klassenzimmer mit Multi-Media arbeiten sollen, ist dieser Anteil an Pflichtveranstaltungen natürlich zu gering. Es wäre eine geradezu strategische Weichenstellung, diesen Anteil der mediendidaktischen Pflichtseminare zu erhöhen. Das würde allerdings voraussetzen, dass es so etwas gibt wie ein pädagogisches Konzept, der vierte Punkt.
4. Bei der Frage danach, ob es eine Leitidee für das gibt, was mit Multi-Media wie vermittelt werden soll, wird man in der Großen Anfrage auf die viel beschworene Schulautonomie und auf die Lehrpläne verwiesen. Beides ist schlechterdings unzureichend, denn die von dieser Landesregierung neu gefassten Lehrpläne stammen aus einer Zeit, als das Thema Internet und Multi-Media eigentlich noch nicht die entscheidende Rolle gespielt hat. Und Schulen können ein solches Konzept in Eigenverantwortung gar nicht erstellen und nach unserer Überzeugung sollen sie das auch gar nicht, denn bei aller Wertschätzung für die Initiative von Lehrkräften legen wir auf eine gewisse Einheitlichkeit der Unterrichtsinhalte wert. Man muss also über die Inhalte reden.
Bemerkenswerter Weise findet sich aber in dieser Großen Anfrage kein einziger Hinweis darauf, wie Computer, wie Internet, wie Interaktivität das Lernen verändern werde; damit den Unterricht und die Unterrichtshalte. Die künftigen Schülergenerationen werden mit einem Multi-Media-Wissen bereits an die Schulen kommen. Dieses Vorwissen wird in einem sehr viel stärkeren Maße als heute den Ablauf des Unterrichts in den einzelnen Klassenzimmern bestimmen und prägen. Es wird das Lernen spielerischer machen, es wird die Inhalte und die Methoden des Unterrichts dramatisch verändern. Darauf müssen die Schulen in Schleswig- Holstein konzeptionell vorbereitet sein und sie müssen darauf personell darauf vorbereitet sein. Sie sind beides noch nicht. Das, meine Damen und Herren, liegt nicht in der Verantwortung der Schulen, wohl aber in der der Schulpolitik.